Anspruch
„Arschloch“ – Arbeitnehmer will € 4.100,00 an Schmerzensgeld vom Arbeitgeber

Beleidigung durch Vorgesetzten
Auch ein Arbeitnehmer kann Schmerzensgeld vom Arbeitgeber erhalten. Dies kommt aber selten vor und setzt in der Regel eine schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber voraus. Auch bei Arbeitsunfällen kommt nur selten ein Schmerzensgeldanspruch des Arbeitnehmers in Betracht. Am häufigsten ist ein solcher Anspruch auf eine immaterielle Entschädigung noch beim sog. Mobbing gegenüber dem Arbeitnehmer im Betrieb.
Rücksichtsnahmepflichten aus dem Arbeitsverhältnis
Aus einem Arbeitsverhältnis ergeben sich verschiedene Schutz- und Rücksichtsnahmepflichten als Nebenpflichten aus dem Arbeitsvertrag. Eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag besteht doch darin, dass man das allgemeine Persönlichkeitsrecht der anderen Seite, also des Vertragspartners, achtet und dieses nicht verletzt.
Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
Eine solche Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes liegt zum Beispiel dann vor, wenn eine Beleidigung gegenüber der anderen Seite ausgesprochen wird. Eine Beleidigung ist nach § 185 Strafgesetzbuch darüberhinaus auch eine Straftat.
Haftung des Arbeitgebers für eingesetzte Vorgesetzte
Der Arbeitgeber kann dabei auch für seine Untergebenen, die als Vorgesetzte der Arbeitnehmer fungieren, haften.
Schmerzensgeld und schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung
Bei einer starken Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes kann es durchaus sein, dass der Arbeitnehmer, der am Persönlichkeitsrecht vom Arbeitgeber schwer verletzt wird, gegenüber dem Arbeitgeber einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld hat. Hierbei zu beachten, dass eine einfache Verletzung des Persönlichkeitsrechtes aber nicht ausreicht. Es muss ein schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber oder einer dem Arbeitgeber zurechenbaren Person vorliegen. In einem solchen Fall-welcher in der Praxis wahrscheinlich eher selten vorkommt-hat dann der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld gegenüber dem Arbeitgeber.
Höhe eines möglichen Schmerzensgeldes
Bei der Frage, in welcher Höhe dann ein solcher Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld besteht, gibt es keine eindeutige gesetzliche Regelung (§ 253 BGB).
Die gesetzliche Regelung des § 253 BGB lautet:
§ 253 Immaterieller Schaden
(1) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden.
§ 253 BGB
(2) Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden.
billige Entschädigung in Geld
Der Schmerzensgeld liegt als „billige Entschädigung“ letztendlich im Ermessen des Gerichtes. In der Regel greifen Anwälte, um eine entsprechende Schmerzensgeld der Höhe nach bestimmen zu können, auf sogenannte Schmerzensgeldkatalog zurück. Dort sind-vor allen für körperliche Verletzungen-die Art der Verletzung und die Umstände des Einzelfalls aufgeführt und dann auch die entsprechende Entscheidung des Gerichtes mit der Höhe des damals zugesprochenen Schmerzensgeldes aufgelistet. Daran kann man sich grob orientieren. In der Regel wird der Anwalt immer etwas mehr Schmerzensgeld gerichtlich beantragen als er für realistisch hält, das Gericht bei einem bezifferten Schmerzengsgeldbetrag (anders beim Mindestschmerzensgeldantrag) nicht mehr zusprechen kann.
Fall des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen
Im vorliegenden Fall war so, dass ein Arbeitnehmer, der von einem Vorgesetzten aufgefordert wurde einen Coronatest beizubringen im Anschluss mit der Formulierung „Arschloch „betitelt wurde. Sodann wurde der Arbeitnehmer nach Hause geschickt.
Der Arbeitnehmer erhob auch später Klage, auch auf Feststellung, dass der Arbeitgeber von ihm keinen Coronatest verlangen durfte und darüber hinaus auch auf Zahlung von sogenannten Annahmeverzugslohn, da er den Test nicht sofort beibringen konnte. Der Annahmeverzugslohn wurde teilweise hier durch das Gericht zugesprochen, dass es die Aufgabe des Arbeitgebers gewesen wäre den Arbeitnehmer den Test mitzugeben, da der Arbeitgeber hierfür verantwortlich war.
Schmerzensgeldklage gegen den Arbeitgeber
Darüberhinaus wollte der Arbeitnehmer mit seiner Klage auch 4.100 € brutto an Schmerzensgeld vom Arbeitgeber, da er durch den Vorgesetzten (nicht vom Arbeitgeber selbst) mit dem Wort „Arschloch“ betitelt wurde und meinte, dass dies ein schwerwiegender Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht sei, welcher einen Anspruch auf Schmerzensgeld in derartiger Höhe rechtfertigte.
Entscheidung des Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen
Das Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen (Urteil vom 22.10.2021 – 2 Ca 52/21) sah dies aber nicht so und lehnte den Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld des Arbeitnehmer mit der Begründung ab, dass vielleicht eine allgemeine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers vorliegen würde, aber die Rechtsverletzung aber kein schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellen würde.
Begründung des Gerichts
Dazu führte das Gericht folgendes aus:
a) Ein Anspruch auf Geldentschädigung wegen der Verletzung des Persönlichkeitsrechts folgt grundsätzlich aus § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 1, 2 GG.
Nach ständiger Rechtsprechung setzt der Entschädigungsanspruch wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts voraus, dass ein schwerwiegender Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vorliegt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann (BGH vom 15. November 1994 – VI ZR 56/94; LAG Baden-Württemberg vom 12. Juni 2006 – 4 Sa 68/05). Das hängt insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab (BGH vom 30. Januar 1996 – VI ZR 386/94).
Bei der Anwendung der für einen Anspruch auf Geldentschädigung maßgeblichen Tatbestandsmerkmale einer schwerwiegenden Verletzung des Persönlichkeitsrechts und der mangelnden Möglichkeit anderweitiger Genugtuung haben die Gerichte die Fundierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Würde des Menschen zu beachten. Art. 1 Abs. 1 GG verpflichtet den Staat, alle Menschen gegen Angriffe auf die Menschenwürde zu schützen; der Schutz der Menschenwürde ist absolut und erstreckt sich auf alle Lebensbereiche. Der sich aus der Menschenwürde ergebende Achtungsanspruch kann verletzt werden, wenn die Diffamierung einer Person Ausdruck ihrer Missachtung ist, etwa durch Leugnung oder Herabsetzung der persönlichen Eigenschaften und Merkmale, die das Wesen des Menschen ausmachen. Die Feststellung einer solchen Verletzung durch eine Äußerung setzt eine deren Wortlaut und Begleitumstände berücksichtigende Deutung voraus (LG Oldenburg vom 7. Februar 2013 – 5 S 595/12 m. w. N.).
Eine Beleidigung kann also grundsätzlich – allerdings abhängig von den konkreten Umständen – einen Schmerzensgeldanspruch nach sich ziehen.
… Vorliegend sieht die Kammer jedoch keinen solchen Anspruch als begründet an, weil es an einem schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers infolge der zu betrachtenden Umstände fehlt.
Zu berücksichtigen ist hier nach Auffassung der Kammer zunächst, dass es sich um eine einmalige Beleidigung des Vorgesetzten gegenüber dem Kläger handelte. Jedenfalls trägt der Kläger selbst nicht vor, dass es schon öfter von Seiten des Vorgesetzten ihm gegenüber zu Beschimpfungen gekommen wäre. Hinzu kommt, dass die Beleidigung zu einem Zeitpunkt erfolgte, in dem die allgemeine Lage durch Corona generell angespannt war, die Nerven aller damit „blank“ lagen und im Unternehmen der Beklagten in der Schicht des Klägers zudem ein aktueller Corona-Fall aufgetreten war. Zu berücksichtigen war zudem, dass der Kläger im Oktober 2020 unstreitig im Unternehmen durch die Verbreitung von Verschwörungstheorien Corona betreffend aufgefallen war, indem er entsprechende Flugblätter an Kollegen verteilte (vgl. Bl. 37 f. d. A.), sodass die Kammer – ohne dies indes gutzuheißen – nachvollziehen kann, dass in einer derartigen Gemengelage und zudem in der Produktion, in der meistens ein rauerer Umgangston herrscht, „im Affekt“ eine einmalige Beleidigung wie die streitgegenständliche fallen kann.
Eine schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das einen Geldentschädigungsanspruch nach sich zieht, sieht die Kammer aus den genannten Gründen in der Beleidigung also nicht, zumal auch der Kläger selbst nicht angibt, dass und in welcher Art und Weise er sich durch die Beleidigung in seiner Würde tatsächlich herabgesetzt gefühlt hat.
Ein Schmerzensgeldanspruch war also abzulehnen. ….
