Arbeitsgericht
Fristlose Kündigung und rückständiger Arbeitslohn?

Annahmeverzugslohn und Kündigung
Der Annahmeverzug ist ein Problem, dass der Arbeitgeber im Kündigungsschutzverfahren hat. Verliert er das Verfahren, besteht die Gefahr, dass der Arbeitnehmer seine rückständigen Lohn geltend macht und damit auch Erfolg hat. Dies ist der Lohn ab dem Ende der Kündigungsfrist bzw. dem Zugang der außerordentlichen Kündigung bis zur Entscheidung durch das Arbeitsgericht in der Sache. Diese Zeitspanne kann mehrere Monate bis sogar mehrere Jahre betragen. Der Arbeitgeber muss dann zahlen, obwohl er keine Arbeitsleistung erhalten hat.
rückständiger Lohn = Risiko für Arbeitgeber
Dies stellt ein erhebliches finanzielles Risiko für den Arbeitgeber dar. Der Grund, weshalb oft Abfindungen im Kündigungsschutzverfahren an Arbeitnehmer ausgehandelt werden und von Arbeitgeberseite gezahlt werden, besteht zu einen erheblichen Teil auch deshalb, da der Arbeitgeber das Risiko des Annahmeverzuges eliminieren möchte.
Dazu wie folgt:
Wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis kündigt, wird diese Kündigung wirksam, wenn der Arbeitnehmer nicht innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einreicht. Diese sogenannte Wirksamkeitsfiktion ist in § 7 des Kündigungsschutzgesetzes geregelt.
Wirksamkeit einer Kündigung und Kündigungsschutzklage
Klagt der Arbeitnehmer rechtzeitig, dann streitet man sich vor dem Arbeitsgericht um die Wirksamkeit der Kündigung. Der erste Termin beim Arbeitsgericht ist der sogenannte Gütetermin. Im Gütetermin erfragt das Gericht den Sachverhalt und versucht eine Einigung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber herbeizuführen. Diese Einigung ist im Interesse des Gerichts, da der Richter das Verfahren dann recht schnell ohne großen Aufwand beenden kann. Für den Arbeitnehmer hat der Gütetermin eine besondere Bedeutung, denn hier zeigt sich, ob er gegebenenfalls – und dies ist oft das Ziel der Arbeitnehmer, die gegen eine Kündigung des Arbeitgebers klagen – eine angemessene Abfindung aushandeln kann. In den meisten Fällen ist dies im Gütetermin möglich und wird auch entsprechend durch einen Abfindungsvergleich protokolliert.
Gütetermin scheitert vor dem Arbeitsgericht
Gibt es keine Einigung, dann findet einige Monate später der sogenannte Kammertermin statt. Vor dem Kammertermin setzt das Gericht den beteiligten Parteien Fristen um auf die jeweiligen Schriftsätze der Gegenseite zu erwidern. Von den Arbeitsgerichten gibt es recht wenig Beweisaufnahmen, sodass oft bereits nach dem Kammertermin ein Urteil erfolgt.
Risiko des Annahmeverzugs
Da zwischen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts (dies kann auch die 2. oder erst die 3. Instanz sein) aber meist mehrere Monate liegen, in denen der Arbeitnehmer oft arbeitslos ist und keiner Tätigkeit nachgeht, stellt sich für den Arbeitgeber das Problem, dass er gegebenenfalls den Lohn nachzahlen muss. Dies ist dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer das Kündigungsschutzverfahren gewinnt. Zwar darf der Arbeitnehmer nicht böswillig einen zwischen Verdienst unterlassen, dies heißt aber nicht dass er jede Arbeit annehmen muss.
gesetzliche Regelung
Geregelt ist der Annahmeverzugslohn in § 615 BGB. Die Norm lautet:
§ 615 Vergütung bei Annahmeverzug und bei Betriebsrisiko
Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Er muss sich jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt.
§ 615 BGB
Prozessrisiko
Um das sogenannte Prozessrisiko-also das Risiko, dass der Arbeitgeber verliert und dann den Lohn nachzahlen muss-zu minimieren, bieten manche Arbeitgeberanwälte dann den Arbeitnehmern eine sogenannte Prozessbeschäftigung an. Die Prozessbeschäftigung ist ein Vertrag über die Beschäftigung des Arbeitnehmers zu den bisherigen Bedingung befristet für die Dauer des Kündigungsrechtsstreits.
Prozessbeschäftigung bei fristloser Kündigung
Das Bundesarbeitsgericht hatte sich nun mit dem Fall zu beschäftigen, bei dem der Arbeitgeber fristlos und außerordentlich das Arbeitsverhältnis kündigte und sodann der Rechtsanwalt des Arbeitgebers dem Arbeitnehmer für das Kündigungsschutzverfahren eine sogenannte Prozess Beschäftigung angeboten hat. Der Arbeitnehmer gewann später das Verfahren und wollte seinen rückständigen Lohn vom Arbeitgeber erhalten. Der Arbeitgeber verwies darauf, dass er dem Arbeitnehmer eine Beschäftigung angeboten hat und diese es böswillig unterlassen hat der Beschäftigung nachzugehen. Nach der Ansicht des Arbeitgebers bestand also kein Anspruch auf den sogenannten Annahmeverzugslohn.
außerordentliche Kündigung und Prozessbeschäftigung widersprechen sich
Dies sei sah Bundesarbeitsgericht für den Fall der fristlosen Kündigung anders. Nach dem BAG ist es widersprüchlich, wenn der Arbeitgeber sich einerseits im Kündigungsschutzprozess darauf beruft, dass das Arbeitsverhältnis durch eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund beendet ist und es dem Arbeitgeber nicht mehr zumutbar ist den Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen, noch nicht einmal ist zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist bei der ordentlichen Kündigung und auf der anderen Seite dann den Arbeitnehmer aber doch eine Beschäftigung anbietet.
BAG-Entscheidung
Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 29.3.23 – 5 AZR 255/22 – Pressemitteilung vom 29.3.23) führte dazu in seiner Pressemitteilung folgendes aus:
Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos, weil er meint, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihm nicht zuzumuten, bietet aber gleichzeitig dem Arbeitnehmer „zur Vermeidung von Annahmeverzug“ die Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen während des Kündigungsschutzprozesses an, verhält er sich widersprüchlich. In einem solchen Fall spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass das Beschäftigungsangebot nicht ernst gemeint ist. Diese Vermutung kann durch die Begründung der Kündigung zur Gewissheit oder durch entsprechende Darlegungen des Arbeitgebers entkräftet werden.
Die vom Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts nachträglich zugelassene Revision des Klägers war erfolgreich. Die Beklagte befand sich aufgrund ihrer unwirksamen fristlosen Kündigungen im Annahmeverzug, ohne dass es eines Arbeitsangebots des Klägers bedurft hätte. Weil die Beklagte selbst davon ausging, eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei ihr nicht zuzumuten, spricht wegen ihres widersprüchlichen Verhaltens eine tatsächliche Vermutung dafür, dass sie dem Kläger kein ernstgemeintes Angebot zu einer Prozessbeschäftigung unterbreitete. Die abweichende Beurteilung durch das Landesarbeitsgericht beruht auf einer nur selektiven Berücksichtigung des Parteivortrags und ist schon deshalb nicht vertretbar. Darüber hinaus lässt die Ablehnung eines solchen „Angebots“ nicht auf einen fehlenden Leistungswillen des Klägers iSd. § 297 BGB schließen. Es käme lediglich in Betracht, dass er sich nach § 11 Nr. 2 KSchG böswillig unterlassenen Verdienst anrechnen lassen müsste. Das schied im Streitfall jedoch aus, weil dem Kläger aufgrund der gegen ihn im Rahmen der Kündigungen erhobenen Vorwürfe und der Herabwürdigung seiner Person eine Prozessbeschäftigung bei der Beklagten nicht zuzumuten war. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger im Kündigungsschutzprozess vorläufige Weiterbeschäftigung beantragt hat. Dieser Antrag war auf die Prozessbeschäftigung nach festgestellter Unwirksamkeit der Kündigungen gerichtet. Nur wenn der Kläger in einem solchen Fall die Weiterbeschäftigung abgelehnt hätte, hätte er sich seinerseits widersprüchlich verhalten. Hier ging es indes um die Weiterbeschäftigung in der Zeit bis zur erstinstanzlichen Entscheidung. Es macht einen Unterschied, ob der Arbeitnehmer trotz der gegen ihn im Rahmen einer verhaltensbedingten Kündigung erhobenen (gravierenden) Vorwürfe weiterarbeiten soll oder er nach erstinstanzlichem Obsiegen im Kündigungsschutzprozess gleichsam „rehabilitiert“ in den Betrieb zurückkehren kann.
