wichtiger Grund

Erst Schikane und dann fristlose Kündigung wegen Beleidigung

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Erst Schikane und dann fristlose Kündigung wegen Beleidigung
Kündigung und Schikane

Beleidigung im Arbeitsverhältnis und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen

Eine Arbeitnehmerin musste nach einem gewonnen Kündigungsrechtsstreit sog. Archivarbeiten in einem verschimmelten und verdreckten Keller bei 11 Grad Celsius ausführen. Als Dank bekam diese später die fristlose Kündigung wegen angeblicher Beleidigungen von Arbeitskollegen.

außerordentliche Kündigung

Eine außerordentliche Kündigung des Arbeitnehmer wegen Beleidigungen des Arbeitgebers ist grundsätzlich möglich. In der Regel ist zwar bei einer verhaltensbedingten Vertrauenstörung durch den Arbeitnehmer zuvor abzumahnen, allerdings sind diverse Fälle bereits entschieden, wo eine massive Beleidigung auch eine fristlose, außerordentliche Kündigung des Arbeitgebers ohne vorherige Abmahnung zulässt.

wichtiger Grund nach § 626 I BGB

Für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB braucht der Arbeitgeber einen wichtigen Grund. Ein solch wichtiger Grund kann grundsätzlich auch vorliegen, wenn der Arbeitnehmer das Vertrauen dadurch stört, dass er den Arbeitgeber selbst oder Arbeitskollegen massiv beleidigt. Je nach Schwere der Beleidigung und der Vorbelastung muss dann entschieden werden, ob zuvor eine Abmahnung erforderlich ist. Insbesondere spielt auch eine Rolle, inwieweit das Arbeitsverhältnis bereits für eine gewisse Dauer bestanden hat und ob es bereits vorherige Abmahnung gegeben hat. Weiter ist wichtig, was der Anlass für die Beleidigung war und auch ob sich der Arbeitnehmer entschuldigt hat. In der Regel ist aber abzumahnen.

Interessenabwägung

Es ist bei einer außerordentlichen Kündigung immer eine Interessenabwägung vorzunehmen. Von daher kann man nicht sagen, dass eine fristlose Kündigung immer gerechtfertigt ist, wenn eine Beleidigung durch den Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber oder Arbeitskollegen erfolgt ist.

Entscheidung des LAG Thüringen

Einen komplett neuen Aspekt in der Frage, was alles bei der Interessenabwägung im Wege der Klärung durch das Arbeitsgericht zu berücksichtigen ist, hat das Landesarbeitsgericht Thüringen hier nun einen neuen „Punkt“ ins Spiel gebracht.

menschenunwürdige Arbeitsbedingungen

Das Landesarbeitsgericht Thüringen führte nämlich aus, dass eine außerordentliche Kündigung wegen grober Beleidigung auch schon deshalb unwirksam sein kann, wenn nämlich der Arbeitnehmer zuvor unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen tätig werden musste.

In dem Fall, den das Landesarbeitsgericht Thüringen jetzt zu entscheiden hatte, musste eine Arbeitnehmerin nach gewonnenen Kündigungsschutzverfahren weiterbeschäftigt werden. Der Arbeitgeber setzte diese zur Durchführung von Archivarbeiten in einem Keller bei einer Temperatur nur 11 °C ein. Darüberhinaus war der Keller verschimmelt und verdreckt. Der Arbeitgeber stritt sich auch über unstreitige Ansprüche mit der Arbeitnehmerin und tat alles, um der Arbeitnehmerin das Arbeitsleben so schwer, wie möglich zu machen.

Die Arbeitnehmerin soll später Arbeitskollegen beleidigt haben, wie zum Beispiel:

als „fette ….“, oder als „blöde ….“ (Was genau schreibt das Gericht nicht; kann man sich aber denken.)

außerordentliche Kündigung

Daraufhin kündigte die Arbeitgeberin außerordentlich und fristlos. Die Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage und gewann vor dem Arbeitsgericht. Die Arbeitgeberin ging in Berufung und verlor vor dem LAG Thüringen das Berufungsverfahren.