Urteil des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen vom 22.10.2021 – 2 Ca 52/21
Anmerkung
Man darf das Urteil nicht falsch verstehen. Das Gericht sagt ausdrücklich, dass eine Beleidigung durchaus eine schwere Persönlichkeitsverletzung darstellen kann, die einen Schmerzensgeldanspruch des Beleidigten zur Folge haben kann. In diesem Einzelfall aber, meinte das Gericht aber, dass eine solche schwere Verletzung nicht vorliegt, da hier faktisch eine Handlung im Affekt vorgelegen hat und es sich um eine einmalige Angelegenheit gehandelt hat. Dies kann man durchaus auch anders sehen, allerdings wäre ohnehin der Schmerzensgeld hier wohl überhöht gewesen.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht in Berlin
Kein Mindestlohn für Pflichtpraktika!

Was ist der gesetzliche Mindestlohn?
Der gesetzliche Mindestlohn garantiert Arbeitnehmern ein Mindestentgelt. Alle Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland haben von daher Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Dieser darf nicht unterschritten werden. Geregelt ist ein "Mindeststundenlohn" in Form eines Bruttolohns.
Wo ist der Mindestlohn geregelt?
Der Mindestlohn ist im Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (Mindestlohngesetz – MiLoG) geregelt, welches im Jahr 2015 erlassen wurde.
Muss der Mindestlohn gezahlt werden?
Ja, zur Zahlung (wenigstens) des gesetzlichen Mindestlohnes ist der Arbeitgeber verpflichtet. Er darf den Arbeitnehmer auch nicht unter Druck setzen, so dass dieser für weniger als für den gesetzlichen Mindestlohn arbeitet. Eine Kündigung, da sich der Arbeitnehmer weigert, für ein geringeres Entgelt als den Mindestlohn zu arbeiten, ist unwirksam.
Gilt der gesetzliche Mindestlohn auch für Praktikanten?
Ja, der Mindestlohn gilt nicht ausschließlich für Arbeitnehmer. Was viele Arbeitnehmer eben nicht wissen ist, dass der Mindestlohn grundsätzlich auch für Praktikanten gilt. Allerdings ist je nach der Art des Praktikums zu unterscheiden. Nicht für jeden Praktikanten besteht ein Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Dies hat das Bundesarbeitsgericht in einer jüngsten Entscheidung nun nochmals klargestellt. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass Praktikanten, die ein Pflichtpraktikum absolvieren, welches Voraussetzung für die Zulassung zum Studium ist, keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn haben.
Dazu wie folgt:
Das Mindestlohngesetz regelt seit dem Jahr 2015 die Mindestanspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitslohn. Nach dem Mindestlohngesetz ist genau geregelt, welchen gesetzlichen Stundenlohn Arbeitnehmer und Praktikanten wenigstens erhalten müssen. Ursprünglich betrug der Mindestlohn 7,50 €. In diesem Jahr soll der Mindestlohn-so die Bundesregierung-auf 12,00 Euro brutto die Stunde angehoben werden. Vermutlich geschieht dies in der zweiten Jahreshälfte 2022. Ansonsten "entscheidet" eine Mindestlohnkommission darüber, in welcher Höhe der Mindestlohn angepasst werden soll. Genau formuliert unterbreitet die Mindestlohnkommission einen Vorschlag und sodann wird durch Rechtsverordnung die kommende Höhe des Mindestlohnes festgesetzt. Vorgesehen ist, dass der Mindestlohn sich an den tatsächlich geänderten Verhältnissen anpasst. Der Mindestlohn ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen.
Was regelt das Mindestlohngesetz in Bezug auf Praktikanten?
In § 22 des Mindestlohngesetzes hat der Gesetzgeber eine Regelung getroffen, für welche Fälle Praktikanten keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn haben. Allerdings ist es so, wie so oft, dass der Gesetzgeber nicht alle Einzelheiten regeln kann und auch nicht will. Die Rechtsprechung ist gehalten entsprechende Lücken zu schließen. Dies hat das Bundesarbeitsgericht nun getan.
Wie lautet die gesetzliche Regelung des § 22 MiLoG?
Die gesetzliche Regelung zu den Praktikanten im Mindestlohngesetz lautet wie folgt:
§ 22 MiLoG Persönlicher Anwendungsbereich
(1) Dieses Gesetz gilt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Praktikantinnen und Praktikanten im Sinne des § 26 des Berufsbildungsgesetzes gelten als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes, es sei denn, dass sie 1. ein Praktikum verpflichtend auf Grund einer schulrechtlichen Bestimmung, einer Ausbildungsordnung, einer hochschulrechtlichen Bestimmung oder im Rahmen einer Ausbildung an einer gesetzlich geregelten Berufsakademie leisten, 2. ein Praktikum von bis zu drei Monaten zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums leisten, 3. ein Praktikum von bis zu drei Monaten begleitend zu einer Berufs- oder Hochschulausbildung leisten, wenn nicht zuvor ein solches Praktikumsverhältnis mit demselben Ausbildenden bestanden hat, oder 4. an einer Einstiegsqualifizierung nach § 54a des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder an einer Berufsausbildungsvorbereitung nach §§ 68 bis 70 des Berufsbildungsgesetzes teilnehmen. Praktikantin oder Praktikant ist unabhängig von der Bezeichnung des Rechtsverhältnisses, wer sich nach der tatsächlichen Ausgestaltung und Durchführung des Vertragsverhältnisses für eine begrenzte Dauer zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Erfahrungen einer bestimmten betrieblichen Tätigkeit zur Vorbereitung auf eine berufliche Tätigkeit unterzieht, ohne dass es sich dabei um eine Berufsausbildung im Sinne des Berufsbildungsgesetzes oder um eine damit vergleichbare praktische Ausbildung handelt. (2) Personen im Sinne von § 2 Absatz 1 und 2 des Jugendarbeitsschutzgesetzes ohne abgeschlossene Berufsausbildung gelten nicht als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes. (3) Von diesem Gesetz nicht geregelt wird die Vergütung von zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten sowie ehrenamtlich Tätigen. (4) Für Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die unmittelbar vor Beginn der Beschäftigung langzeitarbeitslos im Sinne des § 18 Absatz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch waren, gilt der Mindestlohn in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung nicht. Die Bundesregierung hat den gesetzgebenden Körperschaften zum 1. Juni 2016 darüber zu berichten, inwieweit die Regelung nach Satz 1 die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt gefördert hat, und eine Einschätzung darüber abzugeben, ob diese Regelung fortbestehen soll.
Was steckt hinter der Einschränkung des Mindestlohn für bestimmte Praktika?
Der Gesetzgeber hat im MiLoG entschieden, dass Praktikanten im Sinne von § 26 BBiG gem. § 22 II 2 Hs. 1 für Zwecke des Mindestlohngesetzes dem Grunde nach als Arbeitnehmer gelten. Daher haben sie auch einen Anspruch auf den Mindestlohn.
Der § 22 II 2 Hs. 2 des Mindestlohngesetzes enthält allerdings die Ausnahmen von der Regel, wonach Praktikanten unter das MiLoG fallen. Der Gesetzgeber hat bewusst ein Regel-Ausnahme-Verhältnis gewählt, damit die Darlegungs- und Beweislast, ob ein mindestlohnfreies Praktikum iSd. § 22 I 2 Hs. 1 MiLoG vorliegt, beim Arbeitgeber liegt. Dieser muss im Zweifel darlegen und beweisen, dass er keinen Mindestlohn zahlen muss.
Muss der Arbeitgeber für Pflichtpraktika den Mindestlohn zahlen?
Nein, nach der gesetzlichen Regelung nicht. Danach fallen verpflichtende Praktika aufgrund einer schulrechtlichen Bestimmung, einer Ausbildungsordnung, einer hochschulrechtlichen Bestimmung oder im Rahmen einer Ausbildung an einer gesetzlich geregelten Berufsakademie nicht unter die Mindestlohnzahlungspflicht. Nach dem Mindestlohngesetz sind diese von dessen Anwendungsbereich ausgenommen. Durch die vom Gesetzgeber bewusst offene und umfassende Formulierung hat dieser deutlich gemacht, dass durch die Regelung alle ausbildungsbegleitenden Pflichtpraktika erfasst werden sollen.
Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes besteht für Praktikanten dann kein Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn, wenn diese ein Pflichtpraktikum absolvieren, welches Voraussetzung für das spätere Studium ist.
Sachverhalt des Falles beim BAG
Beim Fall des Bundesarbeitsgericht ging es darum, dass sich die Klägerin an einer privaten, staatlich anerkannten Universität um einen Studienplatz im Fach Humanmedizin bewerben wollte. Nach der Studienordnung ist ua. die Ableistung eines sechsmonatigen Krankenpflegedienstes ein Zugangsvoraussetzung für diesen Studiengang. Die Klägerin bekam hier weniger bezahlt als nach dem Mindestlohngesetz und klage die Differenzvergütung ein und trug im Arbeitsgerichtsverfahren dazu vor, dass diese nach dem Mindestlohn hätte bezahlt werden müssen.
