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Droht eine Kündigung bei einem Nebenjob?
Kündigung oder Abmahnung wegen Nebentätigkeit?
In den Medien wird oft behauptet, dass man als Arbeitnehmer sehr vorsichtig bei der Ausübung einer Nebentätigkeit sein soll, da hier eine Kündigung des Arbeitgebers droht.
Dies wird vor allem dann befürchtet, wenn zum Beispiel der Arbeitgeber diese Nebentätigkeit nicht bewilligt bzw. genehmigt hat.
Hier soll es darum gehen, welche Voraussetzungen tatsächlich in Bezug auf eine Nebentätigkeit erfüllt sein müssen und wann eine Kündigung durch den Arbeitgeber droht.
kein generelles Nebentätigkeitsverbot
Zunächst ist auszuführen, dass der Arbeitnehmer durchaus eine Nebentätigkeit neben seiner Haupttätigkeit ausüben darf. Nach dem deutschen Arbeitsrecht gibt es kein generelles Nebentätigkeitsverbot. Die Nebentätigkeit ist in der Regel auch nicht abhängig davon, dass der Arbeitgeber diese genehmigt. Es können aber durch entsprechende Klauseln im Arbeitsvertrag bestimmte Pflichten bestehen, insbesondere die Anzeige der Nebentätigkeit. Ein generelles Verbot einer Nebentätigkeit im Arbeitsvertrag ist unwirksam!
Zustimmung zur Nebentätigkeit?
Kurz gesagt kann der Arbeitgeber die Aufnahme einer Nebentätigkeit nicht von seiner Zustimmung abhängig machen. Darüber hinaus darf der Arbeitgeber auch nicht generell Nebentätigkeiten verbieten. Der Arbeitnehmer kann nämlich in seiner Freizeit (arbeitsfreien Zeit) grundsätzlich machen, was er möchte und ist nicht an Weisungen des Arbeitgebers gebunden.
Probleme vermeiden!
Einige Umstände sind aber trotzdem zu beachten:
nicht mehr als 48 h pro Woche arbeiten
Zum einen muss der Arbeitnehmer darauf achten, dass die Nebentätigkeit nicht dazu führt, dass die Grenzen des Arbeitszeitgesetzes überschritten wird. Der Arbeitnehmer darf maximal pro Woche 48 Stunden arbeiten. Nimmt er eine Nebentätigkeit auf und kommt dann auf eine Arbeitszeit, die höher als 48 Stunden liegt, kann es sein, dass der Arbeitsvertrag in Bezug auf die Nebentätigkeit zumindest teilnichtig ist. Der erste Arbeitsvertrag, also bei der Haupttätigkeit, ist grundsätzlich weiterhin wirksam, denn nur durch den neuen Arbeitsvertrag, also den zweiten, wird die Grenze nach dem Arbeitszeitgesetz überschritten. Dies ist zu beachten.
kein Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot
Ein weiterer Punkt ist der, dass die Nebentätigkeit grundsätzlich nicht dazu führt, dass sich der Arbeitnehmer im Wettbewerb zum Arbeitgeber begibt. Der Arbeitnehmer muss also das arbeitsvertragliche Wettbewerbsverbot beachten. Hier kann eine Kündigung drohen (siehe unten).
Erholung und Urlaub
Auch darf die Nebentätigkeit nicht dazu führen, dass die Arbeitsleistung in der Haupttätigkeit negativ beeinflusst wird. Zudem sollte die Nebentätigkeit auch nicht den Urlaubszweck beeinflussen, der Erholung des Arbeitnehmers dienen.
Kündigung und Nebentätigkeit
In Bezug auf eine Kündigung ist es so, dass grundsätzlich der Antritt einer Nebentätigkeit keine Kündigung durch den Arbeitgeber herbeiführt, denn die Nebentätigkeit darf der Arbeitnehmer neben der Haupttätigkeit im Allgemeinen ausüben. Dies gilt zumindest dann, wenn kein Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz und auf jeden Fall kein Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot vorliegt.
das arbeitsvertragliche Wettbewerbsverbot
Im bestehenden Arbeitsverhältnis besteht nämlich Wettbewerbsschutz und dabei spielt es keine Rolle, ob dies ausdrücklich im Arbeitsvertrag geregelt ist oder nicht. Das Arbeitsvertragliche Wettbewerbsverbot besteht also während des bestehenden Arbeitsverhältnisses und sogar im Kündigungsschutzverfahren. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht dies nur dann, wenn dies ausdrücklich wirksam im Arbeitsvertrag geregelt ist.
Wenn also der Arbeitnehmer eine Nebentätigkeit ausübt und hier ohne Genehmigung des Arbeitgebers (hier könnte die Genehmigung einmal sinnvoll sein) und dabei bei der unmittelbaren Konkurrenz des Arbeitgebers arbeitet, dann schafft er einen Grund für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Dieser seltene Fall muss auf jeden Fall von Arbeitnehmerseite beachtet werden.
FAQ – häufig gestellte Fragen
Nebentätigkeit: Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wie viele Stunden darf ich maximal in einer Nebentätigkeit arbeiten?
Nach dem Arbeitszeitgesetz darf die wöchentliche Arbeitszeit inklusive der Nebentätigkeit 48 Stunden im Durchschnitt von sechs Monaten oder 24 Wochen nicht überschreiten.
- Muss ich meinen Arbeitgeber über eine Nebentätigkeit informieren?
In der Regel müssen Arbeitnehmer ihren Hauptarbeitgeber über aufgenommene Nebentätigkeiten informieren, wenn im Arbeitsvertrag oder in einem einschlägigen Tarifvertrag eine wirksame Klausel existiert, die dies verlangt. Die Information dient dazu, potenzielle Interessenkonflikte zu vermeiden und sicherzustellen, dass die Nebentätigkeit nicht die arbeitsvertraglichen Pflichten beeinträchtigt.
- Welche Auswirkungen hat eine Nebentätigkeit auf meinen Urlaubsanspruch beim Hauptarbeitgeber?
Eine Nebentätigkeit hat grundsätzlich keine Auswirkungen auf den Urlaubsanspruch beim Hauptarbeitgeber. Der Urlaubsanspruch, der sich aus dem Hauptarbeitsverhältnis ergibt, bleibt unberührt, solange die Nebentätigkeit die Haupttätigkeit nicht beeinträchtigt.
- Kann mein Arbeitgeber die Nebentätigkeit verbieten?
Nein, in der Regel nicht. Bei Verstößen gegen gesetzlichen Vorschriften, wie dem Arbeitszeitgesetz oder dem Konkurrenzsschutz ist dies aber möglich. - Muss ich Einkünfte aus einer Nebentätigkeit versteuern?
Ja, Einkünfte aus einer Nebentätigkeit müssen als Einkommen versteuert werden. Es ist wichtig, diese Einkünfte in der Einkommensteuererklärung anzugeben. Abhängig von der Höhe des Einkommens und der Art der Tätigkeit können auch Sozialversicherungsbeiträge fällig werden.
Zusammenfassung:
Zusammenfassend kann man also sagen, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich im Arbeitsverhältnis auch eine Nebentätigkeit ausüben darf, insofern gesetzliche Bestimmungen, wie zum Beispiel über das Wettbewerbsverbot oder nach dem Arbeitszeitgesetz hier nicht verletzt werden.
Im Normalfall führt die Ausübung einer Nebentätigkeit nicht dazu, dass der Arbeitgeber einen Kündigungsgrund hat.
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Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg bestätigt Durchführung der Betriebsratswahl bei Tesla
Der Betriebsrat ist ein gewähltes Organ der Arbeitnehmerschaft eines Betriebes, der die Interessen seiner Arbeitnehmer vertritt. Er ist das Organ der Arbeitnehmer im Betrieb. Gesetzliche Regelungen dazu findet man im Betriebsverfassungsgesetz.
Tesla und der Betriebsrat in Grünheide
Die Errichtung eines Betriebsrates ist nicht verpflichtend. Es steht den Arbeitnehmern frei, einen Betriebsrat zu wählen oder es zu lassen, so jedenfalls die gesetzlichen Regelungen dazu.
In der Praxis scheitert die Einrichtung eines Betriebsrats aber oft nicht am Willen der Arbeitnehmer, sondern oft daran, dass Arbeitgeber kein Interesse haben, dass in ihrem Betrieb ein Betriebsrat existiert. Nach 4 Jahren ist der Betriebsrat neu zu wählen. Ein Betriebsrat muss aber vorher neu gewählt werden, wenn sich die Mitarbeiteranzahl um einen bestimmten Faktor erhöht.
§ 13 Abs.1 und 2 Nr. 1 des BetrVG regelt dazu:
(1) Die regelmäßigen Betriebsratswahlen finden alle vier Jahre in der Zeit vom 1. März bis 31. Mai statt. Sie sind zeitgleich mit den regelmäßigen Wahlen nach § 5 Abs. 1 des Sprecherausschussgesetzes einzuleiten.
(2) Außerhalb dieser Zeit ist der Betriebsrat zu wählen, wenn
- mit Ablauf von 24 Monaten, vom Tage der Wahl an gerechnet, die Zahl der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer um die Hälfte, mindestens aber um fünfzig, gestiegen oder gesunken ist,
- ……..