LAG entscheidet zu Gunsten der Arbeitnehmerin

Ob die Beleidigungen tatsächlich vorgelegen haben, ließ das Landesarbeitsgericht Thüringen (Urteil vom 29.06.2022, 4 Sa 212/21) dahinstehen. Es kam darauf nicht an, da das LAG bereits aufgrund des schikanösen Verhaltens der Arbeitgeberin und der menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen unter der die Arbeitnehmerin hier tätig werden musste, davon ausgegangen ist, dass die Kündigung schon allein deshalb unwirksam ist.

Das LAG führte dazu aus:

Es kann offen bleiben, ob die als beleidigend titulierten Äußerungen der Klägerin über den Geschäftsführer der Beklagten und die Kolleginnen grundsätzlich geeignet sind, im Normalfall eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung zu rechtfertigen. Hier kann aufgrund besonderer Umstände, die im Wesentlichen die Beklagte zu vertreten hat, nicht festgestellt werden, dass der Klägerin klar gewesen sein muss, die Beklagte würde dieses Verhalten nicht hinnehmen, und dass auszuschließen wäre, die Klägerin hätte nach einem entsprechenden Hinweis mit Kündigungsandrohung ihr Verhalten nicht umgestellt und die restliche Zeit des Arbeitsverhältnisses störungsfrei bewältigt.

Nachdem die Klägerin rechtskräftig im Rechtsstreit über die Kündigung aus dem Jahr 2016 obsiegt hatte, musste sie nach ihrer Rückkehr ins Arbeitsverhältnis zunächst in einem verschimmelten und verdreckten Keller bei 11 Grad Celsius arbeiten. Sie musste sich auch offensichtlich unstreitige Ansprüche wie Urlaubsentgelt erstreiten. Später musste sie von ihrem Büro aus über den Hof gehen und schwere Unterlagen tragen, um die ihr angewiesenen

Archivarbeiten zu bewältigen, obschon es einen weniger anstrengenden Zugang zum Archiv gegeben hätte. Das alles hat die Kammer ihrer Entscheidungsfindung als unstreitig zu Grunde zu legen, weil der entsprechende Sachvortrag der Klägerin trotz eines Hinweises auf die Relevanz für die Entscheidung im Hinweis vom 28.2.2022 (Bl. 161 d.A.) von der Beklagten nicht bestritten worden ist (§ 138 Abs. 3 ZPO). Diese hat nur die Notwendigkeit der Archivarbeiten verteidigt, nicht aber zu den Umständen der Beschäftigung Stellung genommen.

Die Klägerin hat diese Situation als erniedrigend und schikanös empfunden und fühlte sich von einigen Kollegen schlicht „ausgelacht“ (Seiten 2 und 3 der Berufungserwiderung, Bl. 151/152 d.A.).

In einer solchen Situation kann nicht ausgeschlossen werden und ist eher naheliegend, dass einemr Arbeitnehmerin der Blick dafür verstellt ist, welche Bedeutung es hat, wenn ersie sich in der behaupteten Art gegenüber einer ehemaligen Kollegin über die Arbeit, die Vorgesetzten und Kolleginnen äußert. Aufgrund dieser besonderen Situation steht nicht mit der für eine Entscheidungsfindung erforderlichen Sicherheit fest, dass eine Abmahnung nicht den gewünschten Effekt gezeitigt hätte.

Die als Beleidigung apostrophierten Äußerungen der Klägerin waren auch nicht derart ungeheuerlich und schwerwiegend, dass allein deshalb der Beklagten die Weiterbeschäftigung unzumutbar gewesen wäre. Dabei ist auch das Verhalten der Beklagten zu berücksichtigen. Diese hat die Klägerin menschenunwürdig in einem kalten, verdreckten und gesundheitsgefährdenden, weil verschimmelten Keller beschäftigt. Obschon das keine Rechtfertigung für Beleidigungen ist, stellt es eine Zumutung dar. Entsprechend erhöht ist das Maß an Zumutbaren, welches die Beklagte hinzunehmen hat.

