Diskriminierung
Diskriminierung durch Gendersternchen?

Gendersprache im Arbeitsrecht
Die deutsche Sprache ist im Wandel, auch wenn viele Menschen dies nicht als unbedingt sehr positiv empfinden. Die Medien, vor allen in den öffentlich-rechtlichen, wird immer öfter die sogenannte Gendersprache (geschlechtsneutrale Sprache) verwendet. Mittel dieser "neuen Sprache" ist dabei das sogenannte Gendersternchen.
geschlechtsneutrale Sprache
Befürworter dieser – veränderten deutsche Sprache – meinen, dass dadurch die Sprache geschlechtsneutral werde und nicht mehr diskriminierend sein soll. In der Bevölkerung stößt sie Gendersprache überwiegend auf Ablehnung. Dies scheint aber ein Großteil der öffentlich-rechtlichen Medien nicht davon abzuhalten die Gendersprache trotzdem zu verwenden. Wahrscheinlich steht nicht die neutrale Information, sondern die "Erziehung" der Bevölkerung im Vordergrund.
juristische Sprache und Gendersternchen
Auch im Arbeitsrecht gibt es nun schon die ersten Fälle, bei denen die Gendersprache eine Rolle spielt. Es gibt sogar Vorschläge die Gesetzestexte zukünftig geschlechtsneutral zu formulieren. Erstaunlich ist dabei, dass der Gesetzgeber – gerade im Arbeitsrecht – Jahre brauchte um die diskriminierende Regelung des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB – wonach Beschäftigungszeiten vor Vollendung des 25. Lebensjahrs bei der Berechnung der Kündigungsfrist unberücksichtigt bleiben – zu streichen. Es wäre besser sich hier auf den Inhalt der Regelungen zu konzentrieren und nicht auf eine möglichst geschlechtsneutrale Sprache.
Stellenausschreibungen und Gendersternchen
Was viele Arbeitnehmer und Arbeitgeber wissen ist, dass Stellenausschreibungen geschlechtsneutral zur Folge haben. Dies ist schon seit Jahren so, insbesondere soll nach dem AGG, dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, entsprechende Diskriminierung verhindert werden.
Von daher erfolgen entsprechende Stellenausschreibungen immer mit den Zusatz männlich/weiblich/divers.
Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein
Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (Beschluss vom 22.06.2021 – 3 Sa 37/21) hatte nun darüber zu entscheiden, ob die Verwendung des Gendersternchen einer Stellenausschreibung diskriminierend sei oder nicht.
Eine zweigeschlechtlich geborene schwerbehinderte Person bewarb sich auf eine Stelle als "Diplom-Sozialpädagoginnen" einer Gebietskörperschaft und erhielt eine Absage. Mit ihrer Klage machte die schwerbehinderte (zweigeschlechtige) Klägerin Entschädigungsansprüche nach dem AGG geltend. Dabei trug diese vor, dass sie wegen des Geschlechts diskriminiert worden sei, da das seitens der beklagten Gebietskörperschaft genutzte Gendersternchen bei der Formulierung „Schwerbehinderte Bewerberinnen“ entgegen den Vorgaben des SGB IX ("schwerbehinderter Mensch") nicht geschlechtsneutral sei.
Diese Aussage ist wahrscheinlich für viele Leser erst einmal kaum nachvollziehbar, denn gerade durch das Gendersternchen soll Jahr-so nach deren Befürworter-eine Diskriminierung verhindert werden. In diesem Fall hat die Klägerin – hier formal – recht. In dem die Körperschaft – anstatt, wie bisher – die Stelle mit m/w/d auszuschreiben und von schwerbehinderten Menschen zu sprechen, wollte man besonders korrekt sein und hat das Gendersternchen zum Einsatz gebracht.
Das LAG sah dies aber anders und führte dazu in seiner Pressemitteilung aus:
Das Landesarbeitsgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussicht zurückgewiesen. Die Verwendung des Gendersternchens in einer Stellenausschreibung diskriminiert mehrgeschlechtlich geborene Menschen nicht. Das Gendersternchen dient einer geschlechtersensiblen und diskriminierungsfreien Sprache und ist auf eine Empfehlung der Antidiskriminierungsstelle der Bundesregierung zurückzuführen. Ziel der Verwendung ist es, nicht nur Frauen und Männer in der Sprache gleich sichtbar zu machen, sondern auch alle anderen Geschlechter zu symbolisieren und der sprachlichen Gleichbehandlung aller Geschlechter zu dienen. Ob das Gendersternchen den offiziellen deutschen Rechtschreibregeln entspricht, kann dahingestellt bleiben. Dass geschlechtsneutral ausgeschrieben werden sollte, wird im Übrigen auch durch den sich im Ausschreibungstext befindlichen Zusatz „m/w/d“ deutlich. Damit hat auch die Verwendung des Begriffs „Bewerberinnen“ statt „Menschen“ keinen diskriminierenden Charakter.*
weitere Artikel zum Thema Diskriminierung:
- Altersdiskriminierung – „junges, hochmotiviertes Team“-€ 6.700 Entschädigung.
- € 8.100 Entschädigung wegen Diskriminierung eines Schwerbehinderten im Arbeitsvertrag
- LAG Berlin-Brandenburg: zweifache Kündigung einer Schwangeren führt zu Entschädigungsanspruch wegen Diskriminierung!
- LAG Hessen: Bewerber sollen „Deutsch als Muttersprache“ beherrschen – Diskriminierung.
- Frage nach Grund für Übergewicht beim Vorstellungsgespräch- keine unzulässige Diskriminierung
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht Berlin
BAG: Öffentlicher Arbeitgeber muss geeigneten schwerbehinderten Bewerber zum Vorstellungsgespräch einladen!

Ein Schwerbehinderter (Gleichstellung bei Grad der Behinderung von 30) Bewerber bewarb sich Anfang August 2015 mit einer E-Mail auf eine für den Oberlandesgerichtsbezirk Köln ausgeschriebene Stelle als Quereinsteiger für den Gerichtsvollzieherdienst.
schwerbehinderter Bewerber wird nicht zum Vorstellungsgespräch geladen
Obwohl der Bewerber
fachlich für die Stelle nicht offensichtlich ungeeignet war, wurde er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.
Klage auf Entschädigung nach AGG
Daraufhin klagte der Bewerber gegen das Land auf Entschädigung wegen Diskriminierung nach dem AGG auf Zahlung von 7.434,39 Euro.
Bewerbung wurde übersehen
Im Prozess verteidigte sich das Land damit, dass
die Bewerbung des Klägers aufgrund eines schnell überlaufenden Outlook-Postfachs und wegen ungenauer Absprachen unter den befassten Mitarbeitern nicht in den Geschäftsgang gelangt sei. Allein schon deshalb sei der Kläger nicht wegen der (Schwer)Behinderung bzw. Gleichstellung benachteiligt worden.