Entscheidung des Bundesarbeitsgericht
Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 19. Januar 2022 – 5 AZR 217/21) hat dazu folgendes ausgeführt:
Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Beklagte nicht zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns nach § 1 iVm. § 22 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 MiLoG* verpflichtet ist. Die Klägerin unterfällt nicht dem persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes. Der Ausschluss von Ansprüchen auf den gesetzlichen Mindestlohn nach § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG* erfasst nach dem in der Gesetzesbegründung deutlich zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers nicht nur obligatorische Praktika während des Studiums, sondern auch solche, die in Studienordnungen als Voraussetzung zur Aufnahme eines bestimmten Studiums verpflichtend vorgeschrieben sind. Dem steht nicht entgegen, dass die Studienordnung von einer privaten Universität erlassen wurde, denn diese Universität ist staatlich anerkannt. Hierdurch ist die von der Hochschule erlassene Zugangsvoraussetzung im Ergebnis einer öffentlich-rechtlichen Regelung gleichgestellt und damit gewährleistet, dass durch das Praktikumserfordernis in der Studienordnung nicht der grundsätzlich bestehende Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für Praktikanten sachwidrig umgangen wird.
interessante Urteile zum Thema Mindestlohn
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Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht in Berlin
Kurzarbeit und Urlaub

Kurzarbeit und Urlaub sind Themen, die gerade in Zeiten von Corona viele Fragen aufwerfen. Im Zuge der Covid-19-Pandemie mussten viele Unternehmen Kurzarbeit im Betrieb einführen, was zum Arbeitsausfall mit Entgeltverlust für Arbeitnehmer führt. Es geht vor allem darum, ob der Arbeitnehmer einen Urlaubsanspruch erwirbt im Zeitraum, in dem er in Kurzarbeit ist und ob dieser zum Beispiel auch während der Kurzarbeit seinen Urlaub nehmen kann und ob das Kürzen des Urlaubsanspruchs bei Kurzarbeit zulässig ist. Diesbezüglich sind noch viele Fragen von der Rechtsprechung nicht geklärt worden. Nachfolgend soll ein kleiner Überblick zu dieser Problematik gegeben werden.
Das Wichtigste vorab:
Während der Kurzarbeit Null erwirbt der Arbeitnehmer keinen Urlaubsanspruch.
Was ist Kurzarbeit?
Kurzarbeit ist nichts weiter als eine befristete Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber über die Absenkung der regelmäßigen Arbeitszeit. Einen vorübergehenden Arbeitsausfall wollte der Gesetzgeber so abmildern. Die konjunkturbedingte Kurzarbeit kann sogar, dies kommt nicht selten vor, auf Null (sog. Kurzarbeit „Null“) abgesenkt werden, was im Endeffekt heißt, dass der Arbeitnehmer zu Hause bleibt und keine Arbeitsleistung erbringt. Während der Dauer der vereinbarten Kurzarbeit bekommt der Arbeitnehmer Kurzarbeitergeld (KUG) vom Arbeitgeber gezahlt und dieser kann gegenüber der Bundesagentur für Arbeit eine Erstattung des Kurzarbeitergelds erhalten. Damit soll erreicht werden, dass gerade wirtschaftliche Belastungen in der Corona-Pandemie für Firmen abgemildert werden. In bestimmten Fällen können sogar Auszubildende Kurzarbeitergeld bekommen. Resturlaub muss zur Vermeidung von Kurzarbeit eingebracht werden, bevor dieser gegebenenfalls verfällt.Die Kurzarbeit muss zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber vereinbart werden.
Dabei muss auch klar sein, wie lang und mit welchem Arbeitsumfang die regelmäßige Arbeitszeit reduziert werden soll und zu welchem bestimmten Zeitpunkt der Arbeitszeit abgesenkt wird. Der Arbeitgeber kann nicht einseitig Kurzarbeit anordnen, es sei denn dies ist so im Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag vereinbart worden oder es gibt eine Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit. Es muss zudem ein unvermeidbarer Arbeitsausfall vorliegen. Der Arbeitgeber stellt einen entsprechenden Antrag bei der Bundesagentur für Arbeit, um im Betrieb Kurzarbeit einführen zu können. Der Anspruch auf Kurzarbeit beginnt erst, wenn alle Voraussetzungen vorliegen und der Antrag gestellt ist. Wird nach einer Zwischenzeit ohne Kurzarbeit im Betrieb wieder erneut Kurzarbeit erforderlich, muss der Arbeitgeber den Arbeitsausfall erneut anzeigen. Es besteht keine Verpflichtung der Betriebe, der Agentur für Arbeit im Rahmen der vorläufigen Bewilligung zu Beginn eines neuen Urlaubsjahres eine Urlaubsplanung vorzulegen. Trotzdem ist es so, dass wenn Beschäftigte in Kurzarbeit tätig sind, die Belastungen von Kurzarbeit nicht zu unterschätzen sind. Ein Arbeitsausfall mit Entgeltausfall lässt sich durch das KUG reduzieren, aber nicht vermeiden.
Wie ändert sich der Urlaubsanspruch bei Kurzarbeit?
Gesetzliche Grundlagen für die Urlaubsgewährung findet man im Bundesurlaubsgesetz. Zunächst erst einmal ändern sich die Regelungen nach dem Bundesurlaubsgesetz nicht. Es kommt genau darauf an, welche Problematik beim Urlaub im Bezug auf die Kurzarbeit vorliegt. Nachfolgend sollen die wichtigsten Fälle hier kurz dargestellt werden.
Darf der Urlaub bei Kurzarbeit gekürzt werden?
Nicht ganz unbekannt ist die Regelung, wonach der Arbeitgeber während der Elternzeit den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers bzw. der Arbeitnehmerin kürzen darf. Er muss eine entsprechende Kürzungserklärung abgeben. Dies ist einer der wenigen Fälle, wo der Arbeitgeber von sich aus verhindern kann, dass während einer Zeitspanne, in der der Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung erbringt, der Urlaub nicht anfällt. Bei der Kurzarbeit kommt es darauf an.
Kurzarbeit ohne Kurzarbeit Null bei Arbeit an gleichen Tagen
Wenn der Arbeitnehmer bei der Kurzarbeit einfach nur weniger arbeitet, also keine Kurzarbeit „Null“ vorliegt, ändert sich erst einmal nichts. Der Arbeitgeber darf nicht den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers einfach deshalb kürzen, da dieser weniger arbeitet.
Beispiel: Der Arbeitnehmer arbeitet im Normalfall 8 Stunden an fünf Tagen in der Woche (40 h pro Woche an regelmäßiger Arbeitszeit) und dessen Urlaubsanspruch beträgt 20 Arbeitstage pro Kalenderjahr. Der Arbeitgeber vereinbart nun Kurzarbeit und der Arbeitnehmer arbeitet nur noch an 3 Stunden pro Tag von montags bis freitags.
Ergebnis: Hier bleibt der Urlaubsanspruch von 20 Tagen gleich. Der Arbeitnehmer muss auch 20 Tage nehmen, auch während der Kurzarbeit wäre dies so, da sonst keine vier Wochen an Urlaub bekommen würde. Eine Kürzung durch den Arbeitgeber ist nicht möglich.
Verringert sich der Urlaubsanspruch bei Kurzarbeit?
Anders ist aber der Fall, wenn der Arbeitnehmer anstatt an 5 Tagen nur an 2 Tagen arbeitet. Die anteilige Kürzung vom Jahresurlaub ist dann rechtmäßig, wenn der Arbeitnehmer durch Kurzarbeit tageweise nicht zur Arbeit geht.
Kurzarbeit Null
Bei Kurzarbeit „Null“ arbeitet der Arbeitnehmer gar nicht. Er bleibt also Zuhause näher und erbringt keine Arbeitsleistung. Man könnte nun meinen, da es hier keine gesetzliche Regelung gibt, wonach der Arbeitgeber den Urlaub in dieser Zeitspanne kürzen darf, also anders als bei der Elternzeit, ist eine Kürzung durch den Arbeitgeber ausgeschlossen. Allerdings ist die Problematik, dass eine Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil v. 8. November 2012 – C-229/11/ für einen Teilzeitbeschäftigten – hier wird ) zur Urlaubskürzung von Teilzeitbeschäftigten gibt. Aus dieser Entscheidung (in einer rechtlichen Bewertung kommt der deutsche Gewerkschaftsbund bei konjunkturbedingter Kurzarbeit zu einem anderen Ergebnis) wird gefolgert, dass bei Kurzarbeit „Null“ ebenfalls kein Urlaubsanspruch entsteht. Eigentlich passt dies nicht zum deutschen Arbeitsrecht, das ja ausdrücklich auch bei der Nichterbringung von arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflichten den Urlaubsanspruch entstehen lässt, allerdings gibt es keine ausdrückliche Regelung, die entgegen der Rechtsprechung des EuGH den Urlaubsanspruch entstehen lässt (basierend auf der Arbeitszeitrichtlinie). Das LAG Düsseldorf hat dies aber nun in einer neuen Entscheidung bestätigt.
Beispiel: Der Arbeitnehmer arbeitet in einer 5-Tage-Woche mit 40 Stunden an regelmäßige Arbeitszeit. Sein Urlaubsanspruch beträgt 24 Arbeitstage, also zwei Arbeitstage pro Monat. Im Zeitraum vom 1. Januar 2021 bis einschließlich den 30. Juni 2021 war der Arbeitnehmer in Kurzarbeit „Null“. Er verlangt nun nach Ende der Kurzarbeit vom Arbeitgeber die Gewährung von 24 Arbeitstagen Urlaub.