Der Umstand, dass die Klägerin sich auch gegen Arbeitskolleginnen gewandt hat, führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Die Arbeitskolleginnen tragen keine Verantwortung für die oben geschilderten Arbeitsbedingungen. Zugunsten der Klägerin ist zu berücksichtigen, dass durch eine solche Behandlung verständlicherweise die Unzufriedenheit im Arbeitsverhältnis extrem groß ist und dass dies auch zu einer emotionalen außergewöhnlichen Situation führt. Dass eine Arbeitnehmerin in einer solchen Situation u. U. bei Äußerungen über ihren Arbeitgeberin übers Ziel hinaus schießt und die Grenzen des Anstandes überschreitet und auch (ungerechter Weise) schlecht über ihre Arbeitskolleg*innen redet, ist nicht sanktionslos hinnehmbar, führt aber in einer solchen Ausnahmesituation nicht zum Ausspruch einer Kündigung.

Urteil vom 29.06.2022, 4 Sa 212/21

Anmerkungen:


Die Entscheidung ist bemerkenswert. Schade ist, dass nun auch einige Gerichte anfangen zu gendern und damit die rechtliche Sprache, die ohnehin für den Laien schwer verständlich ist, noch weiter zu erschweren. Die inhaltlichen Ausführungen sind gewagt, aber das Gericht kommt über die Schiene der vom Arbeitgeber verschuldeten Situation für die (angeblichen) Beleidigungen zu einem Punkt in der Interessenabwägung (Anlass für die Äußerungen), der nachvollziehbar ist. Ob jegliche Beleidigungen damit aber entschuldbar sind, zumal die Arbeitskollegen ja nichts für die Situation der Klägerin können, ist fraglich.

Rechtsanwalt Andreas Martin

Arbeitszeitbetrug bei Nichtausstempeln in der Zigarettenpause

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Arbeitszeitbetrug bei Nichtausstempeln in der Zigarettenpause
Arbeitszeitbetrug bei Nichtausstempeln in der Zigarettenpause

Arbeitszeitbetrug bei Nichtausstempeln in der Zigarettenpause – was ist das?

Rauchen kann gefährlich sein und zwar nicht nur für die Gesundheit. Dies musste nun eine Arbeitnehmerin feststellen, die wegen des fehlenden Ausstempelns in der Zigarettenpause vom Arbeitgeber außerordentlich gekündigt wurde. Nach Ansicht des Landesarbeitsgericht Thüringen (Urteil vom vom 3.5.2022 – 1 Sa 18/21) zu Recht.

Arbeitszeitbetrug – was ist das?

Ein Arbeitszeitmissbrauch stellt in der Regel einen außerordentlichen Kündigungsgrund nach § 626 I BGB dar. Nach dem Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 13.12.2018 – 2 AZR 370/18) ist ein Arbeitszeitbetrug, „der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren … . Dies gilt für den vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch„. Gerichte verstehen hier keinen Spaß.

Pause ist keine Arbeitszeit

Wenn also eine Pause wissentlich als Arbeitszeit abgerechnet wird, dann ist dies ein (versuchter) Betrug des Arbeitnehmers über die Arbeitszeit. Nicht immer ist eine außerordentliche Kündigung sofort möglich. Wie so oft, kommt es auf den Einzelfall an.

Das LAG Thüringen hatte nun über folgenden Fall zu entscheiden:

Die Arbeitnehmerin ist seit dem Jahr 1990 als Mitarbeiterin in einem Arbeitsamt beim Arbeitgeber tätig. Bei einer Kontrolle der Arbeitszeit über die Arbeitszeiterfassung wurde festgestellt, dass die Klägerin an drei Tagen keine einzige Pause, sondern lediglich Beginn und Ende ihrer Arbeitszeit gebucht hatte. Dies ist auf den ersten Blick wenig glaubhaft und legt den Verdacht der Arbeitszeitmanipulation nahe und führte in diesem Fall dazu, dass die Arbeitnehmerin vom Arbeitgeber zur Stellungnahme aufgefordert wurde.

