Beschluss
LAG Berlin-Brandenburg: Unwahre Angaben im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte sich mit folgendem Fall zu beschäftigen:
Ein Berliner Rechtsanwalt erhob für seine Mandanten Klage gegen den Arbeitgeber und verlangte noch nicht gezahltes Arbeitsentgelt. Zuvor hatte er gegen den Arbeitgeber für seine Mandantin Kündigungsschutzklage eingereicht und das Verfahren durch einen Vergleich beendet. In diesem Verfahren ( Kündigungsschutzverfahren) hatte der Anwalt für seine Mandantin Prozesskostenhilfe unter seiner Beiordnung beantragt. Bereits hier gab es schon Unklarheiten, insbesondere wurden die Kontoauszüge unkenntlich gemacht. Die Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwalts wurde allerdings gewährt.
In den Verfahren auf Lohnklage beantragt Rechtsanwalt für seine Mandantin ebenfalls Prozesskostenhilfe, er reichte dazu aber keine neue Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Mandanten ein, sondern verwies auf die ursprüngliche Erklärung, dem Kündigungsschutzverfahren von seiner Mandantin abgegeben wurde. Er gab dazu an, dass keine Änderungen eingetreten seien.
Das Arbeitsgericht Berlin forderte die Arbeitnehmerin über ihren Rechtsanwalt auf nochmals die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse einzureichen. Dies machte dann die Klägerin und es ergab sich zunächst aus der Erklärung, dass die Klägerin mittlerweile ein Kind geboren hatte und sich in Elternzeit befand. Ein Beleg über den Kontostand der Klägerin war nicht beigefügt. Auch gab die Klägerin an, dass sie eine Riesterrente habe.
Das Arbeitsgericht Berlin forderte denRechtsanwalt aus, dass seine Mandantin hier den Kontostand nachweisen und nähere Angaben / Belege zur Riesterrente machen solle. Dies machte dann der Anwalt und es stellt sich heraus,dass ein Guthabenstand von 1.768,85 EUR vorlag, aber keine Riesterrente.
Das Arbeitsrecht Berlin wies den Antrag der Klägerin/Arbeitnehmerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Rechtsanwaltsbeiordnung für die Lohnklage mit der Begründung zurück, dass die Klägerin hier im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren wissentlich falsche Angaben gemacht habe.
Gegen den Beschluss legte der Rechtsanwalt sofortige Beschwerde ein und das Arbeitsgericht half der sofortigen Beschwerde nicht ab und leitete die Akte an das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg weiter.
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 10.2.2016 10 Ta 85/16) hielt die Beschwerde für zulässig und begründet und führte dazu aus:
In der Sache ist das Beschwerdegericht von einer Verwirkung des Anspruchs auf Prozesskostenhilfe auf Grundlage einer analogen Anwendung des § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO ausgegangen. Nach dieser Vorschrift soll das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe im Nachhinein u.a. aufheben, wenn die Antragstellerin im Überprüfungsverfahren absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben über ihre persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat. Die Vorschrift des § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO hat vor allem Sanktionscharakter (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2012 – IV ZB 16/12). Daher kann das Gericht die Prozesskostenhilfebewilligung bei absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit gemachten falschen Angaben des Antragstellers auch dann aufheben, wenn die Bewilligung nicht auf diesen Angaben beruht, sofern die falschen Angaben jedenfalls generell geeignet erscheinen, die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe zu beeinflussen. Wird eine bewilligte Prozesskostenhilfe in Anwendung dieser Vorschrift widerrufen, wirkt sich der Sanktionscharakter dahin aus, dass die staatliche Leistung nachträglich entzogen wird und die Antragstellerin zur Erstattung der Kosten und Auslagen herangezogen werden kann.
Würde man den Rechtsgedanken des § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO aber bereits im Bewilligungsverfahren anwenden und Verfahrenskostenhilfe wegen falscher Angaben versagen, ergäbe sich eine deutlich weiter reichende Folge, nämlich dass das beabsichtigte gerichtliche Verfahren überhaupt nicht geführt werden kann, letztendlich also der Zugang zum Rechtsschutz insgesamt versagt oder zumindest erheblich beeinträchtigt wird.
Anmerkung:
Das Landesarbeitsgericht hat hier für die Klägerin entschieden, da es schlichtweg keine Vorschrift gibt, die im PKH-Bewilligkeitverfahren normiert, dass keine Prozesskostenhilfe bei wissentlich unwahren Angaben gewährt wird. Eine solche Vorschrift gibt es nur innerhalb des PKH-Prüfungsverfahrens (also nach der Bewilligung der PKH – meist 1 Jahr später müssen nochmals Angaben gemacht werden).
BAG: Prozesskostenhilfe bei Gewerkschaftsmitgliedschaft?