Tesla ist der größte (private) Arbeitgeber in Brandenburg. Die Gigafactory in Grünheide beschäftigt rund 12.000 Arbeitnehmer. Für die Region ist Tesla von daher ein wichtiger Arbeitgeber. Die Anzahl der Arbeitnehmer stieg seit der ersten Betriebsratswahl stark an. Damals betrug diese nur 2.500 Mitarbeiter.
Vergrößerung des Betriebsrat durch Neuwahl
Im Werk im Grünheide sollte der Betriebsrat nun gemäß der obigen gesetzlichen Vorgabe nach dem BetrVG vergrößert werden. Hier kam es zu einem einstweiligen Verfügungsverfahren (vorläufiger Rechtsschutz) zunächst vor dem Arbeitsgericht Frankfurt (Oder) und sodann vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg als 2. Instanz im Verfahren.
Beschluss des LAG Berlin-Brandenburg zur Durchführung der Betriebsratswahl
Das Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 06.03.2024, 11 TaBVGa 135/24) hat entschieden, dass die Betriebsratswahl bei der Tesla Gigafactory in Grünheide, geplant für Mitte März 2024, stattfinden darf. Dieser Beschluss hob die vorherige Entscheidung des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) auf.
notwendige Neuwahl des Betriebsrats in Grünheide
Am 28. Februar 2022 wurde in der Tesla Gigafactory in Grünheide erstmals ein Betriebsrat ins Leben gerufen, der aus 19 Mitgliedern bestand und rund 2.300 Beschäftigte vertrat. Bis Anfang Januar 2024 hatte sich die Belegschaft auf etwa 12.500 Mitarbeiter erhöht. Gemäß § 13 Absatz 2 Nr. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes muss ein Betriebsrat neu gewählt werden, wenn innerhalb von 24 Monaten nach der Wahl die Zahl der regelmäßig beschäftigten Personen signifikant – um mindestens die Hälfte oder um mindestens 50 Personen – zunimmt oder abnimmt.
39-köpfiger Betriebsrat
Daher berief der im Februar 2022 gewählte Betriebsrat Anfang Januar 2024 einen Wahlvorstand, um die Wahl eines neuen, 39-köpfigen Betriebsrats zu organisieren. Zwischen dem 29. Januar und dem 11. Februar 2024 ruhte die Produktion bei Tesla aufgrund von Problemen mit Zulieferern. Der Wahlvorstand gab am 1. Februar 2024 das Wahlausschreiben heraus, forderte die Mitarbeiter zur Einreichung von Vorschlagslisten bis zum 15. Februar auf und lud sie zur Betriebsratswahl ein, die vom 18. bis zum 20. März 2024 stattfinden sollte.
IG Metall führte ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren
Die IG Metall, die im Betrieb vertretene Gewerkschaft, hat Einwände gegen die Durchführung der Betriebsratswahl bei Tesla erhoben. Sie argumentiert, dass die Wahl ungültig sei und abgebrochen werden müsse, da der gesetzlich vorgeschriebene Zeitraum von 24 Monaten seit der letzten Wahl am 28. Februar 2022 noch nicht verstrichen sei. Die Gewerkschaft meint, dass der Wahlvorstand frühestens am 29. Februar 2024 hätte eingesetzt werden dürfen. Aufgrund des Produktionsstopps Anfang Februar 2024 hätten die Beschäftigten zudem nicht genug Zeit gehabt, Vorschlagslisten einzureichen.
Der Wahlvorstand und die Tesla Manufacturing Brandenburg SE als Arbeitgeberin vertreten die Ansicht, dass die Wahl selbst nach Ablauf der 24 Monate stattfinden müsse, jedoch Vorbereitungen dafür auch vorher beginnen dürften. Trotz des Produktionsstopps seien Vorschlagslisten eingereicht worden, und ein möglicher Verstoß gegen die Frist sei nicht so gravierend, dass die Wahl als nichtig anzusehen wäre.
Arbeitsgericht Frankfurt (Oder)
Das Arbeitsgericht Frankfurt (Oder) hat jedoch am 13. Februar 2024 entschieden, dass die Wahl nicht fortgeführt werden darf und erst ab dem 29. Februar 2024 neu eingeleitet werden kann. Die Einhaltung der 24-monatigen Frist sei zwingend, und ein Verstoß führe zur Ungültigkeit der Wahl, was deren Abbruch nach sich ziehe.
LAG Berlin-Brandenburg – Beschluss
Das Landesarbeitsgericht entschied jedoch, dass die bereits eingeleiteten Wahlvorbereitungen, darunter das Wahlausschreiben und die Aufforderung zur Einreichung von Vorschlagslisten, keinen ausreichenden Grund darstellen, die Wahl für nichtig zu erklären. Das Gericht erklärte, dass zwar ein technischer Verstoß gegen die gesetzliche Frist vorliege, dieser aber nicht so schwerwiegend sei, dass eine Nichtigkeit der Wahl anzunehmen wäre.
Das LAG führte dazu in seiner Pressemitteilung Nr. 3/24 vom 07.03.2024 aus:
Ein Abbruch der Wahl im gerichtlichen Eilverfahren sei nur dann veranlasst, wenn deren Nichtigkeit absehbar sei. Zwar liege ein Verstoß gegen die gesetzliche Fristenregelung vor. Dieser Verstoß und weitere gerügte Verstöße seien jedoch nicht so schwerwiegend, dass von der Nichtigkeit der Wahl auszugehen sei. Eine mögliche Anfechtbarkeit der Wahl genüge für einen Abbruch nicht. Nach Durchführung der Wahl könne deren Wirksamkeit im Einzelnen gerichtlich geprüft werden, falls ein Wahlanfechtungsverfahren eingeleitet werde. Soweit die Gewerkschaft im Beschwerdeverfahren auch Korrekturen des Wahlverfahrens durchsetzen wollte, hatte sie damit keinen Erfolg. Nach der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist für die Anordnung solcher Korrekturen im gerichtlichen Eilverfahren auf Wahlabbruch jedenfalls dann kein Raum, wenn durch Korrekturen bereits vorhandene Fehler des Wahlverfahrens nicht mehr beeinflusst werden könnten.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht – Andreas Martin
BAG: Urlaubsanspruch bei Doppelarbeitsverhältnis
doppelte Urlaubsansprüche bei zwei Arbeitgebern?
Wenn der Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis kündigt, dann ist der Arbeitnehmer grundsätzlich verpflichtet, während des Kündigungsschutzverfahrens auch schon nach einer neuen Arbeitsstelle Ausschau zu halten. Macht er dies nicht und verlangt der Arbeitnehmer, wenn dieser später das Verfahren gewinnt, den sogenannten Annahmeverzugslohn, dann muss er gegenüber dem Arbeitgeber erklären, weshalb er keine Arbeit gefunden hat.
aktive Arbeitssuche bei Kündigung trotz Kündigungsschutzklage
Die Anforderungen an den Annahmeverzugslohn und an das sogenannte böswillige Unterlassen einer Erwerbstätigkeit (Zwischenverdienst) sind recht hoch. Der Arbeitnehmer muss sich bewerben und aktiv nach Arbeit suchen.
Fall des Bundesarbeitsgerichts
In einem vom Bundesarbeitsgericht nun entschiedenen Fall hat dies der Arbeitnehmer getan und hat während des Kündigungsschutzverfahrens sich eine neue Arbeit gesucht und dort gearbeitet. Später gewann er das Verfahren und verlangte nun vom Arbeitgeber, nachdem er sich für die neue Arbeit entschied, sogenannte Urlaubsabgeltung.
Es ging dann um die Frage, ob der Arbeitnehmer Urlaubsansprüche in beiden Arbeitsverhältnissen erworben hat und in welcher Höhe ein Abgeltungsanspruch bestanden hat. Man spricht von sogenannten Doppelarbeitsverhältnissen.
Bundesgerichtshof Entscheidet über Urlaubsansprüche bei Doppelarbeitsverhältnissen
In einem richtungsweisenden Urteil vom 5. Dezember 2023 hat der Bundesgerichtshof (BAG) festgestellt, dass Arbeitnehmer, die nach einer unrechtmäßigen Kündigung ein neues Arbeitsverhältnis eingehen, für den Zeitraum, in dem sich beide Beschäftigungen überschneiden, grundsätzlich Urlaubsansprüche bei beiden Arbeitgebern haben können. Allerdings muss der von einem neuen Arbeitgeber gewährte Urlaub auf den Urlaubsanspruch gegenüber dem alten Arbeitgeber angerechnet werden, um eine Doppelvergütung beim Urlaub zu vermeiden.
Wichtig: keine Auszahlung von Urlaub im bestehenden Arbeitsverhältnis
Der Urlaub kann nicht einfach ausgezahlt werden. Nur bei beendeten Arbeitsverhältnis wandelt sich der Urlaubsgewährungsanspruch in einen Geldanspruch (Abgeltungsanspruch) um.
Hintergrund des Falles des BAG
Die Klägerin, eine Fleischereifachverkäuferin, war bei einem Fleischereibetrieb beschäftigt, als ihr Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt wurde. Gegen diese Kündigung erhob diese Kündigungsschutzklage. Während des Kündigungsschutzprozesses nahm sie eine Beschäftigung bei einer anderen Firma auf. Nachdem das Arbeitsgericht die Kündigung für unwirksam erklärt hatte, stellte sich die Frage, wie mit den Urlaubsansprüchen umzugehen ist, da die Klägerin in beiden Arbeitsverhältnissen Urlaubstage erworben hatte.