Entschädigung von € 3.717,30
Das Arbeitsgericht hat die Klage des schwerbehinderten Bewerbers abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht Köln (Urteil vom 23. August 2018 – 6 Sa 147/18) hat ihr teilweise stattgegeben und dem behinderten Kläger eine Entschädigung iHv. 3.717,30 Euro zugesprochen.
BAG hält Entschädigung für richtig
Die Revision des beklagten Landes blieb im Ergebnis erfolglos.
Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 23. Januar 2020 – 8 AZR 484/18) führt dazu in seiner Pressemitteilung Nr. 5/20 vom 23.1.2020 aus:
Geht dem öffentlichen Arbeitgeber die Bewerbung einer fachlich nicht offensichtlich ungeeigneten schwerbehinderten oder dieser gleichgestellten Person zu, muss er diese nach § 82 Satz 2 SGB IX aF zu einem Vorstellungsgespräch einladen. Unterlässt er dies, ist er dem/der erfolglosen Bewerber/in allerdings nicht bereits aus diesem Grund zur Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verpflichtet. Das Unterlassen einer Einladung zu einem Vorstellungsgespräch ist lediglich ein Indiz iSv. § 22 AGG, das die Vermutung begründet, dass der/die Bewerber/in wegen seiner/ihrer Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung nicht eingestellt wurde. Diese Vermutung kann der Arbeitgeber nach § 22 AGG widerlegen.
Der Kläger hat Anspruch auf eine Entschädigung aus § 15 Abs. 2 AGG in der zugesprochenen Höhe. Das beklagte Land hätte den Kläger, dessen Bewerbung ihm zugegangen war, nach § 82 Satz 2 SGB IX aF zu einem Vorstellungsgespräch einladen müssen. Die Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch begründete die Vermutung, dass der Kläger wegen seiner Gleichstellung mit einer schwerbehinderten Person benachteiligt wurde. Das beklagte Land hat diese Vermutung nicht widerlegt. Insoweit konnte das beklagte Land sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die Bewerbung sei nicht in den Geschäftsgang gelangt. Dass ihm trotz Zugangs der Bewerbung ausnahmsweise eine tatsächliche Kenntnisnahme nicht möglich war, hat das beklagte Land nicht vorgetragen. Auch die Höhe der Entschädigung war im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht Berlin Marzahn Hellerdorf
Warum eine Schule nicht eine“Fachlehrerin Sport (w)“ suchen sollte?
Klagen auf Entschädigung wegen angeblicher Diskriminierung kommen bei den Arbeitsgerichten oft vor. Dabei geht fast immer um das Bewerbungsverfahren und zwar entweder um die Stellenausschreibung oder um der Verfahren an sich. Mittlerweile ist dies auch bei vielen Arbeitgebern bekannt (Stichwort: AGG-Hopping). Nur bei ernsthafter Bewerbung ist eine Entschädigung denkbar.
Benachteiligungsverbot
Nach § 1 des AGG ist es Ziel des Gesetzes, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.Trotzdem kann es manchmal vorkommen, dass eine Stellenausschreibung zunächst benachteiligend ist oder keine Diskriminierung vorliegt, wenn es nämlich für die „Benachteiligung“ einen sachlichen Grund gibt.
Sachlicher Grund für die Benachteiligung?
Nach § 8 Abs. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.
Entschädigung bei Diskriminierung
Liegt aber eine Diskriminierung vor (also, wenn es für die Benachteiligung keinen sachlichen Grund gibt), dann kann der Betroffene eine Entschädigung verlangen und diese beim Arbeitsgericht einklagen.
Nach § 15 Abs. 2 AGG kann wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangt werden. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.
Fall des Bundesarbeitsgerichts
Das Bundesarbeitsgericht hatte sich nun mit folgendem Fall zu beschäftigen:
Ein Bewerber hatte sich im Juni 2017 ohne Erfolg bei einer Privatschule in Bayern erfolglos beworben. Die Schule hatte nämlich eine Stelle als Lehrer mit
„Fachlehrerin Sport (w)“ ausgeschrieben.
Benachteiligung wegen seines männlichen Geschlechts
Der Bewerber meinte, dass er aufgrund seines männlichen Geschlechts benachteiligt wurde und verlangt von der Schule eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
Grund für die Ungleichbehandlung- „Schamgefühl der Schülerinnen“
Die Schule widerum trug im Verfahren vor dem Arbeitsgericht vor, dass die Nichtberücksichtigung des Bewerbers im Stellenbesetzungsverfahren nach § 8 Abs. 1 AGG zulässig gewesen sei. Es gab einen sachlichen Grund, nämlich dass das Schamgefühl von Schülerinnen beeinträchtigt werden könnte, wenn es bei Hilfestellungen im nach Geschlechtern getrennt durchgeführten Sportunterricht zu Berührungen der Schülerinnen durch männliche Sportlehrkräfte komme bzw. diese die Umkleideräume betreten müssten, um dort für Ordnung zu sorgen.
Klage des Bewerbers erfolgreich beim BAG
Die Vorinstanzen haben die Klage des Bewerbers abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die Entscheidung des BAG führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung.
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 19. Dezember 2019 – 8 AZR 2/19) führt dazu in seiner Pressemitteilung Nr. 48/19 vom 19.12.2019 aus:
Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts kann nach § 8 Abs. 1 AGG in unionsrechtskonformer Auslegung nur zulässig sein, wenn es um den Zugang zur Beschäftigung einschließlich der zu diesem Zweck erfolgenden Berufsbildung geht und ein geschlechtsbezogenes Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt.
Der Kläger hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts hat der Beklagte nicht den Vorgaben des AGG und des Unionsrechts entsprechend dargetan, dass für die streitgegenständliche Stelle ein geschlechtsbezogenes Merkmal eine wesentliche und entscheidende sowie angemessene berufliche Anforderung iSv. § 8 Abs. 1 AGG ist. Über die Höhe der Entschädigung konnte der Senat aufgrund der bislang vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen nicht selbst entscheiden.
Anmerkung:
Die Entscheidung des BAG ist richtig. Ansonsten dürfte es an gemischten Schulen nur noch Sportlerinnen geben. Und was wäre dann mit dem „Schamgefühl“ der männlichen Schüler?
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg: abgelehnte Lehrerin mit muslimischen Kopftuch – bekommt Entschädigung

Streitigkeiten wegen Entschädigung nach dem AGG nehmen zu
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Aktenzeichen 7 Sa 963/18) hat einer Muslima eine Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund der Religion zugesprochen und damit das vorangegangene Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 24.05.2018 – 58 Ca 7193/17 aufgehoben.
Sachverhalt
Die abgelehnte Muslima/ Klägerin hatte geltend gemacht, ihre Bewerbung als Diplominformatikerin sei nicht erfolgreich gewesen, weil sie ein muslimisches Kopftuch trage. Sie ist aufgrund ihrer Religion unerlaubt benachteiligt worden.
