BAG
BAG- Vergütung von Leiharbeitern

Das Wichtigste vorab:
Nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz haben Leiharbeiter einen Anspruch auf die gleiche Bezahlung wie ein Stammmitarbeiter in dem Betrieb, in dem Sie eingesetzt sind, sofern der Ihnen in Qualifikation, Berufserfahrung und ausgeübter Tätigkeit ähnelt. Dies nennt man Equal-Pay-Grundsatz oder Gleichstellungsgrundsatz.
Was regelt das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) zur Vergütung der Leiharbeiter?
Der wichtigste Grundsatz zur Vergütung von Leiharbeitnehmer, der im Gesetz verankert ist, ist der Gleichstellungsgrundsatz. Dieser ist in § 8 des AÜG geregelt. Dort heißt es:
Der Verleiher ist verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an den Entleiher die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren.
Was bedeutet der Gleichstellungsgrundsatz?
Der Grundsatz der Gleichstellung bedeutet, dass der Arbeitgeber, also die Zeitarbeitsfirma, dem Arbeitnehmer das gleiche Gehalt zahlen muss, wie ein vergleichbarer Stammmitarbeiter in dem Betrieb bekommt. Vergleichbar ist ein Arbeitnehmer dann, wenn er dem Stammmitarbeiter in Qualifikation und Kompetenz (Ausbildung und Berufserfahrung) ähnelt und im Betrieb ähnliche Aufgaben ausführt.
Darf vom Equal-Pay-Grundsatz aufgrund eines Tarifvertrags abgewichen werden?
Gesetzlich ist eine solche – auch negative – Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz geregelt und zwar für den Fall, dass ein Tarifvertrag Anwendung findet. Geregelt ist dies ist § 8 Abs. 2 AÜG. Dort steht:
Ein Tarifvertrag kann vom Gleichstellungsgrundsatz abweichen, soweit er nicht die in einer Rechtsverordnung nach § 3a Absatz 2 festgesetzten Mindeststundenentgelte unterschreitet. Soweit ein solcher Tarifvertrag vom Gleichstellungsgrundsatz abweicht, hat der Verleiher dem Leiharbeitnehmer die nach diesem Tarifvertrag geschuldeten Arbeitsbedingungen zu gewähren. (§ 8, Abs. 2 AÜG)
Ist eine solche Abweichung durch das Europarecht gedeckt?
Dies ist die Frage, welche das Bundesarbeitsgericht nun dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt hat. Denn Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104/EG sieht vor, dass die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens denjenigen entsprechen müssen, die für sie gelten würden, wenn sie von dem entleihenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären (Grundsatz der Gleichbehandlung).
Welchen Fall hatte das Bundesarbeitsgericht zur Zeitarbeit und der Gleichstellung beim Lohn zu entscheiden?
Eine Zeitarbeitnehmerin war von April 2016 bis April 2017 aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrags bei einer Leiharbeitsfirma als Leiharbeitnehmerin beschäftigt. Die Mitarbeiterin war einem Unternehmen des Einzelhandels für dessen Auslieferungslager als Kommissioniererin überlassen. Für ihre Tätigkeit erhielt die Klägerin einen Stundenlohn von 9,23 Euro brutto. Aufgrund tarifvertragliche Regelungen erhielt die Klägerin nicht die gleiche Vergütung eines vergleichbaren Stammarbeiters. Dort wäre der Stundenlohn € 13,64 brutto. Diesen wollte sie haben und zwar mit der Begründung, dass die tarifvertragliche Regelung über ihren Lohn (Verringerung) gegen Europarecht und zwar gegen den Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 der Richtlinie 2008/104/EG verstoße.
Das Arbeitsgericht hat die Klage der Leiharbeitnehmerin abgewiesen, das Landesarbeitsgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klage beim BAG weiter.
Was hat das Bundesarbeitsgericht entschieden?
