Vergütung
Bereitschaftszeit bei Polizisten – Arbeitszeit?

Bereithaltung im Polizeidienst und Arbeitszeit
Bereitschaftszeiten bei der Polizei kommen nicht selten vor. Wie auch beim normalen Arbeitnehmer stellt sich dann die Frage, ob solche Zeiten eine vergütungspflichtige Arbeitszeit darstellen oder als Freizeit gewertet werden.
Verwaltungsgerichte entscheiden beim Polizeibeamten
Bei Streitigkeiten zwischen Polizisten und ihren Dienstherrn entscheiden zwar nicht die Arbeitsgerichte, sondern die Verwaltungsgerichte, allerdings ist die Rechtsgrundlage hier ebenfalls die Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG) der Europäischen Union.
Rufbereitschaft und Bereitschaftszeit
Ob Bereitschaftszeiten bzw. Rufbereitschaft eine vergütungspflichtige Arbeitszeit darstellen, dazu gibt es bereits Entscheidungen-im arbeitsrechtlichen Bereich-des Bundesarbeitsgerichts. Entscheidend ist immer welche Einschränkungen für den Arbeitnehmer damit verbunden sind. In der Regel ist diese Arbeitszeit, wenn sich der Arbeitnehmer an einen bestimmten Ort aufhalten muss.
Auslegung der Einschränkungen der Bereitschaftszeit
Oft gibt es Tarifverträge, die dann abgestuft eine Zahlung derartiger Zeiten vorsehen. Wenn es aber keinen Tarifvertrag gibt, dann kommt es darauf an, ob diese Zeiten tatsächlich den Arbeitnehmer so stark einschränken, dass vergütungspflichtige Arbeitszeit vorliegt. Dazu hatte ich bereits mehrere Artikel geschrieben.
vergütungspflichtige Arbeitszeit
Hier geht es nun um die Frage, ob die Bereithaltungszeiten bei der Polizei vergütungspflichtige Arbeitszeit sind oder nicht.
Bundesverwaltungsgericht
Das Bundesverwaltungsgericht hat nun diesbezüglich eine Entscheidung getroffen.
Sachverhalt
Der Kläger-ein Polizist-wollte rückwirkend ab Juni 2012, die in Abzug gebrachten Pausenzeiten, als Arbeitszeit bezahlt bekommen. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 27.05.2021 – Az 10 B 17.18) gab dem Kläger teilweise recht und verurteilte den Dienstherrn dazu eine finanzielle Abgeltung für nicht auf die Arbeitszeit angerechnet Pausen an 216 Tagen in der Zeit vom April 2015 bis Juni 2015 in Höhe von brutto 3124,34 € zu zahlen.
Oberverwaltungsgericht Berlin
Nach dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg stand dem Kläger ein beamtenrechtliche Ausgleichsanspruch wegen rechtswidriger Zuvielarbeit zu. Nach dem OVG hatte der Dienstherr den Kläger regelmäßig mehr als 41 Stunden pro Woche beschäftigt, also über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus. Das Oberverwaltungsgericht stellte klar, dass die Pausen unter Bereithaltungspflicht nach dem unionsrechtlichen Begriffsverständnis Arbeitszeit darstellen, die zu vergüten ist.
Revision
Gegen die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes wehrte sich der Dienstherr zum Bundesverwaltungsgericht mit seiner Revision.
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
Das Bundesverwaltungsgericht entschied, dass die Revision des Dienstherrn unbegründet ist.
Nach dem Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 13.10.2022- 2 C 7.21) kann man nicht pauschal die Bereithaltungszeit als Arbeitszeit einstufen, sondern es kommt immer auf den Einzelfall an. Insbesondere kommt es darauf an ob mit der Bereithaltungszeit auch Einschränkungen verbunden sind, die den Arbeitnehmer in seinem Freizeitverhalten stark beschränken. Je stärker die Einschränkungen sind, umso mehr spricht für eine vergütungspflichtige Arbeitszeit.
Insbesondere hat das Bundesverwaltungsgericht folgendes ausgeführt:
Die zur Anerkennung des beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruchs führende Annahme des Oberverwaltungsgerichts, Pausen unter Bereithaltungspflicht stellten unionsrechtlich Arbeitszeit dar, steht in ihrer Absolutheit nicht mit Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (RL 2003/88/EG, Arbeitszeitrichtlinie – ABl. L 299 S. 9) in Einklang (1.). Auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger könne einen Ausgleich für die Inanspruchnahme über die nationalrechtlichen Arbeitszeitvorgaben hinaus auf der Grundlage des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs verlangen, ist mit den unionsrechtlichen Haftungsgrundsätzen nicht vereinbar (2.). Das Berufungsurteil stellt sich aber aus anderen Gründen i. S. d. § 144 Abs. 4 VwGO im Ergebnis als richtig dar (3.).
Das Berufungsgericht geht im Ausgangspunkt zutreffend davon aus, dass die Begriffe Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG und Ruhezeit i. S. d. Art. 2 Nr. 2 RL 2003/88/EG einander ausschließen; Zwischenkategorien wie „Bereitschaftszeit“ oder „Ruhepause“ sind in der Richtlinie nicht vorgesehen (EuGH, Urteile vom 3. Oktober 2000 – C-303/98, Simap – NZA 2000, 1227 Rn. 47, vom 21. Februar 2018 – C-518/15, Matzak – NJW 2018, 1073 Rn. 55 und vom 9. März 2021 – C-344/19, Radiotelevizija Slovenija – NZA 2021, 485 Rn. 29). Die einem Arbeitnehmer während seiner täglichen Arbeitszeit gewährte Ruhepause bei gleichzeitig geforderter Bereitschaft ist entweder als „Arbeitszeit“ oder als „Ruhezeit“ einzuordnen. Die „bloße“ Pflicht des Arbeitnehmers, sich während der Pausen zur Wiederaufnahme der Arbeit bereitzuhalten, führt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts aber nicht automatisch dazu, die Pausenzeit als Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG zu qualifizieren.