Entscheidung des Gerichts
Das BAG (Urteil vom 5. Dezember 2023 – 9 AZR 230/22) stellte fest, dass die Klägerin prinzipiell Anspruch auf Urlaub aus beiden Arbeitsverhältnissen hat. Um jedoch eine doppelte Urlaubsvergütung zu verhindern, muss der in dem neuen Arbeitsverhältnis in Anspruch genommene Urlaub auf die Urlaubsansprüche aus dem alten Arbeitsverhältnis angerechnet werden. Diese Anrechnung erfolgt kalenderjahresbezogen, um sicherzustellen, dass der gesetzlich vorgeschriebene Mindesturlaub in jedem Jahr gewährt wird.
Das Bundesarbeitsgericht führte dazu aus:
Kann der Arbeitnehmer die Arbeitspflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen nicht ku- mulativ erfüllen, gebietet der aus § 11 Nr. 1 KSchG und § 615 Satz 2 BGB abzuleitende Rechtsgedanke, die Verdopplung von Urlaubsansprüchen durch eine Anrechnung von Urlaubsansprüchen zu vermeiden. Mit Schaffung des § 11 Nr. 1 KSchG verfolgte der Ge- setzgeber das Ziel, den Arbeitnehmer, der in einem Kündigungsrechtsstreit obsiegt, we- der besser noch schlechter, sondern grundsätzlich so zu stellen, als hätte keine Unter- brechung des Arbeitsverhältnisses stattgefunden. Der Regelungszweck des § 615 Satz 2 BGB ist ähnlich. Der Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass der Annahmeverzug dem Dienstverpflichteten weder finanzielle Vor- noch Nachteile bringen soll. Er soll nicht mehr erhalten, als er bei normaler Abwicklung des Dienstverhältnisses erhalten hätte. Diese Interessenlage gilt auch für den Urlaub in Doppelarbeitsverhältnissen. Wäre der frühere Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitnehmer im Hinblick auf die in seinem Arbeits- verhältnis entstandenen Urlaubsansprüche freizustellen, obwohl der spätere Arbeitgeber ihm bereits bezahlten Jahresurlaub gewährt hat, läge eine nach den Wertungen des Bun- desurlaubsgesetzes nicht vorgesehene Verdopplung des Urlaubsanspruchs vor (vgl. BAG 21. Februar 2012 – 9 AZR 487/10 – Rn. 23, BAGE 141, 27).
BAG, Urteil vom 5. Dezember 2023 – 9 AZR 230/22
Anmerkung:
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist nachvollziehbar. Das Problem ist, dass es vom Ergebnis her nicht sein kann, dass der Arbeitnehmer aus zwei Arbeitsverhältnissen Urlaubsansprüche erwirbt und dann entsprechend geltend machen kann. Dies widerspricht dem Sinn und Zweck des Bundesurlaubsgesetzes. Von daher war die Kürzung hier nachvollziehbar.
Für die Praxis bedeutet dies, dass Arbeitnehmer, die Urlaubsabgeltungsansprüche gegenüber dem Arbeitgeber nach gewonnenem Kündigungsschutzverfahren geltend machen, vom Arbeitgeber aufgefordert werden müssten, Auskunft zu erteilen über bestehende Arbeitsverhältnisse, die während des Kündigungsschutzverfahrens eingegangen wurden. Nur so lässt sich dann ermitteln, inwieweit der Urlaubsabgeltungsanspruch zu kürzen wäre.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht
Ist mein Resturlaub aus dem Jahr 2023 zum 31. März 2024 verfallen?
Ist mein Resturlaub aus dem Jahr 2023 zum 31. März 2024 verfallen?
Viele Arbeitnehmer wissen nicht, dass das Bundesurlaubsgesetz eigentlich vorschreibt, den Erholungsurlaub im laufenden Kalenderjahr zu nehmen. Nur ausnahmsweise kann dieser dann in das nächste Kalenderjahr übertragen werden und muss dann bis zum 31. März des Folgejahres genommen werden. Gilt dies auch für Ihren Resturlaub aus dem Jahr 2023? Dies erfahren Sie hier.
neue Rechtsprechung des BAG beachten
Allerdings gilt dies nicht mehr uneingeschränkt nach der neuen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die durch den Europäischen Gerichtshof vorgeschrieben wurde.
Von daher ist es wichtig, die entsprechende Rechtsprechung zu kennen, um zu wissen, ob der Urlaubsanspruch im Jahr 2023 bereits zum 31. März 2024 verfallen ist oder nicht.
Der Verfall von Urlaubstagen zum 31. März 2024 – laut dem Bundesurlaubsgesetz
In der Arbeitswelt spielt der Urlaubsanspruch eine wesentliche Rolle für die Work-Life-Balance der Beschäftigten. Während der Urlaub eine Zeit der Erholung und Entspannung darstellt, können ungenutzte Urlaubstage am Ende des Urlaubsjahres für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen zu einer Herausforderung werden. Ein besonders kritisches Datum ist hierbei der 31. März, der in vielen Fällen als Stichtag für den Verfall von Urlaubstagen des Vorjahres gilt.
Gesetzliche Regelungen und Übertragungsfristen
Das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) in Deutschland legt fest, dass der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss. Ziel ist es, dass Arbeitnehmer sich regelmäßig erholen. Grundsätzlich verfallen daher nicht genommene Urlaubstage am Ende des Jahres. Eine Ausnahme von dieser Regel besteht, wenn dringende betriebliche oder persönliche Gründe die Inanspruchnahme des Urlaubs verhindert haben. In solchen Fällen kann der Urlaub bis zum 31. März des folgenden Kalenderjahres übertragen werden.
§ 7 Abs. 3 des Bundesurlaubsgesetz
Die gesetzliche Regelung ist eindeutig, spiegelt aber nicht mehr die aktuelle Rechtslage wieder:
(3) Der Urlaub muß im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muß der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden. Auf Verlangen des Arbeitnehmers ist ein nach § 5 Abs. 1 Buchstabe a entstehender Teilurlaub jedoch auf das nächste Kalenderjahr zu übertragen.
§ 7 des Bundesurlaubsgesetz
Was passierte früher nach dem 31. März ?
Nicht genommener Urlaub, der bis zum 31. März nicht in Anspruch genommen wurde, verfällt grundsätzlich. Dies bedeutet, dass Arbeitnehmer keinen Anspruch mehr auf diese Urlaubstage haben und sie auch nicht in finanzieller Form abgegolten bekommen, es sei denn, es liegen besondere Umstände vor, wie langfristige Krankheit, die eine Inanspruchnahme des Urlaubs unmöglich gemacht haben.
Wie ist die neue Rechtsprechung dazu?
Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 19. Februar 2019 – 9 AZR 541/15) ) hat in den letzten Jahren neue Maßstäbe in Bezug auf die Handhabung des Urlaubsanspruchs von Arbeitnehmern gesetzt, insbesondere hinsichtlich der Verpflichtungen des Arbeitgebers.
Ein Verfall zum 31.03. des Folgejahres tritt nicht mehr automatisch ein:
Nach der Rechtsprechung des BAG muss der Arbeitgeber seine Beschäftigten aktiv und in verständlicher Form über bestehende Urlaubsansprüche informieren und sie deutlich auffordern, ihren Urlaub im laufenden Urlaubsjahr zu nehmen, mit dem ausdrücklichen Hinweis darauf, dass der Urlaub andernfalls verfallen kann.
Was bedeutet dies für Arbeitnehmer?
Arbeitnehmer müssen wissen, dass der Anspruch auf Urlaub aus den Jahren vor 2024 nicht verfällt, wenn der Arbeitgeber nicht zur Urlaubsnahme aufgefordert und über den Verfall wirksam belehrt hat. In der Praxis wissen dies viele Arbeitgeber nicht. Dies bedeutet der Urlaub besteht auch im Jahr 2024 fort.
Was bedeutet dies für Arbeitgeber?
Arbeitgeber müssen nun sicherstellen, dass sie ihre Mitarbeiter nicht nur über deren Urlaubsansprüche informieren, sondern auch aktiv zur Urlaubsnahme auffordern. Dies beinhaltet die schriftliche Mitteilung über den verbleibenden Urlaub und die Aufforderung, diesen zu nehmen, sowie den Hinweis auf den möglichen Verfall des Urlaubs bei Nichtinanspruchnahme. Kommt der Arbeitgeber diesen Informations- und Aufforderungspflichten nicht nach, führt dies dazu, dass der Urlaubsanspruch nicht mit dem Ende des Übertragungszeitraums verfällt.
Der Arbeitgeber muss also:
- den AN zur Urlaubsaufnahme konkret aufgefordert hat und
- darauf hingewiesen hat, dass ansonsten der Urlaub verfällt
Wenn er dies im Jahr 2023 gemacht hat, dann verfällt der Urlaub zum 31.03.2024
FAQs zum Thema Urlaubsverfall und Aufklärungspflicht des Arbeitgebers
1. Was besagt die Aufklärungspflicht des Arbeitgebers in Bezug auf Urlaubsansprüche? Die Aufklärungspflicht verpflichtet den Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer aktiv über deren bestehende Urlaubsansprüche zu informieren und sie ausdrücklich dazu aufzufordern, ihren Urlaub rechtzeitig zu nehmen. Zudem muss der Arbeitgeber darauf hinweisen, dass der Urlaub bei Nichtinanspruchnahme verfallen kann.