Ergebnis: Es besteht nur ein Anspruch in Höhe von 12 Urlaubstagen, da allein in der zweiten Jahreshälfte der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung erbracht hat. Während der ersten sechs Monate des Jahres bestand Kurzarbeit „Null“ und damit ist während dieses Zeitraumes kein Urlaubsanspruch entstanden.
Entscheidung des LAG Düsseldorf
Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Urteil vom 12.03.2021 – 6 Sa 824/20) hat dies vor kurzem gerade bestätigt und entschieden, dass während der konjunkturbedingten Kurzarbeit Null kein Urlaub entsteht.
In seiner Pressemitteilung 5/21 vom 12.03.2021 führt das Landesarbeitsgericht Düsseldorf dazu folgendes aus:
Die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf hat die Klage ebenso wie das Arbeitsgericht Essen abgewiesen. Aufgrund der Kurzarbeit Null in den Monaten Juni, Juli und Oktober 2020 hat die Klägerin in diesem Zeitraum keine Urlaubsansprüche gemäß § 3 Bundesurlaubsgesetz erworben. Der Jahresurlaub 2020 steht ihr deshalb nur anteilig im gekürzten Umfang zu. Für jeden vollen Monat der Kurzarbeit Null war der Urlaub um 1/12 zu kürzen, was sogar eine Kürzung um 3,5 Arbeitstage ergeben würde. Im Hinblick darauf, dass der Erholungsurlaub bezweckt, sich zu erholen, setzt dies eine Verpflichtung zur Tätigkeit voraus. Da während der Kurzarbeit die beiderseitigen Leistungspflichten aufgehoben sind, werden Kurzarbeiter wie vorübergehend teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer behandelt, deren Erholungsurlaub ebenfalls anteilig zu kürzen ist.
Dies entspricht dem Europäischen Recht, weil nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs während Kurzarbeit Null der europäische Mindesturlaubsanspruch aus Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG nicht entsteht. Das deutsche Recht enthält dazu keine günstigere Regelung. Weder existiert diesbezüglich eine spezielle Regelung für Kurzarbeit noch ergibt sich etwas anderes aus den Vorschriften des Bundesurlaubsgesetzes. Insbesondere ist Kurzarbeit Null nicht mit Arbeitsunfähigkeit zu vergleichen. An alledem hat der Umstand, dass die Kurzarbeit der Klägerin durch die Corona-Pandemie veranlasst ist, nichts geändert.
Der Urlaub wird dann zu den geplanten Zeiten genommen.: Nach dem LAG Düsseldorf ist die anteilige Kürzung des Urlaubsanspruchs für die Zeiten der Nichtarbeit für gerechtfertigt.
LAG Baden-Württemberg
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg – Kammern Freiburg – (Urteil vom 3. Mai 2021 – 9 Sa 1/21) hatte ebenfalls einen solchen Fall zu entscheiden und entschied, dass der Arbeitgeber bei Verringerung der Arbeitstage durch Kurzarbeit den Jahresurlaub kürzen dürfe. Dies bestätigte nun auch das BAG.
Bundesarbeitsgericht bestätigt die Kürzung von Jahresurlaub bei Kurzarbeit
Das BAG (Urteil vom 30. November 2021 – 9 AZR 225/21) hat das Urteil des LAG Baden-Würtemberg im Revisionsverfahren bestätigt.
Der Entscheidung lag folgender Fall zu Grunde:
Eine Arbeitnehmerin war an 3 Tagen wöchentlich als Verkaufshilfe mit Backtätigkeiten tätig. Bei einer 6-Tage-Woche hätte dieser nach dem Arbeitsvertrag ein jährlicher Erholungsurlaub von 28 Werktagen zugestanden, da diese aber regellär nur an 3 Tagen tätig war, reduzierte sich der Urlaubsanspruch auf insgesamt 14 Arbeitstagen pro Kalenderjahr. Dies ist bis hierhin völlig unproblematisch und gängige Praxis. Die Problematik war aber, dass die Arbeitnehmerin aufgrund von Arbeitsausfall durch die Corona-Pandemie in Kurzarbeit musste und von daher eine Kurzarbeitsvereinbarungen geschlossen wurde. Danach war die Arbeitnehmerin in den Monaten April, Mai und Oktober 2020 vollständig von der Arbeitspflicht befreit war und in den Monaten November und Dezember 2020 insgesamt nur an fünf Tagen arbeitete. Es liegt also ein Mischfall von Kurzarbeit „Null“ und Kurzarbeit mit geringerer Beschäftigung vor.
Arbeitgeber kürzte den Jahresurlaub
Aus Anlass der kurzarbeitsbedingten Arbeitsausfälle kürzte der Arbeitgeber den Jahresurlaub und nahm eine Neuberechnung vor. Wie oben ausgeführt, hätte die Arbeitnehmerin bei einer regulären 3-Tage-Woche einen Urlaubsanspruch pro Jahr von 14 Tagen. Aufgrund der Kurzarbeit bezifferte der Arbeitgeber den Jahresurlaub der Arbeitnehmerin für das Jahr 2020 auf insgesamt 11,5 Arbeitstage. Wie der Arbeitgeber auf 11,5 Tage kommt, bleibt unklar. Die Berechnung ist eigentlich falsch. Wenn man die 3 Monate an Kurzarbeit „Null“ hier beim Jahresurlaubsanspruch nicht berücksichtigt, kommt man sogar auf 10,5 Tagen an Jahresurlaub (9 Monate x 14./.12).
Dagegen wehrte sich die Arbeitnehmerin mittels Klage vor dem Arbeitsgericht und verlangte noch die Gewährung von weiteren 2,5 Urlaubstagen. Sie führte dazu aus, dass kurzarbeitsbedingt ausgefallene Arbeitstage urlaubsrechtlich wie Arbeitstage gewertet werden müssten. Ihrer Ansicht nach, sei der Arbeitgeber nicht berechtigt gewesen, den Urlaub zu kürzen.
Das Bundesarbeitsgericht führt dazu in seiner Pressemitteilung vom 30.11.2021 mit der Nummer 41/21 aus:
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf weitere 2,5 Arbeitstage Erholungsurlaub für das Kalenderjahr 2020. Nach § 3 Abs. 1 BUrlG beläuft sich der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei einer gleichmäßigen Verteilung der Arbeit auf sechs Tage in der Woche auf 24 Werktage. Ist die Arbeitszeit eines Arbeitnehmers nach dem Arbeitsvertrag auf weniger oder mehr als sechs Arbeitstage in der Kalenderwoche verteilt, ist die Anzahl der Urlaubstage grundsätzlich unter Berücksichtigung des für das Urlaubsjahr maßgeblichen Arbeitsrhythmus zu berechnen, um für alle Arbeitnehmer eine gleichwertige Urlaubsdauer zu gewährleisten (24 Werktage x Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht geteilt durch 312 Werktage).* Dies gilt entsprechend für den vertraglichen Mehrurlaub, wenn die Arbeitsvertragsparteien – wie im vorliegenden Fall – für die Berechnung des Urlaubsanspruchs keine von § 3 Abs. 1 BUrlG abweichende Vereinbarung getroffen haben.
Bei der vertraglichen Dreitagewoche der Klägerin errechnete sich zunächst ein Jahresurlaub von 14 Arbeitstagen (28 Werktage x 156 Tage mit Arbeitspflicht geteilt durch 312 Werktage). Der kurzarbeitsbedingte Ausfall ganzer Arbeitstage rechtfertigte eine unterjährige Neuberechnung des Urlaubsanspruchs. Aufgrund einzelvertraglich vereinbarter Kurzarbeit ausgefallene Arbeitstage sind weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht Zeiten mit Arbeitspflicht gleichzustellen. Der Urlaubsanspruch der Klägerin aus dem Kalenderjahr 2020 übersteigt deshalb nicht die von der Beklagten berechneten 11,5 Arbeitstage. Allein bei Zugrundelegung der drei Monate, in denen die Arbeit vollständig ausgefallen ist, hätte die Klägerin lediglich einen Urlaubsanspruch von 10,5 Arbeitstagen (28 Werktage x 117 Tage mit Arbeitspflicht geteilt durch 312 Werktage).
Pressemitteilung des BAG Nr. 41/21 vom 30.11.2021
Gewährung von Urlaub während der Kurzarbeit?
Auch während der konjunkturbedingten Kurzarbeit kann der Arbeitnehmer Urlaub nehmen. Allerdings wird dies eher selten der Fall sein, da Erholungsurlaub zur Vermeidung von Kurzarbeit schon vor dieser genommen werden soll. Sinn macht dies natürlich nur dann, wenn nicht Kurzarbeit „Null“ angeordnet ist. Wenn also keine Arbeitsleistung zur bringen ist, dann scheidet eine Urlaubsgewährung aus und wir auch völlig sinnlos. Der Arbeitgeber kann den Urlaub so planen, wie dies im Betrieb üblich ist. Der Urlaub wird dann zu den geplanten Zeiten genommen.