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 16. Dezember 2020 – 5 AZR 143/19 (A) hat keine abschließende Entscheidung in der Sache getroffen, da der Ausgang der Angelegenheit von der Frage abhängig ist, ob hier ein Verstoß gegen Unionsrecht vorliegt. Das BAG hat gemäß Art. 267 AEUV den Gerichtshof der Europäischen Union um eine Vorabentscheidung ersucht.
Was hat das BAG dazu in der Pressemitteilung ausgeführt?
In der Pressemitteilung Nr. 48/20 vom 16.12.2020 führt das Bundesarbeitsgericht dazu folgendes aus:
Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104/EG sieht vor, dass die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens denjenigen entsprechen müssen, die für sie gelten würden, wenn sie von dem entleihenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären (Grundsatz der Gleichbehandlung). Allerdings gestattet Art. 5 Abs. 3 der genannten Richtlinie den Mitgliedsstaaten, den Sozialpartnern die Möglichkeit einzuräumen, Tarifverträge zu schließen, die unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern beim Arbeitsentgelt und den sonstigen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen vom Grundsatz der Gleichbehandlung abweichen. Eine Definition des „Gesamtschutzes“ enthält die Richtlinie nicht, sein Inhalt und die Voraussetzungen für seine „Achtung“ sind im Schrifttum umstritten. Zur Klärung der im Zusammenhang mit der von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2008/104/EG verlangten Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern aufgeworfenen Fragen* hat der Senat entsprechend seiner Verpflichtung aus Art. 267 AEUV den Gerichtshof der Europäischen Union um eine Vorabentscheidung ersucht.
weitreichende Konsequenzen
Die Entscheidung des EuGH könnte weitreichende Auswirkungen auf die Praxis haben. Wenn der EuGH hier einen Verstoß gegen Unionsrecht feststellt, dann wird es zukünftig für Leiharbeitsfirmen äußerst schwierig weniger an Lohn als nach dem Gleichstellungsgrundsatz zu zahlen.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht Berlin
Mündliche Kündigung durch Arbeitnehmer – späteres Berufen auf Unwirksamkeit möglich?
Eine mündliche Kündigung durch den Arbeitnehmer eines Arbeitsverhältnisses ist laut Gesetz nicht möglich. Dies ist in § 623 BGB geregelt.

Schriftform für Kündigung gesetzliche vorgeschrieben
Dort steht:
Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder Auflösungsvertrag bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform; die elektronische Form ist ausgeschlossen.
Damit ist dort klar geregelt, dass es ein sog. Schriftformgebot für die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses gibt, welche auch für eine mündliche Kündigung des Arbeitnehmers gilt.
mündliche Kündigung durch Arbeitnehmer
Eine mündliche Kündigung – egal, ob durch Arbeitnehmer oder Arbeitgeber ausgesprochen – ist nichtig, da diese gegen ein gesetzliches (Form-) Gebot verstößt.
Berufung auf Schriftform bei eigener mündlicher Kündigung
Die Frage ist nun, wenn der Arbeitnehmer eine solche mündliche Kündigung erklärt, er sich später darauf berufen kann, dass sein Kündigung ja wegen der fehlenden Schriftform unwirksam / nichtig sei?
Antwort: Grundsätzlich ja.
Die mündliche Kündigung des Arbeitnehmers war von Anfang an unwirksam, auch wenn der Arbeitnehmer ja das Arbeitsverhältnis beenden wollte. Allein die Tatsache, dass die mündliche Kündigung durch den Arbeitnehmer in vollem Ernst ausgesprochen wurde, führt deshalb nicht zur Treuwidrigkeit der Berufung auf die fehlende Schriftform.
mündliche Arbeitgeberkündigung
Dies gilt übrigens auch für der umgekehrte Fall, wenn also der Arbeitgeber eine mündliche Kündigung ausspricht und sich dann erste später der Arbeitnehmer auf die fehlende Schriftform beruft. Der Umstand, dass der Arbeitnehmer die formnichtig (mündliche) erklärte Kündigung des Arbeitgebers zunächst widerspruchslos entgegennimmt und sich erst später auf die Formnichtigkeit beruft, begründet noch keinen Verstoß gegen Treu und Glauben.