Bereitschaftszeit ist grundsätzlich als Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG einzuordnen, wenn sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten und diesem zur Verfügung stehen muss, um gegebenenfalls sofort die geeigneten Leistungen erbringen zu können (EuGH, Urteile vom 9. September 2003 – C-151/02, Jaeger – Slg. 2003, I-8415 Rn. 63, vom 1. Dezember 2005 – C-14/04, Dellas – Slg. 2005, I-10279 Rn. 48 und vom 21. Februar 2018 – C-518/15, Matzak – NJW 2018, 1073 Rn. 59). Fehlt es aber an einer Verpflichtung, am Arbeitsplatz als dem vom Arbeitgeber bestimmten Ort zu bleiben, kann eine Bereitschaftszeit nicht automatisch als Arbeitszeit i. S. d. RL 2003/88/EG eingestuft werden. Die nationalen Gerichte haben in diesem Fall bei Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände zu prüfen, ob sich eine solche Einstufung daraus ergibt, dass dem Arbeitnehmer Einschränkungen von solcher Art auferlegt werden, dass sie seine Möglichkeit, während der Bereitschaftszeiten die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sich seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen (EuGH, Urteile vom 9. März 2021 – C-344/19, Radiotelevizija Slovenija – NZA 2021, 485 Rn. 37, 45 und – C-580/19, Stadt Offenbach am Main – NZA 2021, 489 Rn. 45). Dies ist grundsätzlich anzunehmen, wenn die dem Arbeitnehmer auferlegte Frist für die Aufnahme seiner Arbeit nur wenige Minuten beträgt und er deshalb in der Praxis weitgehend davon abgehalten wird, irgendeine auch nur kurzzeitige Freizeitaktivität zu planen. Dabei ist die Auswirkung einer solchen Reaktionsfrist im Anschluss an eine konkrete Würdigung zu beurteilen, bei der gegebenenfalls die übrigen dem Arbeitnehmer auferlegten Einschränkungen sowie die ihm während seiner Bereitschaftszeit gewährten Erleichterungen zu berücksichtigen sind (EuGH, Urteil vom 9. März 2021 – C-344/19, Radiotelevizija Slovenija – NZA 2021, 485 Rn. 48 f.).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 9. September 2021 – C-107/19, Dopravní podnik hl. m. Prahy – (NZA 2021, 1395 Rn. 37, 39 ff.) Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG in Bezug auf „Bereitschaft“ in Pausenzeiten dahin auszulegen, dass die einem Arbeitnehmer während seiner täglichen Arbeitszeit gewährte Ruhepause als Arbeitszeit im Sinne dieser Bestimmung zu qualifizieren ist, wenn sich aus einer Gesamtwürdigung der relevanten Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die dem Arbeitnehmer während dieser Ruhepause auferlegten Einschränkungen, die sich aus der Notwendigkeit ergeben, einsatzbereit zu sein, von solcher Art sind, dass sie objektiv gesehen ganz erheblich seine Möglichkeit beschränken, sich in der Pause zu entspannen und Tätigkeiten nach Wahl zu widmen. Zu den zu berücksichtigenden Umständen des Einzelfalls gehören die Auswirkung der Reaktionsfrist, die Häufigkeit, aber auch die Unvorhersehbarkeit möglicher Unterbrechungen der Ruhepausen, die eine zusätzliche beschränkende Wirkung auf die Möglichkeit des Arbeitnehmers haben kann, die Zeit frei zu gestalten. Die sich daraus ergebende Ungewissheit kann ihn in Daueralarmbereitschaft versetzen. Die den Ruhepausen immanenten Einschränkungen in räumlicher und zeitlicher Hinsicht sind bei der Gesamtwürdigung dagegen außer Acht zu lassen.
Urteil vom 13.10.2022 –
BVerwG 2 C 7.21
Anmerkung:
Eine interessante Entscheidung. Es kommt demnach immer auf die Einzelfall und die konkreten Einschränkungen beim Beamten in der Bereitschaftszeit an.
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Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht
Höhergruppierung eines Lehrers

Höhergruppierung eines Lehrers
Das Bundesarbeitsgericht hat nun aktuell über die Voraussetzungen einer Höhergruppierung einer Lehrkraft entschieden.
Eingruppierung
Als Eingruppierung wird die Zuordnung des Angestellten des öffentlichen Dienstes zu einer Entgeltgruppe des entsprechenden Tarifvertrages bezeichnet. Grundlage der Eingruppierung ist die Stellenbewertung.
Umgruppierung und Höhergruppierung und Rückgruppierung
Als Umgruppierung hingegen wird allgemein die Änderung der Eingruppierung, nämlich in der Regel die Höhergruppierung in eine höhere Entgeltgruppe bezeichnet. Von einer Rückgruppierung spricht man hingegen, wenn die Änderung in eine niedrigere Entgeltgruppe erfolgt.
vorübergehende Übertragung von Aufgaben
Keine Eingruppierung ist vorzunehmen, wenn eine höherwertige Tätigkeit begrenzt für eine gewissen Zeitdauer zugewiesen wird.
Eingruppierung und Stellenausschreibung
Die Eingruppierung entspricht aufgrund der Tarifautomatik grundsätzlich dem Ergebnis der Stellenbewertung, d.h. der Bewertung der im Arbeitsvertrag vereinbarten, auszuübenden Tätigkeit.
Stellenbewertung
Die Eingruppierung ist von der Stellenbewertung zu unterscheiden. Mit der Stellenbewertung wird nur die Tätigkeit des Angestellten bewertet. Eine Zuordnung zu einer bestimmten Entgeltgruppe erfolgt dadurch nicht.
Klage auf Höhergruppierung
Was viele Arbeitnehmer nicht wissen ist, dass grundsätzlich ein Verfahren vor dem Arbeitsgericht auf Zuordnung in eine höhe Gruppierung recht schwierig zu führen ist. Die Anforderungen sind die recht hoch.
umfangreiche Darlegungslast des Angestellten
Der Angestellte muss genau darlegen, weshalb er einen Anspruch auf Zahlung eine höheren Tarifgruppe hat. Dies wird oft unterschätzt. Die Anforderung hieran sind recht hoch und es muss ein genauer Vortrag erfolgen, dass der Kläger die entsprechenden Voraussetzungen der jeweiligen Tarifgruppe erfüllt.
aktueller Fall des Bundesarbeitsgerichts
Beim Fall des Bundesarbeitsgerichtes (Urteil vom 25.5.2022 – 4 AZR 331/20) ging es um eine Lehrkraft, die auf eine Höhergruppierung geklagt hatte. Die Lehrerin für Biologie und Sport war bereits beim Arbeitgeber auf einem Gymnasium seit geraumer Zeit tätig.
Auf ihre Bewerbung wurde die Lehrerin mit Wirkung zum 2. November 2015 zur ständigen Vertreterin des Schulleiters eines Gymnasiums mit mehr als 360 Schülern – bestellt. Die Stelle ist mit Besoldungsgruppe A 15 des Besoldungsgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (Landesbesoldungsgesetz – LBesG LSA) bewertet und mit einer Amtszulage verbunden. Im Rahmen der Übertragung dieses Amts bestand Einigigkeit, dass der Tarifvertrag über die Eingruppierung und die Entgeltordnung für die Lehrkräfte der Länder vom 28. März 2015 (TV EntgO-L) die vertragliche Grundlage für die Eingruppierung der Klägerin bilden soll. Die Lehrerin hatte die Auffassung vertreten, sie könne seit Übertragung der Stelle der stellvertretenden Schulleiterin eine Vergütung nach Entgeltgruppe 15 TV-L beanspruchen. Auf die beamtenrechtlichen Voraussetzungen komme es – nach Ansicht der Lehrerin – nicht an.
Urteil des BAG
Das Bundesarbeitsgericht wies darauf hin, dass die Höhergruppierung einer bereits in einem Arbeitsverhältnis beschäftigten Lehrkraft erfordert, dass nach den Bestimmungen des einschlägigen Tarifvertrags über die Eingruppierung neben der Erfüllung der in den Besoldungsgruppe genannten fachlichen und pädagogischen Anforderungen auch die rechtlichen Voraussetzungen für die Beförderung einer vergleichbaren beamteten Lehrkraft vorliegen müssen.