Das Bundesarbeitsgericht hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob ein Arbeitnehmer, der Mitglied einer Gewerkschaft ist einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe im Arbeitsgerichtverfahren hat. Dabei ist von auszuführen, dass Gewerkschaftsmitglieder in der Regel die Möglichkeit haben sich dem Arbeitsgericht Prozess durch die Gewerkschaft vertreten zu lassen.
das Bundesarbeitsgericht – Prozesskostenhilfe bei Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft
In seinem Leitsatz fasst das BAG (BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 5.11.2012, 3 AZB 23/12) die Entscheidung wie folgt zusammen:
Die Möglichkeit eines Arbeitnehmers, zur Durchführung eines Arbeitsgerichtsprozesses gewerkschaftlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, stellt Vermögen iSd. § 115 ZPO dar, solange die Gewerkschaft Rechtsschutz nicht abgelehnt hat oder es als sicher erscheint, dass dies geschehen wird. Etwas anderes gilt nur dann, wenn im Einzelfall der Vermögenseinsatz unzumutbar ist. Dies kann bei einer erheblichen Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen der Gewerkschaft und ihrem Mitglied der Fall sein.
Weiter für das Bundesarbeitsgericht (Entscheidungsgründe) aus:
1) Die Prozesskostenhilfe dient dem Zweck, unbemittelten Personen den Zugang zu den staatlichen Gerichten zu eröffnen. Sie ist als Leistung der staatlichen Daseinsfürsorge und als Bestandteil der Rechtsschutzgewährung eine Einrichtung der Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege (vgl. etwa BGH 26. Oktober 1989 – III ZR 147/88 – zu A II 2 c bb der Gründe, BGHZ 109, 163; Zöller/Geimer ZPO 29. Aufl. § 115 Rn. 19). Daher tritt der Staat nur ein, wenn die Partei selbst die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann. Dies ist nicht der Fall, wenn die Partei zwar selbst bedürftig ist, jedoch gegen einen Dritten Anspruch auf Bevorschussung, etwa aus dem Unterhaltsrecht (vgl. etwa BGH 25. November 2009 – XII ZB 46/09 – Rn. 4, NJW 2010, 372; 10. Juli 2008 – VII ZB 25/08 – Rn. 8, MDR 2008, 1232), oder auf Übernahme der Verfahrenskosten, zB durch eine Rechtsschutzversicherung (vgl. etwa BGH 20. Juni 2006 – VI ZR 255/05 – zu II 1 der Gründe, VersR 2007, 132; 25. April 2006 – VI ZR 255/05 – ZfSch 2006, 503), hat. Deshalb stellt auch die Möglichkeit eines Arbeitnehmers, zur Durchführung eines Arbeitsgerichtsprozesses gewerkschaftlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, Vermögen iSv. § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO dar, solange die Gewerkschaft Rechtsschutz nicht abgelehnt hat oder es als sicher erscheint, dass dies geschehen wird. Etwas anderes gilt nach § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO nur dann, wenn im Einzelfall der Vermögenseinsatz unzumutbar ist. Dies kann bei einer erheblichen Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen der Gewerkschaft und ihrem Mitglied der Fall sein. Dabei ist der Arbeitnehmer zur Begründung seines Prozesskostenhilfeantrags verpflichtet, die Gründe, die für die Unzumutbarkeit sprechen, im Einzelnen darzulegen.
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bb) Danach war es dem Kläger als Gewerkschaftsmitglied zuzumuten, den ihm zustehenden kostenlosen gewerkschaftlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, das Vertrauensverhältnis des Klägers zu seinem gewerkschaftlichen Prozessvertreter sei nicht hinreichend zerrüttet, ist frei von Rechtsfehlern. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die bloße Behauptung des Klägers, er habe kein Vertrauen mehr in die Beratung durch den Vertreter der Gewerkschaft gehabt, weil er sich auf dessen Rat nicht habe verlassen können und ihm keine Begründung dafür gegeben worden sei, warum die Prozessaussichten nach dem Gütetermin – anders als vorher – negativ einzuschätzen gewesen seien, genüge zur Darlegung der Unzumutbarkeit, sich weiterhin durch die Gewerkschaft vertreten zu lassen, nicht. Diese Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass aufgrund des Verlaufs des Gütetermins und des dortigen Vorbringens der Beklagten die Prozesschancen möglicherweise anders einzuschätzen waren als zuvor und dass es ggf. Sache des Klägers gewesen wäre, eine weitere Begründung für die gegebene Prognose zu verlangen oder bei der Gewerkschaft um die Vertretung durch einen anderen Gewerkschaftssekretär nachzusuchen.
Kommentierung der Entscheidung:
Vom Ergebnis her ist die Entscheidung richtig. Es wäre schwer einzusehen, weshalb jemand, der kostenlosen Rechtsschutz in Anspruch nehmen darf, eine Finanzierung seines Prozesses über Prozesskostenhilfe benötigt. Wichtig ist auch, dass es hiervon aber Ausnahmen gibt, zum Beispiel dann, wenn das Vertrauensverhältnis schwer zischen dem Arbeitnehmer unter gewerkschaftlichen Vertretung zerstört ist.