BAG- Pressemitteilung vom 29.03.202 – Nr. 17/23
Anmerkung:
Die außerordentliche Kündigung ist für den Arbeitgeber schwer durchsetzbar. Auf jeden Fall sollte hilfsweise ordentlich gekündigt werden. Eine weitere Möglichkeit um das Annahmeverzugsrisiko für den Arbeitgeber zu begrenzen besteht darin, dass man dem Arbeitnehmer im Kündigungsschutzverfahren regelmäßig Angebote (freie Stellen) anderer Arbeitgeber übermittelt mit der Aufforderung sich darauf zu bewerben. Eine Garantie, dass dies zum Erfolg führt, gibt es aber nicht.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht
Rechtswidrige Kurzarbeit – muss der Arbeitgeber den vollen Lohn zahlen?

Gerade in der Corona-Pandemie was oft so, dass Arbeitgeber aus betriebsbedingten Gründen versucht haben, so schnell wie möglich Kurzarbeit anzuordnen.
Vereinbarung über Kurzarbeit
In der Regel ist dafür eine Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer erforderlich. Eine solche Vereinbarung muss der Arbeitgeber mit allen Arbeitnehmern (einzeln) schließen. Diese sind nicht verpflichtet zuzustimmen.
Kurzarbeiterklausel im Arbeitsvertrag
In manchen Arbeitsverträgen fanden sich aber auch Klauseln, wonach der Arbeitgeber berechtigt ist die Kurzarbeit anzuordnen und der Arbeitnehmer im Arbeitsvertrag dazu bereits seine Zustimmung erteilt hat. Diese Klauseln werden auf ihre Wirksamkeit von den Arbeitsgerichten wie allgemeine Geschäftsbedingungen überprüft.
Arbeitsgericht Stuttgart und Zahlung des vollen Arbeitslohnes
Das Arbeitsgericht Stuttgart (Urteil vom 6.12.2022, 25 Ca 7031/21) hat nun entschieden, dass selbst wenn eine solche Klausel wirksam ist, aber trotzdem die Kurzarbeit rechtswidrig angeordnet wurde, der Arbeitnehmer nicht automatisch einen vollen Lohnanspruch hat.
unwirksame Anordnung von Kurzarbeit „Null“
Das Problem ist, dass bei Kurzarbeit oft sogenannte Kurzarbeit null angeordnet wurde. Der Arbeitnehmer muss dann nicht arbeiten, bekommt aber nur einen Teil seines Lohnes. Arbeitnehmer, die arbeitswillig sind werden faktisch gezwungen auf einen Teil ihres Lohnes zu verzichten. Wenn die Kurzarbeitsanordnung nun unwirksam ist, könnte man auf die Idee kommen, dass der Arbeitgeber dann den vollen Lohn schuldet, da es seine Schuld ist, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nicht erbringen konnte.
Lohn bei unwirksamer Anordnung von Kurzarbeit
Hier ist aber zu beachten, dass es den Grundsatz im Arbeitsrecht gibt, wonach Arbeitnehmer ohne Arbeit keinen Lohn bekommen („kein Lohn ohne Arbeit“). Der Arbeitgeber ist nur verpflichtet den Lohn zu zahlen, wenn er sich im Annahmeverzug befindet. Der sogenannte Annahmeverzugslohn setzt aber voraus, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft angeboten hat. In der Regel ist das tatsächliche Anbieten der Arbeitskraft (also vor Ort) erforderlich. Ein wörtliches Angebot oder ein Angebot über soziale Medien reicht im Normalfall hierfür nicht aus.
Entscheidung des Arbeitsgericht Stuttgart
Das Arbeitsgericht Stuttgart hatte sich nun mit dem Fall zu beschäftigen, wonach der Arbeitgeber die Kurzarbeit rechtswidrig angeordnet hatte und der Arbeitnehmer nun nachträglich seinen vollen Lohn eingeklagt hat. Hierbei ging es hauptsächlich um die Frage, inwieweit der Arbeitnehmer tatsächlich seine Arbeitskraft hätte anbieten müssen.
Begründung der Ablehnung des Lohnanspruchs
Das Arbeitsgericht führte dazu aus:
Der Vergütungsanspruch des Klägers gemäß § 611a Abs. 2 BGB ist vorliegend nicht aufgrund von § 615 Satz 1 BGB aufrechterhalten worden, (BAG, Urteil vom 19.10.2000 – 8 AZR 20/00, NZA 2001, 598) da es an einem Angebot des Klägers fehlt. Ein solches wäre vorliegend allerdings zumindest in der Form des wörtlichen Angebots nötig gewesen, da der Kläger unstreitig in den Monaten April 2020 bis August 2021 lediglich am 17.09.2020 und im Zeitraum vom 29.06.2021 – 02.07.2021 seine Arbeitsleistung erbracht hat und die Beklagte zu Ziffer 1.) den korrespondierenden Arbeitslohn bezüglich dieser Tage auch zur Auszahlung gebracht hat
…
(2) Ausgehend von diesen Grundsätzen besteht auch beim Vorliegen einer rechtswidrigen Anordnung von Kurzarbeit die Obliegenheit des Arbeitnehmers, gegen diese Anordnung zumindest zu protestieren (BAG, Urteil vom 18.11.2015 – 5 AZR 491/14, NZA 2016, 565 Rn. 23; BAG, Urteil vom 18.11.2015 – 5 AZR 814/14, BeckRS 66759 Rn. 51; BAG, Urteil vom 15.05.2013 – 5 AZR 130/12, NZA 2013, 1076 Rn. 22). Der wohl mittlerweile überholten Meinung des Bundesarbeitsgerichts, auch im bestehenden Arbeitsverhältnis sei bei unwirksamer Anordnung von Kurzarbeit gemäß § 296 BGB ein Angebot entbehrlich, da es seitens des Arbeitgebers einer Mitwirkungshandlung – Einrichtung eines funktionsfähigen Arbeitsplatzes – bedurft hätte, (BAG, Urteil vom 27.01.1994 – 6 AZR 541/93, NZA 1995, 134 (134 f.)) kann sich die Kammer nicht anschließen. Dies gründet zuvorderst darauf, dass § 615 BGB iVm §§ 293 ff. BGB den im allgemeinen Schuldrecht bei synallagmatischen Leistungsverknüpfungen gemäß der §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 BGB bestehenden Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ durchbricht und somit nach Meinung der Kammer restriktiv auszulegen ist. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des im allgemeinen Schuldrecht entwickelten Dogmas der Exklusivität von Annahmeverzug und Unmöglichkeit (Bieder in BeckOGK, BGB, Stand: 01.07.2022, § 615 Rn. 6). Auch ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der gesetzlichen Systematik der §§ 294 – 296 BGB die komplette Entbehrlichkeit des Angebots die Ausnahme zum wörtlichen Angebot und dieses wiederum die Ausnahme zum tatsächlichen Angebot darstellen soll. Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis erscheint bei einer wortlautgetreuen Anwendung der §§ 294 – 296 BGB allerdings im Arbeitsrecht ins Gegenteil verkehrt, da aufgrund der Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer zu beschäftigen, eine Mitwirkungshandlung – Einrichtung eines funktionsfähigen Arbeitsplatzes – besteht, für welche typischerweise auch eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist, sodass im Normalfall ein Angebot des Arbeitnehmers gemäß § 296 BGB entbehrlich wäre. So muss die 2. Alternative des § 295 Satz 1 BGB dahingehend teleologisch reduziert werden, dass allein die Bereitstellung eines funktionsfähigen Arbeitsplatzes keine Mitwirkungshandlung im Sinne des Annahmeverzugsrechts darstellt, sodass ein automatisches Eingreifen von § 296 BGB und damit auch des Annahmeverzugs verhindert werden kann. Deutlich wird dies durch einen Vergleich mit § 295 Satz 1 Alt. 1 BGB, da hier zumindest ein zusätzliches aktives Tun des Arbeitgebers – Erklärung der Nichtannahme – gefordert wird. Durch eine solche teleologische Reduktion ist es dem Arbeitnehmer nicht möglich, die rechtswidrige Anordnung von Kurzarbeit lediglich zu dulden, um später die Differenzvergütung zu liquidieren. Erst wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber durch ein wörtliches Angebot verdeutlicht hat, dass er gegen die Anordnung von Kurzarbeit protestiere, erscheint es interessengerecht, ihm bei Rechtswidrigkeit dieser Anordnung die korrespondierende Differenzvergütung zuzusprechen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger nicht damit rechnen konnte, dass ihm aufgrund seines Protests ein korrespondierender Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werde, da von ihm zumindest gefordert werden kann, den Arbeitgeber auf seine ablehnende Haltung hinzuweisen, sodass dieser mögliche Schritte zur Abwendung eines finanziellen Schadens einleiten kann.
3) Vorliegend ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Kläger zu keinem Zeitpunkt der Anordnung von Kurzarbeit widersprochen hat oder seinen Protest auf andere Art zum Ausdruck gebracht hat. Es fehlt somit an einem wörtlichen Angebot. Die Beklagte zu Ziffer 1.) befand sich somit zu keinem Zeitpunkt im Annahmeverzug.
ArbG Stuttgart Urteil vom 6.12.2022, 25 Ca 7031/21
Anmerkung:
Das letzte Wort hat letztendlich das Bundesarbeitsgericht. Der Fall hat erhebliche praktische Relevanz, denn oft wurde Kurzarbeit unwirksam angeordnet.