Vom obigen Grundsatz gibt es aber eine – in der Praxis selten vorkommende – Ausnahme.
Verstoß gegen Treu und Glauben
Ein Verstoß gegen § 242 BGB (Treu und Glauben) kann sich nämlich unter dem Gesichtspunkt des Verbots widersprüchlichen Verhaltens (Grundsatz des „venire contra factum proprium“) ergeben.
besonders hartnäckiges Festhalten an mündlicher Kündigung
Ein solcher (seltener) Fall kann vorliegen, wenn der Arbeitgeber einen besonderen Grund hatte, auf die Gültigkeit der Erklärung trotz des Formmangels zu vertrauen und der Arbeitnehmer sich mit der Berufung auf den Formmangel zu seinem eigenen vorhergehenden Verhalten in Widerspruch setzt.
Einen solchen Fall hatte nämlich das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 4.12.1997- 2 AZR 799/96)bereits entschieden.
Ein Arbeitnehmer hatte nach einem Streitgespräch mit dem Arbeitgeber unter Zeugen mehrfach wiederholt, dass nun das Arbeitsverhältnis hiermit kündige. Dies konnte sich später nicht mehr – im Kündigungsschutzverfahren darauf berufen, dass seine Kündigung ja unwirksam sei, da die Schriftform nicht eingehalten sei.
So führte das Bundesarbeitsgericht hier aus:
Der Senat hält es für treuwidrig im Sinne des § 242 BGB, wenn eine Partei, die eine solche Kündigung mehrmals – und zwar entgegen den Vorhaltungen der anderen Seite – ernsthaft und nicht nur einmalig spontan ausgesprochen hat, sich nachträglich auf die Unwirksamkeit ihrer eigenen Erklärung beruft. Darauf weist auch die Revision hin. Ein solches Vorgehen, das zum früheren eigenen Verhalten in unlösbarem Widerspruch steht, ist dann anzunehmen, wenn sich jemand zu seinem Vorteil auf eine Rechtsvorschrift beruft, die er selbst mißachtet.
Das ist hier der Fall, denn der Kläger ist nach seiner erstmaligen, vom Zeugen L wiedergegebenen Erklärung „Ich höre auf, ich kündige fristlos“ hierbei auch dann noch verblieben, als er, auf seine Verantwortung gegenüber seiner Familie angesprochen, dem Zeugen L erwidert haben soll „Meine Familie geht dich nichts an“, wobei er, L , dann in sein Büro zurückgegangen sei, woraufhin kurze Zeit später der Kläger die Tür zu seinem Büro etwa zur Hälfte geöffnet und erneut erklärt habe „Meine Entscheidung steht, ich höre auf; ich kündige fristlos“.
……..
Sinn und Zweck der Bestimmung des § 626 BGB ist es, den Vertragspartner vor sofortiger Beendigung des Dauerschuldverhältnisses zu schützen; der Vertragspartner soll sich darauf verlassen können, daß der andere im Regelfall die ordentliche Kündigungsfrist einhält. Der Schutzzweck der Norm bezieht sich, worauf der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zutreffend hingewiesen hat, zumindest in erster Linie auf den Kündigungsempfänger.Es läßt sich in der Tat mit dem Satz argumentieren „volenti non fit inuria“. Wenn der Kläger hier nach wiederholtem Vorhalt bei seiner eindeutigen Erklärung verblieben ist, seine Entscheidung stehe, er höre auf und kündige fristlos, dann muß er sich nach Treu und Glauben an dieser Erklärung auch dann festhalten lassen, wenn es an einem wichtigen Grund im Sinne des § 626 BGB fehlt. Bei einseitig empfangsbedürftigen Willenserklärungen kennt das Gesetz ein Reurecht nicht.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht – Berlin Marzahn-Hellersdorf
Haftung des Bauherrn für Sozialversicherungsabgaben des Subunternehmers?