Wenn also zum Beispiel eine konjunkturbedingte Kurzarbeit nur zur Absenkung der Arbeitszeit, aber nicht auf 0 Stunden, sondern zum Beispiel auf 4 Stunden pro Tag erfolgt, kann der Arbeitnehmer ganz normal Urlaub nehmen.
Beispiel: Wie im obigen Beispiel, hatte Arbeitnehmer 20 Arbeitstage an Urlaub und er arbeitet 40 Stunden die Woche, also 8 Stunden pro Tag. Mit eine Vereinbarung über die Kurzarbeit mit dem Arbeitgeber wurde getroffen und die Arbeitszeit wurde von 8 Stunden pro Tag auf 4 Stunden pro Tag verringert.
Wie viele Urlaubsanspruch hat der Arbeitnehmer, wenn die Kurzarbeit das komplette Kalenderjahr betrifft.?
Antwort: Es ändert sich nichts. Der Arbeitnehmer kann während der konjunkturbedingten Kurzarbeit Urlaub nehmen und erwirbt in der Kurzarbeit, die ja nicht Kurzarbeit Null ist, ganz normal seinen Jahresurlaub von 20 Arbeitstagen. Er bekommt auch nicht mehr Urlaub deshalb, weil seine Arbeitszeit kürzer ist. Der Urlaubsanspruch soll gewährleisten, dass der Arbeitnehmer insgesamt wenigstens vier Wochen pro Jahr an Urlaub hat. Um vier Wochen Urlaub zu nehmen bei der Arbeitszeit Zeit von 8 Stunden pro Tag müsste der Arbeitnehmer also fünf Tage pro Woche Urlaub verbrauchen. Dies gilt aber bei der Arbeitszeit von 4 Stunden genauso, wie bei 8 Stunden pro Tag.
Anders wäre es, wenn Arbeitnehmer anstatt von 5 Arbeitstagen nur an 2 Arbeitstagen Urlaub nehmen würde. Dann bräuchte er um vier Wochen Mindesturlaub zu erhalten ja nur 2 Tage pro Woche zu nehmen.
Rechtsanwalt Andreas Martin
Abfindung im Arbeitsrecht

Abfindung im Arbeitsrecht
Nach einer Kündigung des Arbeitgebers ist das Ziel der meisten Arbeitnehmer der Erhalt einer Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes. Gerade bei dem Erhalt einer betriebsbedingten Kündigung stellt sich die Frage nach eine Entschädigung für den Arbeitnehmer. Aber auch beim Abschluss eines Aufhebungsvertrags geht es um einen finanziellen Ausgleich für die verlorene Arbeitsstelle.
Das Wichtigste in Kürze vorab:
- Ein Anspruch auf Zahlung einer Abfindung nach einer Kündigung des Arbeitgebers besteht in den wenigsten Fällen. Dies gilt auch für eine Arbeitgeberkündigung aus betrieblichen Gründen.
- Abfindungen werden aber trotzdem von Arbeitgeberseite häufig bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt, insbesondere beim Abschluss von Aufhebungsverträgen oder im Kündigungsschutzverfahren. Der Grund dafür ist der, dass Arbeitgeber den Arbeitsgerichtsprozess abkürzen bzw. ganz verhindern wollen.
- Obwohl ist keine allgemeingültig Abfindungsformel gibt, werden oft Abfindungen von einen halben Bruttomonatsgehalt pro Arbeitsjahr gezahlt.
- Da fast immer die Zahlung einer Abfindung und auch die Abfindungshöhe Verhandlungssache sind, können auch niedrigere , aber auch bedeutend höhere Abfindung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber vereinbart werden.Die Höhe der Zahlung hängt vor allem auch vom Verhandlungsgeschick und der Erfahrung des beauftragten Rechtsanwalts / Fachanwalts für Arbeitsrecht ab.
Abfindung – was ist das?
Die Abfindung im deutschen Arbeitsrecht ist eine nicht zwingend einmalige Geldzahlung des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Oft erfolgt die Abfindungszahlung nach einer betriebsbedingten Kündigung, aber auch für andere Kündigungen kann es eine Abfindungszahlung geben. Nicht selten bieten Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern eine Abfindung bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags an, was häufig für den Arbeitnehmer nicht vorteilhaft ist.
Abfindung | keine Abfindung |
---|---|
Zahlung für Verlust des Arbeitsplatzes | Zahlung nur aus Anlass der Beendigung |
Entschädigung | Lohn/Karenzentschädigung |
Wann besteht ein Anspruch auf eine Abfindung?
In folgenden Fällen, welche in der Praxis selten vorkommen, kann der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung haben:
- nach § 1a KSchG, wenn der Arbeitgeber in der Kündigungserklärung ein Abfindungsangebot unterbreitet und der Arbeitnehmer keine Kündigungsschutzklage einreicht,
- beim erfolgreichen Auflösungsantrag des Arbeitnehmers nach §§ 9,10 KSchG durch arbeitsgerichtlichesAuflösungsurteil,
- nach § 113 BetrVG beim Sozialplanabfindungsanspruch oder Nachteilsausgleichsanspruch,
- beim tarifvertraglicher Abfindungsanspruch (nach Tarifsozialplan, Rationalisierungsschutztarifvertrag),
- beim Abfindungsanspruch auf der Grundlage einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung,
- bei zugesagter Abfindung durch den Arbeitgeber
Was ist der Grund für eine Abfindungszahlung?
Die Zahlung einer Arbeitsplatzentschädigung erfolgt wegen den Nachteilen, die der Arbeitnehmer durch den Verlust des Arbeitsplatzes erleidet. Die Abfindung soll diese möglichst kompensieren. Allerdings ist dies nur die halbe Wahrheit, denn ansonsten müsste ja jeder Arbeitnehmer, der unverschuldet gekündigt wird, eine Abfindung erhalten.
Weshalb zahlen Arbeitgeber wirklich eine Abfindung?
Der wahre Grund hinter der Abfindungszahlung ist die Gefahr für den Arbeitgeber, dass dieser ein Kündigungsschutzverfahren verliert und dann den Arbeitnehmer weiterbeschäftigen und ggfs. auch noch den Lohn nachzahlen muss. Eine Abfindungszahlung erfolgt fast immer nur, wenn ein entsprechender finanzieller Druck auf den Arbeitgeber besteht. Freiwillig – ohne Grund – wird selten von Arbeitgeberseite eine Abfindung gezahlt.
Abfindung in Millionenhöhe für Manager
Von mehreren Millionen an Abfindungszahlungen kann der Arbeitnehmer nur träumen. Solche Abfindungsbeträge erhalten aber regelmäßig Manager, die aus dem Unternehmen ausscheiden. Oft ist der Grund der, um eine schnelle und unkomplizierte Trennung zu ermöglichen, wobei auch zu beachten ist, dass Top-Manager auch eine zigfache Vergütung nebst Boni eines Arbeitnehmers erhalten.
Wie erhält man eine arbeitsrechtliche Abfindung?
Wie <a href="#anspruch-abfindung">oben ausgeführt</a>, besteht nur in wenigen Fällen ein direkter Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes gegen den Arbeitgeber. Um eine Abfindung zu erhalten, bestehen folgende Möglichkeiten:
Kündigung durch den Arbeitgeber | Aufhebungsvertrag |
---|---|
Erhebung der Kündigungsschutzklage + Verhandlung | Verhandlung mit dem Arbeitgeber |
Wichtig ist, dass bei einer Arbeitgeberkündigung immer eine Kündigungsschutzklage eingereicht werden sollte, erst danach beginnt man – am besten über einen Anwalt – mit der Abfindungsverhandlun.
Bekommt man eine höhere Abfindung, wenn man einen Anwalt einschaltet?
Obwohl ich bei der Beantwortung der Frage als Fachanwalt für Arbeitsrecht sicherlich nicht unvoreingenommen bin, behaupte ich, dass bei geschickter anwaltlicher Vertretung des Arbeitnehmers die Abfindungshöhe erheblich höher ist als wenn der Arbeitnehmer nicht selbst vertritt. Dies gilt bei jeder Art von Abfindungsverhandlungen, also sowohl im Kündigungsrechtsstreit vor dem Arbeitsgericht als auch bei dem Aushandeln eines Aufhebungsvertrags. Es kommt vor allem auf Erfahrung und solide Kenntnisse des Arbeitsrechts nebst Verhandlungsgeschick an. Einer der wichtigsten Parameter für die Höhe der Abfindung ist das sog. Prozessrisiko, welches in der Regel nur ein Anwalt einschätzen kann. Wichtig ist aber, dass es keine Garantie für den Erhalt einer bestimmten Abfindungshöhe gibt.
Welche Umstände haben Einfluss auf die Höhe der Abfindung?
Auf die Höhe einer Abfindungszahlung durch den Arbeitgeber haben eine Vielzahl von Faktoren einen Einfluss. Dies sind u.a.