Das BAG führt dazu in seinem Urteil aus:
Entgegen der Ansicht der Klägerin sind die beamtenrechtlichen Voraussetzungen bei der Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit auf eine bereits beschäftigte Lehrkraft nicht ohne weitere Prüfung als erfüllt anzusehen. Die Klägerin beruft sich ohne Erfolg auf die für die Eingruppierung einer neu eingestellten Lehrkraft außerhalb eines Eingangsamts entwickelten Grundsätze des Senats.
(1) Der beamtenrechtlichen Übertragung eines Amts auf Dauer und der Einweisung einer Beamtin in eine Planstelle entspricht bei einer angestellten Lehrkraft die – einseitig ohne Änderungskündigung nicht mehr änderbare – vertragliche Vereinbarung über die für die Amtsausübung erforderliche Tätigkeit. Deshalb ist bei der Neueinstellung einer Lehrkraft außerhalb eines Eingangsamts nicht eine neu eingestellte Beamtin zum Vergleich heranzuziehen, sondern eine Beamtin, die die – vertraglich vereinbarte – Tätigkeit und Funktion der angestellten Lehrerin unter Einhaltung aller hierfür maßgebenden Vorschriften nach der Übertragung des Amts und Einweisung in die entsprechende Planstelle als Beamtin ausübt. Die beamtenrechtlichen Voraussetzungen sind für die vertragliche Ausübung der konkret vereinbarten Tätigkeit, die dem übertragenen Amt entspricht, als erfüllt anzusehen. Die durch den Arbeitsvertrag und die endgültige und vorbehaltlose Übertragung der Aufgaben begründete Stellung dieser Lehrkraft entspricht dabei grundsätzlich der einer Beamtin, der rechtmäßig, dh. unter Wahrung aller für die Besetzung des Dienstpostens geltenden Regelungen, das entsprechende Amt übertragen worden ist (ausf. BAG 20. Juni 2012 – 4 AZR 304/10 – Rn. 29 ff.).
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Urteil vom 25.5.2022 – 4 AZR 331/20
(2) Diese Grundsätze gelten nicht bei der vorliegenden Übertragung höherwertiger Tätigkeiten auf eine bereits beschäftigte Lehrkraft. Ihre Stellung entspricht mangels vertraglicher Vereinbarung einer bestimmten Tätigkeit nicht der einer beamteten Lehrkraft, der unter Wahrung aller für die Besetzung des Dienstpostens geltenden Regelungen das entsprechende Amt übertragen worden ist. Abschnitt 1 Abs. 1 Satz 2 der Anlage zum TV EntgO-L bestimmt vielmehr ausdrücklich, dass die in einem Arbeitsverhältnis beschäftigte Lehrkraft, die sich aus einem vorher von ihr ausgeübten niedrigeren Amt bewirbt, die entsprechenden beamtenrechtlichen Voraussetzungen erfüllen muss (vgl. BAG 20. Juni 2012 – 4 AZR 304/10 – Rn. 27).
Anmerkung:
Einmal mehr zeigt die Entscheidung, dass die Klagen auf Eingruppierung – selbst wenn die sachlichen Voraussetzungen nachweisbar sind – kein Selbstläufer sind.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht
Ist Bereitschaftszeit zu vergütende Arbeitszeit?

Ist der Bereitschaftsdienst vergütungspflichtige Arbeitszeit?
In medizinischen Berufen (Ärzte, Krankenpfleger) , bei der Feuerwehr und auch in anderen Berufen besteht das Problem, dass häufig Bereitschaftszeiten vom Arbeitnehmer in erheblichem Umfang geleistet werden müssen. Der Arbeitnehmer ist zwar während dieser Zeiten oft nicht am Arbeitsplatz, sondern überwiegend werden diese Zeiten zu Hause geleistet, allerdings kann der Arbeitnehmer in seiner „Freizeit“ nicht frei disponieren und muss immer erreichbar sein. Es stellt sich die Frage, ob diese Zeiten nun als reguläre Arbeitszeit zu werten sind, so dass der Arbeitgeber die Bereitschaftszeit zu vergüten hat.
Man muss grundsätzlich zwischen „echten“ Bereitschaftsdienst und der sog. „Rufbereitschaft“ unterscheiden. Es stellt sich auch die Frage, ob Rufbereitschaft unter bestimmten Bedingungen zu bezahlen ist.
Was ist Bereitschaftsdienst oder Bereitschaftszeit?
Im Unterschied zur Vollarbeit liegt ein Bereitschaftsdienst vor, wenn der Arbeitnehmer sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen, regulären Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufhält, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen. Der Arbeitnehmer kann während des Bereitschaftsdienstes seine Zeit weitgehend frei gestalten und sich ggfs. auch ausruhen. Der Arbeitnehmer muss jedoch stets in der Lage sein, unverzüglich seine Tätigkeit aufnehmen zu können. Er darf sich nicht vom Bereitschaftsort entfernen. Dies ist zusätzliche Arbeitszeit, welche zu bezahlen ist.
Was sind die vertraglichen Grundlagen eine vergütungspflichtige Bereitschaftszeit?
Als vertragliche Grundlage der Bereitschaftszeiten kommt vor allem ein Tarifvertrag aber auch der Arbeitsvertrag in Betracht.
Der geleistete Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit. Dies entspricht mittlerweile der ständigen Rechtsprechung. Sämtliche Zeiten des Bereitschaftsdienstes gehören zur Arbeitszeit im Sinne von § 2 Abs. 1 ArbZG.
Mit der uneingeschränkten Bewertung des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit im Sinne des § 2 Abs. 1 ArbZG hat der deutsche Gesetzgeber die vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgenommene Auslegung des Begriffs der „Arbeitszeit“ in das deutsche Recht übernommen.
Den geleisteten Bereitschaftsdienst kann grundsätzlich als Arbeitszeit einordnen, was insbesondere für folgende Punkte Konsequenzen hat:
- Höchstarbeitszeiten (Bereitschaftszeit =Arbeitszeit)
- Ruhephasen (es gibt in der Regel keine Ruhezeitenwährend des Bereitschaftsdienstes)
- Vergütung (der Bereitschaftsdienst ist zu bezahlen)
In Bezug auf die Vergütungspflicht ist aber auszuführen, dass die Bewertung des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit nicht immer dazu führen muss, dass der Arbeitgeber den gleichen Lohn für die Bereitsschaftsstunden zahlen muss. Es können arbeitsvertraglich oder auch tarifvertraglich andere – also auch geringere – Stundensätze vereinbart werden.
Dabei darf aber der gesetzliche Mindestlohn nicht unterschritten werden.
Was ist der Unterschied zwischen Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst?
Vom Bereitschaftsdienst ist die Rufbereitschaft zu unterscheiden. Beide habe oft die Gemeinsamkeit der ständigen Erreichbarkeit des Mitarbeiters. Eine Rufbereitschaft liegt regelmäßig dann vor, wenn sich der Arbeitnehmer auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer dem Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle aufzuhalten hat, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen. Häufig wird vereinbart, dass der Arbeitnehmer telefonisch (in der näheren Umgebung) erreichbar sein soll.
Der Arbeitnehmer ist bei der Wahl seines Aufenthaltsorts nur insoweit eingeschränkt, als er im Bedarfsfall die Arbeitsaufnahme gewährleisten muss.