Entschädigung von 1,5 Monatsgehältern für abgelehnte Bewerberin
Das Arbeitsgericht Berlin hatte noch in der 1. Instanz eine Entschädigung abgewiesen und dabei auf das Berliner Neutralitätsgesetz verwiesen. Das LAG sprach nun eine Entschädigung zu und sah in der Ablehnung der Muslima eine entschädigungspflichtige Diskriminierung.Das Landesarbeitsgericht hat der Mulima/ Klägerin eine Entschädigung in Höhe von eineinhalb Monatsvergütungen nach dem AGG zugesprochen.
Entscheidung des Landesarbeitsgericht Berlin Brandenburg
In seiner Pressemitteilung Nr. 21/18 vom 27.11.2018 für das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg aus:
…… es liege eine Benachteiligung der Klägerin im Sinne des § 7 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vor. Das Land Berlin könne sich zur Ablehnung der Bewerberin nicht mit Erfolg auf das Neutralitätsgesetz (Gesetz zu Artikel 29 der Verfassung von Berlin vom 27.01.2005, GVBl. 2005, 92) berufen. Bei der Auslegung dieses Gesetzes sei das Gericht an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 2015 (Aktenzeichen 1 BvR 471/10 –, 1 BvR1181/10) gebunden. Hiernach sei für ein gesetzliches allgemeines Verbot religiöser Symbole wie dem Kopftuch eine konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität erforderlich, die im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden könne. Das Neutralitätsgesetz des Landes Berlin sei mit der Verfassung vereinbar, weil dieses verfassungskonform ausgelegt werden könne, wie das Landesarbeitsgericht bereits durch Urteil vom 09.02.2017 entschieden hat (Aktenzeichen: Az. 14 Sa 1038/16, s. hierzu die Pressemitteilung Nr. 5/17).
Das Landesarbeitsgericht hat für das beklagte Land die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.
Anmerkung:
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte schon einmal eine ähnliche Entscheidung des Arbeitsgericht Berlin aufgehoben und ausgeführt, dass das Berliner Neutralitätsgesetz im Einzelfall eingeschränkt auszulegen sei.
Rechtsanwalt Andreas Martin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Kanzlei Berlin Marzahn – Hellersdorf
BAG: € 3.915,46 Entschädigung von kirchlicher Einrichtung aufgrund Benachteiligung wegen der Religion !
Ein Werk der evangelischen Kirche (Beklagte) schrieb eine Stelle als Referenten/Referentin zur Erarbeitung des Parallelberichts zum deutschen Staatenbericht zur Umsetzung der UN-Antirassismuskonvention durch Deutschland sowie Stellungnahmen und Fachbeiträge und die projektbezogene Vertretung der Diakonie Deutschland gegenüber der Politik, der Öffentlichkeit und Menschrechtsorganisationen sowie die Mitarbeit in Gremien aus.In der damaligen Stellenausschreibung heißt es: „Die Mitgliedschaft in einer evangelischen oder der ACK angehörenden Kirche und die Identifikation mit dem diakonischen Auftrag setzen wir voraus. Bitte geben Sie Ihre Konfession im Lebenslauf an.“
konfessionslose Bewerberin wird nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen
Daraufhin bewarb sich die konfessionslose Klägerin mit Schreiben vom 29. November 2012 auf die Stelle. Diese wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.
Kirche vergibt Stelle an einen evangelischen Bewerber
Der Beklagte besetzte die Stelle mit einem evangelischen Bewerber.
Entschädigungsklage nach dem AGG
Daraufhin erhob die Klägerin eine Klage auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG iHv. mindestens 9.788,65 Euro.
Benachteiligung wegen Religion
Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte habe sie entgegen den Vorgaben des AGG wegen der Religion benachteiligt, da sie die Stelle wegen ihrer Konfessionslosigkeit nicht erhalten habe.
Rechtfertigung nach § 9 AGG?
Der Beklagte bestritt eine Benachteiligung der Klägerin wegen der Religion; zumindest sei – so der Beklagte – die Benachteiligung nach § 9 Abs. 1 AGG gerechtfertigt.
§ 9 Abs. 1 AGG:
„Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften, die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder durch Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, auch zulässig, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.“
Arbeitsgericht sprach geringe Entschädigung zu
Das Arbeitsgericht hat der Klägerin eine Entschädigung iHv. 1.957,73 Euro zugesprochen.
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg – keine Entschädigung
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 28. Mai 2014 – 4 Sa 157/14, 4 Sa 238/14) hat die Klage insgesamt abgewiesen und sprach von daher der Klägerin keine Entschädigung zu.
Revision zum Bundesarbeitsgericht
Die Revision der Klägerin hatte vor dem 8. Senat des Bundesarbeitsgerichts teilweise Erfolg. Dieser urteilte, dass der Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin eine Entschädigung nach dem AGG iHv. 3.915,46 Euro zu zahlen.
Begründung durch das Bundesarbeitsgericht
Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 25. Oktober 2018 – 8 AZR 501/14) führte dazu in seiner Pressemitteilung vom 25.10.2018 (Nr. 53/18) aus:
Der Beklagte hat die Klägerin wegen der Religion benachteiligt. Diese Benachteiligung war nicht nach § 9 Abs. 1 AGG ausnahmsweise gerechtfertigt. Eine Rechtfertigung der Benachteiligung nach § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG scheidet aus. § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG ist einer unionsrechtskonformen Auslegung im Einklang mit Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG nicht zugänglich und muss deshalb unangewendet bleiben.
Die Voraussetzungen für eine Rechtfertigung nach § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG liegen nicht vor. Nach § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG – in unionsrechtskonformer Auslegung – ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion nur zulässig, wenn die Religion nach der Art der Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Religionsgemeinschaft bzw. Einrichtung darstellt. Vorliegend bestehen erhebliche Zweifel an der Wesentlichkeit der beruflichen Anforderung. Jedenfalls ist die berufliche Anforderung nicht gerechtfertigt, weil im konkreten Fall keine wahrscheinliche und erhebliche Gefahr bestand, dass das Ethos des Beklagten beeinträchtigt würde. Dies folgt im Wesentlichen aus dem Umstand, dass der jeweilige Stelleninhaber/die jeweilige Stelleninhaberin – wie auch aus der Stellenausschreibung ersichtlich – in einen internen Meinungsbildungsprozess beim Beklagten eingebunden war und deshalb in Fragen, die das Ethos des Beklagten betrafen, nicht unabhängig handeln konnte. Der Höhe nach war die Entschädigung auf zwei Bruttomonatsverdienste festzusetzen.
Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/EG:
„Die Mitgliedstaaten können in Bezug auf berufliche Tätigkeiten innerhalb von Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, Bestimmungen in ihren zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie geltenden Rechtsvorschriften beibehalten oder in künftigen Rechtsvorschriften Bestimmungen vorsehen, die zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie bestehende einzelstaatliche Gepflogenheiten widerspiegeln und wonach eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder Weltanschauung einer Person keine Diskriminierung darstellt, wenn die Religion oder die Weltanschauung dieser Person nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt. Eine solche Ungleichbehandlung muss die verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Grundsätze der Mitgliedstaaten sowie die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts beachten und rechtfertigt keine Diskriminierung aus einem anderen Grund.“
Anmerkung:
Die abgelehnte Bewerberin muss nicht nachweisen, dass diese die Stellung ohne Benachteiligung bekommen hätte. Ausreichend ist nur der Nachweis, dass diese aufgrund der Religion diskriminiert wurde. Dafür spricht bereits die Stellenausschreibung. Die Konfessionslosigkeit ist dabei auch von der Religionsfreiheit geschützt.