3 Tage keine Pause gemacht?

Die Arbeitnehmerin teilte mit, dass wohl doch Pausen gemacht wurden (da sie diese als Raucherin benötige) und bat um Entschuldigung und sie werde zukünftig die Pausen ganz genau und minutiös aufzeichnen. Weiter führte sie aus, dass sich ein derartiges Verhalten sich mit Sicherheit nicht mehr wiederholen werde. Die Klägerin gab damit den Arbeitszeitbetrug zu. Sie hätte sich vor der Stellungnahme besser anwaltlich beraten lassen sollen. Die Arbeitnehmerin wäre sogar besser gefahren, wenn sie gar keine Stellungnahme abgegeben hätte.

fristlose Kündigung, hilfsweise ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber

Die Arbeitgeberin sprach daraufhin die fristlose (außerordentliche) Kündigung, hilfsweise fristgerechte Kündigung zum 30.9.2019 aus.

Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage gegen die beiden Kündigungen.

Entscheidung des LAG

Das Arbeitsgericht hielt nur die außerordentliche Kündigung für unwirksam und die ordentliche hingegen für wirksam, so auch das LAG. Allerdings wurde die Revision zum BAG zugelassen.

Das Landesarbeitsgericht führte dazu aus:

Ein Arbeitszeitbetrug, bei dem ein Mitarbeiter vortäuscht, für einen näher genannten Zeitraum seine Arbeitsleistung erbracht zu haben, obwohl dies tatsächlich nicht oder nicht in vollem Umfang der Fall ist, stellt eine besonders schwerwiegende Pflichtverletzung dar und erfüllt an sich den Tatbestand des wichtigen Grundes i.S.v. § 626 Abs 1 BGB. Auch die hartnäckige Missachtung der Anweisung, bei Raucherpausen auszustempeln, ist geeignet eine außerordentliche Kündigung zu begründen.
Der Sachverhalt:

LAG Thüringen vom 3.5.2022 – 1 Sa 18/21

Anmerkung:

Die Arbeitnehmerin dachte hier wohl, dass mit der Stellungnahme und ihrer Entschuldigung die Sache vom Tisch war. Dies war aber nicht so. Dadurch war es dem Arbeitgeber möglich den Arbeitszeitbetrug klar nachzuweisen, ansonsten bestünde nur der Verdacht des Betrugs. Dies kann aber als sog. Verdachtskündigung unter Umständen auch schon ausreichend sein.

Rechtsanwalt Andreas Martin

Was ist der Schutz des Arbeitnehmers vor einer außerordentlichen Kündigung?

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Was ist der Schutz des Arbeitnehmers vor einer außerordentlichen Kündigung?
außerordentliche Kündigung

Der Schutz des Arbeitnehmers vor einer außerordentlichen Kündigung ist in § 626 BGB normiert. Diese Vorschrift schütz den Arbeitnehmer vor einer fristlosen Kündigung des Arbeitgebers. Danach ist für jede außerordentliche Kündigung ein wichtiger Grund erforderlich. Zudem ist in der Regel zuvor eine Abmahnung wegen der Pflichtverletzung erforderlich. Nur bei schwersten Pflichtverletzungen kann der Arbeitnehmer ohne vorherige Abmahnung gekündigt werden. Auch ist immer eine Abwägung zwischen dem Interessen des Arbeitnehmers und Arbeitgebers erforderlich.

§ 626 BGB – wichtiger Grund

Die Vorschrift des § 626 BGB schütz den Arbeitnehmer vor einer fristlosen Kündigung des Arbeitgebers aus außerordentlichem Grund. Die Vorschrift lautet:


fristlose Kündigung aus wichtigem Grund – § 626 BGB

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.


Kündigungsschutz auch in Kleinbetrieben

Die Schutzvorschrift des § 626 BGB ist unabhängig von der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes, welches dem Arbeitnehmer vor der ordentlichen Kündigung schützt. Auch der Sonderkündigungsschutz schützt nur vor der ordentlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Arbeitgeber durch Kündigung.