Rechtsanwalt A. Martin
LAG Berlin: Auch der Scheinselbstständige kann vor dem Arbeitsgericht verklagt werden!
Gerade im Baugewerbe kommt es häufig vor, dass Firmen – an Stelle von Arbeitnehmern – viele Unternehmer, die Einzelfirmen betreiben, beauftragen. Wenn nun hier Streit in Bezug auf eine nicht gezahlte Vergütung für die Tätigkeit geführt wird, stellt sich manchmal die Frage, ob der Selbstständige wirklich ein solcher ist oder nur ein sog. „Scheinselbstständiger“. Wenn Scheinselbstständigkeit vorliegt und Vergütung eingeklagt werden soll, dann ist in der Regel der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet. Dies stellte nun nochmals das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg klar.
die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg
Das Landesarbeitsgericht Berlin – Brandenburg (Az 7 Ta 519/11- Beschluss vom 26.04.2011) hatte zu entscheiden, ob der Rechtsweg (§ 17 a GVG) zu den Arbeitsgerichten (Arbeitsgericht Cottbus) eröffnet ist, wenn „offiziell“ kein Arbeitsverhältnis, sondern ein Werkvertrag mit einem Einzelunternehmer vorliegt, aber faktisch der Einzelunternehmer, wie ein Arbeitnehmer in der Vergangenheit tätig gewesen ist. Der Kläger – ein Einzelunternehmer – war für den Beklagten als „Dumperfahrer“ tätig gewesen und hatte über sein Tätigwerden per Rechnung abgerechnet. Die Rechnungen wurden nicht bezahlt, so dass dieser Klage erhoben hat, allerdings nicht zum Amtsgericht (Streitwert ungefähr € 1.000), sondern zum Arbeitsgericht Cottbus. Der Kläger argumentierte, dass er faktisch ein Arbeitnehmer gewesen sei, da er weisungsgebunden war, also nicht selbstständig die Arbeitszeit, den Arbeitsort und Arbeitstätigkeit bestimmen konnte.
faktische Tätigkeit ist entscheidend – so das LAG
Das Arbeitsgericht Cottbus sah den Rechtsweg zum Arbeitsgericht als gegeben an (der Kläger sei faktisch Arbeitnehmer). Das LAG Berlin-Brandenburg entschied aufgrund der Beschwerde des Beklagten ebenfalls zu Gunsten des Klägers und argumentierte wie folgt:
„2.2.1 Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG sind die Arbeitsgerichte zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen „Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis“. Das Arbeitsverhältnis unterscheidet sich von dem freien Mitarbeiterverhältnis/Subunternehmer durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in der sich der zur Dienstleistung Verpflichtete befindet, wobei eine wirtschaftliche Abhängigkeit weder erforderlich noch ausreichend ist. Arbeitnehmer ist, wer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist (BAG v. 13.03.2008 – 2 AZR 1037/06 – DB 2008, 1575-1577). Die vertraglich geschuldete Leistung ist im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation zu erbringen. Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation zeigt sich insbesondere darin, dass der Beschäftigte einem Weisungsrecht seines Vertragspartners (Arbeitgebers) unterliegt. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (BAG v. 22. April 1998 – 5 AZR 342/97 – BAGE 88, 263, zu I 1 der Gründe mwN; v. 19. Januar 2000 – 5 AZR 644/98 – BAGE 93, 218, zu B III 1 a der Gründe). Selbständig ist dagegen, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann, § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB.
Für die Abgrenzung von Bedeutung sind in erster Linie die Umstände, unter denen die Dienstleistung zu erbringen ist, nicht die Bezeichnung, die die Parteien ihrem Rechtsverhältnis gegeben haben, oder eine von ihnen gewünschte Rechtsfolge. Der jeweilige Vertragstyp ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist das Letztere maßgebend. Dabei kommt es auf eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls an (BAG v. 6. Mai 1998 – 5 AZR 347/97 – BAGE 88, 327, zu I 1 der Gründe; v. 20. September 2000 – 5 AZR 271/99 – BAGE 95, 324, zu I 1 der Gründe; v. 9. März 2005 – 5 AZR 493/04 – AP BGB § 611 Lehrer, Dozenten Nr. 167 = EzA BGB 2002 § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 3, zu II 1 a der Gründe). „
Das LAG Berlin-Brandenburg – und dies ist nichts Neues – stellt, bei der Frage, ob jemand Arbeitnehmer ist oder nicht – nicht darauf ab,
- ob, die Person als Arbeitnehmer oder freier Mitarbeiter bezeichnet ist,
- wie das Rechtsverhältnis (Auftrag etc) bezeichnet ist oder
- welche Rechtsfolgen von den Parteien gewollt sind