Beitrag in meinen Podcast
Anbei auch der Link zu meinen Podcast zum Thema: „Lohn ohne Arbeit – geht das?„
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht
Verbundkündigung-was ist das?

Was ist eine Verbundkündigung?
Eine Verbundkündigung besteht oft aus einer außerordentlichen, und einer hilfsweise ordentlichen Kündigung.
außerordentliche Kündigung
Oft ist es so, dass der Arbeitgeber meint einen außerordentlichen Kündigungsgrund zu haben und das Arbeitsverhältnis des kündigen möchte. In einem solchen Fall besteht aber die Gefahr für den Arbeitgeber, dass später das Arbeitsgericht diese außerordentliche Kündigung für unwirksam hält und dies hat zur Folge, dass der Arbeitgeber den Lohn bis zur Entscheidung im Kündigungsschutzverfahren nachzahlen muss. Man spricht hier vom sogenannten Annahmeverzugslohn. Dies ist für den Arbeitgeber ein großes Risiko, da eine außerordentliche Kündigung in der Praxis schwierig durchzusetzen ist. Der Arbeitgeber braucht einen wichtigen Grund, der es ihm unzumutbar macht das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer fortzusetzen und sogar unzumutbar noch bis Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zu warten.
Kündigungserklärungsfrist
Darüber hinaus muss der Arbeitgeber auch eine Erklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB beachten. D. h., dass der Arbeitgeber innerhalb von 2 Wochen nach Kenntnis vom wichtigen Grund, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, die Kündigung dem Arbeitnehmer auch aussprechen muss. Dies ist eine recht kurze Frist und wird in der Praxis nicht selten versäumt, was dazu führt, dass die außerordentliche Kündigung dann unwirksam ist.
Verbundkündigung und Prozessrisiko
Durch eine Verbundkündigung kann der Arbeitgeber das Risiko im Kündigungsschutzverfahren vermindern. Dadurch, dass er hilfsweise das Arbeitsfeld des auch ordentlich kündigt kündigt er unter einer innerprozessualen, zulässigen Bedingung, dass die außerordentliche Kündigung unwirksam ist. Der Arbeitgeber hat also faktisch zwei „Schüsse in der Flinte“. Wenn die erste außerordentliche Kündigung nicht greift, dann kann es sein, dass die ordentliche Kündigung, die er hilfsweise erklärt wird, das Arbeitsfeld ist doch noch beendet. Dann allerdings innerhalb der gesetzlichen bzw. arbeitsvertraglichen oder tarifvertraglichen Kündigungsfrist.
Kündigungsschutzklage
Das Arbeitsgericht überprüft dann zunächst-wenn der Arbeitnehmer rechtzeitig Kündigungsschutzklage gegen die Kündigungen einreicht-die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung und wenn das Arbeitsgericht der Meinung ist, dass diese unwirksam ist, beschäftigt sich das Arbeitsverhältnis des mit der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung. Wenn beide Kündigung unwirksam sind, dann wird das Arbeitsgericht feststellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung des Arbeitgebers aufgelöst worden ist.
Es kann aber auch sein, dass das Gericht der Meinung ist, dass die ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis des beendet hat und dann endet das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung nach der entsprechenden Kündigungsfrist.
Fehler durch den Arbeitnehmer
Auch der Arbeitnehmer kann hier Fehler machen und zwar den Fehler, dass er nur von einer einzigen Kündigung ausgeht und dann sich gegen „die Kündigung des Arbeitgebers“ wehrt. Dies ist falsch, denn eine Verbundkündigung besteht aus wenigstens zwei Kündigungen. Der Arbeitnehmer muss also Kündigungsschutzklage einreichen sowohl gegen die außerordentliche als auch gegen die hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitgebers. Die Arbeitsgerichte sind aber recht großzügig bei der Auslegung der Kündigungsschutzanträge, zumindest dann, wenn diese von juristischen Laien gefertigt werden.
Was passiert, wenn der Arbeitnehmer nicht klagt?
Wenn der Arbeitnehmer nicht gegen die Kündigungen klagt, dann wird die Folge nach § 7 des Kündigungsschutzgesetzes ein. Danach wird das Arbeitsverhältnis als wirksam beendet angesehen und zwar durch die erste Kündigung und in diesem Fall ist dies die außerordentliche Kündigung. Für den Arbeitnehmer ist dies ein möglichst schlechter Fall, da eine Sperre von Agentur für Arbeit dann recht sicher ist.
Was passiert, wenn der Arbeitnehmer das Verfahren gewinnt?
Wenn der Arbeitnehmer gegen beide Kündigung klagt und das Kündigungsschutzverfahren gewinnt, dann stellt das Arbeitsgericht fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die beiden Kündigungen (Verbundkündigung) aufgelöst worden ist. Der Arbeitnehmer kann noch ein Weiterbeschäftigungsantrag stellen und dann würde das Arbeitsgericht den Arbeitgeber verpflichten den Arbeitnehmer über das Kündigungsende hinaus weiter zu beschäftigen.
Kann auch der Arbeitnehmer eine Verbundkündigung aussprechen?
Auch der Arbeitnehmer kann grundsätzlich eine Verbundkündigung aussprechen und dies bietet sich auf jeden Fall auch dann an, wenn der Arbeitnehmer nicht sicher ist, dass die außerordentliche Kündigung tatsächlich greift. Dies sollte man fast für jeden Fall annehmen, da man fast nie sicher sein kann, dass tatsächlich ein wichtiger Kündigungsgrund vorliegt und auch vor dem Gericht nachgewiesen werden kann. Von daher bietet sich fast immer an, wenn der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis ist aus wichtigem Grund kündigen möchte, dass er hilfsweise auch ordentlich kündigt. Einen Kündigungsgrund für die hilfsweise ordentliche Kündigung braucht der Arbeitnehmer-im Gegensatz zum Arbeitgeber, bei dem das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet-nicht.
Fazit: Die Verbundkündigung spielt in der Praxis eine große Rolle und sollte in der Regel sowohl von Arbeitgeberseite als auch von Arbeitnehmerseite eingesetzt werden.
Mehr Informationen finden Sie auch auf meinen Podcast zum Thema „Was ist eine Verbundkündigung?“.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht
Betriebsfest nur mit 2G+ und negativen Test

Betriebsfeier mit strengen Corona-Regelungen
Viele Arbeitgeber haben interne, betriebliche Regelungen getroffen, die die Voraussetzungen den Zugang zum Betrieb/ Arbeitsplatz festlegen. Es schon einige Entscheidungen von Arbeitsgerichten, wonach der Arbeitgeber grundsätzlich bestimmte Corona-Zugangsregelungen (Testpflicht etc) am Arbeitsplatz treffen darf.
Gesundheitsberufung mit strengen Sonderregelungen
In den Gesundheitsberufen gibt es darüber hinaus ja nun auch eine Pflicht zum Nachweis der Impfung.
Sogar für Betriebsfeiern darf der Arbeitgeber bestimmte Zugangsbeschränkungen – Pandemiepläne – aufstellen.
Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg
So jedenfalls nach einer aktuellen Entscheidung des Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg.
Eine Klinik hatte für ihre Beschäftigte ein Betriebsfest an einem auswärtigen Veranstaltungsort ausgerichtet. Die Klinik verhängte aber strenge Zugangsregelung zur Betriebsfeier. Nach der Klinik war erforderlich, dass eine gültige, vollständige Impfung und/oder Genesung sowie eine auch Auffrischimpung und darüber hinaus ein tagesaktueller negativer Antigenschnelltest erforderlich waren (2 G+ und negativer Schnelltest).
einstweiliger Rechtschutz eines Arbeitnehmers
Dies sind schon sehr strenge Anforderungen und ein Arbeitnehmer wollte sich dies nicht gefallen lassen und wollte den Zugang zur Betriebsfeier erstreiten ohne dass er den entsprechenden strengen Zugangsregelung unterworfen wird.
Er versucht im Wege der einstweiligen Anordnung den Zugang zur Betriebsfeier zu erreichen.
Entscheidungen des Arbeitsgericht Berlin
Das Arbeitsgericht Berlin lehnte dies ab und in dem Verfahren der zweiten Instanz (Beschwerdeverfahren) bestätigte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg das entsprechende Urteil.