Wichtig ist hier,dass eine Rufbereitschaft nicht zu einer unzulässigen Einschränkung des Arbeitnehmers führen darf, so dass ein bestimmter Aufenthaltsort vorgegeben wird oder eine sehr kurze Zeit für die Arbeitsaufnahme vorgeschrieben wird. In diesen Fällen liegt keine echte Rufbereitschaft vor, denn hier sind die Einschränkungen für den Arbeitnehmer vergleichbar mit dem echten Bereitschaftsdienst.
Die Rufbereitschaft ist keine Arbeitszeit. Es soll aber nochmals darauf hingewiesen werden, dass im Einzelfall sich die angebliche Rufbereitschaft als Bereitschaftsdienst herausstellen kann. Die Bezeichnung allein und die Tatsache, dass man nicht am Arbeitsort ist, sind nicht vollends ausschlaggebend für die Einordnung als Rufbereitschaft.
Im Fall des Abrufs ist die Zeit der tatsächlichen Inanspruchnahme einschließlich eventueller Wegezeiten dagegen als Arbeitszeit anzurechnen.
Achtung: Auf die Bezeichnung im Arbeitsvertrag durch den Arbeitgeber kommt es nicht an, sondern wie diese zusätzliche Arbeitszeit genau ausgestaltet ist. So kann eine als Rufbereitschaft bezeichnete Zeit dennoch zu vergütende Arbeitszeit sein, wenn der Arbeitnehmer hier sehr stark eingeschränkt ist.
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs
Aktuell gibt es nun eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshof (EuGH, Urteil vom 11.11.2021 – Rs. C-214/20) zur Rufbereitschaft eines Feuerwehrmannes.
Der EuGH führt dazu aus, dass Art. 2 Nr. 1 der RL 2003/88/EG dahingehend auszulegen ist, dass Bereitschaftszeit, die ein Reserve-Feuerwehrmann in Form von Rufbereitschaft leistet und während deren dieser mit Genehmigung seines Arbeitgebers eine selbständige berufliche Tätigkeit ausübt, aber im Fall eines Notrufs innerhalb einer maximalen Frist von zehn Minuten seine Dienstwache erreichen muss, keine „Arbeitszeit“. Dabei spielte beim Fall des EuGH auch eine Rolle, dass der Feuerwehrmann noch eine anderen Tätigkeit während dieser Bereitschaftszeit ausüben durfte und auch nicht an allen von seiner Dienstwache aus durchgeführten Einsätzen teilzunehmen. Der Feuerwehrmann konnte also während der Rufbereitschaft die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen als Feuerwehrmann nicht in Anspruch genommen wurden, frei zu gestalten. Vom Ergebnis sah der Europäische Gerichtshof keine vergütungspflichte Arbeitszeit in der Rufbereitschaft.
BAG: Umkleidezeiten von Polizisten – keine Arbeitszeit!
Bundesarbeitsgericht und vergütungspflichte Arbeitszeit
Das Bundesarbeitsgericht hatte sich wieder mit der Problematik auseinanderzusetzen, was eigentlich alles zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit gehört. Ich hatte im letzten Beitrag eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes bereits kommentiert, wobei es um die Vergütungspflicht des ärztlichen Hintergrunddienstes ging. Diese ist faktisch eine Rufbereitschaft und nach dem Bundesarbeitsgericht nicht zu vergüten.
Wegzeit und Umkleidezeit
Im jetzigen Fall des Bundesarbeitsgerichtes, der ebenfalls aktuell ist, geht es um die Frage, inwieweit Wegzeiten von Wachpolizisten zur Dienststelle, um sich dort eine eingeschlossene Pistole abzuholen und anderen Zeiten für das Anlegen von Polizeischutzausrüstung zu Hause, vergütungspflichtige Arbeitszeit ist.
> Zunächst sollen hier erst einmal einige Grundbegriffe geklärt werden.
Was ist Arbeitszeit?
Die Arbeitszeit ist die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne Ruhepausen. Der Beginn und das Ende der Arbeitszeit richten sich jeweils nach den Vereinbarungen im Arbeitsvertrag.
Wer bestimmt die genaue Lage der Arbeitszeit?
Der Arbeitgeber darf nach billigem Ermessen, § 315 BGB, die Verteilung bzw. die Lage der Arbeitszeit, dies heißt Beginn, Ende, Pausenzeiten, grundsätzlich aufgrund seines Direktionsrechtes einseitig bestimmen. Dieses Ermessen darf vom Gericht nur auf Mißbrauch kontrolliert werden.
Ist die Fahrzeit zur Arbeit Arbeitszeit?
Die Fahrtzeit zum Betrieb des Arbeitgebers ist grundsätzlich keine Arbeitszeit. Von daher ist diese Zeit auch nicht zu vergüten. Etwas anderes kann sich nur dann ergeben, wenn der Arbeitnehmer nicht zum Betrieb, sondern zum Beispiel als Außendienstmitarbeiter direkt zu einem Kunden fährt.
Ist die Umkleidezeit Arbeitszeit die zu vergüten ist?
Die Zeit für das Umkleiden ist nur unter bestimmen Voraussetzungen nach der Rechtsprechung des BAG eine vergütungspflichtige Arbeitszeit.
Achtung: Nach dem Bundesarbeitsgericht (BAG 26.10.2016 – 5 AZR 168/16; BAG 19.09.2012 – 5 AZR 678/11 ; BAG 06.09.2017 – 5 AZR 382/16 ) ist das Umkleiden zur Anlegung von Dienstkleidung vergütungspflichtige Arbeitszeit, wenn das Umkleiden fremdnützig ist.
Dies ist dann der Fall, wenn
- der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Kleidung vorschreibt und
- das Umkleiden im Betrieb erfolgt.
Über welchen Fall hatte nun das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden?
Beim Fall des Bundesarbeitsgerichtes ging es um zwei Polizisten mit leicht unterschiedlichen Fällen. Beide Polizisten waren im Zentralen Objektschutz als Wachpolizisten in Berlin tätig.
Die beiden Wachpolizisten mussten ihren Dienst in angelegter Uniform mit dem Aufdruck POLIZEI sowie mit den persönlichen Ausrüstungsgegenständen und einer Dienstwaffe antreten. Dabei war es den Polizisten freigestellt, ob diese den Weg zur und von der Arbeit in Uniform zurücklegten und ob sie das in einer Dienststelle zur Verfügung gestellte Waffenschließfach nutzen. Einer der Wachpolizisten bewahrt die Dienstwaffe bei sich zu Hause auf und nahm dort auch das Umkleiden und Rüsten für den Dienst vor. Der andere Polizist nutzte das dienstliche Waffenschließfach, was beim Zurücklegen des Wegs von seiner Wohnung zum Einsatzort und zurück einen Umweg bedingte.
Die beiden Polizisten forderten die Feststellung der Vergütungspflicht von Umkleide-, Rüst- und damit in Zusammenhang stehenden Wegzeiten vom Land Berlin und erhoben hier Klage vor dem Arbeitsgericht Berlin.