- Prozessrisiko des Arbeitgebers
- Bereitschaft des Arbeitgebers den Arbeitnehmer zu beschäftigen
- Dauer der Betriebszugehörigkeit
- Bruttoeinkommen pro Monat des Arbeitnehmers
- Alter, Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers
- ggfs. bestehender Sonderkündigungsschutz des Arbeitnehmers
- Arbeitsmarktsituation
- Bereitschaft des Arbeitnehmers notfalls beim Arbeitgeber wieder zu arbeiten
- finanzielle Verhältnisse des Arbeitgebers
Kann ein Anwalt sofort die Höhe der voraussichtlichen Abfindung vorhersagen?
Nein! Wenn Ihnen ein Rechtsanwalt – dann vielleicht sogar noch am Telefon beim Erstkontakt – erzählen möchte, wie hoch Ihre Abfindung mit Sicherheit ausfallen wird, so ist dies nicht seriös. Kein Anwalt kann Ihnen dies sicher sagen, wenigen Ausnahmefällen, wo ein Abfindungsanspruch besteht, abgesehen. Dies hängt auch damit zusammen, dass selbst der beste Anwalt das Verhalten des Arbeitgebers nur innerhalb bestimmter Grenzen beeinflussen kann. Da meist kein Abfindungsanspruch besteht und die Höhe der Abfindung meist reine Verhandlungssache ist, kann man die Höhe allenfalls schätzen.
Kann mir mein Rechtsanwalt wenigstens zusichern, dass ich überhaupt eine Abfindung bekommen werde?
Nein! Selbst dies geht nicht verbindlich. Der Rechtsanwalt kann aufgrund seiner Erfahrung, wenn er dann den Sachverhalt kennt, eine wahrscheinliche Entwicklung und auch effektive Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Er kann aber nicht garantieren, dass Sie eine Abfindung erhalten. Auch ein Arbeitgeber kann sich unerwartet verhalten. Darüber hinaus gibt es auch Fälle, bei denen es kaum möglich ist, eine Abfindung auszuhandeln.
> Beispiel: Der Arbeitnehmer A ist seit 10 Jahren beim Arbeitgeber B zu einem monatlichen Bruttoverdienst von € 3.000 beschäftig und erhält nun eine betriebsbedingte Kündigung. Der Arbeitgeber beschäftigt. Im Betrieb sind 20 Arbeitnehmer beschäftigt. > Der Arbeitnehmer A möchte nun von seinem Anwalt wissen, wie hoch eine mögliche Abfindung ist. Dieser rechnet schon mit einer Abfindung von rund € 15.000 (10 x 3.000 ./.2). Im Gütetermin fängt der Rechtsanwalt mit einer hohen Forderung von € 30.000 an zu verhandeln. Der Arbeitgeber möchte nur € 5.000 zahlen. Die Verhandlungen scheitern und der Arbeitgeber erklärt darauf, dass er "die Kündigung zurücknimmt" und aus dieser keine weiteren Recht mehr herleiten wird und fordert den Arbeitnehmer auf, am Montag um 7 Uhr auf Arbeit zu erscheinen. > Ergebnis: Der Anwalt muss nun Arbeitnehmer sagen, dass es sehr schwer ist nun überhaupt noch eine Abfindung zu erhalten, denn diese wäre nur noch über einen Auflösungsantrag erzielbar, dessen Voraussetzungen aber nicht vorliegen. Der Arbeitnehmer bekommt hier gar nichts und wird am Montag wahrscheinlich krankt sein und später dann wohl selbst kündigen.
Gibt es Fälle, bei denen von vornherein kaum die Aussicht auf Abfindungszahlung besteht?
Ja, solche Fälle gibt es. Solche Fälle können sein:
- es liegt ein Kleinbetrieb (nicht mehr als 10 AN) vor
- der Arbeitnehmer befindet sich in der Wartezeit (Probezeit)
- es ist klar, dass der Arbeitgeber die "Kündigung zurücknehmen" wird
> Beispiel: Der Arbeitnehmer A ist seit 10 Jahren beim Arbeitgeber B zu einem monatlichen Bruttoverdienst von € 3.000 beschäftig und erhält nun eine betriebsbedingte Kündigung. Im Betrieb sind 9 Arbeitnehmer beschäftigt. Sonderkündigungsschutz besteht nicht. > Der Arbeitnehmer A möchte nun von seinem Anwalt wissen, wie hoch eine mögliche Abfindung ist. > Ergebnis: Der Anwalt muss dem Arbeitnehmer sagen, dass es sehr schwer ist überhaupt eine Abfindung zu erhalten, denn dieser hat keinen allgemeinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz und würde wohl ein Kündigungsschutzverfahren verlieren. Dann hat der Arbeitgeber keinen Grund für eine Abfindungszahlung.
Abfindung bei betriebsbedingter Kündigung?
Auch bei einer betriebsbedingten Kündigung gibt es in der Regel keinen <a href="#anspruch-abfindung">Anspruch auf eine Abfindung</a>. Auch hier kann der Arbeitnehmer von daher nicht direkt auf Zahlung einer Abfindung klagen. Um im Spiel zu bleiben, bleibt nur die Erhebung der Kündigungsschutzklage innerhalb von 3 Wochen nach Zugang der betriebsbedingten Kündigung beim Arbeitnehmer. Danach muss man die Abfindung im Kündigungsschutzverfahren mit dem Arbeitgeber verhandeln. Dies geschieht meist im sogenannten Gütetermin vor dem Arbeitsgericht.
Abfindung im Kündigungsschutzprozess
Der Arbeitnehmer, der eine Kündigung des Arbeitgebers erhalten hat, kommt in der Regel nur an eine Abfindung, wenn er sich gegen die Kündigung mittels Kündigungsschutzklage wehrt. Die Kündigungsschutzklage ist nicht auf Zahlung einer Abfindung gerichtet, sondern auf Feststellung, dass die Arbeitgeberkündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat. Dies ist aber egal. Nur so bleibt der Arbeitnehmer "im Spiel".
> Beispiel: Klageantrag einer Kündigungsschutzklage: "Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung des Beklagten (Arbeitgeber) vom 15.03.2021 beendet worden ist."
Wird die Kündigungsschutzklage fristgerecht erhoben, dann kommt es zum sogenannten Gütetermin oder auch Güteverhandlung genannt. In diesem Termin werden die meisten Abfindungen vereinbart.
Wie verhandelt man im Gütetermin vor dem Arbeitsgericht die Entschädigung aus?
Wer als Arbeitnehmer einer Abfindung möchte, kommt in der Regel nicht um die Erhebung der Kündigungsschutzklage vorbei. Nach der Klageerhebung kommt es um ersten Termin beim Arbeitsgericht. Beim Arbeitsgericht Berlin gibt es den Gütetermin bereits 4 bis 6 Wochen nach der Klageerhebung. Im Gütetermin geht es vor allem um die Sachverhaltsaufklärung und um die Einigung in der Sache. Diese Einigung muss nicht immer die Zahlung einer Abfindung sein. Scheitert der Gütetermin dann gibt es mehrere Monate später einen Kammertermin. In diesem Termin ist dann nicht nur der vorsitzender (Berufs-) Richter anwesend, sondern auch zwei ehrenamtliche Richter, jeweils ein Arbeitnehmer und ein Arbeitgeber.
Gütetermin | Kammertermin |
---|---|
Aufklärung des Sachverhalts | streitigeVerhandlung über Rechtsstreit |
Verhandlung über Einigungsmöglichkeiten | Beweisaufnahme oder Urteil in der Sache |
Abfindungsverhandlung | manchmal auch Vergleichsverhandlung |
Muss die Güteverhandlung immer mit der Zahlung einer Abfindung enden?
Nein, selbstverständlich nicht. Der Gütetermin kann auch anders enden. Auch, wenn die Zahlung der Abfindung der Normalfall im Kündigungsschutzprozess ist.
Der Gütetermin kann wie folgt enden:
Gütetermin mit Ergebnis | Konsequenzen für das Verfahren |
---|---|
Vergleich mit Abfindung | das Verfahren ist damit beendet |
Vergleich ohne Abfindung | das Verfahren ist damit beendet |
keine Einigung | das Verfahren geht weiter, es folgt später der Kammertermin |
Arbeitgeber nimmt die "Kündigung zurück" | das Verfahren ist damit nicht automatisch beendet, aber meist sinnlos |
Arbeitgeber kommt nicht | Versäumnisurteil gegen Arbeitgeber |
beide Parteien kommen nicht | Ruhen des Verfahrens wird angeorndet |
schriftlicher Vergleich vor dem Termin | Vergleich wird protokolliert und Verfahren endet mit Annahme |
Welche Regelungen sollten immer im Abfindungsvergleich vor dem Arbeitsgericht ausgehandelt werden?
Schließen Arbeitnehmer und Arbeitgeber vor dem Arbeitsgericht einen Vergleich, welchen man Prozessvergleich nennt, dann findet man in diesem nicht nur eine Regelung über die Zahlung einer Abfindung, sondern auch weitere Regelungen.