Nicht selten beauftragt ein Bauherr – bei größeren Bauvorhaben– einen Generalunternehmer, der dann wiederum Subunternehmer beauftragt. Kann der Subunternehmer die Sozialversicherungsabgaben / den Lohn für seine Arbeitnehmer nicht zahlen, haftet der Generalunternehmer nach § 14 des Arbeitnehmerentsendegesetzes für das Mindestentgelt wie ein Bürge.
§ 14 lautet:
Ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt, haftet für die Verpflichtungen dieses Unternehmers, eines Nachunternehmers oder eines von dem Unternehmer oder einem Nachunternehmer beauftragten Verleihers zur Zahlung des Mindestentgelts an Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen oder zur Zahlung von Beiträgen an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien nach § 8 wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. Das Mindestentgelt im Sinne des Satzes 1 umfasst nur den Betrag, der nach Abzug der Steuern und der Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung oder entsprechender Aufwendungen zur sozialen Sicherung an Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen auszuzahlen ist (Nettoentgelt).
Keine Haftung der Bauherrin für ausstehende Lohnzahlungen von Subunternehmern
Das Bundesarbeitsgericht hatte nun über folgenden Fall zu entscheiden:
Die beklagte Bauherrin hatte auf einem ihr gehörenden Grundstück in Berlin ein Einkaufszentrum (Mall for Berlin) errichten lassen, das sie verwaltet und in dem sie Geschäftsräume an Dritte vermietet. Für den Bau des Gebäudes beauftragte die Beklagte einen Generalunternehmer, der mehrere Subunternehmer einschaltete. Bei einem dieser Subunternehmer war der Kläger (Arbeitnehmer) als Bauhelfer beschäftigt. Der Subunternehmer / Arbeitgeber des Klägers blieb diesem – trotz rechtskräftiger Verurteilung in einem Arbeitsgerichtsprozess – Lohn schuldig.
Über das Vermögen des Generalunternehmers wurde zwischenzeitlich das Insolvenzverfahren eröffnet, so dass auch bei diesem nicht mehr viel zu holen war.
Der Kläger hatte deshalb wegen des ihm für seine Arbeit auf der Baustelle des Einkaufszentrums noch zustehenden Nettolohns die beklagte Bauherrin in Anspruch genommen und vor dem Arbeitsgericht Berlin verklagt. Er trug im Prozess dazu vor, dass auch die beklagte Bauherrin hafte nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz als Unternehmerin für die Lohnschulden eines Subunternehmers.
Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. Januar 2018 – 21 Sa 1231/17 – hat die Berufung des klagenden Arbeitnehmers zurückgewiesen.
Die Revision des Klägers hatte vor dem Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 16. Oktober 2019 – 5 AZR 241/18 -) keinen Erfolg.
Das Bundesarbeitsgericht führte in seiner Pressemitteilung 31/19 vom 16.10.2019 folgendes aus:
Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beklagte unterliegt als bloße Bauherrin nicht der Bürgenhaftung des Unternehmers nach § 14 Arbeitnehmer-Entsendegesetz* (AEntG). Der Begriff des Unternehmers ist im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Vorgängerregelung in § 1a AEntG aF nach dem vom Gesetzgeber mit dieser Bestimmung verfolgten Sinn und Zweck einschränkend auszulegen. Erfasst wird nur der Unternehmer, der sich zur Erbringung einer Werk- oder Dienstleistung verpflichtet hat und diese nicht mit eigenen Arbeitskräften erledigt, sondern sich zur Erfüllung seiner Verpflichtung eines oder mehrerer Subunternehmer bedient. Gibt er auf diese Weise die Beachtung der zwingenden Mindestarbeitsbedingungen aus der Hand, ist es gerechtfertigt, ihm die Haftung für die Erfüllung der Mindestlohnansprüche der auch in seinem Interesse auf der Baustelle eingesetzten Arbeitnehmer aufzuerlegen. Dies trifft auf die Beklagte nicht zu. Sie hat lediglich als Bauherrin den Auftrag zur Errichtung eines Gebäudes für den betrieblichen Eigenbedarf an einen Generalunternehmer erteilt und damit nicht die Erfüllung eigener Verpflichtungen an Subunternehmer weitergegeben. Mit der Vergabe des Bauauftrags schaffte sie nur die Grundlage dafür, ihrem Geschäftszweck, der Vermietung und Verwaltung des Gebäudes, nachgehen zu können.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht
Anfahrt zur Arbeitsstelle (Wegzeit) = Arbeitszeit?