2. Bis wann muss der Urlaub grundsätzlich genommen werden, damit er nicht verfällt? Laut Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) in Deutschland muss der Urlaub in der Regel im laufenden Kalenderjahr genommen werden. Eine Übertragung auf das nächste Jahr ist nur bis zum 31. März möglich, sofern dringende persönliche oder betriebliche Gründe vorliegen. Dies ist oft unproblematisch.
3. Was passiert, wenn der Arbeitgeber seine Aufklärungspflicht nicht erfüllt? Wenn der Arbeitgeber seine Aufklärungspflicht nicht erfüllt, indem er beispielsweise die Beschäftigten nicht aktiv zur Urlaubnahme auffordert, kann der Urlaub nicht einfach verfallen. In solchen Fällen haben die Arbeitnehmer auch nach dem 31. März des Folgejahres noch Anspruch auf den Urlaub.
4. Können Urlaubstage ausbezahlt werden, anstatt sie zu nehmen? Die Auszahlung von Urlaubstagen ist nur nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zulässig. Während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses haben Arbeitnehmer einen Anspruch auf Erholungsurlaub, der grundsätzlich durch Freistellung von der Arbeit und nicht durch eine finanzielle Entschädigung zu erfüllen ist.
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Rechtsanwalt Andreas Martin- Fachanwalt für Arbeitsrecht
Klage auf Entfernung einer Abmahnung auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses möglich?
Abmahnungen sind oft unwirksam
Oftmals neigen Arbeitnehmer, die eine Abmahnung vom Arbeitgeber erhalten haben, dazu, sofort mittels Klage oder einem Schreiben dagegen vorzugehen. Diese Reaktion ist aus taktischen Gründen jedoch nicht immer ratsam.
Viele Abmahnungen erweisen sich als unwirksam. Ein vorschnelles Handeln gegen eine Abmahnung kann dem Arbeitgeber unbeabsichtigt aufzeigen, wo Fehler gemacht wurden, und ihm die Möglichkeit geben, eine korrigierte Abmahnung zu erteilen.
Rat zum Nichtstun
In vielen Fällen ist daher der Rat zum vorübergehenden Nichtstun der klügere Weg.Dennoch gibt es Situationen, in denen das Einreichen einer Klage auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte sinnvoll sein kann. Dies ist besonders der Fall, wenn ein Arbeitnehmer beabsichtigt, ein starkes Signal zu setzen, kurz bevor das Arbeitsverhältnis endet.
Die finanziellen Lasten einer solchen Klage trägt der Arbeitnehmer selbst. Eine Kostenerstattung erfolgt erst ab der zweiten Instanz.
Entfernungsanspruch auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Es stellt sich zudem die Frage, ob eine Klage auf Entfernung einer Abmahnung auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses möglich ist.
Der Hintergrund hierzu ist, dass eine Abmahnung in der Personalakte eines ehemaligen Arbeitnehmers dessen berufliches Fortkommen in neuen Arbeitsverhältnissen normalerweise nicht beeinträchtigt.
Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg
In einem Beschluss vom 13. März 2024 hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (26. Kammer) entschieden, dass die Prozesskostenhilfe (PKH) für die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht verwehrt werden kann. Dieser Beschluss (Aktenzeichen 26 Ta 223/24) beschäftigt sich mit der umstrittene Frage im Zusammenhang mit dem Recht auf Vergessenwerden gemäß Art. 17 DSGVO.
Hintergrund des Falls
Ein Kläger hatte gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine Klage, die auf die Entfernung einer Abmahnung aus seiner Personalakte zielte, Beschwerde eingelegt. Der ursprüngliche Antrag wurde vom Arbeitsgericht Frankfurt (Oder) mit der Begründung zurückgewiesen, dass nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses kein Anspruch auf Entfernung der Abmahnung mehr bestehe. Der Kläger stützte seine Klage auf Art. 17 DSGVO, der das Recht auf Löschung personenbezogener Daten regelt.
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hob den Beschluss des Arbeitsgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück. Es stellte klar, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgelehnt werden darf, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Frage der Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte unter der Geltung des Art. 17 DSGVO umstritten ist.
Bedeutung des Urteils
Dieses Urteil ist von erheblicher Bedeutung, da es die Rechte von Arbeitnehmern stärkt und klarstellt, dass das Ende des Arbeitsverhältnisses nicht automatisch das Ende des Rechtsschutzbedürfnisses, insbesondere im Kontext des Datenschutzrechts, bedeutet. Es betont die Notwendigkeit, das Recht auf Vergessenwerden ernst zu nehmen und gewährleistet, dass Arbeitnehmer auch nach der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses ihre Rechte effektiv durchsetzen können.
FAQ
1. Kann eine Abmahnung aus der Personalakte auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses entfernt werden?
Ja, das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass ein Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte unter Berufung auf Art. 17 DSGVO auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehen kann. Die Frage der Entfernung ist unter der Geltung des Art. 17 DSGVO umstritten, was bedeutet, dass im Einzelfall geprüft werden muss. Das BAG hat dazu noch nichts entschieden.
2. Unter welchen Umständen kann eine Abmahnung aus der Personalakte entfernt werden?
Wenn die Abmahnung fehlerhaft ist (formelle oder materiell) muss der Arbeitgeber diese aus der Personalakte entfernen. Der Arbeitgeber kann aber eine neue Abmahnung (fehlerfrei) dann aussprechen.
3. Kann ein Arbeitgeber eine Abmahnung ohne Antrag des Arbeitnehmers entfernen?
Ja, der Arbeitgeber können eine Abmahnung aus der Personalakte entfernen, wenn sie dies für angebracht halten oder wenn sie erkennen, dass die Abmahnung nicht gerechtfertigt war. Ein Antrag des Arbeitnehmers ist nicht erforderlich. In der Praxis kommt dies aber eher selten vor.
Meinung
Zu beachten ist, dass es wahrscheinlich in vielen Fällen nicht notwendig ist, eine Abmahnung aus einer Personalakte zu entfernen. Oft ist es so, dass nur im Rahmen von bestehenden Rechtsschutzversicherungen oder von Prozesskostenhilfe solche Ansprüche eingeklagt werden, solange man dies nicht selbst bezahlen muss. Was soll es im konkreten Fall denn bringen, wenn der alte Arbeitgeber – mit dem man in der Regel nichts mehr zu tun haben wird – eine Abmahnung aus der Personalakte entfernt? Antwort: In den meisten Fällen eher nichts. Es geht dann oft um Revanche und dies ist keine gute Motivation. Im Übrigen ist die Prozesskostenhilfe eine Art Darlehen und es kann durchaus sein, dass der klagende Arbeitnehmer später seine Anwaltskosten selbst tragen muss; auch wenn er gewinnt.
Rechtsanwalt Andreas Martin
„Digital Native“ in einer Stellenausschreibung – Diskriminierung?
Stellenausschreibungen von Firmen im Internet oder über Zeitungen führen oft dazu, dass Personen, die abgelehnt werden, sich später an das Arbeitsgericht wenden und eine Entschädigung fordern.
AGG und Diskriminierung bei Stellenanzeigen
Die Ausschreibungen müssen korrekt sein und dies wird immer noch von vielen Firmen übersehen.
Neben der Frage, dass geschlechtsneutral Ausschreibungen zu erfolgen haben, ist auch zu beachten, dass keine bestimmten Personengruppen von vornherein ausgeschlossen werden.
AGG-Hopping
Hier passieren immer wieder Fehler, obwohl mittlerweile sich herumgesprochen hat, dass es Bewerber gibt, die sich nur bewerben, um später einen Entschädigungsanspruch geltend machen zu können. Dies nennt man AGG-Hopping.
Das Arbeitsgericht Heilbronn (Urteil vom 18. Januar 2024 -Aktenzeichen 8 Ca 191/23) hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob ein Arbeitnehmer einen Entschädigungsanspruch gelten machen kann, wenn er sich beworben hatte und abgelehnt wurde auf eine Stellenausschreibung, in der mit „Digital Native“ geworben wurde.
Basierend auf dem Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 18. Januar 2024 (Aktenzeichen 8 Ca 191/23) bezüglich einer Entschädigung wegen Altersdiskriminierung bei einer Einstellung, lässt sich ein Artikel wie folgt strukturieren:
Digital Native
Der Fall drehte sich um die Verwendung des Begriffs „Digital Native“ in einer Stellenanzeige, der als Indiz für eine Altersdiskriminierung gewertet wurde. Dieses Urteil betont die Bedeutung eines bewussten und diskriminierungsfreien Sprachgebrauchs in Stellenausschreibungen. Dass dies nicht immer möglich ist, wissen aber Juristen.
Sachverhalt
Der Kläger, ein im Jahr 1972 geborener Diplomwirtschaftsjurist, bewarb sich im April 2023 auf eine von der Beklagten, einem international agierenden Handelsunternehmen im Bereich Sportartikel, ausgeschriebene Position als Manager Corporate Communication. Die beklagte „Arbeitgeberin“ hatte in ihrer Stellenausschreibung unter anderem formuliert, dass sich Bewerber als „Digital Native“ in der Welt der sozialen Medien und verwandten Technologien zu Hause fühlen sollten. Nachdem der Kläger eine Absage erhalten hatte, machte er einen Entschädigungsanspruch wegen Altersdiskriminierung geltend, da er der Ansicht war, die Formulierung „Digital Native“ ziele darauf ab, jüngere Bewerber zu bevorzugen. Der Kläger wollte hier eine Entschädigung von € 37.500 (5 Montatsgehälter a € 7.500)!