Diese Regelungen können sein:
| Arbeitsgerichtlicher Abfindungsvergleich| |:–|:–| | sinnvolle Regelungen | weitere Regelungen | | Ende des Arbeitsverhältnisses| Freistellung| | Zahlung einer Abfindung | Urlaub | | Fälligkeit der Abfindung | Überstunden| | Lohnzahlung bis Ende des Arbeitsverhältnisses | Verschwiegenheit | | Arbeitszeugnis mit Note | Ausschlussklausel|
Wann wird die Abfindung bei einem Prozessvergleich fällig?
Schließen Arbeitnehmer und Arbeitgeber einen Prozessvergleich vor dem Arbeitsgericht – beim Arbeitsgericht Berlin bekommt man den Vergleichstext mit dem Protokoll gleich nach dem Gütetermin ausgehändigt – dann wird die Abfindungszahlung an dem Tag fällig, welcher die Fälligkeit der Abfindung im Vergleich regelt.
> Beispiel: "Die Abfindung wird zum 31.05.2021 zur Zahlung fällig." > Hier ist klar, dass die Abfindung am 31. Mai 2021 zu zahlen ist.
Gibt es keine genaue Regelung über die Fälligkeit der Abfindung, was normal ist, dann wird die Abfindung mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses es fällig.
> Beispiel: Das Arbeitsverhältnis endet mittels Vergleich zum 30.04.2020. Im Vergleich steht: "Die Beklagte zahlt an die Kläger eine Abfindung gem. §§ 9, 10 KSChG für den Verlust des Arbeitsplatzes in Höhe von € 10.000." > oder > "Die Beklagte zahlt an den Kläger für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Entschädigung von € 10.000, welche zum Beendigungstermin zur Zahlung fällig wird."
> In beiden Fällen wird die Abfindung am letzten Tag des Arbeitsverhältnisses fällig, also am 30.04.2021. Dabei ist unerheblich, wann der Vergleich geschlossen wurde oder ob der Arbeitnehmer bereits früher freigestellt war oder auch schon die Schlüssen abgegeben hat. Die Abfindung wird erst zum Ende des Arbeitsverhältnisses fällig.
Abfindung bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags
Wenn der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer "loswerden" möchte, aber befürchtet, dass sich dieser erfolgreich gegen eine mögliche Kündigung wehrt, dann wir er diesem in der Regel den Abschluss eines Aufhebungsvertrages anbieten. Im Normalfall ist der Aufhebungsvertrag allein für den Arbeitgeber günstig. Der Arbeitnehmer wird fast immer bei freiwilliger Aufgabe seines Arbeitsplatzes mittels Aufhebungs- und/oder Abwicklungsvertrag eine Sperre beim Arbeitslosengeld erhalten. Um den Arbeitnehmer den Abschluss des Beendigungsvertrags nun schmackhaft zu machen, wird der Arbeitgeber eine Abfindung anbieten. Die Höhe der Abfindung ist auch hier Verhandlungssache, wobei die <a href="#faktoren">obigen Faktoren</a> eine Rolle spielen. In der Regel wird der Arbeitgeber ein halbes Bruttomonatsgehalt pro Arbeitsjahr an Abfindungshöhe vorschlagen. Im Hinblick auf die zu erwartende Sperre ist es aber oft besser, wenn der Arbeitnehmer die Kündigung abwartet und sich gegen diese mittels Kündigungsschutzklage wehrt. Er kann dann ggfs. einen besseren Vergleich vor dem Arbeitsgericht schließen und hat dann keine Sperre zu erwarten.
| | Abfindung im Aufhebungsvertrag | Abfindung im Gerichtsvergleich| |:–|:–| | Vorteile | schnelle Beendigung bei neuer Stelle | keine Sperre + Vollstreckbarkeit + meist höhere Abfindung| | Nachteile | Sperre beim ALG I |Abwarten bis Kündigung und Klage | | Fazit | bei neuer und besserer Arbeitsstelle in Aussicht sinnvoll | ansonsten Kündigungsschutzverfahren sinnvoller |
Muss man für die Abfindung Sozialabgaben zahlen?
Eine Abfindung ist kein Arbeitsentgelt des Arbeitnehmer, wie zum Beispiel der Arbeitslohn, sondern eine Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes (so § 14 SGB IV). Von daher muss der Arbeitnehmer keine Beiträge zur Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung auf die Abfindung zahlen. Die Abfindung ist sozialversicherungsfrei.
Wie wird die Abfindung versteuert?
Auch wenn keine Sozialversicherungsabgaben auf die Abfindung fällig werden, so entsteht doch Einkommenssteuer. Abfindungen sind nicht mehr komplett steuerfrei, so wie früher. Nicht versteuert werden müssen solche Zahlungen nur dann, wenn die Gesamteinkünfte des Jahres inklusive der Abfindungszahlung den Grundfreibetrag (9.744 Euro für 2021) nicht übersteigen. Dies dürfte beim normalen Arbeitnehmer eher die Ausnahme sein.
Die Abfindung ist von daher ganz normal zu versteuern. Dabei gibt es aber zwei Sachen zu beachten:
Lohnsteuerklassenwechsel
Nicht selten kommt es vor, dass der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Auszahlung der Abfindung schon eine andere Arbeit hat. Dann wir die Abfindung meist mit der Lohnsteuerklasse 1 versteuert. Dies geht meist nicht anders, da die Lohnsteuerklassen automatisch dem Finanzamt vom (neuen Arbeitgeber) mitgeteilt werden. Der Arbeitnehmer kann aber über den Lohnsteuerjahresausgleich die zuviel gezahlt Einkommensteuer erstattet bekommen.
Fünftelregelung
Es kann passieren, dass sich durch die Zahlung einer hohen Abfindung der Jahresbruttoverdienst des Arbeitnehmers erheblich erhöht und er dadurch in die Stufe des nächsthöheren Steuersatzes kommt. Der Arbeitnehmer kann aber mit Hilfe der sogenannten Fünftelregelung Steuern sparen. Danach wird er so gerechnet, als hätte er über fünf Jahre verteilt jeweils ein Fünftel der Abfindungszahlung erhalten.
Wird die Abfindung auf das Arbeitslosengeld angerechnet?
Arbeitnehmer haben trotz des Erhalts einer Abfindung den vollen Anspruch auf Arbeitslosengeld I. Die "Abfindungsentschädigung" wird nicht auf die Sozialleistung (ALG I) angerechnet.
Davon gibt es zwei Ausnahmen:
Aufhebungsvertrag mit Abfindung | Verkürzung der Kündigungsfrist |
---|---|
in der Regel Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs bis zu 3 Monate | in der Regel Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist |
weiterführende Artikel
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Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht – Berlin
Bezahlte Pflegezeit von 10 Tagen für Arbeitnehmer ab 2015
Ab dem 1.1.2015 soll es für Arbeitnehmer möglich sein insgesamt 10 Tage an Pflegzeit zur Pflege naher Angehöriger zu nehmen. Diese Zeit soll auch bezahlt werden und zwar in Höhe von bis zu 90 % des leztzten Nettoeinkommens durch sog. Pflegeunterstützungsgeld.
Eine Regelung über die Pflegezeit für Arbeitnehmer von 10 Tagen gibt es bereits (Pflegezeitgesetz). Der Arbeitgeber musste hier freistellen, zudem bestand ein Kündigungsschutz nach § 5 des Gesetzes über die Pflegezeit. Neu ist der Anspruch auf Lohnfortzahlung durch das Pflegeunterstützungsgeld.
Weitere Informationen findet auf der Seite des Bundesministeriums.
Arbeitszeugnis nicht erstellt – Schadenersatz gegen den Arbeitgeber
Nach § 109 Gewerbeordnung hat der Arbeitgeber bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer ein einfaches Zeugnis – auch ohne Aufforderung – zu erstellen. Nach Aufforderung muss der Arbeitgeber eine qualifiziertes Arbeitszeugnis erstellen. Macht er Arbeitgeber dies nicht kann ein Schadenersatzanspruch des Arbeitnehmers bestehen:
Der Arbeitnehmer kann einen Schadensersatzanspruch gegen den säumigen Arbeitgeber herleiten:
- aus Verzug, Nichterteilung oder verspäteter Erteilung des Zeugnisses,
- aus der Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten wegen unvollständiger oder unrichtiger Zeugniserteilung.
Verletzt der Arbeitgeber schuldhaft seine Pflicht, dem Arbeitnehmer rechtzeitig ein ordnungsgemäßes Zeugnis zu erteilen, so haftet er dem Arbeitnehmer. Dies kann der sog. Minderverdienst sein, der diesem dadurch entsteht, dass er bei Bewerbungen kein ordnungsgemäßes Zeugnis nachweisen kann.
Den Schadenersatzanspruch nebst Voraussetzungen muss aber der Arbeitnehmer beweisen. Dies dürfte häufig schwierig sein, insbesondere beim Nachweis des sog. Minderverdienstes.
RA A. Martin
LAG R-P: kein Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld gegen Arbeitgeber bei nicht vorsätzlich herbeigeführten Arbeitsunfall
Ein Arbeitnehmer klemmte sich in einer Schweißanlage beide Hände ein. Der Arbeitgeber hatte Sicherheitsvorschriften mißachtet und die Schweißanlage wurde auch nicht vom TÜV abgenommen. Die Berufsgenossenschaft kannte die Vorfall als Arbeitsunfall an. Der Arbeitnehmer wollte nun vom Arbeitgeber auch Schmerzensgeld und Schadenersatz aufgrund der erlittenen Verletzungen.
Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (Urteil vom 15.5.2014 – 5 Sa 72/14) sah dies anders. Ein Anspruch gegen den Arbeitgeber bestünde allenfalls, wenn dieser vorsätzlich gehandelt hätte, was nachweislich nicht der Fall gewesen war.
Dies ist nichts Neues (siehe z.B. auch Entscheidung des LAG Berlin). Allerdings ist auch die Entscheidung des LAG Hessen zu beachten, wonach eine Schadenersatzpflicht bei Verletzung unter Arbeitskollegen angenommen wurde mit der Begründung, dass die Verletzungshandlung (Herumwerfen mit Wuchtgewichten) nicht dem betrieblichen Bereich, sondern den privaten Bereicht zuzuordnen ist.
RA A. Martin
Basiszinssatz sinkt zum 1.7.2014
Zum 1.7.2014 sinkt der Basiszinssatz um 0,1 Prozentpunkte auf -0,73 Prozent. Dies teilte die Bundesbank mit. Damit sinkt der Basiszinssatz zum vierten Mal in Folge auf einen negativen Wert. Dies hat negative Auswirkungen z.B. für Gläubiger, die einen Titel (z.B. Urteil) haben und daraus vollstrecken, da damit auch die Zinsen sinken, die der Schuldner zu tragen hat.
Basiszinssatz und Verzug
Der Basiszinssatz ist die Grundlage für die Berechnung der Verzugszinsen in der Bundesrepublik. Bei Geschäften zwischen Privatleuten oder zwischen einem Geschäftsmann und einem Privatmann liegen die Verzugszinsen bei 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz (§ 288 Abs. 1 BGB). Unter Geschäftsleuten (Rechtsgeschäften an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist) beträgt der gesetzliche Verzugszins 8 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz verlangen (§ 288 Abs. 2 BGB).
Basiszinssatz und Arbeitsrecht
Bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern beträgt der Verzugszins 5 Prozentpunkte, da der Arbeitnehmer einem Verbraucher gleichgestellt wird.
RA A. Martin
EuGH: Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers verfällt nicht mit dessen Tod
Stirbt der Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis, dann geht mit dem Tod der Anspruch auf Urlaub (hier dann Urlaubsabgeltung) unter und kann nicht auf die Erben des AN übergehen, so sah dies bisher das Bundesarbeitsgericht.
LAG Hamm legt die Rechtsfrage den EuGH vor
Das LAG Hamm schien davon aber nicht überzeugt zu sein und legte dies (in einem „Extremfall“) dem EuGH vor. Ein Extremfall deshalb, da ein Arbeitnehmer, der lange Zeit arbeitsunfähig krank geschrieben war, insgesamt 140,5 Tage an Erholungsurlaub angehäuft hatte und verstarb.
Sachverhalt in der Pressemitteilung des EuGH
Herr Bollacke war vom 1. August 1998 bis zu seinem Tod am 19. November 2010 bei dem Unternehmen K+K beschäftigt. Von 2009 bis zu seinem Tod war er aufgrund einer schweren Erkrankung mit Unterbrechungen arbeitsunfähig. Bis er starb hatte er 140,5 Tage offenen Jahresurlaub angesammelt.
Die Witwe von Herrn Bollacke forderte von K+K eine Abgeltung für den von ihrem Ehegatten nicht genommenen Jahresurlaub. Das Unternehmen wies die Forderung zurück und äußerte Zweifel an der Vererbbarkeit der Abgeltung.
Das mit der Sache befasste Landesarbeitsgericht möchte vom Gerichtshof wissen, ob das Unionsrecht einzelstaatliche Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten gestattet, wonach im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Tod des Arbeitnehmers der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ohne Begründung eines Abgeltungsanspruchs für nicht genommenen Urlaub untergeht. Ferner möchte es wissen, ob eine solche Abgeltung von einem Antrag des Betroffenen im Vorfeld abhängt.
Entscheidung des EuGH
Der EuGH (Urteil v. 22.11.2011, C-214/10C-118/13 -Gülay Bollacke / K + K Klaas & Kock B.V. & Co. KG ) entschied nun überraschend, dass der Urlaubsanspruch / Urlaubsabgeltungsanspruch nicht mit dem Tod des Arbeitnehmers untergeht, sondern vererbbar ist. Somit kann die Witwe hier grundsätzlich den Anspruch auf Urlaubsabgeltung ihres verstorbenen Ehemannes geltend machen.
Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass der Arbeitnehmer, wenn das Arbeitsverhältnis geendet hat, Anspruch auf eine Vergütung hat, um zu verhindern, dass ihm jeder Genuss des Anspruchs auf Urlaub vorenthalten wird3. Das Unionsrecht steht einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegen, nach denen dem Arbeitnehmer am Ende des Arbeitsverhältnisses keine finanzielle Vergütung geschuldet wird, obwohl er krankheitsbedingt nicht in den Genuss seines bezahlten Jahresurlaubs kommen konnte.
Der Gerichtshof betont, dass der Begriff des bezahlten Jahresurlaubs bedeutet, dass für die Dauer des Jahresurlaubs das Entgelt des Arbeitnehmers fortzuzahlen ist.
Ein finanzieller Ausgleich im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Tod des Arbeitnehmers stellt die praktische Wirksamkeit des Urlaubsanspruchs sicher. Der unwägbare Eintritt des Todes des Arbeitnehmers darf nicht rückwirkend zum vollständigen Verlust des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub führen.
Der Gerichtshof stellt deshalb klar, dass das Unionsrecht einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, wonach der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ohne Begründung eines Abgeltungsanspruchs für nicht genommenen Urlaub untergeht, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet.
Er stellt weiter fest, dass diese Abgeltung nicht davon abhängt, dass der Betroffene im Vorfeld einen Antrag gestellt hat.
Rechtsanwalt A. Martin
kein Anspruch auf Entschädigung des schwerbehinderten Bewerbers bei Verschweigen der Schwerbehinderteneigenschaft
Das Arbeitsgericht Stuttgart (ArbG Stuttgart Urteil vom 29.1.2014, 11 Ca 6438/13) entschied, dass ein schwerbehinderter nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladener Bewerber keinen Anspruch auf Entschädigung nach dem AGG wegen Diskriminierung bekommt, wenn er selbst nur versteckte Hinweise auf seine Schwerbehinderteneigenschaft macht, aber nicht offen angibt, dass er schwerbehindert ist.
Entscheidung und AGG-Entschädigung
Das Arbeitsgericht führt dazu aus:
Ein Entschädigungsanspruch nach den §§ 81 Abs. 2 SGB IX, 15 Abs. 2 AGG setzt voraus, dass ein behinderter Bewerber wegen seiner Behinderung benachteiligt wird. Ein Nachteil liegt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bereits in der Versagung einer Chance bei der Auswahl der Bewerber im Hinblick auf eine zu besetzende Stelle, beispielsweise – wie hier – durch die Nichteinladung zu einem Vorstellungsgespräch.
2. Zur Feststellung des Kausalzusammenhangs zwischen nachteiliger Behandlung und Behinderung genügt es, wenn der Bewerber Indizien vorträgt, die seine Benachteiligung wegen eines verbotenen Merkmals vermuten lassen, § 22 AGG. Wird ein schwerbehinderter Bewerber von einem öffentlichen Arbeitgeber entgegen § 82 S. 2 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, rechtfertigt dieser Verfahrensverstoß die Annahme einer durch die Behinderung motivierten Benachteiligung, wenn dem Arbeitgeber die schwerbehinderte Eigenschaft bekannt gewesen ist oder er sich aufgrund der Bewerbungsunterlagen diese Kenntnis hätte verschaffen können.
3. Das setzt voraus, dass der Bewerber im Bewerbungsschreiben oder den beigefügten Unterlagen einen hinreichend deutlichen Hinweis darauf gibt, dass in seiner Person die Schwerbehinderteneigenschaft im Zeitpunkt der Bewerbung (noch) vorliegt. Der öffentliche Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, die Bewerbungsunterlagen nach versteckten und obendrein missverständlichen Hinweisen auf eine Schwerbehinderteneigenschaft zu durchsuchen.
4. Der öffentliche Arbeitgeber ist auch nicht verpflichtet, im Zweifelsfall nachzufragen. Erkundigungen in Bezug auf ein verbotenes Differenzierungsmerkmal im Sinne des § 1 AGG könnten ihm als Indiz-Tatsachen nach § 22 AGG entgegengehalten werden.
5. Der schwerbehinderte Bewerber, der die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch auslösen möchte, hat es in der Hand, sich klar, unmissverständlich und eindeutig auszudrücken. Er handelt missbräuchlich, wenn er dem öffentlichen Arbeitgeber die fehlende Einladung zu einem Vorstellungsgespräch als Indiztatsache für eine Benachteiligung vorhält obwohl er lediglich versteckte und missverständliche Hinweise auf seine Schwerbehinderteneigenschaft gegeben hat.
RA A. Martin