Begründung des Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Das LAG Berlin-Brandenburg (6 Ta 673/22) führte in seiner Pressemitteilung Nr. 14/22 vom 04.07.2022 dazu folgendes aus:
Der Arbeitnehmer habe keinen Anspruch auf Teilnahme an dem Sommerfest ohne Einhaltung dieser Vorgaben. Eine besondere Rechtsgrundlage für die Zugangsbeschränkungen sei entgegen der Auffassung des Arbeitnehmers nicht erforderlich. Die Klinik handle nicht hoheitlich. Vielmehr sei eine Anspruchsgrundlage für den begehrten Zutritt erforderlich. Ansprüche ergäben sich schon deshalb nicht aus dem Landesantidiskriminierungsgesetz Berlin (LADG), weil dieses gemäß § 3 Absatz 1 LADG auf öffentlich-rechtliche Körperschaften wie die Klinik nur anwendbar sei, soweit diese Verwaltungsaufgaben wahrnehme. Dies sei bei der Ausrichtung einer Betriebsfeier nicht der Fall. Aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) könnten sich keine Ansprüche ergeben, weil der Arbeitnehmer keine Benachteiligung aufgrund hier genannter Merkmale geltend mache. Er behaupte keine Behinderung und eine etwa aus diesem Grund nicht mögliche Impfung. Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Hiernach müsse eine vorgenommene Gruppenbildung bei der Gewährung von Leistungen – hier dem Zutritt zum Betriebsfest – sachlich gerechtfertigt sein. Die sachliche Rechtfertigung sei hier schon angesichts der gesetzlichen Wertung in § 20a Infektionsschutzgesetz gegeben. Hiernach gebe es für Beschäftigte in Kliniken besonderen Anlass für Schutzmaßnahmen, insbesondere auch in Form eines Impf- oder Genesenennachweises. Für das Infektionsrisiko spiele es keine Rolle, ob es um Zusammenkünfte bei der Arbeit oder anlässlich einer Betriebsfeier gehe. Ferner sei für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ein besonderer Verfügungsgrund erforderlich, das heißt, dass dem Arbeitnehmer erhebliche Nachteile drohen, die außer Verhältnis zu einem möglichen Schaden der Klinik stünden. Solche Nachteile ergäben sich allein aufgrund einer unterbliebenen Teilnahme an einer Betriebsfeier nicht. Erst recht gelte dies in Abwägung mit möglichen Nachteilen des Klinikbetriebes im Hinblick auf Infektionsrisiken.
Gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
LAG Berlin-Brandenburg (6 Ta 673/22) in der Pressemitteilung Nr. 14/22 vom 04.07.2022
Anmerkung:
Das LAG dreht hier den Spieß um. Nicht der Arbeitgeber muss eine Rechtsgrundlage für die strengen Zugangsvoraussetzungen nachweisen, sondern der Arbeitnehmer braucht eine solche für den begehrten Zugang zur Betriebsfeier ohne Einhaltung der strengen Corona-Vorgaben. Eine solche Rechtsgrundlage sah das LAG hier auf Seiten des Arbeitnehmers nicht, zumal es hier nicht um den Zugang zum Arbeitsplatz ging, sondern nur um eine Feier.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht
Arbeitszeitbetrug bei Nichtausstempeln in der Zigarettenpause

Arbeitszeitbetrug bei Nichtausstempeln in der Zigarettenpause – was ist das?
Rauchen kann gefährlich sein und zwar nicht nur für die Gesundheit. Dies musste nun eine Arbeitnehmerin feststellen, die wegen des fehlenden Ausstempelns in der Zigarettenpause vom Arbeitgeber außerordentlich gekündigt wurde. Nach Ansicht des Landesarbeitsgericht Thüringen (Urteil vom vom 3.5.2022 – 1 Sa 18/21) zu Recht.
Arbeitszeitbetrug – was ist das?
Ein Arbeitszeitmissbrauch stellt in der Regel einen außerordentlichen Kündigungsgrund nach § 626 I BGB dar. Nach dem Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 13.12.2018 – 2 AZR 370/18) ist ein Arbeitszeitbetrug, „der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren … . Dies gilt für den vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch„. Gerichte verstehen hier keinen Spaß.
Pause ist keine Arbeitszeit
Wenn also eine Pause wissentlich als Arbeitszeit abgerechnet wird, dann ist dies ein (versuchter) Betrug des Arbeitnehmers über die Arbeitszeit. Nicht immer ist eine außerordentliche Kündigung sofort möglich. Wie so oft, kommt es auf den Einzelfall an.
Das LAG Thüringen hatte nun über folgenden Fall zu entscheiden:
Die Arbeitnehmerin ist seit dem Jahr 1990 als Mitarbeiterin in einem Arbeitsamt beim Arbeitgeber tätig. Bei einer Kontrolle der Arbeitszeit über die Arbeitszeiterfassung wurde festgestellt, dass die Klägerin an drei Tagen keine einzige Pause, sondern lediglich Beginn und Ende ihrer Arbeitszeit gebucht hatte. Dies ist auf den ersten Blick wenig glaubhaft und legt den Verdacht der Arbeitszeitmanipulation nahe und führte in diesem Fall dazu, dass die Arbeitnehmerin vom Arbeitgeber zur Stellungnahme aufgefordert wurde.
3 Tage keine Pause gemacht?
Die Arbeitnehmerin teilte mit, dass wohl doch Pausen gemacht wurden (da sie diese als Raucherin benötige) und bat um Entschuldigung und sie werde zukünftig die Pausen ganz genau und minutiös aufzeichnen. Weiter führte sie aus, dass sich ein derartiges Verhalten sich mit Sicherheit nicht mehr wiederholen werde. Die Klägerin gab damit den Arbeitszeitbetrug zu. Sie hätte sich vor der Stellungnahme besser anwaltlich beraten lassen sollen. Die Arbeitnehmerin wäre sogar besser gefahren, wenn sie gar keine Stellungnahme abgegeben hätte.
fristlose Kündigung, hilfsweise ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber
Die Arbeitgeberin sprach daraufhin die fristlose (außerordentliche) Kündigung, hilfsweise fristgerechte Kündigung zum 30.9.2019 aus.
Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage gegen die beiden Kündigungen.
Entscheidung des LAG
Das Arbeitsgericht hielt nur die außerordentliche Kündigung für unwirksam und die ordentliche hingegen für wirksam, so auch das LAG. Allerdings wurde die Revision zum BAG zugelassen.
Das Landesarbeitsgericht führte dazu aus:
Ein Arbeitszeitbetrug, bei dem ein Mitarbeiter vortäuscht, für einen näher genannten Zeitraum seine Arbeitsleistung erbracht zu haben, obwohl dies tatsächlich nicht oder nicht in vollem Umfang der Fall ist, stellt eine besonders schwerwiegende Pflichtverletzung dar und erfüllt an sich den Tatbestand des wichtigen Grundes i.S.v. § 626 Abs 1 BGB. Auch die hartnäckige Missachtung der Anweisung, bei Raucherpausen auszustempeln, ist geeignet eine außerordentliche Kündigung zu begründen.
LAG Thüringen vom 3.5.2022 – 1 Sa 18/21
Der Sachverhalt:
Anmerkung:
Die Arbeitnehmerin dachte hier wohl, dass mit der Stellungnahme und ihrer Entschuldigung die Sache vom Tisch war. Dies war aber nicht so. Dadurch war es dem Arbeitgeber möglich den Arbeitszeitbetrug klar nachzuweisen, ansonsten bestünde nur der Verdacht des Betrugs. Dies kann aber als sog. Verdachtskündigung unter Umständen auch schon ausreichend sein.
Rechtsanwalt Andreas Martin
Bundesarbeitsgericht: Wer muss was im Überstundenprozess beweisen?

Überstunden vor dem Arbeitsgericht
In Deutschland werden viele Überstunden geleistet. Entsprechend gibt es viele Überstundenprozesse vor den Arbeitsgerichten.
Einklagen von Überstunden und Fachkräftemangel
Aufgrund des Fachkräftemangels hat sich die Problematik sogar noch weiter verschärft. Arbeitnehmer gehen immer noch wie selbstverständlich davon aus, dass sie die geleisteten Überstunden immmer bezahlt bekommen und diese notfalls einfach vor dem Arbeitsgericht durchsetzen können. Dies stimmt so aber nicht. Ein Prozess auf Zahlung von Überstunden ist schwierig zu führen.
Überstundenprozesse sind schwierig
Kommt es nämlich zum Streit zwischen Arbeitnehmern Arbeitgeber und zahlt der Arbeitgeber die Überstunden nicht, dann bleibt dem Arbeitnehmer nur die Möglichkeit die absolvierten Überstunden vor dem Arbeitsgericht geltend zu machen. In Berlin ist dafür das Arbeitsgericht Berlin örtlich zuständig. Der Arbeitnehmer muss dann notgedrungen – auch oft wegen bestehender Ausschlussfristen – einen Überstundenprozess vor dem Arbeitsgericht führen.
Lohnklage ist nicht vergleichbar
Was viele Arbeitnehmer nicht wissen ist, dass diese Prozesse auf Zahlung von Überstunden recht schwierig zu führen und zu gewinnen sind. Während man den „normalen“ Arbeitslohn recht einfach vor dem Arbeitsgericht einklagen kann und dazu auch nicht allzu viel vor dem Gericht dazu vorzutragen hat, ist dies im Überstundenprozess anders. Der Arbeitnehmer muss hier bestimmte Umstände vortragen und notfalls auch beweisen. Dies macht den Prozess schwierig und den Ausgang des Prozesses von daher auch schwer vorhersagbar.