Rechtsanwalt Andreas Martin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Kanzlei Berlin Marzahn- Hellersdorf
Arbeitsgerichtsgericht Berlin: keine Entschädigung für abgewiesene Lehrerin mit Kopftuch!
Eine Lehrerin wurde vom Land Berlin nicht eingestellt und erhob vor dem Arbeitsgericht Berlin eine Entschädigungsklage. Diese führte aus, dass sie wegen ihrer Religion diskriminiert werde, da diese als gläubige Muslima ein (muslimisches) Kopftuch trage. Das beklagte Land Berlin hatte sich in diesem Zusammenhang auf das Berliner Neutralitätsgesetz berufen, wonach religiöse oder weltanschauliche Symbole in öffentlichen Schulen – mit Ausnahme von beruflichen Schulen – von Lehrkräften nicht getragen werden dürfen.
Das Arbeitsgericht Berlin (Urteil vom 24.05.2018 – 58 Ca 7193/17) wies die Entschädigungsklage der muslimischen Lehrerin ab.
Es führte dazu aus:
Das Arbeitsgericht hat das beklagte Land für berechtigt gehalten, die Klägerin nicht einzustellen. Das beklagte Land wende zu Recht das Neutralitätsgesetz an. Dieses Gesetz sei verfassungsgemäß. Der Berliner Gesetzgeber habe damit eine zulässige Entscheidung darüber getroffen, wie die Glaubensfreiheit der Lehrkräfte gegen die negative Religionsfreiheit der Schulkinder, das Erziehungsrecht der Eltern und den staatlichen Erziehungsauftrag, dem in neutraler Weise nachzukommen sei, abzuwägen seien. Dabei habe er den ihm als Gesetzgeber eingeräumten Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum nicht überschritten. Die staatliche Neutralität der öffentlichen Schulen sei im Hinblick auf die Vielzahl von religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen in der Berliner Bevölkerung von besonderer Bedeutung. Es dürfe auch berücksichtigt werden, dass den Lehrkräften – insbesondere bei jüngeren Schülerinnen und Schülern – eine besondere Vorbildfunktion zukomme, die für das geforderte neutrale Auftreten spreche. Die Einschränkung der Religionsfreiheit der Klägerin sei bei dieser Sachlage hinzunehmen, zumal die Klägerin ihren Beruf an einer beruflichen Schule ausüben könne.
Rechtsanwalt Andreas Martin
Zahlung aus Vergleich wegen Entschädigung nach AGG und Berücksichtigung bei Prozesskostenhilfe
Der Arbeitnehmer machte mit der Klage Zahlungsansprüche auf Entschädigung wegen einer Diskriminierung nach dem AGG in Höhe von rund € 21.000 geltend (nach § 15 Abs. 1 und 2 AGG). Es ging um eine Bewerbung, bei der der Arbeitnehmer als Bewerber in diskriminierender Weise übergangen worden sein soll.
AGG-Entschädigung eines abgelehnten Bewerbers
Gleichzeitig beantragte er für das Verfahren Prozesskostehilfe, über die aber nicht gleich entschieden wurde.
Beantragung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für das Verfahren
Im Laufe des Verfahrens schlossen die Parteien einen vom Arbeitsgericht München protokollierten Vergleich nach dessen Ziff. 1 die beklagte Arbeitgeberin
„an den Kläger unter Aufrechterhaltung der wechselseitigen Rechtsstandpunkte zur Abgeltung der mit dem zu Nr. 1 angekündigten Klageantrag geltend gemachten Forderung einen Betrag in Höhe von 15.000,00 €“
zahle.
PKH-Bewilligung nach Abschluss des Vergleichs
Nach Abschluss des Vergleichs wollte der Arbeitnehmer nun die Bewilligung der PKH unter Beiordnung seines Rechtsanwalts. Diese wurde ihm gewährt.
In einem weiteren Verfahren vor dem Arbeitsgericht München machte der Klägerin wiederum eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend und schloss im Gütetermin einen Vergleich über € 3.500.
Festsetzung der Anwaltsvergütung
Die Vergütung des Anwalts des Klägers wurde antragsgemäß mit rund € 1.700 (als Prozesskostenhilfevergütung) festgesetzt.
Das Arbeitsgericht München kam zum Ergebnis, dass sich der Kläger/ Antragsteller auf jeden Fall einen Teil der Zahlung aus dem Vergleich als einsetzbares Vermögen anrechnen lassen müsste.
Bezirksrevision will Einsatz der Zahlungen für PKH
Nachdem das Verfahren gemäß Eingangsstempel am 26.01.2017 der Bezirksrevisorin am Landesarbeitsgericht München vorgelegt worden ist, hat diese am 30.01.2017 sofortige Beschwerde beim Arbeitsgericht München eingelegt. Die Entschädigungszahlungen in Höhe von insgesamt 18.500,00 € aus dem hiesigen und dem Verfahren zum Gz. 25 Ca 10418/16 habe der Kläger zur Deckung der Prozesskosten einzusetzen. Die geleisteten Entschädigungszahlungen seien im Anschluss an die Rechtsprechung des BGH (vgl. Beschluss vom 10.01.2006 –VI ZB 26/05 –NJW 2006,1068) nicht mit einem Schmerzensgeld vergleichbar. Die AGG-Entschädigung diene der Prävention, während beim Schmer-zensgeld vor allem die schadensausgleichende Funktion, nach der das Leben des Geschädigten dadurch im gewissen Umfang erleichtert werden solle, opferbezogene Merkmale wie auch die Verhältnisse des Schädigers im Vordergrund stünden.
Arbeitsgericht München stimmt zu
Durch Beschluss vom 28.03.2017 hat das Arbeitsgericht München der sofortigen Beschwerde der Staatskasse gegen die PKH-Festsetzung vom 27.01.2017 gegen den Beschluss vom 28.11.2016 (richtig: Beschluss vom 28.11.2016 in der Fassung des Abänderungsbeschlusses vom 12.12.2016) insofern abgeholfen, als der Kläger ein Vermögen von 5.400,00 € einzusetzen habe.
sofortige Beschwerde zum LAG München
Dagegen legte der Arbeitnehmer/ Antragsteller sofortige Beschwerde zum Landesarbeitsgericht München ein.
LAG München hilft der sofortigen Beschwerde des Klägers/ Anwalts nicht ab
Das LAG München (Beschluss vom 18.10.2017 – 3 Ta 170/17) halt der sofortigen Beschwerde des Arbeitnehmers nicht ab und führte dazu aus:
Zahlungsansprüche aus einem gerichtlichen Vergleich sind nur dann vom Vermögenseinsatz gem. § 115 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 90 Abs. 3 SGB XII ausgenommen, wenn der Rechtsgrund des § 15 Abs. 2 AGG im arbeitsgerichtlichen Vergleich zum Ausdruck gekommen und der Vergleich nicht lediglich zur Beseitigung der Ungewissheit über den Ausgang des Verfahrens abgeschlossen worden ist.