Entscheidungsgründe
Das Arbeitsgericht stellte fest, dass die Verwendung des Begriffs „Digital Native“ in der Tat ein Indiz für eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters darstellt. Insgesamt war die Ausschreibung so gehalten, dass diese sich vor allem an jüngere Bewerber richtete.
Arbeitsgericht Heilbronn
Die beklagte Firma konnte nicht widerlegen, dass andere Gründe als das Alter des Klägers zu dessen Benachteiligung geführt hatten. Dem Kläger wurde daher eine Entschädigung in Höhe von 7.500 Euro (zugesprochen, was 1, 5 Bruttomonatsgehältern – nach der Berechnung des Gerichts) entsprach. Das Gericht argumentierte, dass eine Entschädigung in dieser Höhe notwendig und angemessen sei, um den immateriellen Schaden des Klägers zu kompensieren und eine abschreckende Wirkung zu erzielen.
Ausführungen des Gerichts
Arbeitsgericht Heilbronn
Besteht die Vermutung einer Benachteiligung nach § 22 AGG, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Hierfür gilt allerdings das Beweismaß des sogenannten Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (BAG 23. Januar 2020 – 8 AZR 484/18 – Rn. 36 mit weiteren Nachweisen). Es genügt also nicht der Nachweis, dass es nicht diskriminierende Gründe gibt, die die Differenzierung hätten rechtfertigen können, sondern nur der Nachweis, dass ausschließlich diese Kriterien im konkreten Fall verwendet wurden. Das kann etwa durch Offenlegung der Dokumentation des Ablaufs der benachteiligenden Entscheidung erfolgen, durch Berücksichtigung älterer Bewerber trotz an „junge“ gerichteter Ausschreibung im selben Besetzungsverfahren oder durch die Berücksichtigung anderer Merkmalsträger für die Teilnahme an der zweiten Stufe eines Auswahlverfahrens.
FAQ
Was versteht man unter Altersdiskriminierung im Bewerbungsprozess?
Altersdiskriminierung im Bewerbungsprozess liegt in der Regel vor, wenn ein Bewerber aufgrund seines Alters weniger günstig behandelt wird als andere Bewerber in einer vergleichbaren Situation. Dies kann sich in der Formulierung von Stellenausschreibungen, der Auswahl der Bewerber für Vorstellungsgespräche oder der endgültigen Entscheidung für oder gegen einen Kandidaten manifestieren.
Wie kann ich erkennen, ob eine Stellenanzeige altersdiskriminierend ist?
Eine Stellenanzeige könnte als altersdiskriminierend angesehen werden, wenn sie Begriffe oder Formulierungen enthält, die eine Präferenz für Bewerber eines bestimmten Alters suggerieren, z.B. „junges dynamisches Team“ oder die explizite Suche nach „Digital Natives“. Solche Formulierungen können ältere Bewerber indirekt ausschließen.
Welche Beweislastregelungen gelten bei Verdacht auf Altersdiskriminierung?
Nach § 22 AGG trägt die Partei, die sich diskriminiert fühlt, die Beweislast dafür, Indizien vorzubringen, die auf eine Diskriminierung hindeuten. Kann diese Person solche Indizien glaubhaft machen, verschiebt sich die Beweislast auf den Arbeitgeber, der dann nachweisen muss, dass keine Diskriminierung vorliegt und die Entscheidung auf anderen, legitimen Gründen basiert.
Anmerkung:
Wenn man schon englische Begriffe in einer Bewerbung verwendet, sollte man auch verstehen, was dies (rechtlich) bedeutet. Viele Firmen bekommen die Stellenanzeigen noch nicht einmal auf Deutsch rechtlich sauber formuliert. Man sollte von daher mit allen Hinweisen in der Anzeige sehr vorsichtig umgehen, aus denen man schließen könnte, dass junge Bewerber bevorzugt werden. Dies war hier das Problem der Beklagten.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht
Inflationsausgleichsprämie (IAP) 2024 – was man wissen sollte
Die Inflationsausgleichsprämie (IAP) ist eine Sonderzahlung des Arbeitgeber an seine Arbeitnehmer. Die Bundesregierung hatte diese steuerfreie Prämie 2022 eingeführt als Reaktion auf die steigende Inflation. Arbeitnehmer sollen dadurch eine einmalige finanzielle Unterstützung erhalten. Ziel ist es, die Kaufkraft der Arbeitnehmer zu stärken und sie für die gestiegenen Lebenshaltungskosten teilweise zu entschädigen. Viele Arbeitgeber haben bereits davon Gebraucht gemacht.
rechtliche Grundlagen
Die Inflationsausgleichsprämie wurde durch das Gesetz vom 19. Oktober 2022 eingeführt und ist in § 3 Nr. 11c des Einkommensteuergesetzes (EStG) sowie in entsprechenden Verordnungen der Sozialversicherungsgesetzgebung verankert. Diese Regelungen definieren die steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Aspekte der Prämie. Die IAP kann seit dem 26.10.2022 in Anspruch genommen werden.
anspruchsberechtigte Arbeitnehmer der IAP
Eine Inflationsausgleichsprämie können, unabhängig von der Art ihrer Beschäftigung, nur Arbeitnehmer im steuerlichen Sinne erhalten. Hier ist eine Auflistung der Gruppen, die typischerweise anspruchsberechtigt sind:
- Arbeitnehmende in Voll- oder Teilzeit: Dies schließt die große Mehrheit der Beschäftigten ein, die auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags in einem Unternehmen tätig sind.
- Kurzfristig Beschäftigte: Personen, die nur für einen begrenzten Zeitraum im Jahr beschäftigt sind, ohne regelmäßige Beschäftigung.
- Minijobber: Arbeitnehmer, die auf geringfügiger Beschäftigungsbasis arbeiten und deren Verdienst eine bestimmte Grenze nicht überschreitet.
- Aushilfskräfte in der Land- und Forstwirtschaft: Spezifische Gruppe von Aushilfskräften, die saisonal oder zeitlich begrenzt in der Landwirtschaft tätig sind.
- Auszubildende: Personen, die sich in einem Ausbildungsverhältnis befinden und eine Berufsausbildung absolvieren.
- Arbeitnehmende im entgeltlichen Praktikum: Dazu gehören sowohl Pflichtpraktika im Rahmen einer Ausbildung oder eines Studiums als auch freiwillige Praktika, sofern sie vergütet werden.
- Arbeitnehmende in Kurzarbeit: Arbeitnehmer, deren Arbeitszeit vorübergehend reduziert wurde, um in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Entlassungen zu vermeiden.
- Arbeitnehmende in Elternzeit: Auch während der Elternzeit kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Anspruch auf die Inflationsausgleichsprämie bestehen.
- Arbeitnehmende mit Bezug von Krankengeld: Personen, die aufgrund von Krankheit arbeitsunfähig sind und Krankengeld beziehen.
- Freiwillige: Dies umfasst Personen, die einen freiwilligen Dienst leisten, z.B. im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes oder eines Jugendfreiwilligendienstes, sofern der steuerliche Arbeitnehmerbegriff erfüllt ist.
- Menschen mit Behinderungen, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen tätig sind: Diese Gruppe umfasst Personen, die in spezialisierten Einrichtungen arbeiten, die ihre Integration in den Arbeitsmarkt fördern.
- Ehrenamtlich Tätige: Unter bestimmten Umständen können auch ehrenamtlich Tätige anspruchsberechtigt sein, sofern der steuerliche Arbeitnehmerbegriff erfüllt ist.
- Vorstände und Gesellschafter-Geschäftsführer/-innen: Auch leitende Angestellte und Geschäftsführer, die ein Anstellungsverhältnis mit dem Unternehmen haben, können unter bestimmten Voraussetzungen anspruchsberechtigt sein.
- Arbeitnehmende in der aktiven oder passiven Phase der Altersteilzeit sowie Beziehende von Vorruhestandsgeld und Versorgungsbeziehende.
Wer hat keinen Anspruch auf die IAP?
Auf die Inflationsausgleichsprämie (IAP) haben bestimmte Gruppen keinen Anspruch, insbesondere solche, die nicht unter die steuerliche Definition von „Arbeitnehmern“ fallen oder deren Beschäftigungsverhältnis bestimmte Kriterien nicht erfüllt. Hier sind einige Beispiele für Personen, die typischerweise keinen Anspruch auf die IAP haben:
- Selbstständige und Freiberufler: Da die IAP speziell für Arbeitnehmer konzipiert ist, sind Selbstständige und Freiberufler von dieser Regelung ausgeschlossen.
- Geschäftsführende Gesellschafter, die nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind: Geschäftsführer, die nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zum Unternehmen stehen, sondern dieses eigenverantwortlich leiten und keine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit ausüben.
- Ehrenamtlich Tätige ohne steuerlichen Arbeitnehmerbegriff: Personen, die ehrenamtlich tätig sind und für die der steuerliche Arbeitnehmerbegriff nicht erfüllt ist, haben keinen Anspruch auf die IAP.
- Praktikanten ohne Entgeltzahlung: Praktikanten, die ein unbezahltes Praktikum absolvieren und somit kein Arbeitsentgelt erhalten, sind von der IAP ausgeschlossen.