Entscheidung des Bundesarbeitsgericht
Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 4. Mai 2022 – 5 AZR 359/21 ) hat sich nun nochmals mit der Frage der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess beschäftigt. Der Hintergrund ist der, dass es eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes gibt, wonach der deutsche Gesetzgeber verpflichtet ist, dafür zu sorgen, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, um zu verhindern dass das Arbeitszeitgesetz bzw. die Richtlinie zur Arbeitszeit umgangen werden, die Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer zu erfassen. Eine entsprechende gesetzliche Regelung gibt es aber in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht.
Urteil des BAG
Das Bundesarbeitsgericht hat hier seine alte Rechtsprechung im Wesentlichen bestätigt und nochmals genau festgesetzt, was der Arbeitnehmer im Überstundenprozess genau vorzutragen und beweisen hat.
In der Pressemitteilung des BAG vom 04.05.2022 zur Nr. 16/22 führt das Bundesarbeitsgericht Folgendes aus:
Der Arbeitnehmer hat zur Begründung einer Klage auf Vergütung geleisteter Überstunden – kurz zusammengefasst – erstens darzulegen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden Umfang geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers hierzu bereitgehalten hat. Da der Arbeitgeber Vergütung nur für von ihm veranlasste Überstunden zahlen muss, hat der Arbeitnehmer zweitens vorzutragen, dass der Arbeitgeber die geleisteten Überstunden ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt hat. Diese vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Grundsätze zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für die Leistung von Überstunden durch den Arbeitnehmer und deren Veranlassung durch den Arbeitgeber werden durch die auf Unionsrecht beruhende Pflicht zur Einführung eines Systems zur Messung der vom Arbeitnehmer geleisteten täglichen Arbeitszeit nicht verändert.
BAG, Urteil vom 4. Mai 2022 – 5 AZR 359/21
Anmerkung:
Der Arbeitnehmer muss danach darlegen und notfalls beweisen:
- Wann und welchem Umfang er Überstunden geleistet hat.
- Der Arbeitgeber muss die Überstunden angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt haben.
Überstunden sind dabei die Stunden, welche die regelmäßige Arbeitszeit übersteigen.
Beispiel:
Im Arbeitsvertrag beträgt die regelmäßige Arbeitszeit 40 h pro Woche. Hier wäre die 41 Stunde, die erste Überstunden. Dabei ist unerheblich, wie sich die Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage verteilt!
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fristlose Kündigung – Lehrer mit Tätowierung „Meine Ehre heißt Treue“

Ein Lehrer (gelernter Lebensmittelchemiker – in der Schule seit 2016) im öffentlichem Dienst im Land Brandenburg zog bei einem Schulsportfest aufgrund großer Hitze sein T-Shirt aus. Die Schüler und auch die Kollegen konnten nun die Tätowierungen sehen.
Tätowierungen mit rechtsextremen Inhalt
Der Lehrer hatte u.a. folgende Tätowierungen: Am rechten Oberarm den Schriftzug „Legion Walhalla“ und auf dem linken Oberarm den Schriftzug „Odin statt Jesus“, jeweils in Frakturschrift. Im Bauchbereich stand „Meine Ehre heißt Treue“ in Frakturschrift darunter – nur bei bei stark abgesenktem Hosenbund zu sehen – stand unter dem Wort Treue der Zusatz „Liebe Familie“.
Stellungnahme gegenüber der Schule
Der Lehrer wurde auf dem Sportfest von einem Kollegen fotografiert und später wurde diese vom Schulleiter zu Rede gestellt. Er gab an, dass er keine rechte Gesinnung und keine Bezug zum Rechtsextremismus habe und ließ teilweise auch die Tätowierungen übertätowieren.
Strafverfahren und Verurteilung
Der Lehrer erstattete bei der Polizei daraufhin Selbstanzeige. Es erging ein Strafbefehl zu 40 Tagessätzen zu je 50,00 € aufgrund des Tattoos „Meine Ehre heißt Treue“ wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Der Lehrer legte gegen den Strafbefehl Einspruch ein und das Amtsgericht Oranienburg verurteilte den Kläger daraufhin zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung. Dagegen legte der Lehrer Berufung ein und wurde zur Zahlung einer Geldstrafe verurteilt.
Stellungnahme des Verfassungsschutzes
Das Schulamt legte dem Verfassungsschutz das Foto vom Oberkörper des Lehrers mit der Bitte um Bewertung vor. Der Staatsschutz äußerte gegenüber dem Schulamt, dass die Zurschaustellung der Symbole auf einen „harten Rechtsextremismus“ hindeute und erhebliche Zweifel an der Treuepflicht sowie an dem Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Lehrers bestünden.
fristlose Kündigung durch das Land
Das Land Brandenburg kündigte daraufhin dem Lehrer das Arbeitsverhältnis außerordentlich (und fristlos) und hilfsweise ordentlich.
Kündigungsschutzverfahren in Brandenburg und Berlin
Dagegen erhob der Lehrer Kündigungsschutzklage und gewann vor dem Arbeitsgericht Neuruppin. Das Land legte Berufung zum LAG Berlin-Brandenburg ein und gewann dort das Kündigungsschutzverfahren.
Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 11.5.2021 – 8 Sa 1655/20) entschied zu Gunsten des klagenden Landes führte dazu aus:
Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird durch die fristlose Kündigung des beklagten Landes vom 20.11.2019 zum 22.11.2019 aufgelöst. Die fehlende Eignung des Klägers stellt einen wichtigen Kündigungsgrund dar. Dem beklagten Land ist die weitere Beschäftigung des Klägers unzumutbar.
Ein offenbar gewordener Mangel an der Eignung eines Arbeitnehmers kann „an sich“ einen wichtigen Grund für eine Kündigung darstellen (BAG, 10.04.2014 – 2 AZR 684/13, NZA 2014, 1197 Rn. 14 zur fehlenden Eignung aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln).
Ein Eignungsmangel kann aus begründeten Zweifeln an der Verfassungstreue des Arbeitnehmers folgen. Die Verfassungstreue ist Bestandteil des Begriffs „Eignung“ in Art. 33 Absatz 2 GG (BAG, 12.05.2011 – 2 AZR 479/09, NZA-RR 2012, 43 Rn. 23 unter Hinweis auf BVerfG, 08.07.1997 – 1 BvR 2111/94, 1 BvR 195/95 und 1 BvR 2189/95, NJW 1997, 2307). Ob entsprechende Zweifel zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen können, hängt entscheidend davon ab, ob diese die allgemeine Aufgabenstellung des öffentlichen Arbeitgebers oder das konkrete Aufgabengebiet des Arbeitnehmers berühren. Das wiederum hängt maßgeblich davon ab, welche staatlichen Aufgaben der Arbeitgeber wahrzunehmen hat, welche Verhaltenspflichten dem Arbeitnehmer obliegen und welches Aufgabengebiet innerhalb der Verwaltung er zu bearbeiten hat (BAG, 12.05.2011 – 2 AZR 479/09, NZA-RR 2012, 43 Rn. 23; BAG, 20.07.1989 – 2 AZR 114/87, NZA 1990, 614).
Ein Lehrer muss den ihm anvertrauten Kindern und Jugendlichen glaubwürdig die Grundwerte unserer Verfassung vermitteln. In öffentlichen Schulen sollen die Kinder und Jugendlichen erkennen, dass Freiheit, Demokratie und sozialer Rechtsstaat Werte sind, für die einzusetzen es sich lohnt. Hat der Lehrer selbst kein positives Verhältnis zu den Grundwerten und Grundprinzipien unserer Verfassung, kann er den ihm anvertrauten Schülern nicht das Wissen und die Überzeugung vermitteln, dass diese Demokratie ein verteidigungswertes und zu erhaltendes Gut ist. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass ein solcher Lehrer die Schüler in seinem Sinne gegen die Grundwerte unserer Verfassung beeinflusst. Die Schüler sind diesen Einflüssen meist hilflos ausgeliefert. Die Lehrtätigkeit ist deshalb eine „Aufgabe von großer staatspolitischer Bedeutung“ (BAG, 31.03.1976 – 5 AZR 104/74, BAGE 28, 62 zu III. 1. e); BVerwG, 06.02.1975 – II C 68/73, NJW 1975, 1135 – zu II 2c der Gründe). Von dieser Erziehungsaufgabe ist der Kläger nicht deshalb entbunden, weil er in der Schule Naturwissenschaften unterrichtet. Die Vermittlung der Grundwerte der Verfassung liegt als allgemeines Erziehungs- und Unterrichtsprinzip der gesamten Tätigkeit eines Lehrers zu Grunde (BAG, 31.03.1976 – 5 AZR 104/74, BAGE 28, 62 zu III. 1. e).