Es kann daher im entschiedenen Verfahren offen bleiben, ob im Hinblick auf den Präventationszweck der Entschädigungszahlung gem. § 15 Abs. 2 AGG der Einsatz desjenigen Teiles der Entschädigung zu verlangen ist, dem keine Ausgleichsfunktion zukommt.
Nach § 115 Abs. 3 ZPO hat die Partei ihr Vermögen einzusetzen, soweit dies zumutbar ist. Wann dies zumutbar ist, bestimmt sich nach § 90 SGB XII, der gemäß § 115 Abs. 3 Satz 2 ZPO entsprechend gilt. Mit der Regelung, dass der Einsatz oder die Verwertung eines Vermögens dann nicht gefordert werden darf, soweit dies fürden Antragsteller und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde,ermög-licht es § 90 Abs. 3 SGB XII, in besonders begünstigten Einzelfällen von dem Grundsatz des § 90 Abs. 1 und Abs. 2 SGB XII, wonach das sämtliche Vermögen bis auf das Schonvermögen zu verwerten ist, Ausnahmen zuzulassen(vgl. Fischer in Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl. 2016, § 115 Rn. 48). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stellt der Einsatz von Schmerzensgeld als Vermögen grundsätzlich eine Härte nach § 90 Abs. 3 SGB XII dar (vgl. aktuell BVerwG vom 26.05.2011 –5 B 26/11 –BeckRS 2011, 51679, Rn. 6), weil der Einsatz des Schmerzensgeldes im Rahmen der Prozesskostenhilfe seiner besonderen Zwecksetzung zuwiderliefe. Das Schmerzensgeld stünde den Betroffenen nicht mehr zu den Zwecken zur Verfügung, für die es bestimmt sei. Nach § 253 Abs. 2 BGB handele es sich bei dem Schmerzensgeld um eine Geldleistung für die Abdeckung eines immateriellen Schadens und diene vor allem dem Ausgleich erlittener oder andauernder Beeinträchtigungen der körperlichen und seelischen Integrität, insbesondere auch dem Ausgleich von Erschwernissen, Nachteilen und Leiden, die über den Schadensfall hinaus anhalten und die durch die materielle Schadensersatzleistung nicht abgedeckt seien. Das Schmerzensgeld trage zugleich dem Gedanken Rechnung, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan habe, Genugtuung schulde.
Der Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes entspreche es, dass das Leben des Geschädigten dadurch in gewissem Umfange erleichtert werden solle, was aber nur gewährleistet sei, wenn der Geschädigte das Schmerzensgeld zur freien Verfügung behalte und nicht für Prozesskosten oder seinen notwendigen Lebensunterhalt aufwenden müsse. Schmerzensgeld sei deshalb im Rahmen der Prozesskostenhilfe regelmäßig nicht als Vermögen einzusetzen (vgl. BVerwG vom 26.05.2011 –5 B 26/11 –a.a.O. m.w.N.). Weil seine Höhe von der Schwere der Schädigung und dem Gewicht des erlittenen Unrechts abhänge, sei es nicht gerechtfertigt, die freie Verfügbarkeit des zu deren Ausgleich und Genugtuung erhaltenen Schmerzensgeldes auch nur in Teilen einzuschränken (vgl. BVerwG vom 26.05.2011 –5 B 26/11 –Rz. 7). Das BSG hat für die Grundsicherung für Arbeitsuchende (§ 11 SGB II) Entschädigungszahlungen wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Schmerzensgeld eingestuft und von der Berücksichtigung als Einkommen ausgenommen (vgl. Urteil vom 22.08.2012 –B 14 AS 164/11 R –BeckRS 2012, 75932). Zwar ergebe sich dies nicht aus der aktuellen zivilrechtlichen Systematik, weil sich der Gesetzgeber bewusst dagegen entschieden habe, § 253 Abs. 2 BGB bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts analog anzuwenden und die umfassende Prüfung mit Güter-und Interessabwägung aufrechterhalten habe. Der Gesetzgeber habe aber für das SGB II vor dem Hintergrund der Historie des Sozialhilferechts keine Veränderung zur Rechtslage angestrebt. Dies setze allerdings voraus, dass eine Entschädigungszahlung nach § 15 Abs. 2 AGG auch tatbestandlich vorliege, d.h. dass die Voraussetzung eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot positiv festgestellt worden sei (vgl. BSG, Urteil vom 22.08.2012 –B 14 AS 164/11 R –Rn. 16, 18 und 20 m.w.N.). Werde in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich die Zahlung eines Geldbetrages vereinbart, so könne dies nur dann als eine nach §11 SGB II von der Berücksichtigung als Einkommen freizustellende Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG gewertet werden, wenn dieser Rechtsgrund im arbeitsgerichtlichen Vergleich zum Ausdruck gekommen sei und der Vergleich nicht lediglich zur Beseitigung der Ungewissheit über den Ausgang des Verfahrens abgeschlossen worden sei. Fürden Fall, dass sich den maßgebenden Vergleichen nicht entnehmen ließe, dass sie im Hinblick auf die Regelung des § 15 Abs. 2 AGG geschlossen worden seien, seien die Zahlungen an den Antragsteller ab dem jeweiligen Zuflussmonat als Einkommen zu berücksichtigen und auf einen angemessenen Zeitraum zu verteilen, wie dies bereits im Hinblick auf die in
einem arbeitsgerichtlichen Vergleich vereinbarte Abfindung wegen des Verlustes des Ar-beitsplatzes bzw. in Bezug auf Nachzahlungen von Arbeitsentgelt und Abfindung in Raten aus einem arbeitsgerichtlichen Vergleich entschieden worden sei (vgl. BSG, Urteil vom 22.08.2012 –B 14 AS 164/11 R –Rn. 20 und 21).
Rechtsanwalt Andreas Martin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Berlin Marzahn- Hellersdorf
€ 8.100 Entschädigung wegen Diskriminierung eines Schwerbehinderten im Arbeitsvertrag

Das Landesarbeitsgericht Hamburg (7. Kammer, Urteil vom 30.11.2017, 7 Sa 90/17) hatte folgenden Fall zu entscheiden:
Bewerbung und Probearbeit
Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer (obwohl eigentlich kein Arbeitsvertrag in diesem Fall zustande gekommen ist, wird der Kläger hier als Arbeitnehmer bezeichnet) bewarb sich auf eine Stelle als Hauswart bei der beklagten Arbeitgeberin. Er arbeitete kurz zur Probe (dies ist oft rechtlich schon problematisch) und die Beklagte war mit der Arbeit zufrieden und legte dem Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag zur Unterschrift vor.