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte im Berufungsverfahren den Klagen der Polizisten zum Teil stattgegeben und Vergütung für die Umkleidezeiten zugesprochen.
Danach ging der Fall zum Bundesarbeitsgericht (Revision), da die Kläger/ Wachpolizisten nicht mit den Urteilen vor dem LAG Berlin-Brandenburg einverstanden waren.
Was hat das Bundesarbeitsgericht nun entschieden?
Das Bundesarbeitsgericht ist der Meinung, dass keinen der beiden Polizisten eine weitere Vergütung zusteht. Das BAG meint, dass die Wegzeit und auch die um Umkleidezeit keine vergütungspflichtige Arbeitszeit ist.
Dazu führt das Bundesarbeitsgericht in seiner Pressemitteilung 7/21 vom 31.03.2021 folgendes aus:
> Die Revisionen der Kläger hatten vor dem Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen, die Revisionen des beklagen Landes nur zum Teil Erfolg. Das Umkleiden und Rüsten mit einer besonders auffälligen Dienstkleidung, persönlichen Schutzausrüstung und Dienstwaffe ist keine zu vergütende Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer eine dienstlich zur Verfügung gestellte Umkleide- und Aufbewahrungsmöglichkeit nicht nutzt, sondern für die Verrichtung dieser Tätigkeiten seinen privaten Wohnbereich wählt. Ebenfalls nicht vergütungspflichtig ist die für das Zurücklegen des Wegs zur Arbeit von der Wohnung zum Einsatzort und zurück aufgewandte Zeit, denn der Arbeitsweg zählt zur privaten Lebensführung. Dagegen ist die für einen Umweg zum Aufsuchen des dienstlichen Waffenschließfachs erforderliche Zeit zu vergüten, es handelt sich um eine fremdnützige Zusammenhangstätigkeit. Der vom Landesarbeitsgericht geschätzte zeitliche Aufwand hierfür ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Anmerkung:
Bei dieser Entscheidung muss man beachten, dass die Umkleidezeit der Wachpolizisten nur deshalb keine vergütungspflichtige Arbeitszeit ist, da diese sich nicht im Betrieb umgezogen haben, sondern zu Hause. Dies ist der entscheidende Unterschied. Wie oben bereits ausgeführt wurde, sind nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes Umkleidezeiten dann als Arbeitszeit zu vergüten, wenn der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Dienstkleidung vorschreibt und das Umkleiden im Betrieb erfolgt. Der Weg zur Arbeit ist ebenfalls keine Arbeitszeit.
Weitere Artikel zur Arbeitszeit und zu deren Vergütung:
Nachfolgend finden Sie weitere Artikel zur Problematik Arbeitszeit und Vergütung der Arbeitszeit wie folgt:
- Arbeitszeitgesetz – wann verjähren Verstöße?
- Ist die Fahrtzeit zum Kunden vergütungspflichtige Arbeitszeit?
- Neue COVID-19-Arbeitszeitverordnung
- Zählen Pausen zur Arbeitszeit?
- Anfahrt zur Arbeitsstelle (Wegzeit) = Arbeitszeit?
- Anlegen der Pistole = 12 Minuten Arbeitszeit
- LAG Hessen: Umkleidezeit kann Arbeitszeit sein, wenn ein Umkleiden im Betrieb nicht vorgeschrieben ist.
- LAG Nürnberg: Arbeitgeber muss Raucherpausen nicht – wie bisher – als Arbeitszeit bezahlen!
- EuGH: Fahrzeit zur Arbeit kann Arbeitszeit sein
- Arbeitszeitgesetz – Wie lange darf man arbeiten?
BAG: Keine Vergütung des ärztlichen Hintergrunddienstes!
ärztlicher Hintergrunddienst
Oberärzte leisten oft einen sogenannten Hintergrunddienst. Dabei sind sie örtlich nicht anwesend, sondern können sich Zuhause aufhalten, müssen aber im Notfall erreichbar sein und in bestimmten Fällen sogar dann ins Krankenhaus fahren. Dieser sogenannte Hintergrunddienst stellt die Frage danach, ob ein solcher Dienst, wie Arbeitszeit, zu vergüten ist.
Tarifverträge in Krankenhäusern regeln den Hintergrunddienst und dessen Vergütung
Eine Besonderheit besteht auch noch darin, dass für in Krankenhäusern beschäftigte Ärzte oft tarifvertragliche Regelungen Anwendung finden. In vielen ärztlichen Tarifverträgen wird der Dienst als Hintergrund nicht oder nur sehr gering vergütet.
Entscheidung des BAG zur Vergütung des Hintergrundes
Das Bundesarbeitsgericht hatte nun einen Fall zu entscheiden, wonach ein Oberarzt die Zeiten seines Hintergrunddienstes vergütet bekommen wollte.
> Ergebnis: > Um das Ergebnis vorwegzunehmen, das Bundesarbeitsgericht war der Meinung, dass die Hintergrunddienstzeiten des Arztes als Rufbereitschaftsdienste nicht zu vergüten sind.
> Dazu wie folgt:
Was ist Rufbereitschaft?
Rufbereitschaft ist die Verpflichtung des Arbeitnehmers sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten und die Arbeit im Bedarfsfall aufzunehmen. In Tarifverträgen werden für die Rufbereitschaft teilweise andere Bezeichnungen verwandt.
Ist Rufbereitschaft zu vergüten?
Rufbereitschaft ist in der Regel nicht zu vergüten und zählt nicht zur Arbeitszeit, sondern ist Ruhezeit. Der Arbeitnehmer kann seinen Aufenthaltsort frei bestimmen und muss nur erreichbar sein.
Was ist Bereitschaftsdienst?
Bereitschaftsdienst ist eine Sonderform der Arbeitszeit und keine Ruhezeit. Der Bereitschaftsdienst ist das Verfügbarhalten des Arbeitnehmers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort mit der Pflicht zur unverzüglichen Aufnahme der Arbeit im Bedarfsfall.
Muss der Bereitschaftsdienst vergütet werden?
Da der Bereitschaftsdienst keine Ruhezeit, sondern Arbeitszeit ist, ist dieser zu vergüten.
Was ist der Unterschied zwischen Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft?
Grundsätzlich unterscheiden sich die Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst durch die unterschiedliche Bestimmung des Aufenthaltsortes. Bei der Rufbereitschaft bestimmt der Arbeitnehmer, bei der Arbeitsbereitschaft und dem Bereitschaftsdienst der Arbeitgeber den Aufenthaltsort. Die Rufbereitschaft ist Ruhezeit und von daher nicht zu vergüten. Der Bereitschaftsdienst ist vergütungspflichtige Arbeitszeit.
Ist der ärztliche Bereitschaftsdienst zu vergüten?
Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist Bereitschaftsdienst von Ärzten, den diese in persönlicher Anwesenheit in der Gesundheitseinrichtung zu leisten haben, als Arbeitszeit anzusehen (so Urteil des EuGH vom 03.10.2000 C 303/98).
Ist die ärztliche Rufbereitschaft zu vergüten?
In der Regel nicht, aber hier können Ausnahmeregelungen in Tarifverträgen vorgesehen werden.