Das Tragen einer Tätowierung stellt eine Pflichtverletzung dar, wenn und soweit diese durch ihren Inhalt gegen andere Pflichten verstößt. Das ist nicht nur der Fall, wenn sich aus dem Inhalt der Tätowierung eine Straftat ergibt – wie etwa im Falle der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach § 86 a Absatz 1 Nr. 1 StGB. Eine Tätowierung begründet vielmehr auch dann ein Dienstvergehen, wenn ihr Inhalt einen Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht offenbart (BVerwG, 17.11.2017 – 2 C 25/17, NJW 2018, 1185 Rn. 54). Der Annahme eines Verstoßes gegen die Verfassungstreuepflicht steht nicht entgegen, wenn einzelne Tätowierungen für sich genommen weder strafrechtlich zu beanstanden sind noch einen unmittelbaren Bezug zum Dritten Reich aufweisen (BVerwG, 17.11.2017 – 2 C 25/17, NJW 2018, 1185 Rn. 55; BVerfG, Beschluss vom 06.05.2008 – 2 BvR 337/08, NJW 2008, 2568 Rn. 31 und 34). Soweit durch Tätowierungen die Verfassungstreuepflicht berührt ist, betrifft dies ein unmittelbar kraft gesetzlicher Anordnung und Verfassungsrecht geltendes Eignungsmerkmal (BVerwG, 17.11.2017 – 2 C 25/17, NJW 2018, 1185 Rn.56 unter Verweis auf VG Düsseldorf, Beschluss vom 24.08.2017 – 2 L 3279/17, BeckRS 2017, 122612 Rn. 15).
aa. Die Tätowierung der unter Strafe stehenden Losung „Meine Ehre heißt Treue“ begründet den Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht.
Nach § 86 a StGB steht das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen unter Strafe. Bei dem Spruch „Meine Ehre heißt Treue“ handelt es sich um die Losung der nationalsozialistischen Schutzstaffel (SS) und geht auf Adolf Hitlers Satz „SS-Mann, deine Ehre heißt Treue!“ aus dem Jahr 1931 zurück (https://de.wikipedia.org/wiki/Meine_Ehre_hei%C3%9Ft_Treue). Die Verwendung der Losung steht gemäß § 86 a StGB unter Strafe (Bundesamt für Verfassungsschutz: Rechtsextremismus: Symbole, Zeichen und verbotene Organisationen, Oktober 2018, S. 65; https://www.politische-bildung-brandenburg.de/themen/die-extreme-rechte/lifestyle/gru%C3%9Fformen-und-losungen). Durch das Sichtbarmachen beim Sportfest hat der Kläger auch gezeigt, dass er sich mit dem Tattoo identifiziert.Die Verfassungstreuepflichtverletzung wird nicht dadurch relativiert oder gar negiert, dass der Kläger sich unter das Wort „Treue“ die Worte „Liebe Familie“ hat tätowieren lassen. Während sich der Spruch „Meine Ehre heißt Treue“ in Frakturschrift über den gesamten Bauchbereich über dem Hosenbund zieht, sind die Worte „Liebe Familie“ nur bei stark abgesenktem Hosenbund sichtbar. D. h., wenn der Kläger sich mit unbedecktem Oberkörper zeigt, ist der Zusatz für Dritte nicht lesbar. Die Relativierung, die der Kläger durch den Zusatz glauben machen will, tritt daher nicht offen zutage. Hätte der Kläger eine aus Treue, Liebe und Familie zusammengehörende Botschaft transportieren wollen, hätte er eine andere Anordnung gewählt.
https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE210010611
Anmerkung: Politische Tatoos bei Lehrern sind problematisch. Hier wurde durch die Tätowierung sogar eine Straftat begangen. Weshalb der Lehrer die „Selbstanzeige“ bei der Polizei gemacht hat, ist unverständlich.
Rechtsanwalt Andreas Martin
„Arschloch“ – Arbeitnehmer will € 4.100,00 an Schmerzensgeld vom Arbeitgeber

Beleidigung durch Vorgesetzten
Auch ein Arbeitnehmer kann Schmerzensgeld vom Arbeitgeber erhalten. Dies kommt aber selten vor und setzt in der Regel eine schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber voraus. Auch bei Arbeitsunfällen kommt nur selten ein Schmerzensgeldanspruch des Arbeitnehmers in Betracht. Am häufigsten ist ein solcher Anspruch auf eine immaterielle Entschädigung noch beim sog. Mobbing gegenüber dem Arbeitnehmer im Betrieb.
Rücksichtsnahmepflichten aus dem Arbeitsverhältnis
Aus einem Arbeitsverhältnis ergeben sich verschiedene Schutz- und Rücksichtsnahmepflichten als Nebenpflichten aus dem Arbeitsvertrag. Eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag besteht doch darin, dass man das allgemeine Persönlichkeitsrecht der anderen Seite, also des Vertragspartners, achtet und dieses nicht verletzt.
Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
Eine solche Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes liegt zum Beispiel dann vor, wenn eine Beleidigung gegenüber der anderen Seite ausgesprochen wird. Eine Beleidigung ist nach § 185 Strafgesetzbuch darüberhinaus auch eine Straftat.
Haftung des Arbeitgebers für eingesetzte Vorgesetzte
Der Arbeitgeber kann dabei auch für seine Untergebenen, die als Vorgesetzte der Arbeitnehmer fungieren, haften.
Schmerzensgeld und schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung
Bei einer starken Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes kann es durchaus sein, dass der Arbeitnehmer, der am Persönlichkeitsrecht vom Arbeitgeber schwer verletzt wird, gegenüber dem Arbeitgeber einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld hat. Hierbei zu beachten, dass eine einfache Verletzung des Persönlichkeitsrechtes aber nicht ausreicht. Es muss ein schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber oder einer dem Arbeitgeber zurechenbaren Person vorliegen. In einem solchen Fall-welcher in der Praxis wahrscheinlich eher selten vorkommt-hat dann der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld gegenüber dem Arbeitgeber.
Höhe eines möglichen Schmerzensgeldes
Bei der Frage, in welcher Höhe dann ein solcher Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld besteht, gibt es keine eindeutige gesetzliche Regelung (§ 253 BGB).
Die gesetzliche Regelung des § 253 BGB lautet:
§ 253 Immaterieller Schaden
(1) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden.
§ 253 BGB
(2) Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden.
billige Entschädigung in Geld
Der Schmerzensgeld liegt als „billige Entschädigung“ letztendlich im Ermessen des Gerichtes. In der Regel greifen Anwälte, um eine entsprechende Schmerzensgeld der Höhe nach bestimmen zu können, auf sogenannte Schmerzensgeldkatalog zurück. Dort sind-vor allen für körperliche Verletzungen-die Art der Verletzung und die Umstände des Einzelfalls aufgeführt und dann auch die entsprechende Entscheidung des Gerichtes mit der Höhe des damals zugesprochenen Schmerzensgeldes aufgelistet. Daran kann man sich grob orientieren. In der Regel wird der Anwalt immer etwas mehr Schmerzensgeld gerichtlich beantragen als er für realistisch hält, das Gericht bei einem bezifferten Schmerzengsgeldbetrag (anders beim Mindestschmerzensgeldantrag) nicht mehr zusprechen kann.
Fall des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen
Im vorliegenden Fall war so, dass ein Arbeitnehmer, der von einem Vorgesetzten aufgefordert wurde einen Coronatest beizubringen im Anschluss mit der Formulierung „Arschloch „betitelt wurde. Sodann wurde der Arbeitnehmer nach Hause geschickt.
Der Arbeitnehmer erhob auch später Klage, auch auf Feststellung, dass der Arbeitgeber von ihm keinen Coronatest verlangen durfte und darüber hinaus auch auf Zahlung von sogenannten Annahmeverzugslohn, da er den Test nicht sofort beibringen konnte. Der Annahmeverzugslohn wurde teilweise hier durch das Gericht zugesprochen, dass es die Aufgabe des Arbeitgebers gewesen wäre den Arbeitnehmer den Test mitzugeben, da der Arbeitgeber hierfür verantwortlich war.
Schmerzensgeldklage gegen den Arbeitgeber
Darüberhinaus wollte der Arbeitnehmer mit seiner Klage auch 4.100 € brutto an Schmerzensgeld vom Arbeitgeber, da er durch den Vorgesetzten (nicht vom Arbeitgeber selbst) mit dem Wort „Arschloch“ betitelt wurde und meinte, dass dies ein schwerwiegender Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht sei, welcher einen Anspruch auf Schmerzensgeld in derartiger Höhe rechtfertigte.
Entscheidung des Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen
Das Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen (Urteil vom 22.10.2021 – 2 Ca 52/21) sah dies aber nicht so und lehnte den Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld des Arbeitnehmer mit der Begründung ab, dass vielleicht eine allgemeine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers vorliegen würde, aber die Rechtsverletzung aber kein schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellen würde.
Begründung des Gerichts
Dazu führte das Gericht folgendes aus:
a) Ein Anspruch auf Geldentschädigung wegen der Verletzung des Persönlichkeitsrechts folgt grundsätzlich aus § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 1, 2 GG.
Nach ständiger Rechtsprechung setzt der Entschädigungsanspruch wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts voraus, dass ein schwerwiegender Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vorliegt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann (BGH vom 15. November 1994 – VI ZR 56/94; LAG Baden-Württemberg vom 12. Juni 2006 – 4 Sa 68/05). Das hängt insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab (BGH vom 30. Januar 1996 – VI ZR 386/94).