Zusicherung, dass keine Schwerbehinderung bestand
Dort stand u.a.:
„Der Mitarbeiter versichert, dass er arbeitsfähig ist, nicht an einer infektiösen Erkrankung leidet und keine sonstigen Umstände vorliegen, die ihm die vertraglich zu leistende Arbeit jetzt oder in naher Zukunft wesentlich erschweren oder unmöglich machen. Der Mitarbeiter erklärt weiter, dass er zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses den Bestimmungen des Schwerbehindertengesetzes nicht unterliegt. Sofern etwa die Voraussetzungen dafür später eintreten, wird er das Unternehmen hiervon unverzüglich in Kenntnis setzen.“
Der Arbeitnehmer unterschrieb den Vertrag nicht und bat um Bedenkzeit und nahm den Vertrag mit nach Hause. Die Arbeitgeberin wusste zu diesem Zeitpunkt nichts von der Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers.
Arbeitnehmer teilt seine Schwerbehinderung mit
Die Parteien diskutierten dann über die diverse Klausel des Formulararbeitsvertrags und dabei teilte der Arbeitnehmer der Arbeitgeberin auch mit, dass er schwerbehindert sei. Die Arbeitgeberin schloss dann den Arbeitsvertrag nicht mit dem Arbeitnehmer ab.
Arbeitsverhältnis kommt aufgrund Absage der Arbeitgeberin nicht zustande
Zwischen den Parteien war streitig,ob die Absage der Arbeitgeberin mit der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers in Verbindung stand oder nicht. Es besteht hier aber schon der Beweis des ersten Anscheins, dass der Grund für die Absage die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers war.
Klage auf Entschädigung zum Arbeitsgericht wegen Diskriminierung
Der Arbeitnehmer verklagte dann hier die Arbeitgeberin auf Zahlung einer Entschädigung nach dem AGG wegen einer Diskriminierung als Schwerbehinderter in Höhe von € 8.100.
Arbeitsgericht gibt dem Arbeitnehmer teilweise Recht
Das Arbeitsgericht gab der Klage zum Teil statt. Gegen die Entscheidung legte die Beklagte Berufung ein. Der Arbeitnehmer legte über seinen Rechtsanwalt sog. Anschlussberufung ein (ansonsten könnte das LAG dem Arbeitnehmer nicht mehr zusprechen als das Arbeitsgericht).
LAG Hamburg spricht den Arbeitnehmer noch mehr zu
Das Landesarbeitsgericht Hamburg sprach dem Arbeitnehmer dann die beantragten € 8.100 an Entschädigung zu und führte dazu aus:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts ist zulässig, allerdings unbegründet, da die Klage begründet ist. Die Anschlussberufung des Klägers ist zulässig und erfolgreich, da ihm eine höhere Entschädigung zuzusprechen war.
Die Berufung der Beklagten ist gemäß § 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Sie wurde im Sinne der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6, ArbGG, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet. Die Anschlussberufung des Klägers ist gem. §§ 64 Abs. 4 ArbGG, 524 ZPO statthaft. Sie wurde form- und fristgerecht eingelegt.
…..
Die Klage ist begründet. Dem Kläger steht eine Entschädigung in Höhe von € 8.1000,00 gemäß §§ 81 Abs. 2 S. 1 SGB IX, 15 Abs. 2 S. 2 AGG i.V.m. § 22 AGG zu.
….
Nach § 1 AGG sind Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern. Nach § 81 Abs. 2 S. 1 SGB IX dürfen Schwerbehinderte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligt werden. § 81 Abs. 2 S. 2 SGB IX verweist im Übrigen auf die Regelungen im AGG.
Gemäß den Vorschriften des § 15 AGG in Verbindung mit § 6 Abs. 1, S. 2 AGG kann ein nicht berücksichtigter Bewerber bei Vorliegen einer nach dem AGG unzulässigen Benachteiligung Schadensersatz und Entschädigung beanspruchen (vgl. BAG, 27.01.2011, 8 AZR 580/09; zit. nach iuris). Voraussetzung für Zahlungsansprüche nach § 15 AGG ist ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs.1 AGG. Ein Verstoß gegen dieses Verbot ist, unter Zugrundelegung des § 1 AGG gegeben, wenn die Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität erfolgt. Der für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG erforderliche Kausalzusammenhang ist dann gegeben, wenn die Benachteiligung – d.h. eine nachteilige, ungünstige Folge bzw. ungünstigere Behandlung als sie andere Bewerber, auf die die Merkmale von § 1 AGG nicht zutreffen, erfahren – an einen in § 1 AGG genannten oder mehrere der in § 1 AGG genannten Gründe anknüpft und dadurch motiviert ist. Dabei ist eine Mitursächlichkeit ausreichend für die Annahme einer Benachteiligung, d.h. wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein in § 1 AGG genannter Grund als negatives Kriterium in einem Motivbündel enthalten ist, das die Entscheidung des Arbeitgebers beeinflusst hat (BAG, 26.9.2013, 8 AZR 650/12; zit. nach juris; vgl. auch Hey, AGG, § 3 AGG Rn. 2). Auf ein Verschulden des Arbeitgebers kommt es nicht an (BAG, 7.7.2011, 2 AZR 396/10; 21.7.2009, 9 AZR 431/08; zit. nach juris).
Diese Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG sind vorliegend erfüllt. Die Beklagte hat gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 Abs. 1 i.V.m. § 1 AGG verstoßen. Der Kläger hat ausreichende Indizien dafür vorgetragen, dass er wegen seiner Schwerbehinderung im Rahmen des Einstellungsverfahrens benachteiligt worden ist.
….
Eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung nach § 3 Abs. 1 AGG ergibt sich zunächst unmittelbar dadurch, dass die Beklagte ihm als schwerbehinderten Menschen einen Arbeitsvertrag mit der in § 9 Abs. 1 S. 2 enthaltenen Erklärung zur Unterzeichnung vorgelegt hat.
§ 9 Abs. 1 S. 2 des Arbeitsvertrages beinhaltet nach seinem Wortlaut die Erklärung des Arbeitnehmers, nicht den Bestimmungen des Schwerbehindertengesetzes zu unterliegen. Das SGB IX stellt jedoch zwingendes Recht dar, das in Teilen auch für nicht-schwerbehinderte und nicht gleichgestellte Menschen gilt, z. B. die Bestimmung zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements gem. § 84 Abs. 2 SGB IX. Als zwingendes Recht ist es vertraglich nicht abdingbar.
Aus Sicht eines verständigen Empfängers in der Situation des Klägers (§§ 133, 157 BGB) ist die Klausel so zu verstehen, dass er erklären soll, weder behindert noch gleichgestellt i.S.d. § 2 SGB IX zu sein. Für dieses Verständnis spricht insbesondere die Regelung in § 9 Abs. 1 S. 3 des Arbeitsvertrages, dass er eine später eintretende Veränderung dem Unternehmen unverzüglich mitteilen soll.