Sachverhalt des Bundesarbeitsgerichts zur Hintergrundzeit
Der Kläger ist Oberarzt und leistet bei der Beklagten im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses, auf das der TV-Ärzte/TdL Anwendung findet, außerhalb seiner regelmäßigen Arbeitszeit sog. Hintergrunddienste.
Während dieser Zeit ist der Kläger verpflichtet, telefonisch erreichbar zu sein. Weitere ausdrückliche Vorgaben hinsichtlich des Aufenthaltsortes oder der Zeitspanne, innerhalb derer er die Arbeit im Klinikum aufzunehmen hat, gibt es nicht. In der Regel wird er telefonisch in Anspruch genommen und berät dann die Ärzte im Klinikum. In seltenen Fällen muss er auch ins Klinikum fahren.
> Die Beklagte vergütet die Hintergrunddienste gemäß § 9 Abs. 1 TV-Ärzte/TdL als Rufbereitschaft iSd. § 7 Abs. 6 Satz 1 TV-Ärzte/TdL.
Der klagende Oberarzt möchte nun seine Hintergrunddienst bezahlt bekommen und forderte vor dem Arbeitsgericht insgesamt € 40.000 an Vergütung nach.
Das Landesarbeitsgericht sprach dem Kläger die geforderte Vergütung zu.
Die Beklagte ging daraufhin in Revision zum BAG und gewann dort den Rechtsstreit.
Urteilsbegründung des Bundesarbeitsgerichts
Das Bundesarbeitsgericht sah in der ärztlichen Hintergrunddienstzeit nur eine Rufbereitschaft, da kein Aufenthaltsort vorgegeben war, so dass eine Vergütungspflicht nicht bestand.
Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 25. März 2021 – 6 AZR 264/20) führt dazu in seiner Pressemitteilung vom 25.03.2021 (Nr. 6/21) folgendes aus:
> Bei dem vom Kläger geleisteten Hintergrunddienst handelt es sich um Rufbereitschaft. Ob ein vom Arbeitgeber im Anwendungsbereich des TV-Ärzte/TdL angeordneter (Hintergrund-)Dienst im vergütungsrechtlichen Sinn Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft ist, richtet sich ausschließlich nach nationalem Recht und nicht nach der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG. Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst unterscheiden sich nach den tariflichen Definitionen in § 7 Abs. 4 Satz 1 bzw. Abs. 6 Satz 1 TV-Ärzte/TdL dadurch, dass der Arbeitnehmer sich nach den Vorgaben des Arbeitgebers nicht an einem bestimmten Ort aufhalten muss, sondern seinen Aufenthaltsort frei wählen kann. Maßgeblich ist also der Umfang der vom Arbeitgeber angeordneten Aufenthaltsbeschränkung. Dabei ist der Arbeitnehmer allerdings auch bei der Rufbereitschaft in der Wahl seines Aufenthaltsortes nicht völlig frei. Er darf sich entsprechend dem Zweck der Rufbereitschaft nur so weit von dem Arbeitsort entfernt aufhalten, dass er die Arbeit dort alsbald aufnehmen kann. Das ist bei dem von der Beklagten angeordneten Hintergrunddienst noch der Fall. Mit der Verpflichtung, einen dienstlichen Telefonanruf anzunehmen und damit die Arbeit unverzüglich aufzunehmen, ist keine räumliche Aufenthaltsbeschränkung verbunden. Zeitvorgaben für die Aufnahme der Arbeit im Übrigen bestehen nicht. Dass uU nach einem Anruf zeitnah die Arbeit in der Klinik fortgesetzt werden muss, steht im Einklang mit dem Wesen der Rufbereitschaft. > > Allerdings untersagt § 7 Abs. 6 Satz 2 TV-Ärzte/TdL dem Arbeitgeber die Anordnung von Rufbereitschaft, wenn erfahrungsgemäß nicht lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt. Das trifft vorliegend zu. Der Kläger wird in etwa der Hälfte der Hintergrunddienste zur Arbeit herangezogen und leistet zu 4 % aller Rufbereitschaftsstunden tatsächliche Arbeit. Dabei kommt es entgegen der Ansicht der Beklagten nicht nur auf die Arbeitseinsätze an, die in der Klinik fortzusetzen sind, was in mehr als einem Viertel der Rufbereitschaften vorkommt. In der Gesamtschau dieser Umstände hätte sie die vom Kläger geleisteten Hintergrunddienste daher nicht anordnen dürfen. Gleichwohl führt dies nicht zu der vom Kläger begehrten höheren Vergütung. Ein bestimmter Arbeitsleistungsanteil ist nach dem Tarifvertrag weder dem Bereitschaftsdienst noch der Rufbereitschaft begriffsimmanent. Die Tarifvertragsparteien haben damit bewusst für den Fall einer tarifwidrigen Anordnung von Rufbereitschaft keinen höheren Vergütungsanspruch vorgesehen. Diesen Willen hat der Senat respektiert.
Anmerkung: Die Unterscheidung zwischen der nicht Vergütungspflichten Rufbereitschaft und dem zu bezahlenden Bereitschaftsdienst bestimmt sich dem Grunde nach danach, ob der Arbeitnehmer seinen Aufenthaltsort frei bestimmen kann.
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Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht – Berlin
Anfahrt zur Arbeitsstelle (Wegzeit) = Arbeitszeit?
Die nachfolgenden Ausführungen gelten für Arbeitsverhältnisse, bei denen es keine tarifvertragliche Regelung über die Lage der Arbeitszeit gibt.
Fahrt von zu Hause zum Betrieb
Hier gilt – mangels tarifvertraglicher Regelung – dass die Fahrt zur und die Fahrt von der Arbeit nach Hause keine vergütungspflichte Arbeitszeit ist.
Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 17.10.2018, 5 AZR 55) führt dazu aus:
Die gesetzliche Vergütungspflicht des Arbeitgebers knüpft nach § 611 Abs. 1 BGB an die Leistung der versprochenen Dienste an.
Zu den „versprochenen Diensten“ iSd. § 611 Abs. 1 BGB zählt nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. „Arbeit“ als Leistung der versprochenen Dienste iSd. § 611 Abs. 1 BGB ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient (st. Rspr., vgl. nur BAG 25. April 2018 – 5 AZR 424/17 – Rn. 17 mwN).
Grundsätzlich erbringt der Arbeitnehmer mit dem – eigennützigen – Zurücklegen des Wegs von der Wohnung zur Arbeitsstelle und zurück keine Arbeit für den Arbeitgeber.
Ausnahme: Anfahrt direkt zum Kunden
Bei Arbeitnehmer, die keinen festen bzw. gewöhnlichen Arbeitsort besitzen und von Kunde zu Kunde fahren bzw. von zu Hause direkt zum Kunden fahren, sind die Rechtslage anders aus.
Hier hat der EuGH (Urteil vom 10.09.2015 – C-266/14) entschieden, dass in diese Fällen, sowohl die Fahrzeit bis nach Hause, die nach dem letzten Kunden anfällt, als auch jene, die für den Weg zum ersten Auftraggeber des Tages benötigt wird, als vergütungspflichtige Arbeitszeit gilt. Von daher muss der Arbeitgeber auch für diese Zeit eine Vergütung zahlen.