Bei der Anwendung der für einen Anspruch auf Geldentschädigung maßgeblichen Tatbestandsmerkmale einer schwerwiegenden Verletzung des Persönlichkeitsrechts und der mangelnden Möglichkeit anderweitiger Genugtuung haben die Gerichte die Fundierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Würde des Menschen zu beachten. Art. 1 Abs. 1 GG verpflichtet den Staat, alle Menschen gegen Angriffe auf die Menschenwürde zu schützen; der Schutz der Menschenwürde ist absolut und erstreckt sich auf alle Lebensbereiche. Der sich aus der Menschenwürde ergebende Achtungsanspruch kann verletzt werden, wenn die Diffamierung einer Person Ausdruck ihrer Missachtung ist, etwa durch Leugnung oder Herabsetzung der persönlichen Eigenschaften und Merkmale, die das Wesen des Menschen ausmachen. Die Feststellung einer solchen Verletzung durch eine Äußerung setzt eine deren Wortlaut und Begleitumstände berücksichtigende Deutung voraus (LG Oldenburg vom 7. Februar 2013 – 5 S 595/12 m. w. N.).
Eine Beleidigung kann also grundsätzlich – allerdings abhängig von den konkreten Umständen – einen Schmerzensgeldanspruch nach sich ziehen.
… Vorliegend sieht die Kammer jedoch keinen solchen Anspruch als begründet an, weil es an einem schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers infolge der zu betrachtenden Umstände fehlt.
Zu berücksichtigen ist hier nach Auffassung der Kammer zunächst, dass es sich um eine einmalige Beleidigung des Vorgesetzten gegenüber dem Kläger handelte. Jedenfalls trägt der Kläger selbst nicht vor, dass es schon öfter von Seiten des Vorgesetzten ihm gegenüber zu Beschimpfungen gekommen wäre. Hinzu kommt, dass die Beleidigung zu einem Zeitpunkt erfolgte, in dem die allgemeine Lage durch Corona generell angespannt war, die Nerven aller damit „blank“ lagen und im Unternehmen der Beklagten in der Schicht des Klägers zudem ein aktueller Corona-Fall aufgetreten war. Zu berücksichtigen war zudem, dass der Kläger im Oktober 2020 unstreitig im Unternehmen durch die Verbreitung von Verschwörungstheorien Corona betreffend aufgefallen war, indem er entsprechende Flugblätter an Kollegen verteilte (vgl. Bl. 37 f. d. A.), sodass die Kammer – ohne dies indes gutzuheißen – nachvollziehen kann, dass in einer derartigen Gemengelage und zudem in der Produktion, in der meistens ein rauerer Umgangston herrscht, „im Affekt“ eine einmalige Beleidigung wie die streitgegenständliche fallen kann.
Eine schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das einen Geldentschädigungsanspruch nach sich zieht, sieht die Kammer aus den genannten Gründen in der Beleidigung also nicht, zumal auch der Kläger selbst nicht angibt, dass und in welcher Art und Weise er sich durch die Beleidigung in seiner Würde tatsächlich herabgesetzt gefühlt hat.
Ein Schmerzensgeldanspruch war also abzulehnen. ….
Urteil des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen vom 22.10.2021 – 2 Ca 52/21
Anmerkung
Man darf das Urteil nicht falsch verstehen. Das Gericht sagt ausdrücklich, dass eine Beleidigung durchaus eine schwere Persönlichkeitsverletzung darstellen kann, die einen Schmerzensgeldanspruch des Beleidigten zur Folge haben kann. In diesem Einzelfall aber, meinte das Gericht aber, dass eine solche schwere Verletzung nicht vorliegt, da hier faktisch eine Handlung im Affekt vorgelegen hat und es sich um eine einmalige Angelegenheit gehandelt hat. Dies kann man durchaus auch anders sehen, allerdings wäre ohnehin der Schmerzensgeld hier wohl überhöht gewesen.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht in Berlin
Fristlose Kündigung eines Betriebsrats wegen Veröffentlichung persönlicher Daten anderer Arbeitnehmer

Betriebsräte genießen einen besonderen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz. Geregelt ist dieser Sonderkündigungsschutz in § 15 des Kündigungsschutzgesetzes. Allerdings schützt dieser Kündigungsschutz nur vor einer ordentlichen Kündigung des Arbeitgebers. Wenn der Arbeitgeber einen außerordentlichen Kündigungsgrund hat, dann kann er auch das Arbeitsverhältnis eines Betriebsrates durch fristlose Kündigung beenden. In der Praxis kommt es eher nicht so häufig vor, dass ein wichtiger Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB vorliegt, sodass der Arbeitgeber außerordentlich aus wichtigem Grund das Arbeitsverhältnis eines Betriebsrates kündigen kann.
außerordentliche Kündigung und Betriebsrat
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hatte nun über einen solchen Fall zu entscheiden.
Sachverhalt des Landesarbeitsgerichts
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Zwischen dem Arbeitnehmer, der Betriebsrat war, und dem Arbeitgeber gab es ein Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht. Noch vor Rechtskraft der Entscheidung veröffentlichte der Betriebsrat die Prozessakten zu seinem Fall über eine Dropbox und gab so anderen Mitarbeitern die Möglichkeit dieser einzusehen. In den Prozessakten wurden persönliche Daten anderer Arbeitnehmer, insbesondere auch Gesundheitsdaten unter Nennung des vollen Namens, veröffentlicht.
fristlose Kündigung wegen Verletzung des Datenschutzes
Als der Arbeitgeber davon erfuhr, kündigte er außerordentlich und fristlos das Arbeitsverhältnis des Betriebsrats.
Der Betriebsrat wehrte sich gegen diese außerordentliche Kündigung mittels einer Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht.
Datenschutz im Arbeitsverhältnis
Der Betriebsrat argumentierte vor dem Arbeitsgericht, dass die Kündigung unwirksam ist. Nach Meinung des Betriebsrats bestehe keine Vorschrift, die es gebiete, Prozessakten geheim zu halten, im Übrigen sei ein Datenschutzverstoß schon deshalb abzulehnen, da er mit Blick auf Art. 2 Abs. 2c DS-GVO ausschließlich im Rahmen „persönlicher oder familiärer Tätigkeiten“ gehandelt habe.
Der als Betriebsrat tätige Arbeitnehmer verlor das Verfahren vor dem Arbeitsgericht und legte Berufung zum LAG ein.
Entscheidung des Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Das LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 25.03.2022, 7 Sa 63/21) entschied gegen den Arbeitnehmer.
In der Pressemitteilung vom 25. März 2022 führte das Landesarbeitsgericht dazu aus:
Wer im Rahmen eines von ihm angestrengten Gerichtsverfahrens bestimmte Schriftsätze der Gegenseite, in denen Daten, insbesondere auch besondere Kategorien personenbezogener Daten (Gesundheitsdaten), verarbeitet werden, der Betriebsöffentlichkeit durch die Verwen- dung eines zur Verfügung gestellten Links offenlegt und dadurch auch die Weiterverbreitungs- möglichkeit eröffnet, ohne dafür einen rechtfertigenden Grund zu haben, verletzt rechtswidrig und schuldhaft Persönlichkeitsrechte der in diesen Schriftsätzen namentlich benannten Perso- nen mit der Folge, dass vorliegend die außerordentliche Kündigung der Beklagten gerechtfer- tigt ist. Die Wahrnehmung berechtigter Interessen des Klägers lag jedenfalls insofern nicht vor, als die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts am Tage der Zurverfügungstel- lung des Links noch nicht vorlagen und dem Kläger auch noch die Möglichkeit offenstand, ge- gen das Urteil das Rechtsmittel der Berufung einzulegen, um in diesem Verfahren seinen Standpunkt darzulegen.
LAG BW Urteil vom 25.03.2022, 7 Sa 63/21
Anmerkung:
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erscheint hier recht hart. Es ist aber zu beachten, dass der Arbeitnehmer hier ohne nachvollziehbaren Grund-das Arbeitsgerichtsverfahren war noch nicht einmal rechtskräftig-die Schriftsätze veröffentlicht hat und in diesen Schriftsätzen die Gesundheitsdaten mehrerer anderer Arbeitnehmer, die nichts mit dem Verfahren zu tun haben, veröffentlicht waren. Gerade die Sensibilität dieser Daten war der Grund für die harte Entscheidung des Landesarbeitsgerichts.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht
Kündigung oder Abmahnung wegen Verspätung möglich?

Bei Verspätung des Arbeitnehmers drohen Abmahnung und Kündigung. So, oder so ähnlich dürfte dies den meisten Arbeitnehmern bekannt sein. Diese Aussage ist grundsätzlich auch richtig und ernst zunehmen.
Ist das Zuspätkommen eine Abmahngrund oder Kündigungsgrund?