Die nachfolgenden Ausführungen gelten für Arbeitsverhältnisse, bei denen es keine tarifvertragliche Regelung über die Lage der Arbeitszeit gibt.
Fahrt von zu Hause zum Betrieb
Hier gilt – mangels tarifvertraglicher Regelung – dass die Fahrt zur und die Fahrt von der Arbeit nach Hause keine vergütungspflichte Arbeitszeit ist.
Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 17.10.2018, 5 AZR 55) führt dazu aus:
Die gesetzliche Vergütungspflicht des Arbeitgebers knüpft nach § 611 Abs. 1 BGB an die Leistung der versprochenen Dienste an.
Zu den „versprochenen Diensten“ iSd. § 611 Abs. 1 BGB zählt nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. „Arbeit“ als Leistung der versprochenen Dienste iSd. § 611 Abs. 1 BGB ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient (st. Rspr., vgl. nur BAG 25. April 2018 – 5 AZR 424/17 – Rn. 17 mwN).
Grundsätzlich erbringt der Arbeitnehmer mit dem – eigennützigen – Zurücklegen des Wegs von der Wohnung zur Arbeitsstelle und zurück keine Arbeit für den Arbeitgeber.
Ausnahme: Anfahrt direkt zum Kunden
Bei Arbeitnehmer, die keinen festen bzw. gewöhnlichen Arbeitsort besitzen und von Kunde zu Kunde fahren bzw. von zu Hause direkt zum Kunden fahren, sind die Rechtslage anders aus.
Hier hat der EuGH (Urteil vom 10.09.2015 – C-266/14) entschieden, dass in diese Fällen, sowohl die Fahrzeit bis nach Hause, die nach dem letzten Kunden anfällt, als auch jene, die für den Weg zum ersten Auftraggeber des Tages benötigt wird, als vergütungspflichtige Arbeitszeit gilt. Von daher muss der Arbeitgeber auch für diese Zeit eine Vergütung zahlen.
Auch das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 17.10.2018, 5 AZR 55) führt dazu aus:
Anders ist es jedoch, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Betriebs zu erbringen hat. In diesem Falle gehört das Fahren zur auswärtigen Arbeitsstelle zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten ….
Zusammenfassung:
Die Fahrt zur Arbeitsstelle und zurück nach Hause ist in der Regel keine vergütungspflichtige Arbeitszeit. Fährt der Arbeitnehmer aber nicht in den Betrieb des Arbeitgebers, sondern direkt zum Kunden (oder zurück nach Hause), so ist die Fahrt vergütungspflichtige Arbeitszeit. Etwas anderes kann sich aber aus einen anwendbaren Tarifvertrag ergeben.
Fahrt von Kunden zu Kunden bzw. von Baustelle zur Baustelle
In der Praxis – vor allen von Berliner Mandanten – kommt oft die Frage, ob die Fahrt von Kunden zu Kunden bzw. von Arbeitsort 1 zu Arbeitsort 2 (Reinigung/ Monteure- Wegzeit) vergütungspflichtige Arbeitszeit ist.