Die so gefasste Klausel benachteiligte den Kläger. Sie führt nämlich zu einer ungünstigeren Behandlung im Vergleich zu nicht schwerbehinderten Bewerbern, ohne dass dies gerechtfertigt wäre, denn sie schafft eine Entscheidungssituation, die negative Folgen für den Arbeitnehmer, der die Klausel bzw. den Arbeitsvertrag unterzeichnen soll, haben kann. Mit dieser Klausel bringt der Arbeitgeber zum Ausdruck, dass es ihm für das Arbeitsverhältnis darauf ankommt, dass der Arbeitnehmer nicht i.S.d. § 2 SGB IX behindert ist. Die erwartete Erklärung ist tätigkeitsneutral, d.h. sie zielt nicht lediglich darauf ab, zu erfahren, ob der Arbeitnehmer die geschuldete Tätigkeit ausüben kann. Vorliegend wird dies durch die Regelung in § 9 Abs. 1 S. 1 des Arbeitsvertrages besonders deutlich, die – im Gegensatz zu § 9 Abs. 1 S. 2 des Arbeitsvertrages – eine konkrete Erklärung bzgl. gesundheitlicher, der Arbeit ggf. entgegenstehender Beeinträchtigungen beinhaltet.
Die Klausel in § 9 Abs. 1 S. 2 des Arbeitsvertrages zwang den Kläger dazu, entweder mit seiner Unterschrift unter den Vertrag wahrheitswidrig zu erklären, nicht schwerbehindert zu sein oder aber – wie es der Kläger getan hat – den Vertrag mit der Bitte um entsprechende Änderung nicht zu unterschreiben. In beiden Fällen ist der schwerbehinderte Arbeitnehmer in einer ungünstigeren Situation als ein nicht-behinderter Bewerber. Er hat nur die Wahl, seinen neuen Arbeitgeber bei Eingehung des Arbeitsverhältnisses über seine Schwerbehinderung zu täuschen oder sich vor Unterzeichnung des Arbeitsvertrags zu offenbaren und seine Schwerbehinderung offen zu legen. Im ersten Fall läuft er Gefahr, dass sein Arbeitsvertrag später von seinem Arbeitgeber wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB angefochten wird (vgl. z.B. BAG, 7.7.2011, 2 AZR 396/10; zit. nach juris). Im zweiten Fall besteht das Risiko, dass er gar nicht erst eingestellt oder aber sein Arbeitsverhältnis innerhalb der ersten sechs Monate, in welchen er noch keinen besonderen Kündigungsschutz genießt, gekündigt wird.
Diese Situation, die § 9 Abs. 1 S. 2 des Arbeitsvertrags schafft und die den Schwerbehinderten unter Entscheidungsdruck setzt sowie Gewissenskonflikte schafft, führt dazu, dass der Schwerbehinderte durch eine solche Klausel unmittelbar benachteiligt wird. Der Nicht-Behinderte sieht sich mit der Unterzeichnung einer solchen Erklärung keinen Problemen und keinem Entscheidungsdruck ausgesetzt. Der Schwerbehinderte muss abwägen, wie er sich verhalten soll und welche rechtlichen Probleme sein Verhalten jeweils mit sich bringen kann. Der Schutz des Persönlichkeitsrechts des Schwerbehinderten erfordert es jedoch, dass er grundsätzlich selbst entscheiden können muss, wann, auf welche Art und Weise und aus welchem Grund er wem gegenüber seine Schwerbehinderung mitteilen möchte. Dem steht die Klausel in § 9 Abs. 1 S. 2 des Arbeitsvertrags entgegen.
Das ist rechtlich nicht hinnehmbar und mit dem AGG sowie dem Schwerbehindertenrecht nicht vereinbar. Gemäß § 81 Abs. 2 SGB IX n. F. dürfen schwerbehinderte Beschäftigte nämlich nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligt werden. Nach § 1 AGG, dem die Richtlinie 2000/78/EG zugrunde liegt, sollen u.a. Benachteiligungen wegen einer Behinderung verhindert oder beseitigt werden. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG sind Benachteiligungen u.a. wegen einer Behinderung beim Zugang zu einer Erwerbstätigkeit unzulässig. § 7 AGG statuiert ein Benachteiligungsverbot u.a. wegen der Schwerbehinderung für Beschäftigte. Aus diesen Regelungen wird insgesamt deutlich, dass schwerbehinderte Beschäftigte nicht allein aufgrund ihrer Behinderung ungerechtfertigt benachteiligt werden dürfen. Durch die Normierung dieses Verbots hat der Gesetzgeber klar gemacht, dass das Anknüpfen einer Auswahlentscheidung an eine Schwerbehinderung unzulässig ist, solange nicht eine Ausnahme nach § 8 AGG vorliegen sollte. Die mit einer Einstellung eines schwerbehinderten Bewerbers u. U. einhergehenden wirtschaftlichen und organisatorischen Belastungen für den Arbeitgeber sind somit hinzunehmen. Ist aber das der Fall, dann erweist sich die Frage nach einer Schwerbehinderung oder wie vorliegend die Erwartung der Abgabe einer Erklärung, nicht schwerbehindert zu sein, im Regelfall als unzulässig. Häufig liegt nämlich das Interesse des Arbeitgebers bei Fragen nach einer Schwerbehinderung oder wie hier bei der erwarteten Abgabe der Erklärung, nicht schwerbehindert zu sein, darin, einen schwerbehinderten oder gleichgestellten Bewerber aufgrund der genannten Schwierigkeiten nicht einzustellen. Das ist ein nicht schützenswertes Interesse gegenüber dem schwerer wiegenden Diskriminierungsschutz und –verbot in §§ 1, 2, 7 AGG, § 81 Abs. 2 SGB IX (Joussen, Fragerecht, Schwerbehinderung und positive Diskriminierung nach dem AGG, NZA 2007, 174; vgl. auch EK-Schlachter, 11. Aufl., § 2 AGG, Rn. 4).
Eine sachliche Rechtfertigung für eine solche Benachteiligung war und ist nicht erkennbar. Das gilt jedenfalls für die Fälle, in denen – wie vorliegend – die Schwerbehinderung keinerlei Auswirkungen auf die auszuübende Tätigkeit hat bzw. haben kann und somit keinerlei legitimes Interesse auf Seiten des Arbeitgebers erkennbar ist, eine derartige Erklärung von einem schwerbehinderten Mitarbeiter bei Unterzeichnung des Arbeitsvertrags zu fordern. Anders mag es zu beurteilen sein, wenn die Schwerbehinderung der auszuübenden Tätigkeit tatsächlich entgegensteht. Dann hätte der Arbeitgeber unter Umständen ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an einer derartigen Erklärung des Arbeitnehmers, weil die Erfüllung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung in Frage steht. Allerdings muss die Klausel in so einem Fall entsprechend angepasst formuliert sein, was vorliegend nicht gegeben war. Es war auch nicht etwa darauf hingewiesen worden, dass das Unterzeichnen dieser Klausel freiwillig sei und eine nicht wahrheitsgemäße Angabe ohne rechtliche Konsequenzen bliebe.