Der Arbeitnehmer ist grundsätzlich verpflichtet seine Arbeitsleistung zu der Uhrzeit zu beginnen und zu der Uhrzeit zu beenden, wie dies im Arbeitsvertrag geregelt ist. Findet sich im Arbeitsvertrag, was häufig der Fall ist, diesbezüglich keine ausdrückliche Regelung, so kann der Arbeitgeber im Rahmen seiner Weisungsbefugnis den Beginn und das Ende der Arbeitszeit einseitig festlegen. Der Arbeitnehmer ist von daher verpflichtet pünktlich zum Arbeitsbeginn zu erscheinen. Der verspätete Arbeitsbeginn ist eine Pflichtverletzung, welche zur Abmahnung und manchmal sogar zur Kündigung führen kann.
Droht eine Kündigung ohne Abmahnung bei einer Verspätung?
Zunächst kommt es darauf an, ob die Verspätung verschuldet ist oder unverschuldet ist. In den meisten Fällen dürfte es sich um eine verschuldete Verspätung handeln. Weiter spielt eine erhebliche Rolle, ob der Arbeitnehmer bereits zuvor unpünktlich die Arbeit begonnen hat oder ob es sich um ein einmaligen Vorfall handelt. Auch die Dauer der Verspätung ist von Bedeutung. Liegt eine (verschuldete) Pflichtverletzung vor, ist eine Abmahnung oder sogar eine verhaltensbedingte Kündigung möglich.
Wann ist eine Verspätung nicht selbstverschuldet?
Konnte der Arbeitnehmer trotz umsichtiger Planung die Verspätung nicht verhindern ist diese unverschuldet. Von einer nicht selbstverschuldeten Verspätung kann man zum Beispiel in folgenden Fällen ausgehen:
- unverschuldeter Verkehrsunfall auf Weg zur Arbeit
- unvorhersehbarer Ausfall des öffentlichen Nachverkehrs
- Erste-Hilfe-Leistung beim Unglücksfall
- Notfall in Familie
- medizinischer Notfall beim Arbeitnehmer
Darf der Arbeitgeber bei einem unverschuldeten Zuspätkommen abmahnen oder kündigen?
Nein, in der Regel nicht, da kein Verschulden des Arbeitnehmers vorliegt.
Ist eine Verspätung wegen eines Verkehrsstau´s verschuldet?
Ja, in der Regel schon. Der Arbeitnehmer muss mit einem Stau rechnen und sich darauf einstellen und entsprechend vorplanen. Wer auf den "letzten Drücker" zur Arbeit fährt und hofft, dass schon alles gut gehen wird, handelt bei einer Verspätung nicht unverschuldet.
Typische Fälle eine selbstverschuldeten Verspätung sind:
- gewöhnlicher Stau
- Verschlafen
- Bus / Bahn verpasst
Kann man bei einer einmaligen Verspätung schon abgemahnt werden?
Bei einer Verspätung ist eine Abmahnung immer nur dann möglich, wenn es sich um ein verschuldetes Fehlverhalten des Arbeitnehmers handelt. Dabei kann auch schon bei der ersten (einmaligen) Verspätung abgemahnt werden. Allerdings ist auch eine Abmahnung wegen des verspäteten Arbeitsantritts ausgeschlossen, wenn nur eine minimale Verspätung vorliegt.
Beispiel: Arbeitnehmer kommt nach 20 Jahren Betriebsangehörigkeit ausnahmsweise 1 min zur spät zur Arbeit und entschuldigt sich beim Arbeitgeber dafür.
Darf der Arbeitgeber bereits beim ersten Zuspätkommen das Arbeitsverhältnis kündigen?
Der Arbeitgeber wird hier in der Regel zunächst abmahnen müssen. Bei der einmaligen Verspätung ist in der Regel eine außerordentliche bzw. ordentliche Kündigung nicht möglich. Allerdings gibt es auch Fälle, wo dies ausnahmsweise zur sofortigen Kündigung führen kann und zwar dann, wenn der Arbeitnehmer durch sein Verhalten eine beharrliche Arbeitsverweigerung zeigt.
Gibt es Entscheidungen von Arbeitsgerichten für eine Kündigung beim einer einmaligen Verspätung?
Ja, so hat zum Beispiel das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (Urteil vom 31.8.2021 – 1 Sa 70 öD/21) entschieden, dass bei der Verspätung an drei von vier Arbeitstagen von einem hartnäckigen uneinsichtigen Fehlverhalten des Arbeitnehmers auszugehen ist, dass auch ohne vorherige Abmahnung eine ordentliche Kündigung des Arbeitgebers rechtfertigt.
In der Regel ist aber zunächst der Arbeitnehmer abzumahnen.
Was gilt beim häufigen verspäteten Arbeitsantritt?
Kommt der Arbeitnehmer häufiger zu spät, kann der Arbeitgeber den ersten Verstoß abmahnen und unter Umständen beim zweiten oder dritten Verstoß ordentlich aus verhaltensbedingten Gründen kündigen. Allerdings kommt es immer auf den Einzelfall an. So können sogar mehrere Abmahnungen vor einer Kündigung erforderlich sein, wenn das Zuspätkommen nur ein paar Minuten beträgt.
Droht eine Kündigung bei Unpünktlichkeit, wenn schon abgemahnt wurde?
Verspätet sich der Arbeitnehmer weiterhin, obwohl er-vor kurzer Zeit-wegen dieses Verhaltens abgemahnt wurde, ist eine ordentliche Kündigung grundsätzlich möglich. Wie bei jeder ordentlichen Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen ist aber eine Interessenabwägung vorzunehmen. Dabei sind das Interesse des Arbeitgebers an einen geordneten Betriebsablauf mit dem Interessen des Arbeitnehmers an der Erhaltung des Arbeitsplatzes abzuwägen.
Es spielt aber eine Rolle:
- wie oft der Arbeitnehmer zu spät gekommen ist,
- wie oft eine Abmahnung ausgesprochen ist,
- welche Auswirkungen die Verspätung auf dem Betriebsablauf gehabt hat und
- wie lange der Arbeitnehmer bereits im Betrieb beschäftigt ist.
Kann der Arbeitgeber wegen der bereits abgemahnten Unpünktlichkeit nicht gleich fristlos kündigen?
Nein, in der Regel nicht.
Eine außerordentliche, fristlose Kündigung ist nur in Ausnahmefällen möglich.
Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (Urteil vom 08.12.2016 – 2 Sa 188/16) hat dazu entschieden, dass eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen beharrlich verspäteter Arbeitsaufnahme unwirksam ist, auch wenn ein Arbeitnehmer häufig zu spät zur Arbeit erscheint und damit seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis verletzt. In der Regel kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nur durch eine ordentliche Kündigung lösen.
"Eine außerordentliche Kündigung aus diesem Grunde kommt ausnahmsweise in Betracht, wenn die Unpünktlichkeit des Arbeitnehmers den Grad und die Auswirkung einer beharrlichen Verletzung seiner Arbeitspflicht erreicht hat. Eine beharrliche Verletzung der Pflichten aus dem Arbeitsvertrag liegt insbesondere dann vor, wenn eine Pflichtverletzung trotz Abmahnung wiederholt begangen wird."
Wie kann sich der Arbeitnehmer gegen eine Abmahnung bzw. gegen eine Kündigung wehren?
Mahnt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer wegen der Verspätung ab, so kann dieser gegen die Abmahnung gerichtlich vorgehen und eine sogenannte Entfernungsklage erheben. In der Regel ist dies aber nicht die sinnvollste Variante. Oft ist es besser eine kurze Gegendarstellung abzugeben und bei einem möglichen Kündigungsschutzverfahren sich dann gegen die Abmahnung gerichtlich zu wehren und dessen Wirksamkeit zu bestreiten. Dies ist auch später noch möglich.
Bei der Kündigung besteht für den Arbeitnehmer die Möglichkeit mittels Kündigungsschutzklage sich gegen die Kündigung vor dem Arbeitsgericht zu wehren. Oft wird die Interessenabwägung bei einer ordentlichen Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen nicht sorgfältig durch den Arbeitgeber vorgenommen. Kommt der langjährige beschäftigte Arbeitnehmer an zwei aufeinanderfolgenden Tagen wenige Minuten zu spät und ist er am ersten Tag abgemahnt worden, so wird man in der Regel hier noch nicht das Arbeitsverhältnis kündigen dürfen. Es ist oft gar nicht so einfach einzuschätzen-zumindest für den juristischen Laien-ob tatsächlich schon eine Kündigung hier möglich ist oder ob der Arbeitgeber nochmals hätte abmahnen müssen.
Kann der Arbeitgeber bei Verspätung den Lohn kürzen?
Grundsätzlich muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nur dann bezahlen, wenn dieser seine Arbeit auch tatsächlich antritt. Für die Minuten bzw. Stunden, die der Arbeitnehmer nicht arbeitet, muss der Arbeitgeber keinen Lohn zahlen.
Wichtig ist dabei zu wissen, dass die Arbeit wegen des Fixschuldcharakters auch nicht nachgeholt werden kann. In der Regel wird der Arbeitgeber hier-mit Recht-den Lohn kürzen. Es gilt der Grundsatz "ohne Arbeit kein Lohn".
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Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht Berlin