Schutzordentliche Kündigungaußerordentliche Kündigung
§ 626 BGBneinja
allg. Kündigungsschutzjanein
Sonderkündigungsschutzjanein
Schutz vor ordentlicher und außerordentlicher Kündigung

Erläuterung der obigen Tabelle:

Für die ordentliche Kündigung gilt § 626 BGB nicht. Für die ordentliche Kündigung gilt der allgemeine Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz und der Sonderkündigungsschutz nach den einzelnen Vorschriften, die einen Schutz für bestimmte Arbeitnehmergruppen, wie zum Beispiel Schwerbehinderte, Schwangere etc. nominieren.

Für die außerordentliche Kündigung gilt § 626 BGB, wonach ein wichtiger Grund für die Kündigung vorliegen muss, allerdings spielt der allgemeine Kündigungsschutz und der Sonderkündigungsschutz keine Rolle. Dies heißt, dass man auch einer schwangeren Arbeitnehmerin, die ja Sonderkündigungsschutz genießt, das Arbeitsverhältnis außerordentlich kündigen kann, wenn ein wichtiger Grund vorliegt.


Kündigungserklärung des Arbeitgebers

Ein Arbeitsverhältnis wird nicht automatisch beendet, wenn ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliegt. Vielmehr muss der Kündigungsberechtigte sein ihm zustehendes Gestaltungsrecht – also die Kündigung-  zur vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses auch ausüben, wenn er nicht mehr am Arbeitsvertrag festhalten will. Von daher bedarf es der Erklärung einer außerordentlichen Kündigung. Ohne diese Kündigungserklärung kann das Arbeitsverhältnis nicht aus wichtigem Grund enden.

Frist für Erklärung der außerordentlichen Kündigung

Nach § 626 Abs. 2 S. 1 BGB kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb einer Frist von zwei Wochen erfolgen. Diese Ausschlussfrist beginnt nach § 626 Abs. 2 S. 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte (z.B. Arbeitgeber) von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat. Diese gesetzlich geregelte Ausschlussfrist gilt nach dem Gesetzeswortlaut für jede außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund iSd § 626 Abs. 1 BGB, also auch für die Kündigung durch den Arbeitnehmer. Auch der Arbeitnehmer kann ja im Arbeitsverhältnis einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung haben, wie z.B. seit längerer Zeit ausstehender Arbeitslohn.


wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung

Nach der Schutzvorschrift des § 626 Abs. 1 BGB kommt es darauf an, ob Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden die Fortsetzung des Dienstverhältnisses (hier Arbeitsverhältnisses) unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und der beiderseitigen Interessen nicht zugemutet werden kann. Dies heißt, dass der wichtige Grund durch objektiv vorliegende Tatsachen bestimmt, die an sich geeignet sind, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar zu machen. Von daher ist der Kündigungsgrund damit jeder Sachverhalt, der objektiv das Arbeitsverhältnis mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes belastet (BAG 18.1.1980 EzA § 626 BGB). Das Motiv für die Kündigung spielt keine Rolle. Entscheidender Zeitpunkt für das Vorliegen dieser Tatsachen ist der Zeitpunkt des Zuganges der Kündigung beim Arbeitnehmer.

Solche wichtigen Gründe für eine außerordentliche Kündigung können sein:

  • Straftaten gegen den Arbeitgeber
  • politische Meinungsäußerungen mit Schädigung des Arbeitgebers
  • Beleidigung von Kunden und Mitarbeitern
  • Nichtbeachtung von Weisungen
  • Arbeitsverweigerung
  • nachhaltiges Zuspätkommen
  • Verstöße gegen die Betriebsordnung / Betriebssicherheit

Abmahnung vor Kündigung

Verhaltensbedingte Leistungsstörungen sind deshalb in der Regel nur dann kündigungsrelevant, wenn auch zukünftige Vertragsverstöße zu besorgen sind oder von einer fortwirkenden Belastung des Arbeitsverhältnisses ausgegangen werden muss (BAG 23.10.2008 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 25). Von daher muss der Arbeitgeber grundsätzlich steuerbares Fehlverhalten des Arbeitnehmers zuvor abmahnen. Nur bei schweren Pflichtverletzungen kann auf eine Abmahnung verzichtet werden. Solche schweren Pflichtverletzungen sind meist Straftaten gegen den Arbeitgeber, insbesondere auch der Diebstahl von Firmeneigentum, selbst wenn es nur um geringe Beträge geht.