Oft vertreten hier Arbeitgeber die Auffassung, dass der Arbeitnehmer, der z.B. als Beifahrer im Auto sitzt oder mit der BVG (Berliner Verkehrsbetrieben) unterwegs ist, ja nicht arbeitet und sich ausruhen kann und von daher auch nicht bezahlt werden muss.
Sofern es keine tarifvertragliche Regelung gibt, gilt hier folgendes:
Die Fahrt von Kunden zu Kunden (Objekt zu Objekt) ist in der Regel vergütungspflichtige Arbeitszeit, da der Arbeitnehmer hier im Interesse des Arbeitgebers tätig ist. Dabei ist unerheblich, ob er sich in der Reisezeit ausruhen kann (Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln) oder durch die Fahrt belastet ist (Fahrt mit Kfz).
Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 17.10.2018, 5 AZR 55) führt dazu aus:
Anders ist es jedoch, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Betriebs zu erbringen hat. In diesem Falle gehört das Fahren zur auswärtigen Arbeitsstelle zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten, weil das wirtschaftliche Ziel der Gesamttätigkeit darauf gerichtet ist, Kunden aufzusuchen – sei es, um dort Dienstleistungen zu erbringen, sei es, um Geschäfte für den Arbeitgeber zu vermitteln oder abzuschließen. Dazu gehört zwingend die jeweilige An- und Abreise, unabhängig davon, ob Fahrtantritt und -ende vom Betrieb des Arbeitgebers oder von der Wohnung des Arbeitnehmers aus erfolgen (BAG 25. April 2018 – 5 AZR 424/17 – Rn. 18 mwN; im Ergebnis ebenso ErfK/Preis 18. Aufl. § 611a BGB Rn. 516a ff.; MHdB ArbR/Krause 4. Aufl. § 60 Rn. 19; Schaub ArbR-HdB/Linck 17. Aufl. § 45 Rn. 55; Baeck/Deutsch ArbZG 3. Aufl. § 2 Rn. 83).
Zusammenfassung:
Die Fahrt vom Betrieb zu Kunden oder zu weiteren Arbeitsstätten ist grundsätzlich vergütungspflichtige Arbeitszeit. Der Arbeitnehmer fährt ja nicht im eigenen Interesse, sondern im Interesse des Arbeitgebers. Durch einen Tarifvertrag können abweichende Regelungen getroffen werden (z.B. Absenken der Vergütung bis Mindestlohn).
Rechtsanwalt Andreas Martin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Berlin Marzahn-Hellersdorf
Ralf Zimmermann – neuer Richter am Bundesarbeitsgericht
Der Bundespräsident hat den neuen Richter am Arbeitsgericht Hannover Ralf Zimmermann mit Wirkung vom 1. Juni 2016 zum Richter am Bundesarbeitsgericht ernannt (Pressemitteilung des BAG 27/16). Herrn Zimmermann wird dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts zugeteilt. Der 9. Senat ist zuständig für Urlaubs-, Teilzeitbeschäftigungs- und Schwerbehindertenrecht.
Herr Zimmermann ist 1971 geboren und war nach Abschluss seiner juristischen Ausbildung als Verbandsjurist und als Rechtsanwalt tätig. Seit Juni 2004 war er in die Arbeitsgerichtsbarkeit des Landes Niedersachsen, inbesondere bei den Arbeitsgerichten in Braunschweig, Göttingen und Hildesheim tätig.
Rechtsanwalt Andreas Martin
Überstundenklausel im Arbeitsvertrag oft unwirksam – so auch „zwingende nachträgliche schriftliche Bestätigung durch Vorgesetzen“.