Soweit die Beklagte darauf abgestellt hat, die Frage nach der Schwerbehinderung könne zulässig sein, weil es dem Arbeitgeber ggf. darum geht, den Schutz der Schwerbehinderten zu ermöglichen oder die Beschäftigungsquote von Schwerbehinderten zu erfüllen bzw. bevorzugt Schwerbehinderte einstellen zu wollen, rechtfertigen diese Aspekte jedenfalls vorliegend die Klausel in § 9 Abs. 1 S. 2 des Arbeitsvertrags nicht. Zum einen ist zu beachten, dass es grundsätzlich dem Schwerbehinderten freigestellt sein muss, ob, wann, wie und wem gegenüber er seine Schwerbehinderung offenbaren möchte, ob er einer besonderen Förderung und eines besonderen Schutzes bedarf. Das gilt insbesondere, solange der schwerbehinderte Arbeitnehmer noch nicht über den Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX verfügt (vgl. § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX). Zum anderen gibt es vorliegend keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es der Beklagten darum ging, schwerbehinderte Menschen einzustellen, den Kläger zu schützen, zu fördern oder dass sie die Schwerbehindertenquote erfüllen wollte. Sachvortrag hierzu gibt es nicht. Hiergegen spricht zudem die Formulierung in § 9 Abs. 1 S. 2 des Arbeitsvertrags. Die Beklagte hatte den Kläger nicht – unter Mitteilung ihrer Motive – nach der Schwerbehinderung gefragt, sondern eine Erklärung erwartet, dass er nicht schwerbehindert ist.
Im Ergebnis ließ die Formulierung der Klausel den Schluss zu, dass es der Beklagten darum ging, keine schwerbehinderten Menschen zu beschäftigen.
Rechtsanwalt Andreas Martin
Fachanwalt für Arbeitsrecht Berlin Marzahn-Hellersdorf
Bei gleicher Arbeit auch gleiches Geld ab 2017?
Das Bundeskabinett hat Mitte Januar 2017 das „Gesetz zur Förderung von Transparenz von Entgeltstrukturen“ beschlossen. Dieses Gesetz soll gewährleisten, dass Lohngleichheit zwischen Frauen und Männern bei gleicher Arbeit besteht. Angeblich sollen Frauen im Durchschnitt 21 % weniger Gehalt als Männer bei gleiche Tätigkeit erhalten.
Lohngleichheit – nicht zwischen allen Arbeitnehmern
Wichtig ist, dass dieses Gesetz speziell das Problem der ungleichen Bezahlung von Frauen und Männern regulieren soll und nicht die ungleiche Bezahlung generell für gleiche Arbeit. Denn bezahlt der Arbeitgeber den Frauen weniger – für die gleiche Arbeit – wie den Männern, dann liegt darin eine Ungleichbehandlung, die nach dem AGG (allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz) schon jetzt eine nicht zulässige Diskriminierung darstellen könnte.
Problem war bisher der fehlende Auskunftsanspruch
Das Problem war bisher, dass die ungleiche Bezahlung der Frauen im Betrieb eine Diskriminierung (aufgrund des Geschlechts) darstellen konnte, aber die Frauen meist kaum Informationen hatten, wie viel ihre männlichen Kollegen im Betrieb erhalten haben. Dies soll sich nun in größeren Betrieben durch einen Auskunftsanspruch verbessern.
Auskunftsanspruch auch für männliche Arbeitnehmer im Betrieb
Den Anspruch auf Auskunft haben nicht nur die Frauen im Betrieb, sondern auch die Männer, ansonsten wäre dies eine nicht nachvollziehbare Ungleichbehandlung.
Gesetz zur Förderung von Transparenz von Entgeltstrukturen
Der Gesetzentwurf sieht nun folgende Maßnahmen vor:
Auskunftsanspruch der Arbeitnehmer im Betrieb von mehr als 200 Arbeitnehmern
- gegenüber Arbeitgeber über das Arbeitsentgelt von 6 vergleichbaren Arbeitnehmern des anderen Geschlechts
- nebst weitere Entgeltbestandteile, wie Boni oder Dienstwagen,
- Auskunftsanspruch in Betrieben ohne Betriebsrat und ohne Tarifvertrag direkt gegenüber dem Arbeitgeber
- in tarifgebundenen Unternehmen soll der Auskunftsanspruch in der Regel über den Betriebsrat erfolgen
- Arbeitgeber mit mehr als 500 Arbeitnehmern sollen regelmäßig alle 4 Jahre Berichte über den Stand der Entgeltgleichheit vorlegen.
Rechtsanwalt Andreas Martin
BAG: behinderter Arbeitnehmer und Schadensersatz wegen unterbliebener Erhöhung der Wochenarbeitszeit
Der Arbeitnehmer/ Kläger war seit Dezember 2011 mit einem GdB von 50 als schwerbehinderter Mensch beim Arbeitgeber/ der Beklagten als Kurierfahrer tätig. Die regelmäßige, wöchentliche Arbeitszeit betrug 27,5 Stunden. Der schwerbehinderte Kläger bat mehrfach darum, dass seine regelmäßige Arbeitszeit erhöht werde.
Im Juni 2013 verteilte die Beklagte dann ein Stundenvolumen von insgesamt rund 65 Stunden – unbefristet – an 14 teilzeitbeschäftigte Kuriere und schloss mit diesen entsprechende Änderungsverträge ab. Allein der Kläger und ein weiterer Mitarbeiter wurden übergangen und deren Arbeitszeit wurde nicht erhöht.
Mit seiner Klage hat der Kläger eine Erhöhung seiner wöchentlichen Arbeitszeit begehrt sowie Schadenersatz wegen der Diskriminierung als Schwerbeschädigter nach § 15 Abs. 1 AGG in Höhe der ihm entgangenen Vergütung geltend gemacht.
Der Kläger führte dazu aus, dass die Beklagte ihn bei der Vergabe der Stundenerhöhungen wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt habe.
Das Arbeitsgericht wies der Klage des Arbeitnehmers ab. Das Landesarbeitsgericht sah hier den Schadenersatzanspruch wegen der Diskriminierung als begründet an.
Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 26. Januar 2017 – 8 AZR 736/15) hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts auf und verwies den Fall zurück an das LAG zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zurück. Insbesondere sah das Bundesarbeitsgericht es nicht für erwiesen an, dass eine Diskriminierung des Klägers hier vorgelegen habe und führte dazu in seiner Pressemitteilung (Nr. 5/17) aus:
Das Landesarbeitsgericht durfte der Klage nicht mit der Begründung stattgeben, es lägen Indizien iSv. § 22 AGG* vor, die eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung vermuten ließen und die Beklagte habe diese Vermutung nicht widerlegt. Das Landesarbeitsgericht hat verkannt, dass die Vermutung einer Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes nur besteht, wenn Indizien vorliegen, die mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ darauf schließen lassen, dass ein in § 1 AGG genannter Grund ursächlich für die Benachteiligung war und dass damit die vom Landesarbeitsgericht angenommene „Möglichkeit“ einer Ursächlichkeit nicht ausreicht. Aufgrund der bislang vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen konnte der Senat den Rechtsstreit allerdings nicht abschließend entscheiden.
Rechtsanwalt Andreas Martin