Interessenabwägung

Die Rechtsprechung verlangt, ausgehend vom Wortlaut des Gesetzes, eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände des Einzelfalles.

Zu den regelmäßig im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umständen werden insbes. die folgenden Gesichtspunkte gezählt:

  • Alter des Arbeitnehmers
  • Dauer der Betriebszugehörigkeit
  • Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers
  • wirtschaftliche Lage des Unternehmens

Kündigungsschutzklage

Auch gegen eine außerordentliche Kündigung muss sich der Arbeitnehmer innerhalb von 3 Wochen nach Zugang wehren und zwar mittels Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht. In Berlin ist dafür das Arbeitsgericht Berlin zuständig. Macht er dies nicht, dann wird auch eine außerordentliche (fristlose) Kündigung nach § 7 des Kündigungsschutzgesetzes wirksam (Wirksamkeitsfiktion).

Fachanwalt für Arbeitsrecht Andreas Martin – Berlin

Fristlose Kündigung bei vorsätzlich falscher Dokumentation einer Pflegekraft.

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Sachverhalt

Eine bereits seit mehr als 5 Jahren bei der Arbeitgeberin beschäftigte Altenpflegerin wurde bereits mehrfach abgemahnt, u.a. weil sie eine Patientin nicht richtig versorgt hatte und dies auch nicht richtig dokumentiert worden war.

Anfang April 2019 fuhr die Arbeitnehmerin nicht persönlich zu einer Patientin, um dieser die Nachttablette zu geben, sondern telefonierte lediglich mit ihr.

Den Leistungsnachweis für den nächtlichen Besuch zeichnete die Arbeitnehmerin jedoch trotzdem ab und bestätigte auf dem Tagestourennachweis, die Patientin in der Zeit von 22:55 Uhr bis 23:06 Uhr tatsächlich vor Ort versorgt zu haben.

außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Arbeitgeberin

Die Arbeitgeberin erfuhr davon und kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin mit Schreiben vom 05.04.2019 fristlos.

Die Arbeitnehmerin erhob daraufhin Kündigungsschutzklage.

Mit Urteil vom 07.08.2019 (Aktenzeichen 3 Ca 992/19) wies das Arbeitsgericht Siegburg die Klage ab und führte dazu in der Pressemitteilung 3/2019 vom 20.8.2019 aus:

Macht eine Pflegekraft in der Pflegedokumentation vorsätzlich Falschangaben und trägt ein, bei einer Patientin in der Wohnung gewesen zu sein, obwohl sie nur telefonischen Kontakt zur Patientin hatte, kann eine fristlose Kündigung gerechtfertigt sein.

Weiter führt das Arbeitsgericht aus:

Die fristlose Kündigung hielt es (das Arbeitsgericht) für gerechtfertigt. Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darzustellen. Nach Auffassung des Gerichts muss der Arbeitgeber auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit seiner Arbeitnehmer vertrauen können. Überträgt der Arbeitgeber den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt ein Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung gestellten Formulare wissentlich und vorsätzlich falsch aus, so stellt dies einen schweren Vertrauensmissbrauch dar. Nach Auffassung der 3. Kammer hatte die Klägerin trotz vorheriger Abmahnung vorsätzlich falsche Eintragungen gemacht. Das Arbeitsverhältnis endete damit fristlos am 05.04.2019.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt werden.

Anmerkung:

Gerade Arbeitszeitbetrug ist fast immer für den Arbeitnehmer problematisch und kann in der Regel zum Ausspruch einer Kündigung führen.

Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht Berlin

Wann gibt es trotz Eigenkündigung des Arbeitnehmers keine Sperrzeit vom Arbeitsamt (Agentur für Arbeit)?

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Das Sozialgesetzbuch III sieht in mehreren Fällen das Ruhen des Anspruches auf Arbeitslosengeld vor. Der wichtigste Fall ist in der Praxis die Verhängung einer Sperrzeit nach § 144 SGB III. Danach wird eine Sperrzeit verhängt, wenn sich der Arbeitnehmer versicherungswidrig verhält, ohne einen wichtigen Grund dafür zu haben.

Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe

Die Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe ist der wichtigste Fall des sog. „versicherungswidrigen Verhaltens“ des Arbeitsnehmers.

Hier kann man 2 Unterfälle unterscheiden:

  • die Eigenkündigung des Arbeitnehmers
  • der Abschluss eines Aufhebungsvertrages zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber

Sonderfall: Hinnahme einer rechtswidrigen Kündigung des Arbeitgebers?

Ein weiteres Problem ist die Hinnahme einer rechtswidrigen Kündigung des Arbeitgebers, die aber in der Regel zu keiner Sperrzeit des Arbeitslosengeldes führen darf, denn rein passives Verhalten stellt eben kein versicherungswidriges Verhalten dar, da hierfür eine Aktivität des Arbeitnehmers Voraussetzung ist. Hierzu  wird aber noch ein weiterer Beitrag erfolgen, da diese Fälle in der Praxis viel Unsicherheit bei Arbeitnehmern hervorrufen.

Eigenkündigung des Arbeitnehmers und Sperre vom Arbeitsamt

Die Eigenkündigung des Arbeitnehmers stellt in der Regel ein versicherungswidriges Verhalten dar. Dies allein entscheidet aber noch nicht über eine Verhängung einer Sperrzeit. Weiter ist nämlich erforderlich, dass der Arbeitnehmer für die Eigenkündigung keinen wichtigen Grund hat. Der Arbeitnehmer muss – zum Beispiel bei Vertragsverletzungen des Arbeitgebers – dies nicht bis in alle Ewigkeit hinnehmen, was nachvollziehbar ist.

Als Arbeitshilfe kann man folgende Fallgruppen, der erlaubten Eigenkündigung benennen:

  • alle Gründe, die es dem Arbeitnehmer erlauben des Arbeitsverhältnis aus außerordentlichem Grund zu kündigen (§ 626 BGB)
  • Umzug zum Ehepartner / Lebenspartner
  • Mobbing (kann aber problematisch nachzuweisen sein)
  • untertarifliche Bezahlung bei Tarifgebundenheit/ Zahlung eines sittenwidrigen Arbeitslohnes
  • Wechsel von unbefristetem in ein befristetes Arbeitsverhältnis oder Leiharbeitsverhältnis mit Aussicht auf Weiterbeschäftigung

Der Arbeitnehmer sollte sich nicht von der Agentur für Arbeit „einschüchtern lassen“. Er muss Vertragsverletzungen des Arbeitgeber – wie vor allem Lohnrückstände – nicht ohne Weiteres hinnehmen und muss sich beim Arbeitsamt auch keine Erlaubnis für die Kündigung holen. Meistens sind die Sachbearbeiter vor Ort ohnehin überfordert und können dem Arbeitnehmer keine eindeutige Auskunft geben. Der Rat eines Rechtsanwalts, der sich auf das Arbeitsrecht spezialisiert hat, wäre in solchen Fällen angebracht.

Anwalt Martin – Arbeitsrecht in Berlin

Schadenersatz des Arbeitnehmers bei Eigenkündigung (Auflösungsverschulden des Arbeitgebers)

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Viele Arbeitnehmer wissen nicht, dass bei einer vom Arbeitgeber verschuldeten Kündigung (Eigenkündigung) des Arbeitnehmers, der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Schadenersatz nach § 628 Abs. 2 BGB haben kann. Hier kommen vor allem Fällen in Betracht, bei denen der Arbeitgeber über einen längeren Zeitraum keinen Arbeitslohn zahlt und dann der Arbeitnehmer deshalb den Arbeitsvertrag kündigt.