Das Landesarbeitsgericht Köln hatte zu entscheiden, ob eine Überstundenklausel im Arbeitsvertrag wirksam vereinbart wurde. Die Klausel sah vor, dass Überstunden nur dann vom Arbeitgeber bezahtl werden, wenn diese ausdrücklich angeordnet waren oder aus betrieblichen Gründen zwingend notwendig sind und nachträglich und unverzüglich durch den Vorgesetzten schriftlich bestätigt wurden. Nur unter diesen Voraussetzungen wollte der Arbeitgeber hier Überstunden des Arbeitnehmers vergüten. Die geleisteten Überstunden wurden nicht direkt vom Arbeitgeber angeordnet, aber nachträglich von einem Vorgesetzen des Arbeitnehmers (der keine Vertretungsmacht hatte) abgezeichnet. Dies wollte der Arbeitgeber nicht gelten lassen.
Der Arbeitnehmer klagte und letztendlich landete der Fall in der Berufungsinstanz vor dem LAG Köln (Urteil vom 11.9.2015 – 4 Sa 425/15 ) welches einen Vergütungsanspruch für die geleisteten Überstunden des Arbeitnehmers bejahte. Das Landesarbeitsgericht Köln führte dazu aus, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 10.04.2013 – 5 AZR 122/12) Überstunden unter folgenden Voraussetzungen zu vergüten sind:
- die Überstunden sind vom Arbeitgeber veranlasst oder
- die Überstunden sind dem Arbeitgber zumindest zuzurechnen.
Dies ist dann der Fall, wenn die Überstunden
- vom Arbeitgeber angeordnet sind oder
- , vom Arbeitgeber gebilligt sind oder
- diese vom Arbeitgeber geduldet wurden oder
- jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen sind
Wenn eine der obigen Fälle Nr. 1 bis 4 vorliegt, ergibt sind in der Regel eine Verpflichtung zur Vergütung der Überstunden, so die Rechtsprechung des BAG.
Das LAG Köln führt weiter aus, dass nach dem BAG eine Billigung von Überstunden Folgendes gemeint ist:
„Mit der Billigung von Überstunden ersetzt der Arbeitgeber gleichsam durch eine nachträgliche Genehmigung die fehlende vorherige Anordnung schon geleisteter Überstunden. Die Billigung von Überstunden setzt deshalb voraus, dass der Arbeitgeber zu erkennen gibt, mit der schon erfolgten Leistung bestimmter Überstunden einverstanden zu sein. Das muss nicht ausdrücklich erfolgen und kann insbesondere dann anzunehmen sein, wenn der Arbeitgeber oder ein für ihn handelnder Vorgesetzter des Arbeitnehmers eine bestimmte Anzahl von Stunden abzeichnet und damit sein Einverständnis mit der Überstundenleistung ausdrückt.“
Dies führt dazu, dass ausreichend ist, wenn ein (bzw. irgendein) Vorgesetzter eine bestimmte Anzahl von Stunden abzeichnet. Auf eine rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht kommt es hierbei nicht an.
Die obige Klausel im Arbeitsvertrag ist nach Ansicht des LAG gemäß § 307 Abs. 1 und Abs. 2 Nrn. 1 und 2 BGB unwirksam, denn nach der obigen Klausel mussten die Überstunden aus betrieblichen Gründen zwingend notwendig sein und nachträglich und unverzüglich durch den Vorgesetzten schriftlich bestätigt werden. Dies widerspricht der ständigen Rechtsprechung des BAG, wonach allein schon das Vorliegen von betrieblichen Gründen für den Anspruch auf Überstundenvergütung ausreicht ohne, dass noch weitere Voraussetzungen notwendig sind (wie z.B. die schriftliche Bestätigung).
Anmerkung:
Diese Entscheidung ist sehr interessant, denn es finden sich in vielen Arbeitsverträgen derartige Klauseln. Wenn solche Klauseln unwirksam sind, heißt dies aber noch nicht, dass der Arbeitnehmer jegliche Überstunden erstattet bekommen muss. Es gilt dann weiter die obige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht, welche ja bestimmte Voraussetzungen an die Vergütungspflicht von Überstunden stellt.
Arbeitnehmer sollte in der Praxis immer darauf achten, dass sie sich geleistete Überstunden vom Vorgesetzen abzeichnen lassen.
Rechtsanwalt Andreas Martin