- Arbeitnehmer, deren Beschäftigungsverhältnis vor dem Zeitraum der Gewährung der IAP beendet wurde: Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis beendet wurde, bevor die IAP eingeführt wurde oder bevor der Arbeitgeber die Prämie auszahlt, haben keinen Anspruch auf diese Sonderzahlung.
- Beamte und Personen im öffentlichen Dienst, die nicht unter die steuerliche Definition eines Arbeitnehmers fallen: Da Beamte und bestimmte Personen im öffentlichen Dienst nicht als Arbeitnehmer im Sinne des Steuerrechts gelten, sind sie von der IAP ausgenommen.
Steuern und Sozialversicherungsabgaben und IAP
Die Inflationsausgleichsprämie ist bis zu einem Betrag von € 3.000 steuer- und sozialversicherungsfrei. Das bedeutet konkret, dass Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern diese Prämie bis zu diesem Höchstbetrag auszahlen können, ohne dass darauf Einkommensteuer oder Sozialversicherungsbeiträge anfallen. Von daher ist diese Sonderzahlung für viele Arbeitnehmer interessant, da der Bruttobetrag gleich der Nettobetrag bei der Zahlung ist. Ist gibt keine Abzüge.
Ist die Auszahlung in Teilbeträgen möglich?
Ja, die Zahlung der Inflationsausgleichsprämie in Teilbeträgen durch den Arbeitgeber ist möglich. Die gesetzlichen Grundlagen zur Inflationsausgleichsprämie bieten Arbeitgebern Flexibilität in der Handhabung der Auszahlungen. Dies bedeutet, dass Arbeitgeber die Prämie entweder als einmalige Zahlung oder in mehreren Teilbeträgen an die Arbeitnehmer auszahlen können, solange der Gesamtbetrag die Grenze von 3.000 Euro nicht überschreitet und die Auszahlung im festgelegten Zeitraum erfolgt.
Die Möglichkeit, die Prämie in Teilbeträgen zu gewähren, kann insbesondere für Arbeitgeber vorteilhaft sein, die die finanzielle Belastung über mehrere Monate verteilen möchten oder die ihren Mitarbeitern kontinuierliche Unterstützung in einem wirtschaftlich unsicheren Umfeld bieten wollen.
Bis wann kann die Inflationsausgleichsprämie noch gezahlt werden?
Die Inflationsausgleichsprämie kann von Arbeitgebern noch bis zum 31. Dezember 2024 an ihre Arbeitnehmer steuer- und sozialversicherungsfrei ausgezahlt werden. Die ISP muss vom Arbeitgeber zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gewährt werden.
Muss die Zahlung als ISP auf der Lohnabrechnung bezeichnet sein?
Nein, es genügt, wenn der Arbeitgeber bei Gewährung der ISP deutlich macht, dass diese im Zusammenhang mit der Preissteigerung steht – zum Beispiel durch entsprechenden Hinweis auf dem Überweisungsträger im Rahmen der Lohnabrechnung oder auf der Lohnabrechnung selbst.
Gleichbehandlung und Inflationsausgleichsprämie
Wichtig ist, dass der Arbeitgeber bei der Zahlung der Inflationsausgleichsprämie nicht willkürlich vorgehen kann. Er muss grundsätzlich, wenn er die Prämie einzelnen Arbeitnehmern zukommen lassen will, im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes handeln. Er kann also nicht ohne Sachgrund nur bestimmten Arbeitnehmern die Prämie zukommen lassen. In der Regel ist die Prämie-bei der Einführung im Betrieb-an alle Arbeitnehmer zu zahlen. Wenn der Arbeitgeber aber nicht an alle Arbeitnehmer zahlt, dann muss er einen guten Grund dafür haben und diesen muss und notfalls gerichtlich dann auch darlegen und im Bestreitensfall beweisen.
Gibt es Urteile zur Prämie?
Ja, so zum Beispiel das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart:
Das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 14. November 2023 (Aktenzeichen 3 Ca 2713/23) beschäftigt sich mit der Frage der Gleichbehandlung bei der Zahlung der Prämie.
Fallhintergrund
Der Kläger, ein befristet beschäftigter Steuerassistent, machte gegenüber seinem Arbeitgeber einen Anspruch auf eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 1.000 Euro geltend. Der Arbeitgeber hatte im Dezember 2022 angekündigt, dass festangestellte Mitarbeiter im Januar 2023 unabhängig vom Beschäftigungsgrad oder der Betriebszugehörigkeit eine Inflationsausgleichsprämie erhalten würden, sofern sie im Dezember 2022 in einem aktiven und ungekündigten Beschäftigungsverhältnis standen und im Falle einer Befristung das Vertragsende am 31. Dezember 2023 oder später liege. Der Kläger erhielt diese Prämie nicht, da sein Vertrag nur bis zum 30. Juni 2023 lief.
Rechtliche Erwägungen und Urteil
Das Gericht stellte fest, dass die Ungleichbehandlung von befristet und unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern in Bezug auf die Gewährung der Inflationsausgleichsprämie nicht gerechtfertigt war. Es betonte, dass die Voraussetzung einer zukünftigen Betriebszugehörigkeit bis zum 31. Dezember 2023 für befristet Beschäftigte eine ungerechtfertigte Schlechterstellung darstellte, da dies eine längere Betriebstreue im Vergleich zu unbefristet Beschäftigten verlangte, die die Prämie auch bei einer Kündigung im Laufe des Jahres 2023 erhalten würden.
Das Gericht urteilte zugunsten des Klägers und verurteilte den Arbeitgeber zur Zahlung der Inflationsausgleichsprämie zuzüglich Zinsen. Es argumentierte, dass eine unterschiedliche Behandlung aufgrund der Vertragsdauer (befristet vs. unbefristet) ohne sachliche Rechtfertigung gegen das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) verstößt. Denn danach ist eine (willkürliche) Benachteiligung von Teilzeitkräften nicht zulässig.
Fazit:
Sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber ist die Inflationsausgleichsprämie eine praktische Möglichkeit um einen Geldbetrag dem Arbeitnehmer zukommen zu lassen, der nicht versteuert wird und der darüber hinaus auch sozialversicherungsabgabenfrei ist. Bis Ende 2024 besteht diese Möglichkeit noch. Auch in Teilbeträgen ist eine Zahlung durch den Arbeitgeber möglich, maximal aber in Höhe von € 3000.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht Berlin
Rückforderung überzahlten Urlaub beim Ausscheiden in der ersten Jahreshälfte?
Problematik der Rückforderung von Urlaubsentgelt
Das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) die Ansprüche von Arbeitnehmern auf Urlaub und Urlaubsentgelt. Eine interessante Fragestellung ergibt sich, wenn ein Arbeitnehmer nach Gewährung des gesamten Jahresurlaubs in der ersten Jahreshälfte aus dem Unternehmen ausscheidet.
Urlaubsentgelt, Urlaubslohn und Urlaubsgeld
Urlaubsentgelt ist das Geld, dass der Arbeitnehmer während des Urlaubs vom Arbeitgeber erhält. Dies ist faktisch der Urlaubslohn. Der Begriff „Urlaubslohn“, ist nicht ganz richtig. Das Gesetz spricht vom Urlaubsentgelt.
Davon zu unterscheiden ist das Urlaubsgeld. Dies ist eine Sonderzahlung, die ein Arbeitnehmer zum Beispiel kurz vor dem Urlaub vom Arbeitgeber erhalten kann. Eine solche Sonderzahlung wird nicht von allen Arbeitgebern vorgenommen und ein Anspruch besteht nur, wenn dies ausdrücklich geregelt ist. Gesetzlich ist dies nicht vorgesehen.
Der Arbeitnehmer kann den vollen Jahresurlaub verlangen, wenn die Wartezeit abgelaufen ist. Die Wartezeit nach dem Bundesurlaubsgesetz beträgt 6 Monate. Hat ein Arbeitnehmer zum Beispiel im Jahr 2023 bereits sechs Monate gearbeitet (entscheidend ist die Dauer der Betriebszugehörigkeit), dann besteht bereits im Januar 2024 ein Anspruch des Arbeitnehmers auf den kompletten Jahresurlaub.
Wenn nun der Arbeitnehmer den Urlaub zum Beispiel im Januar 2024 nimmt und damit der komplette Jahresurlaub aufgebraucht ist und er kündigt dann später das Arbeitsverhältnis, zum Beispiel zum 31. März 2024, dann stellt sich die Frage, ob der Arbeitnehmer hier eine Rückerstattung an den Arbeitgeber vornehmen muss. Er hat Urlaub und damit Geld bekommen, der ihm – im Nachhinein – nicht zusteht.
Rückforderung von Urlaubsansprüchen bei Überzahlung
Der Hintergrund ist nämlich der, dass nach § 5 Absatz 1 Nr. c des Bundesurlaubsgesetzes der Arbeitnehmer beim Ausscheiden in der ersten Jahreshälfte nur einen Teilurlaubsanspruch hat.
Wenn er also zum 31. März 2024 ausscheidet, dann besteht sein Anspruch auf den Jahresurlaub 2024 nur in Höhe von drei Monaten.