Eigenkündigung und Schadenersatz

Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 8.8.2002 – 8 AZR 574/01 -)  hat die Voraussetzungen des Schadenersatzanspruch nachvollziehbar geschildert.

1. berechtigte und wirksame Kündigung/ schuldhaftes Verhalten der Gegenseite

Die Kündigung des Arbeitnehmers muss berechtigt und wirksam sein. Ob die Kündigung außerordentlich mit einer Auslauffrist oder fristlos erfolgt ist dabei unerheblich. Die Kündigung muss aufgrund eines schuldhaften Fehlverhaltens des Arbeitgebers beruhen.

Vorliegen eines wichtiges Grundes

Es genügt hierbei nicht jede – noch so geringe – Vertragsverletzung des Arbeitgebers, sondern es muss ein Fehlverhalten vorliegen, dass gleichzusetzen mit dem Vorliegen eines wichtigen Grundes ist. Die Nichtzahlung des Arbeitslohnes kann einen wichtigen Grund darstellen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Nichtzahlung der Bezüge eine nicht unerhebliche Höhe erreicht oder der Verzug mit der Zahlung sich über einen erheblichen Zeitraum hinweg erstreckt. Dazu verweise ich auf meinen Artikel zur Eigenkündigung /Arbeitnehmerkündigung wegen Lohnrückstandes.

2. Wahrung der 2-Wochenfrist- § 626 Abs.  2 BGB

Der Arbeitnehmer kann – wie hier  bei einer verhaltensbedingten Kündigung – nur unter Wahrung der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB kündigen. Bei der Vorenthaltung von Lohnzahlungen handelt es sich um ein sogenanntes Dauerverhalten. Hier beginnt die Frist nicht vor Beendigung des Zustandes. Ist die Beendigung des Zustandes – also die Nichtzahlung des Lohnes – nicht bis zum Ausspruch der außerordentlichen Kündigung eingetreten- bzw. 2 Wochen davor – ist die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt.

3. Zusammenhang zwischen der Vertragsverletzung und der Kündigung

Die Vertragsverletzung des Arbeitgebers muss die Ursache für die Kündigung gewesen sein. Also ohne Vertragsverletzung hätte es keine Kündigung gegeben.

4. Schadenersatz = Auflösungsverschulden

Wenn die Voraussetzungen vorliegen, kann der Arbeitnehmer den Ausgleich aller adäquat kausal verursachten Schadensfolgen verlangen, die durch die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Grund des Auflösungsverschuldens des anderen Teils entstanden sind. Der Anspruch geht auf das Erfüllungsinteresse, der Berechtigte ist so zu stellen, wie er bei Fortbestand des Dienstverhältnisses stehen würde.  Der Schaden wird nach der sogenannten Differenzmethode berechnet. Dem tatsächlichen durch die Kündigung eingetretenen Zustand ist der hypothetische ohne das schädigende Ereignis (die Kündigung) zu verzeichnende Zustand gegenüberzustellen  Der Schaden besteht im Ausfall der Lohnzahlung einschließlich aller besonderen Zuwendungen sowie einer etwaigen Naturalvergütung. Bei der Ermittlung des Verdienstausfallschadens ist von der sogenannten Bruttolohnmethode auszugehen. Danach ist bei der Schadensberechnung der entgangene Bruttoverdienst des Geschädigten anzusetzen. Die Vorteile, die ihm auf Grund des Schadensereignisses durch den Wegfall zB von Steuern zufließen, sind im Wege des Vorteilsausgleichs zu berücksichtigen, wobei der Vorteilsausgleich entsprechendes Verteidigungsvorbringen des Schädigers voraussetzt. Die Berechnungsmethode ist für alle Fälle des Verdienstausfalls anwendbar, gleichgültig, ob es um den Verdienstausfall von Beamten, Selbständigen oder Arbeitnehmern geht.

RA Martin – Arbeitsrecht in Berlin