Auch das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 17.10.2018, 5 AZR 55) führt dazu aus:
Anders ist es jedoch, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Betriebs zu erbringen hat. In diesem Falle gehört das Fahren zur auswärtigen Arbeitsstelle zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten ….
Zusammenfassung:
Die Fahrt zur Arbeitsstelle und zurück nach Hause ist in der Regel keine vergütungspflichtige Arbeitszeit. Fährt der Arbeitnehmer aber nicht in den Betrieb des Arbeitgebers, sondern direkt zum Kunden (oder zurück nach Hause), so ist die Fahrt vergütungspflichtige Arbeitszeit. Etwas anderes kann sich aber aus einen anwendbaren Tarifvertrag ergeben.
Fahrt von Kunden zu Kunden bzw. von Baustelle zur Baustelle
In der Praxis – vor allen von Berliner Mandanten – kommt oft die Frage, ob die Fahrt von Kunden zu Kunden bzw. von Arbeitsort 1 zu Arbeitsort 2 (Reinigung/ Monteure- Wegzeit) vergütungspflichtige Arbeitszeit ist.
Oft vertreten hier Arbeitgeber die Auffassung, dass der Arbeitnehmer, der z.B. als Beifahrer im Auto sitzt oder mit der BVG (Berliner Verkehrsbetrieben) unterwegs ist, ja nicht arbeitet und sich ausruhen kann und von daher auch nicht bezahlt werden muss.
Sofern es keine tarifvertragliche Regelung gibt, gilt hier folgendes:
Die Fahrt von Kunden zu Kunden (Objekt zu Objekt) ist in der Regel vergütungspflichtige Arbeitszeit, da der Arbeitnehmer hier im Interesse des Arbeitgebers tätig ist. Dabei ist unerheblich, ob er sich in der Reisezeit ausruhen kann (Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln) oder durch die Fahrt belastet ist (Fahrt mit Kfz).
Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 17.10.2018, 5 AZR 55) führt dazu aus:
Anders ist es jedoch, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Betriebs zu erbringen hat. In diesem Falle gehört das Fahren zur auswärtigen Arbeitsstelle zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten, weil das wirtschaftliche Ziel der Gesamttätigkeit darauf gerichtet ist, Kunden aufzusuchen – sei es, um dort Dienstleistungen zu erbringen, sei es, um Geschäfte für den Arbeitgeber zu vermitteln oder abzuschließen. Dazu gehört zwingend die jeweilige An- und Abreise, unabhängig davon, ob Fahrtantritt und -ende vom Betrieb des Arbeitgebers oder von der Wohnung des Arbeitnehmers aus erfolgen (BAG 25. April 2018 – 5 AZR 424/17 – Rn. 18 mwN; im Ergebnis ebenso ErfK/Preis 18. Aufl. § 611a BGB Rn. 516a ff.; MHdB ArbR/Krause 4. Aufl. § 60 Rn. 19; Schaub ArbR-HdB/Linck 17. Aufl. § 45 Rn. 55; Baeck/Deutsch ArbZG 3. Aufl. § 2 Rn. 83).
Zusammenfassung:
Die Fahrt vom Betrieb zu Kunden oder zu weiteren Arbeitsstätten ist grundsätzlich vergütungspflichtige Arbeitszeit. Der Arbeitnehmer fährt ja nicht im eigenen Interesse, sondern im Interesse des Arbeitgebers. Durch einen Tarifvertrag können abweichende Regelungen getroffen werden (z.B. Absenken der Vergütung bis Mindestlohn).
Rechtsanwalt Andreas Martin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Berlin Marzahn-Hellersdorf
Ausgleich von Überstunden bei Krankheit während der Freistellung ?
Nicht selten stellt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nach einer ordentlichen Kündigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist frei. Dabei erfolgt die Freistellung in der Regel unter Anrechnungen von Überstunden und Urlaubsansprüchen.
Erkrankung im Freistellungszeitraum
Problematisch wird dies aber dann, wenn der Arbeitnehmer während des Freistellungszeitraumes erkrankt. Es stellt sich dann die Frage, ob die Überstunden evtl. doch nicht im Freistellungszeitraum genommen (also Freizeitausgleich) wurden, denn der Arbeitnehmer konnte ja aufgrund seiner Erkrankung die Überstunden nicht „abbummeln“.
Entscheidung des LAG Rheinland-Pfalz
Das LAG Rheinland-Pfalz (19.11.15, 5 Sa 342/15) geht aber davon aus, dass die Überstunden trotz der Krankheit genommen wurden und führt dazu aus, dass der Anspruch auf Arbeitszeitausgleich durch die Freistellung erfüllt wurde; auch wenn der Arbeitnehmer im Freistellungszeitraum erkrankt war.
Erkrankung im Freistellungszeitraum unerheblich für Überstunden
Der Arbeitnehmer kann im Freistellungszeitraum frei über seine Arbeitskraft verfügen, ohne dass die Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung der entsprechenden Vergütung entfällt. Von daher macht eine nachträglich eintretende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit im Freistellungszeitraum die Erfüllung des Ausgleichsanspruchs nicht hinfällig. Der Arbeitnehmer trägt nämlich das Risiko, die durch Arbeitsbefreiung als Arbeitszeitausgleich gewonnene Freizeit auch tatsächlich nach seinen Vorstellungen nutzen zu können. Entgegen der Ansicht des Arbeitnehmers im vorstehenden Prozess sei der Arbeitgeber nicht verpflichtet, die durch Krankheit „verlorenen“ Überstunden nachzugewähren.
Sachverhalt – Arbeitnehmer sollte 66 Überstunden abbummeln
Der Entscheidung lag der Sachverhalt zu Grunde, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis kündigte und diesen unter Anrechnung des restlichen Urlaubs sowie der gesammelter Überstunden – dies waren hier 66 Stunden – freistellte. Im Laufe der Kündigungsfrist wurde der Arbeitnehmer arbeitsunfähig krank und zeigte dies dem Arbeitgeber an. Nach Ablauf der Kündigungsfrist zog der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die 66 Überstunden ab. Der Arbeitnehmer – es bestand ein Arbeitszeitkonto – verlangte nun die Gutschrift dieser Überstunden.
Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz entschied, dass der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Gutschrift / Auszahlung der 66 Überstunden hatte. Diese waren im Freistellungszeitraum gewährt worden, trotz der Erkrankung des Arbeitnehmers.
Rechtsanwalt Andreas Martin
LAG Berlin-Brandenburg: Hungerlohn von € 3,40 pro Stunde sittenwidrig
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 20.04.2016,Az 15 Sa 2258/15) hat – in einem Fall vor Inkrafttreten des Mindestlohnes – entschieden, dass ein Stundenlohn von € 3,40 brutto pro Stunden sittenwidrig ist.
Der Arbeitgeber betreibt eine Pizzeria im Land Brandenburg. Die Arbeitnehmerin war dort seit 2001 als Auslieferungsfahrerin tätig. Sie erhielt durchgängig pauschal 136 Euro bei einer vereinbarten Arbeitszeit von nach Bedarf ca. 35-40 Stunden pro Monat.