Hätte der Arbeitnehmer also 20 Tage an Urlaub für das ganze Kalenderjahr 2024, dann stehen ihm tatsächlich beim Ausscheiden zum 31. März 2024 nur 5 Urlaubstage zu (20 Tage an Jahresurlaub ./. 12 × 3 Monate). Nun hat er aber Urlaubsentgelt für den gesamten Urlaub bekommen und nicht nur für 3 Monate. Dies war auch nicht falsch, da grundsätzlich- wie oben ausgeführt-der Arbeitnehmer einen Anspruch den kompletten Jahresurlaub nach der Wartezeit, also bereits in der ersten Jahreshälfte hatte. Erst im Nachhinein hat sich dieser Anspruch umgewandelt in einen Teilurlaubsanspruch und es stellt sich die Frage der Rückforderung.
Urlaub kann man nicht rausarbeiten
Um dies gleich klarzustellen, es stellt sich hier nur die Frage nach einer Überzahlung. Bereits gewährten Urlaub kann man nicht abarbeiten und nacharbeiten. Dies ist gesetzlich nicht vorgesehen. Es geht also nur um die Frage, ob der Urlaubsentgelt (der Urlaubslohn) vom Arbeitgeber zurückgefordert werden kann.
Eine ähnliche Problematik stellt sich bei der Frage der Kürzung von Urlaubsansprüchen in der Elternzeit.
Rechtlicher Rahmen
Nach § 5 Absatz 1 Nr. c des Bundesurlaubsgesetzes hat der Arbeitnehmer beim Ausscheiden nach erfüllter Wartezeit in der ersten Jahreshälfte nur einen Teilurlaubsanspruch. Bei einer Kündigung in der ersten Jahreshälfte hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf ein Zwölftel des Jahresurlaubs für jeden vollen Monat des Bestehens des Arbeitsverhältnisses. Wie das Arbeitsverhältnis rechtlich endet, also ob durch Kündigung, Befristung oder Aufhebungsvertrag ist unerheblich.
Bundesurlaubsgesetz schließt Rückforderung aus
Für den obigen Fall gibt es aber eine klare gesetzliche Regelung. Das Bundesurlaubsgesetz schließt in § 5 Abs. 4 BUrlG den Rückforderungsanspruch des Arbeitgebers auf Urlaubsentgelt aus.
Voraussetzung für diesen Forderungsausschluss ist aber Folgendes:
-der Arbeitnehmer wurde tatsächlich für den Urlaub freigestellt
und
-der Arbeitnehmer hat das Urlaubsentgelt auch schon erhalten.
Vor dem Erhalt des Urlaubsentgelts kann der Arbeitgeber von daher noch kürzen (also auch während des Urlaubs)!
Beispiel 1: Der Arbeitnehmer ist seit dem 1.1.2023 beim Arbeitgeber beschäftigt. Im Januar 2024 beantragt dieser für Februar 2024 den kompletten Jahresurlaub (20 Arbeitstage). Der Arbeitgeber genehmigt dem Urlaub und der Arbeitnehmer tritt seinen Urlaub Anfang Februar 2024 an. Am 16. Februar 2024 erhält dann der Arbeitgeber die Kündigung des Arbeitnehmers zum 31. März 2024.
Ergebnis zum Beispiel 1: Hier kann der Arbeitgeber-da noch keinen Urlaubslohn (Urlaubsengelt) gezahlt hat-den Lohn entsprechend kürzen.
Beispiel 2: Wie oben, die Arbeitnehmer hat aber bereits seinen vollen Urlaub für Februar 2024 erhalten und bekommt am 3. März 2024 auch das Urlaubsentgelt für den Monat Februar 2024. Am 4. März 2024 kündigte er das Arbeitsverhältnis zum 15. April 2024.
Ergebnis zum Beispiel 2: Hier kann der Arbeitgeber nicht mehr kürzen, da sowohl der Urlaub schon vom Arbeitnehmer genommen wurde und auch der Urlaubslohn bereits gezahlt wurde. Eine Kürzung des von daher nicht mehr möglich.
Fazit
Die Rückforderung von Urlaubsentgelt ist für den Fall ausgeschlossen, dass der Arbeitnehmer in der ersten Jahreshälfte (also bis zum 30.6.) ausscheidet und seinen kompletten Jahresurlaub und sein Urlaubsentgelt (bereits) erhalten hat.
FAQ
Wie lange ist der Mindesturlaub?
Der gesetzliche Mindesturlaub beträgt nach dem Bundesurlaubsgesetz insgesamt 4 Wochen pro Kalenderjahr.
Kann man sich Urlaub auszahlen lassen?
Nein, Urlaub kann man sich im bestehenden Arbeitsverhältnis nicht auszahlen lassen. Erst nach Beendigung wandelt sich der Urlaubsanspruch in einen Abgeltungsanspruch um.
Wie lange beträgt die Wartezeit nach dem BUrlG?
Die Wartezeit beträgt nach dem Bundesurlaubsgesetz 6 Monate. Nach abgelaufener Wartezeit besteht ein voller Urlaubsanspruch. Die Wartezeit muss nur einmal absolviert werden.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht
Entlassung von Beamten auf Probe – Voraussetzungen
Probezeit bei Beamten
Das öffentliche Dienstrecht, welches für Beamte gilt, ist dem privatrechtlichen Arbeitsrecht ähnlich. Zu beachten ist aber, dass hier die Beziehung zwischen dem Dienstherrn und dem Beamten stärker ist als zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Wenn jemand Beamter werden will, dann beginnt dies oft mit dem sogenannten Beamtenverhältnis auf Probe. Das Gegenstück im Arbeitsrecht ist die Probezeit im Arbeitsverhältnis.
Beamtenrechtliche Probezeit – was ist das?
Die Probezeit beim Beamten dient den Dienstherrn dazu zu prüfen, ob der Beamte für die vorgesehene Arbeit geeignet ist und die notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse mit sich bringt. Der Beamte kann in dieser Zeit prüfen, ob ihm die Stelle zusagt und seinen Vorstellungen entspricht.
Prüfung der Eignung des Beamten in der Probezeit
Als laufbahnrechtliche Probezeit wird die Zeit im Beamtenverhältnis auf Probe bezeichnet, während der sich der Beamte bewähren muss. Für Bundesbeamte regelt § 28 der Bundeslaufbahnverordnung, dass Beamte sich in der Probezeit in vollem Umfang bewährt haben, wenn sie nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung wechselnde Anforderungen ihrer Laufbahn erfüllen können. Dies muss der Dienstherr am Ende der Probezeit einschätzen und dann die Entscheidung über eine mögliche Entlassung treffen. Nach § 11 des Bundesbeamtengesetzes gilt für die Feststellung der Bewährung ein strenger Maßstab, da diese Entscheidung weitreichende Auswirkungen hat.
Ziel: Beamter auf Lebenszeit
Zum Beamten auf Probe wird ernannt, wer seinen Vorbereitungsdienst erfolgreich abgeschlossen hat und danach – z.B. als Richter, Staatsanwalt oder Polizist, zur späteren Verwendung als Beamter auf Lebenszeit vorgesehen ist. Die Probezeit für Beamte dauert in der Regel drei Jahre. Diese kann aber auch verkürzt und maximal auf 5 Jahre verlängert werden.
einfache Trennung bei nicht bestandener Probezeit
Das Beamtenverhältnis auf Probe ist durch den Gesetzgeber geschaffen worden, um dem Dienstherrn die Möglichkeit zu geben, Eignung, Fähigkeiten und Leistung des Beschäftigten zu erproben und sich bei fehlender Eignung von ihm ohne Schwierigkeiten zu trennen.
Entscheidung des Dienstherrn ist nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar
Maßstab für die Beurteilung der Bewährung durch den Dienstherrn sind die Anforderungen des auf Lebenszeit zu übertragenden Amtes. Die Entscheidung des Dienstherrn darüber, ob sich der Beamte in der laufbahnrechtlichen Probezeit nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bewährt hat, ist ein persönlichkeitsbedingtes Werturteil, das sachverständig und zuverlässig nur der Dienstherr abgeben kann.
Feststellung der Nichtbewährung durch Dienstherrn
Für die Feststellung der Nichtbewährung genügen dabei nach der Rechtsprechung (BVerwG, Beschluss vom 19. Mai 2022 – BVerwG 4 B 41.21) bereits begründete ernsthafte Zweifel des Dienstherrn. Eine solche Entscheidung des Dienstherrn ist gerichtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Begriff der mangelnden Bewährung und die gesetzlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums verkannt worden sind, ob der Beurteilung ein unrichtiger Sachverhalt zugrunde liegt und ob allgemeine Wertmaßstäbe beachtet oder sachfremde Erwägungen vermieden worden sind. Das Gericht setzt also nicht seine Beurteilung der Bewährung an Stelle des Dienstherrn, sondern überprüft nur dessen Entscheidung auf Unsachlichkeit.
aktueller Fall des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg zur Probezeitentlassung
In einem bemerkenswerten Fall hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (Beschluss des OVG vom 17.01.2024, OVG 10 S 41/22) die Entlassung einer Probebeamtin des Auswärtigen Amtes bestätigt. Das Verwaltungsgericht hatte die Beschwerde der Probebeamtin für zulässig und begründet gehalten.
Das OVG Berlin-Brandenburg hält aber die angegriffene Entlassungsverfügung des Dienstherrn für rechtmäßig.