Das Jobcenter gewährte Leistungen an die Arbeitnehmerin und machte nun Ansprüche gegen den Arbeitgeber geltend. Das Jobcenter trug vor, dass die Vergütung sittenwidrig niedrig sei und bei Zahlung der üblichen Vergütung wären geringere Leistungen an Grundsicherung angefallen, weshalb der Arbeitgeber diese Differenz zu erstatten habe.
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte der Klage des Jobcenter in Höhe von 5.744,18 Euro stattgegeben.
In seiner Pressemitteilung vom 22.4.2016 führt das LAG Berlin-Brandenburg aus:
Nach der Feststellung des Landesarbeitsgerichts handelt es sich bei dem sich ergebenden Stundenlohn von 3,40 Euro um einen Hungerlohn. Selbst bei unterstellter Vollzeittätigkeit werde ein Einkommen erzielt, von dem man nicht leben könne. Die Vereinbarung von Hungerlöhnen sei sittenwidrig und damit gemäß § 138 Abs. 1 BGB unwirksam. Die übliche Vergütung ergebe sich aus den Feststellungen des statistischen Landesamtes. Für das Jahr 2011 sei das klagende Jobcenter zutreffend von einem Stundenlohn von 6,77 € ausgegangen, der sich bis zum Jahr 2014 auf 9,74 € steigere. Ob sich eine Sittenwidrigkeit daneben auch aus Wertungen der Europäischen Sozialcharta ergeben kann, wurde nicht entschieden.
Die Revision ist nicht zugelassen worden.
Anmerkung:
Der Falls spielte vor Inkrafttreten des Mindestlohnes. Ab dem 1.1.2015 hätte die Pizeria der Arbeitnehmerin € 8,50 brutto pro Stunde zahlen müssen. Die Fälle des sittenwidrigen Lohnes sind seit Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes zwar immer noch möglich, aber selten geworden. Es sind aber trotzdem weiterhin Fälle des Lohnwuchers – auch bei Bezahlung des Mindestlohnes – denkbar, wenn z.B. ein gut qualifiziertes Spezialist weniger als 2/3 des branchenüblichen Lohnes erhält und der Arbeitgeber hier sittenwidrig handelt.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht (Berlin-Marzahn)
LAG Düsseldorf: Wann sind Umkleide- und Waschzeit vergütungspflichtige Arbeitszeit?
Ein als Kfz-Mechaniker tätiger Arbeitnehmer war aufgrund einer Betriebsvereinbarung verpflichtet spezielle Arbeitskleidung während der Arbeit (mit Firmenlogo) zu tragen. Die Kleidung wurde vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt und dort auch gewaschen.
Strittig war, ob die Kleidung auch mit nach Hause genommen und privat getragen werden durfte. Auch verblieb die Firmenkleidung im Betrieb.
Der Arbeitnehmer meinte nun, dass die Umkleidezeit pro Tag bei Beginn 5 Minuten betrage und beim Arbeitsende insgesamt 15 Minunten, davon 10 min für das Duschen (Waschzeit), da die Arbeit mit einer starken Verschmutzung verbunden sei.
Daraus ergäbe sich für die Zeit von März 2014 bis Oktober 2014 ein Anspruch in Höhe von insgesamt 750,08 EUR brutto und zwar für zu vergütende Umkleide- und Waschzeiten.
Da der Arbeitgeber eine Zahlung ablehnte, klagte der Arbeitnehmer. Das Arbeitsgericht Oberhausen gab dem Arbeitnehmer Recht und verurteilte den Arbeitgeber zur Zahlung der € 750,08 brutto.
Vor dem LAG Düsseldorf (AZ 3.8.15, 9 Sa 425/15) kam es zu einem Vergleich. Das Landesarbeitsgericht wies zuvor auf Folgendes hin:
Umkleidezeiten
Umkleidezeiten sind zu vergüten, wenn das Umziehen fremdnützig, also im Interesse des Arbeitgebers erfolgt. Dies ist dann der Fall, wenn die Dienstkleidung während der Arbeitszeit aufgrund einer Weisung des Arbeitgebers zu tragen und die private Nutzung ausgeschlossen sei.
Hier sah das LAG einen Anspruch des Arbeitnehmers aufgrund der Betriebsvereinbarung.
Waschzeiten
Maßgeblich ist, ob das Duschen hier ebenfalls fremdnützig – also im Interesse des Arbeitgebers – sei. Problematisch ist aber, wann dies der Fall ist. Dabei spielt der Grad der Verschmutzung des Arbeitnehmers eine Rolle. Man könnte hier darauf abstellen, ob das Waschen / Duschen zwingend hygienisch notwendig ist.
Hier hatte das LAG Zweifel an den Anspruch des Arbeitnehmers, da ja gerade die Dienstkleidung vor der Verschmutzung schützen sollte.
Am Ende schlossen die Parteien einen Vergleich wonach die Umkleidezeiten von insgesamt 10 min pro Arbeitstrag zu vergüten waren.
Anwalt Andreas Martin
LAG Hessen: Strafanzeige gegen Arbeitgeber nicht automatisch Kündigungsgrund
Ein Arbeitnehmer, der außergerichtlich Lohnzahlungsansprüche gegen seinen Arbeitgeber geltend machte, stellte Strafanzeige gegen den Arbeitgeber wegen der Nichtzahlung, da der Arbeitgeber hier keinerlei Zahlung vornahm.
Der Arbeitgeber kündigte daraufhin außerordentlich und hilfsweise ordentlich und meinte, dass ein Kündigungsgrund schon allein wegen der unverhältnismäßigen Strafanzeige vorlag, denn der Arbeitnehmer – so der Arbeitgeber – hätte seine Vergütungsansprüche auch einfach per Gerichtsverfahren geltend machen können.
Vor dem Arbeitsgericht bekam der Arbeitnehmer – der sich gegen die Kündigungen des Arbeitgeber mittels Kündigungsschutzklage wehrte – Recht.
Die Berufung des Arbeitgebers zum Landesarbeitsgericht Hessen (Urteil vom 27.10.2015 – 16 Sa 674/14) blieb ohne Erfolg. Das LAG führte dazu aus:
Zwar kann die Erstattung einer Strafanzeige an sich einen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer mit der Erstattung einer Strafanzeige ein staatsbürgerliches Recht wahrnimmt (Bundesarbeitsgericht 7. Dezember 2006-2 AZR 400/05-Rn. 17). Zu berücksichtigen ist ferner, ob der Versuch einer innerbetrieblichen Klärung erfolgt ist und ob der Arbeitnehmer bereits bei der Erstattung der Anzeige wusste, dass der erhobene Vorwurf nicht zutrifft oder dies jedenfalls leicht erkennen konnte oder ob er einen unverhältnismäßigen Gebrauch von seinem Recht machte (Bundesarbeitsgericht 27. September 2012 -2 AZR 646/11- Rn. 37). Soweit nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht werden, darf die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte im Strafverfahren im Regelfall aus rechtsstaatlichen Gründen nicht dazu führen, daraus einen Grund für eine fristlose Kündigung abzuleiten (BVerfG 2. Juli 2001 -1 BvR 2049/00- Rn. 20).
Rechtsanwalt Andreas Martin