Sachverhalt der OVG-Entscheidung
Eine Regierungsekretärin beim auswärtigem Amt wurde als Beamtin auf Probe im März 2020 berufen. In der Probezeit gab es - in der Corona-Pandemie – bestimmte Vorgaben des Dienstherrn (Maske, Temperaturmessungen etc). Dagegen wandte sich die Sekretärin per E-Mail mehrfach an den Dienstherrn. Bereits im Mai 2022 entließ der Dienstherr die Sekretärin aus dem Beamtenverhältnis und begründete dies mit einer mangelnden gesundheitlichen Eignung, auf Bedenken hinsichtlich der weltweiten Versetzbarkeit und führte auch aus, dass die Sekretärin charakterliche Eignungsmängel hätte. Dies begründete der Dienstherr damit, dass die Beamtin wesentliche Aspekte des Gedankenguts der sog. „Querdenkerbewegung“ teile oder diesen zumindest nahestehe.
Die Sekretärin äußerte sich u.a. wie folgt:
„Schleichende Einschränkung der Freiheit durch Corona-Maßnahmen, erst Fiebermessen, nun noch Einchecken in der Kantine, Aufpasser, die dort die Sitzordnung überwachen. Dazu große Sorge um die ‚souveräne Europäische Union‘; sie sehe das World Economic Forum in Davos und Herrn Schwab hinter Maßnahmen, die sie als ‚great reset‘ bezeichnete und die Frau von der Leyen als Weisungsempfängerin von Herrn Schwab ausführe. Frau T…stehe dagegen ein für das Grundgesetz und die ‚souveräne EU‘, sie äußere hier nur ihre Meinung, im Übrigen sei sie im Osten aufgewachsen und habe Erfahrungen mit repressiven Systemen gemacht. Appellierte mehrmals an mich: ‚Sehen Sie das denn nicht auch?!‘“.
OVG Berlin – https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE240001694/part/L
Begründung des Beschlusses des OVG
Das OVG begründete den Beschluss damit, dass die im März 2020 ernannte Beamtin Verhaltensmuster und Ansichten, die eine Nähe zur „Querdenker-Bewegung“ vermuten ließen zeigte. Ihre Einstellungen und Handlungen, insbesondere im Kontext der Corona-Pandemie, wurden vom Oberverwaltungsgericht als unvereinbar mit den Pflichten und Erwartungen an eine Beamtin des Auswärtigen Dienstes eingestuft.
Das OLG führe dazu in seiner Begründung folgendes aus:
(2.) Unabhängig davon durfte die Antragsgegnerin auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens in ihrem Entlassungsbescheid vom 11. Mai 2022 zu Recht auch von einer mangelnden Bewährung der Antragstellerin in charakterlicher Hinsicht ausgehen, wobei insoweit – wie eingangs (unter 2.a.) ausgeführt – für die Feststellung der Nichtbewährung bereits begründete ernsthafte Zweifel des Dienstherrn genügen. Solche begründeten ernsthaften Zweifel sind nach Lage der Dinge hier gegeben. Im Einzelnen:Randnummer
(a.) Der Entlassungsbescheid hebt insoweit darauf ab, dass das Verhalten und die Ausführungen der Antragstellerin, die diese im Zusammenhang mit Covid-19-Bekämpfungsmaßnahmen der Antragsgegnerin gezeigt habe, nahelegten, dass sie wesentliche Aspekte des Gedankenguts der sog. „Querdenkerbewegung“ teile oder diesen zumindest nahestehe, wobei sich die Querdenkerbewegung dadurch auszeichne, dass staatliche Maßnahmen, insbesondere solche der Gefahrenabwehr und -prävention im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, als überzogen und als vermeintlicher Angriff auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung abgelehnt würden. Auch insoweit hat das Werturteil der Antragsgegnerin, wonach von begründeten ernsthaften Zweifeln an der (charakterlichen) Eignung der Antragstellerin auszugehen sei, innerhalb des oben – unter 2.a. – aufgezeigten rechtlichen Rahmens Bestand.Randnummer
(b.) Die sog. „Querdenker-Bewegung“ ist ausweislich der Feststellungen im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2021, an deren Richtigkeit der Senat keinen Anlass hat zu zweifeln, mit dem Beginn der Coronapandemie und der Durchsetzung staatlicher Beschränkungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Lage entstanden; insoweit sei es in Deutschland nicht nur zu gesellschaftlichen Diskussionen und legitimen Protestaktionen gegen diese Maßnahmen gekommen, sondern in einigen Fällen seien die öffentlich geäußerten Meinungen oder Aktionen von Personenzusammenschlüssen und Einzelpersonen über einen solchen legitimen Protest hinausgegangen und hätten tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen aufgewiesen (vgl. Bundesministerium des Innern und für Heimat – Hrsg.- , Verfassungsschutzbericht 2021, S. 116: „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“). Die Akteure dieses Phänomenbereichs zielen dabei ausweislich der im Verfassungsschutzbericht 2021 getroffenen Feststellungen darauf ab, wesentliche Verfassungsgrundsätze außer Geltung zu setzen oder die Funktionsfähigkeit des Staates oder seiner Einrichtungen erheblich zu beeinträchtigen, machen demokratische Entscheidungsprozesse und Institutionen von Legislative, Exekutive und Judikative verächtlich, sprechen ihnen öffentlich die Legitimität ab und rufen zum Ignorieren behördlicher oder gerichtlicher Anordnungen und Entscheidungen auf. Diese Form der Delegitimierung erfolge über eine ständige Agitation gegen und Verächtlichmachung von demokratisch legitimierten Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Institutionen des Staates und ihrer Entscheidungen; hierdurch könne das Vertrauen in das staatliche System insgesamt erschüttert und dessen Funktionsfähigkeit beeinträchtigt werden (vgl. Bundesministerium des Innern und für Heimat, a.a.O). Gängige, durch Angehörige des Delegitimierungsspektrums rezipierte Verschwörungserzählungen sind ausweislich der Feststellungen im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022 unter anderem Narrative wie beispielsweise der „Great Reset“ oder Erzählungen über eine vermeintlich von den Eliten geplante „Neue Weltordnung“. Den beiden Verschwörungserzählungen sei dabei gemein, dass vermeintlich mächtigen Einzelpersonen oder den „Eliten“ allgemein unterstellt werde, sie würden die Umsetzung einer neuen Ordnung anstreben und aktuelle Entwicklungen, wie beispielsweise die Coronapandemie, als Mittel zur Erreichung dieser Ziele einsetzen (vgl. Bundesministerium des Innern und für Heimat – Hrsg.-, Verfassungsschutzbericht 2022, S. 117).Randnummer
Dahingehende Äußerungen von Beamten stellen, wie das Bundesverwaltungsgericht jüngst klargestellt hat, einen Verstoß gegen die beamtenrechtliche Treuepflicht dar (grundlegend BVerwG, Urteil vom 14. Juni 2023 – BVerwG 2 WD 11.22 -, juris Rn. 17 ff. für den Fall eines Soldaten im Ruhestand; zur „nahtlosen“ Übertragung dieser Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts auf Beamtinnen und Beamten des Bundes und der Länder vgl. Gärditz, JZ 2023, 1082, 1086). Nach § 60 Abs. 1 Satz 3 BBG müssen sich Beamtinnen und Beamte durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten. Hierbei handelt es sich um eine beamtenrechtliche Kernpflicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 2021 – BVerwG 2 A 7.21 -, juris Rn. 26). Aus ihr folgt auch, dass Beamtinnen und Beamte dem aus freien Wahlen hervorgegangenen Bundestag und der von ihm demokratisch legitimierten Bundesregierung Loyalität schulden. Sie sind zur Verfassungs- und Staatstreue auch und gerade in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen verpflichtet (BVerwG, Urteil vom 14. Juni 2023 – BVerwG 2 WD 11.22 -, juris Rn. 20). Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass weder der Staat noch die Gesellschaft ein Interesse an unkritischen Beamtinnen und Beamten haben. Äußerungen der hier in Rede stehenden Art lassen sich indes nicht auf eine polemisch-überspitzte Kritik an der Corona-Politik der Bundesregierung reduzieren, die vom Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG noch erfasst wäre (dazu i.E. BVerwG, Urteil vom 14. Juni 2023 – BVerwG 2 WD 11.22 -, juris Rn. 35 ff.; vgl. zu den verfassungsrechtlichen Fragen vertiefend Gärditz, JZ 2023, 1082, 1083). Äußerungen etwa dahin, dass staatliche Eingriffsmaßnahmen, die zur Bekämpfung des COVID-19-Virus ergriffen wurden, gegen Menschenrechte verstießen und auf eine staatliche Diktatur oder einen gesellschaftlichen Kollaps hinausliefen bzw. bereits zu einer Diktatur geführt hätten, bzw. durch die Maßnahmen solle eine „Neue Weltordnung“ begründet werden, gehen über die noch zulässige Kritik hinaus; denn sie enthalten darüber hinaus den Vorwurf, die Bundesregierung strebe unter Bruch der Verfassung eine Diktatur an (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Juni 2023 – BVerwG 2 WD 11.22 -, juris Rn. 26 und 27).
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg 10. Senat / OVG 10 S 41/22
Anmerkungen:
Gerade in der Probezeit sollte man sich mit der Äußerung von „Verschwörungstheorien“ zurückhalten. Dies gilt erst Recht, wenn man Beamter auf Probe ist und sich in einem besonderen Gewaltverhältnis befindet.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht