Verdachtskündigung
Kündigung – Rufe auf Mallorca „Ausländer raus“
Im Juni 2017 breitete eine Gruppe junger Männer während des Auftritts einer Sängerin in einer Diskothek auf Mallorca eine schwarz-weiß-rote Flagge aus, die einer Reichskriegsflagge nachempfunden war. Es sollen dort Rufe „Ausländer raus!“ gefallen sein. Der Kläger / Arbeitnehmer war in dieser Disko. Ob er sich an den Ausrufen beteiligt hatte und ob er in der Gruppe agierte, war umstritten.
Die Arbeitgeberin/VW befragte den Kläger zum Vorfall und zu einer Mitgliedschaft bei den „Hammersteins“, nach dem eine Zeitung den Kläger interviewt hatte. Danach wurde er bezahlt von der Arbeit freigestellt.
Mit der Zustimmung des Betriebsrats sprach dann VW dem Kläger eine außerordentliche fristlose, hilfsweise eine fristgemäße Tat- und Verdachtskündigung aus verhaltens- und personenbedingten Gründen aus.
Der Kläger/Arbeitnehmer erhob daraufhin Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht und trug vor, er sei an dem Vorfall nicht beteiligt gewesen und habe sich nur abseits der Gruppe bewegt. Weiter meinte er, dass es für die Berechtigung einer Kündigung komme es nur auf sein Verhalten am Arbeitsplatz ankomme. Weiter stellte er einen Antrag auf Weiterbeschäftigung.
Die Beklagte/VW hat vorgetragen, der Kläger habe sich in der Öffentlichkeit mit rechtsradikalem und verfassungswidrigem Verhalten dargestellt. Die Personengruppe habe in der Diskothek auch die Worte „Ausländer raus!“ gerufen. Darüber hinaus hätten zahlreiche Medien über das Verhalten des Klägers und seine Zugehörigkeit zur rechtsradikalen Szene berichtet.
Weiter trug die Beklagten vor, dass der Kläger schon zuvor wegen seiner Gesinnung und seines Wirkens für die sog. Hammerskins im medialen Fokus gestanden und auch über den öffentlichen Bereich seines Facebook-Profils fremdenfeindliche Äußerungen geteilt habe. Da in ihrem Unternehmen Mitarbeiter aus 114 Nationen tätig seien, treffe sie eine besondere Verantwortung, gegen jede Form von Fremdenfeindlichkeit oder rassistischem Gedankengut vorzugehen.
Die Beklagte meint, dass der Kläger sowohl gegen die für alle Beschäftigten verbindlichen Verhaltensgrundsätze als auch gegen die Betriebsvereinbarung zum partnerschaftlichen Verhalten am Arbeitsplatz verstoßen habe.
Sie meinte weiter, dass ein Auflösungsantrag wenigstens gerechtfertigt sei, denn Mitarbeiter seien aufgrund der Gesinnung des Klägers nicht mehr bereit, mit diesem zusammenzuarbeiten.
Das Arbeitsgericht hatte sodann dem Arbeitnehmer Recht gegeben und den Kündigungsschutzantrag stattgegeben und den Auflösungsantrag der Beklagten zurückgewiesen.
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (Urteil vom 21. März 2019 – 13 Sa 371/18) hatte über die Berufung der Volkswagen AG zu entscheiden. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise fristgemäßen Kündigung und um Weiterbeschäftigung. Das LAG Niedersachsen gab dem Arbeitnehmer Recht und wies die Berufung von VW zurück.
Das LAG Braunschweig führte dazu aus:
Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Die Kündigung ist unwirksam. Es handelt sich um ein außerdienstliches Verhalten, das keine Nebenpflichten aus dem Arbeitsvertrag verletzt; die Beklagte ist kein öffentlicher Arbeitgeber und verfolgt auch keine politische Tendenz. Auch liegen keine hinreichenden Gründe vor, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Daher kann der Kläger auch seine Weiterbeschäftigung verlangen; sein Begehren blieb lediglich insoweit erfolglos, als er seine Beschäftigung zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort und in einem bestimmten Bereich verlangt hat. Dies zu bestimmen, unterliegt dem Direktionsrecht der Arbeitgeberin.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht Berlin Marzahn-Hellersdorf
LAG Berlin-Brandenburg: keine Aussetzung des Kündigungsschutzverfahrens bis Abschluss des Strafverfahrens
Sachverhalt
Der Arbeitgeber behauptete, dass der Arbeitnehmer im Jahr 2013 Tonermaterial im Wert von 80.000 EUR bestellt habe, obwohl im Betrieb jährlich im Durchschnitt nur für 4.000 bis 5.000 EUR Drucker-Toner benötige. Darüber hinaus habe der Arbeitnehmer Oki-Toner bestellt, obwohl im Betrieb lediglich Kyocera-Toner zur Anwendung kommen.
Weiter trug der Arbeitgeber vor, dass er anhand von rekonstruierten E-Mails feststellen konnte, dass der Arbeitnehmer über eine andere Firma die Originalrechnungen in Rechnungen für Kyocera-Toner habe umschreiben lassen.
Auch meinte der Arbeitgeber, dass der Arbeitnehmer im Rahmen einer Nebentätigkeit anderen Personen Oki-Toner angeboten habe. Von daher ging der Arbeitgeber davon aus, dass der Arbeitnehmer die Oki-Toner auf eigene Rechnung gewinnbringend veräußert habe. Dem Arbeitgeber sei ein beträchtlicher Schaden entstanden.
Der Arbeitgeber kündigte sodann das Arbeitsverhältnis mit den Arbeitnehmer außerodentlich und fristlos in Form einer Verdachtkündigung.
Der Arbeitnehmer erhob dagegen Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht Berlin.
Auch zeigte der Arbeitgeber den Sachverhalt bei der Polizei an und Stellte Strafantrag . Das Ermittlungsverfahren wurde noch geführt und war noch nicht abgeschlossen. Im Ermittlungsverfahren machte der Arbeitnehmer von seinem Recht auf schweigen Gebrauch.
Auch im Arbeitsgerichtsverfahren ließ sich der Arbeitnehmer zu den Vorwürfen nicht genau ein.
Der Kläger hat die Aussetzung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens bis zum Abschluss des Strafverfahrens beantragt, ohne bisher auf die Vorwürfe im Einzelnen im Kündigungsschutzverfahren einzugehen. In dem zurzeit beim LKA anhängigen Verfahren habe er noch keine Akteneinsicht erhalten. Der Kläger verweist darauf, dass eine Vielzahl von Personen Zugang zu dem Raum gehabt hätte, in dem die Druckertoner gelagert worden seien. Die Erkenntnismöglichkeiten der Staatsanwaltschaft gingen weiter. Diese könne effektiver als das Arbeitsgericht Zeugen zu der Frage laden, welche Personen zu welchem Zeitpunkt Zugang zu diesem Raum und Zugriff auf die Toner gehabt hätten. Das Verfahren sei auch deswegen auszusetzen, da er sonst im hiesigen Verfahren Gefahr laufe, sich selbst ggfs. zu bezichtigen. Wenn er im hiesigen Verfahren die Vorwürfe substantiiert bestreite, um der Geständnisfiktion des § 138 ZPO zu entgehen, werde das Aussageverweigerungsrecht im Strafverfahren inhaltsleer. Dem Recht, schweigen zu dürfen, komme eine überragende Bedeutung zu. Dies ergebe sich aus dem Grundgesetz, dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und ferner der EMRK. Im Übrigen verweist er auf Regelungen im Disziplinarrecht von Beamten (§ 22 BDG), wonach ein Disziplinarverfahren auszusetzen sein, wenn öffentlich Klage erhoben worden ist.
Das Arbeitsgericht Berlin lehnte den Antrag auf Aussetzung des Arbeitsgerichtsverfahrens ab.
Dagegen wandte sich der Arbeitnehmer / Kläger mittels sofortiger Beschwerde zum Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 13.06.2014 – 15 Ta 1108/14). Das LAG wies die sofortige Beschwerde zurück und führte dazu aus:
Das vom Kläger in Anspruch genommene Recht, im Strafverfahren schweigen zu dürfen, rechtfertigt auch keine Aussetzung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens.
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2.1 Dieses Recht, das das Bundesverfassungsgericht aus Art 2 I, 1 I GG als Ausfluss des Gebotes eines fairen Verfahrens ableitet (BVerfG NJW 97, 1841, 1843), wird durch die Mitwirkungspflichten nach § 138 ZPO nicht verletzt. Eine Partei muss sich auch im Zivilprozess nicht selbst bezichtigen (BVerfGE 56, 37, 44). Daher kann der hiesige Kläger in dem von ihm angestrengten Prozess zu den Vorwürfen der Beklagten schweigen. Insofern führt das BVerfG aus:11
„Die derart gegen den Zwang zu Selbstbezichtigung geschützten Prozessparteien … tragen lediglich das Risiko einer für sie ungünstigen Tatsachenwürdigung.“ (BVerfGE 56, 37, 44).12
Auch die Kommentarliteratur geht davon aus, dass die Partei im Zivilprozess jede Äußerung verweigern dürfe (Stein-Jonas 22. Aufl. § 138 ZPO Rn 13). Eine solche Partei müsse sich rechtzeitig überlegen, ob sie einen Prozess führen möchte (MüKo 4. Aufl. § 138 ZPO Rn 15). Sie dürfe nicht wahrheitswidrig vortragen und müsse bei Absehen eines eigenen Vortrags die prozessualen Konsequenzen tragen (Zöller 30. Aufl. § 138 ZPO Rn 3). Hiervon wird auch in der Rechtsprechung der Instanzgerichte ausgegangen (LAG Hamm 10.05.2013 – 7 Ta 155/13 – Rn 21ff m.w.N.)13
Insofern muss auch der hiesige Kläger überlegen, ob er in dem von ihm angestrengten Prozess schweigen oder sich wahrheitsgemäß äußern will. Größerer Schutz muss ihm im Zivilverfahren nicht eingeräumt werden.14
2.2 Art. 6 EMRK rechtfertigt kein anderes Ergebnis.15
Art. 6 EMRK hat nach der Ratifizierung den Rang eines einfachen Bundesgesetzes und bindet die deutschen Gerichte unmittelbar (BAG 26.03.1987 – 8 AZR 54/86 – Rn 19). Der EGMR leitet aus Art. 6 EMRK das Recht ab, zu schweigen und sich nicht selbst zu beschuldigen (EGMR 03.05.2001 – 31827/96 – NJW 2002, 499). Der Begriff der „strafrechtliche Anklage“ in Art. 6 I EMRK legt der EGMR autonom aus. Bei der Entscheidung, ob ein Verfahren ein Strafverfahren ist, seien drei Kriterien heranzuziehen, nämlich erstens, wie das innerstaatliche Recht das Verfahren qualifiziert, zweitens die Art der Zuwiderhandlung und drittens die Art und Schwere der dem Betroffenen drohenden Sanktion. Daher dürfe ein Bürger in einem Steuerverfahren nicht mit Bußgeldern zu Auskünften gezwungen werden, die in einem Steuerstrafverfahren zu seinem Nachteil verwendet werden (EGMR a.a.O.).16
Art. 6 EMRK kann hier schon deswegen nicht verletzt sein, weil im Arbeitsgerichtsprozess keine Partei zu einer Aussage gezwungen werden kann. Darüber hinaus stellt das Kündigungsschutzverfahren auch kein Strafverfahren im Sinne des Art. 6 EMRK dar. Hier tritt nicht der Staat strafend dem Bürger gegenüber, sondern das Verfahren betrifft zwei Bürger untereinander.17
2.3. Das Gleiche gilt für das Schweigerecht nach Art. 14 Abs. III lit. g des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (BGBl. II 1973 S. 1533, 1541). Das dort geregelte Schweigerecht betrifft ebenfalls das Strafverfahren (BGH GS 13.05.1996 – GSSt 1/96 – Rn 38).18
2.4. Im Gegensatz zur Auffassung des Klägers folgt aus § 22 I 1 BDG nichts anderes.19
Nach dieser Norm ist ein beamtenrechtliches Disziplinarverfahren auszusetzen, wenn öffentliche Klage erhoben worden ist. Der Staat, der dem Beamten im Disziplinarverfahren als Dienstherr hoheitlich gegenübertritt, mag sich in seinem Verfahren entsprechend binden. Auf ein zivilgerichtliches Verfahren zweier Bürger untereinander ist dies aber nicht anwendbar.
Eine nachvollziehbare Entscheidung. Der Arbeitnehmer muss sich überlegen, ob er schweigen möchte oder sich äußern wird. Wenn er sich äußert, dann muss dies wahrheitsgemäß sein. Im Zivilprozess / Arbeitsgerichtsprozess geltend andere Regeln als im Strafverfahren. Der Arbeitnehmer verteidigt sich im Strafverfahren gegen die strafrechtlichen Vorwürfe. Im Arbeitsgerichtsprozess geht es aber nicht um Verteidigung, sondern der Arbeitnehmer möchte hier etwas erreichen, nämlich die Kündigung „aus der Welt schaffen“. Dies geht nicht mit schweigen.
Auch kann das Abwarten des Ergebnisses des Strafverfahrens nachteilig sein, denn im Strafverfahren steht der Geschädigte als Zeuge zur Verfügung während dieser im Arbeitsgerichtsverfahren nur Partei ist, nämlich Beklagter.
Wahrscheinlich wollte der Kläger hier einfach mal schauen, was die Staatsanwaltschaft ermitteln wird, vielleicht kommt etwas Entlastendes heraus, vielleicht aber auch etwas Belastendes. Je nach dem wollte dann wohl der Kläger seine Strategie im Arbeitsgerichtsprozess anpassen; vielleicht sogar die Klage zurücknehmen, wenn sich im Strafprozess (dies ist für das Arbeitsgerichtsverfahren aber nicht bindend) herausstellt, dass es keine oder kaum entlastende Beweise/ Zeugen gibt.
Es ist nachvollziehbar, dass das Landesarbeitsgericht Berlin – Brandenburg diesen halbherzigen Klageverhalten einen Riegel vorgeschoben hat.
Eine Besonderheit bestand hier darin, dass eine Verdachtskündigung ausgesprochen wurde. Bei dringenden schwerwiegenden Verdacht – ohne endgültigen Nachweis – kann der Arbeitgeber hier kündigen, muss den Arbeitnehmer aber vorher anhören.
RA A. Martin
BAG: Erstattung von Detektivkosten des Arbeitgebers bei Verdachtskündigung möglich
Ein Busfahrer meldete sich im Jahr 2010 krank. Der Arbeitgeber beantragte – nach dem der Arbeitnehmer mehrfach arbeitsunfähig war – einen Untersuchungstermin des Arbeitnehmers beim Medizinischen Dienst (MDK). Den Termin, wie auch einen weiteren Termin, nahm der Arbeitnehmer nicht wahr. Dem Arbeitgeber teilte er mit, dass die Ladungen zum Termin zu spät kamen.
Der Arbeitnehmer reichte sodann eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beim Arbeitgeber ein. Der Arbeitgeber beauftragte nun eine Detektei mit der Observierung des Arbeitnehmers, da er vermutete, dass dieser tatsächlich nicht erkrankt war. Dabei wurde festgestellt, dass der Arbeitnehmer im Bistro seiner Frau arbeitete und dort verschiedene Einkäufe erledigte und zum Beispiel zwei volle Getränkekisten aus dem Pkw in das Bistro trug. Einige Zeit – der AN war wieder „krank“- ließ der Arbeitgeber diesen nochmals überwachen. Danach konfrontierte er den Arbeitnehmer mit der Arbeit – trotz Erkrankung – im Bistro seiner Frau. Der Arbeitnehmer bestritt dies. Er habe dort nicht gearbeitet.
Der Arbeitgeber sprach dann eine außerordentliche Verdachtskündigung aus und kündigte hilfsweise mit ordentlicher Frist.
Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung. Der Arbeitgeber macht widerklagend € 12.944,88 an Detektivkosten geltend.
Vor dem Arbeitsgericht wurde die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers abgewiesen und der Arbeitnehmer zur Zahlung / Erstattung von € 1.000 an Detektivkosten verurteilt. Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber legten dagegen Berufung zum Landesarbeitsgericht Hessen (18 Sa 492/11) ein. Das Berufungsgericht hielt das Urteil des Arbeitsgerichts für richtig und wies beide Berufungen zurück. Der Arbeitnehmer ging in Revision – und zwar im Hinblick auf seine Verurteilung zur Tragung der Detektivkosten – vor dem Bundesarbeitsgericht.
Das BAG (26.09.2013 – 8 AZR 102/12) verwies den Rechtsstreit zurück an das LAG und führte dazu aus:
I. Grundsätzlich kommt eine Erstattungspflicht hinsichtlich der Detektivkosten auch dann in Betracht, wenn die ermittelten Tatsachen zu einem so schwerwiegenden Verdacht einer vorsätzlichen Vertragspflichtverletzung führen, dass eine deswegen ausgesprochene Kündigung im Sinne einer Verdachtskündigung als begründet angesehen werden muss.
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1. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. BAG 28. Oktober 2010 – 8 AZR 547/09 – Rn. 24, AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 135 = EzA BGB 2002 § 280 Nr. 5; 28. Mai 2009 – 8 AZR 226/08 – Rn. 22, AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 133 = EzA ZPO 2002 § 91 Nr. 4; 17. September 1998 – 8 AZR 5/97 – zu C II 1 der Gründe, BAGE 90, 1 = AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 113 = EzA BGB § 249 Nr. 23) hat der Arbeitnehmer wegen der Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten (§ 280 Abs. 1 BGB) dem Arbeitgeber die durch das Tätigwerden eines Detektivs entstandenen notwendigen Kosten zu ersetzen, wenn der Arbeitgeber aufgrund eines konkreten Tatverdachts einem Detektiv die Überwachung des Arbeitnehmers überträgt und der Arbeitnehmer einer vorsätzlichen Vertragspflichtverletzung überführt wird. Insofern handelt es sich um keine Vorsorgekosten, die unabhängig von konkreten schadensstiftenden Ereignissen als ständige Betriebsausgabe vom Arbeitgeber zu tragen sind. Nach § 249 BGB erstreckt sich die Schadensersatzpflicht auf alle Aufwendungen des Geschädigten, soweit diese nach den Umständen des Falles als notwendig anzusehen sind. Dazu gehört auch die Abwehr drohender Nachteile, wenn sich insofern konkrete Verdachtsmomente ergeben. § 254 BGB verlangt von einem Geschädigten allerdings die Rücksichtnahme auf das Interesse des Schädigers an der Geringhaltung des Schadens. Daraus folgt, dass der Arbeitgeber nur für die Maßnahmen Erstattungsansprüche hat, die ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Arbeitgeber nach den Umständen des Einzelfalles zur Beseitigung der Störung bzw. zur Schadensverhütung nicht nur als zweckmäßig, sondern auch als erforderlich ergriffen haben würde (BAG 28. Mai 2009 – 8 AZR 226/08 – aaO; 17. September 1998 – 8 AZR 5/97 – aaO).
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2. Rechtsfehlerfrei ist das Landesarbeitsgericht weiter davon ausgegangen, dass die den Verdacht begründenden sogenannten Belastungstatsachen Verletzungen von Vertragspflichten darstellen können und dann der Grund für die Erstattungspflicht aufgewendeter Detektivkosten sind.
24
a) Der Verdacht, der Vertragspartner bzw. Arbeitnehmer könnte eine strafbare Handlung oder eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen haben, kann nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung bilden (vgl. BAG 18. November 1999 – 2 AZR 743/98 – zu II 1 a der Gründe, BAGE 93, 1 = AP BGB § 626 Verdacht einer strafbaren Handlung Nr. 32; ErfK/Müller-Glöge 13. Aufl. § 626 BGB Rn. 173). Entscheidend sind dabei der Verdacht eines Verstoßes gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der damit verbundene Vertrauensverlust (vgl. BAG 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – BAGE 134, 349). Es muss gerade der Verdacht sein, der das zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers zerstört oder zu einer unerträglichen Belastung des Arbeitsverhältnisses geführt hat (vgl. BAG 26. März 1992 – 2 AZR 519/91 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 23; 27. November 2008 – 2 AZR 98/07 -). Daher erscheint der Begriff der Vertrauenskündigung angemessen (Gilberg DB 2006, 1555, 1559). Letztlich geht es darum, dass erhebliche Verdachtsmomente das für ein weiteres Zusammenwirken erforderliche Vertrauen zerstört haben. Die Kündigung wegen Verdachts stellt neben der Kündigung wegen der Tat einen eigenständigen Tatbestand dar (vgl. BAG 13. September 1995 – 2 AZR 587/94 – zu II 3 der Gründe, BAGE 81, 27 = AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 25; 12. August 1999 – 2 AZR 923/98 – zu II 2 a der Gründe, BAGE 92, 184 = AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 28; 23. Juni 2009 – 2 AZR 474/07 – Rn. 55, BAGE 131, 155).
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b) Das dem Verdacht zugrunde liegende Fehlverhalten des Arbeitnehmers muss eine erhebliche Verfehlung des Arbeitnehmers – strafbare Handlung oder schwerwiegende Vertragsverletzung – sein (BAG 27. November 2008 – 2 AZR 98/07 – Rn. 18). Der Verdacht muss objektiv durch Tatsachen – sog. Belastungstatsachen – begründet sein, die so beschaffen sind, dass sie einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung veranlassen können (vgl. BAG 14. September 1994 – 2 AZR 164/94 – BAGE 78, 18 = AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 24; 29. November 2007 – 2 AZR 724/06 – Rn. 30, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 40). Der Verdacht muss darüber hinaus dringend sein, dh. es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der gekündigte Arbeitnehmer die Straftat oder die Pflichtverletzung begangen hat (vgl. BAG 12. August 1999 – 2 AZR 923/98 – BAGE 92, 184 = AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 28; 25. November 2010 – 2 AZR 801/09 – Rn. 16). Hierfür ist eine wertende Beurteilung und kein bestimmter Grad der Wahrscheinlichkeit notwendig (vgl. BAG 6. September 2007 – 2 AZR 722/06 – BAGE 124, 59; LAG Düsseldorf 17. Januar 2012 – 17 Sa 252/11 -). Die Verdachtsmomente und die Verfehlungen, deren der Arbeitnehmer verdächtigt wird, müssen so schwerwiegend sein, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Als derartige schwere Verfehlungen gelten etwa Veruntreuungen eines Filialleiters, Verrat von Geschäftsgeheimnissen, Diebstahl, Betrug bei der Spesenabrechnung, Erschleichen der Lohnfortzahlung, eine illegale verfassungsfeindliche Tätigkeit oder die sexuelle Belästigung von Mitarbeitern (vgl. ErfK/Müller-Glöge 13. Aufl. § 626 BGB Rn. 177, unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung).
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3. Das Landesarbeitsgericht hat indes bislang nicht festgestellt, dass die Observation vorgelagerte und den Verdacht als Hilfstatsachen begründende Pflichtwidrigkeiten des Klägers erbracht hat.
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a) Soweit das Berufungsgericht in Erwägung gezogen hat, der Kläger habe sich zumindest genesungswidrig verhalten, „falls er nicht mehr an Schmerzen litt“, bedeutet dies zum einen nicht die Feststellung einer Hilfstatsache, die für sich eine Pflichtwidrigkeit darstellt. Es handelt sich vielmehr um eine Vermutung, „falls“ der Kläger wieder schmerzfrei gewesen sein sollte. Zum anderen konnte das Berufungsgericht nicht ohne Verstoß gegen Denkgesetze alternativ ein genesungswidriges und damit pflichtwidriges Verhalten des Klägers annehmen. Denn „genesungswidrig“ kann sich nur der Arbeitnehmer verhalten, der tatsächlich arbeitsunfähig ist. Die Kündigung der Beklagten hielt jedoch das Landesarbeitsgericht wegen des schwerwiegenden Verdachts tatsächlich bestehender Arbeitsfähigkeit und erschlichener Entgeltfortzahlung für begründet. Um diese Vermutung zu erhärten, war im März und im April 2010 die Beauftragung der Detektei erfolgt. Nur insoweit kann nach den Umständen des Falles die Aufwendung der Beklagten für das Detektivbüro als notwendig anzusehen sein. Die Revision sieht im Grundsatz zutreffend, dass entgegen der Rechtsprechung des Senats andernfalls unabhängig von der Notwendigkeit gemachter Aufwendungen auch Zufallsergebnisse zur Kostenerstattungspflicht des observierten Arbeitnehmers führen könnten.
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b) Hätte die Observation im April 2010 Indizien erbracht, die in Form eines vorsätzlichen Verhaltens des Klägers darauf hindeuten, dass er in Wahrheit nicht erkrankt war und die so den Verdacht stützten, er habe sich die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und infolge dessen die Entgeltfortzahlung erschlichen, könnte dies zu einer Ersatzpflicht des Klägers führen. Es kommt insoweit nicht darauf an, ob sich der Kläger gesundheits- oder genesungswidrig verhalten hat, sondern darauf, ob er sich vorsätzlich so verhalten hat, dass nach allgemeiner Lebenserfahrung der Schluss gezogen werden muss, er sei nicht arbeitsunfähig. Das Landesarbeitsgericht hat rechtskräftig die fristlose Kündigung der Beklagten vom 14. Mai 2010 für wirksam befunden, weil die Beklagte zwar nicht beweisen konnte, dass der Kläger tatsächlich gesund war, sie aber Indizien darlegen und beweisen konnte, die diese Schlussfolgerung zulassen und damit den Verdacht begründen, es sei so gewesen und der Kläger habe die Beklagte betrogen. Das Landesarbeitsgericht wird daher bezüglich der Detektivkosten zu prüfen haben, ob für seine Entscheidung über die Kündigung maßgebliche Hilfstatsachen auf die Observation durch das Detektivbüro vom 23. bis 25. April 2010 zurückzuführen sind. Das setzt voraus, dass ein Verhalten des Klägers beobachtet wurde, das in einer vom Kläger zu vertretenden Art und Weise (§ 619a BGB) die Rücksicht auf die Interessen der Beklagten (§ 241 Abs. 2 BGB) derart vermissen ließ, dass es den Verdacht eines Betrugs zu Lasten der Beklagten (mit-)begründete. Nach § 619a BGB liegt im Übrigen die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Kläger dergestalt vorwerfbar seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verletzt hat und nach § 280 Abs. 1 BGB der Beklagten zum Schadensersatz verpflichtet ist, bei der Beklagten.
Das Urteil ist kein Paukenschlag (auch schon vorher hat sich das BAG dazu geäußert), aber beachtlich. Die Besonderheit bestand hier u.a. darin, dass es um eine Verdachtskündigung ging. Meist kommt es in der Praxis zur Tatkündigung, dass heißt, dass der Arbeitgeber das Vorliegen einer bestimmten Vertragspflichtverletzung behauptet. Bei der Verdachtskündigung wird allein aufgrund eines schwerwiegenden Verdachts gekündigt; dies reicht aus (der Arbeitnehmer ist hier zwingend anzuhören).
Nach dem BAG muss also
- ein konkreter Tatverdacht gegen den Arbeitnehmer vorliegen,
- die Einschaltung einer Detektei erforderlich und angemessen (Kosten!) sein und
- sich der obigen Verdacht durch die Observierung bestätigt bzw. erhärtet haben
- und darauf die Kündigung gestützt werden kann
Erstattungsfähig sind dann die Kosten, die ein wirtschaftlich denkender Arbeitgeber für erforderlich halten würde.
RA A. Martin
Arbeitnehmer lässt sich wegen Atemnot krankschreiben und führt dann Schleifarbeiten im Atemmaske aus
Das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit wird häufig von Arbeitgebern vermutet, wenn sich ein Arbeitnehmer krank schreiben lässt. Dabei kommt aber der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einen hohen Beweiswert zu. Das Gericht geht schlichtweg davon aus, dass der behandelnde Arzt hier keine falsche Angaben gemacht hat und in der Lage war die vom Arbeitnehmer vorgetragenen Beschwerden zu überprüfen und eine Diagnose zu erstellen.
Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Dem Arbeitgeber bleibt in dieser Situation nur die Möglichkeit den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Dafür reichen bloße Zweifel an der Diagnose nicht aus. Vielmehr muss der Arbeitgeber Tatsachen vortragen – und ggfs- beweisen – die erhebliche Zweifel an der vom Arzt bescheinigten Arbeitsunfähigkeit begründen.
Informationsbeschaffung
Der Arbeitgeber wird versuchen entsprechende Informationen zu beschaffen. Er kann zum Beispiel den MDK einschalten, was aber in der Praxis selten etwas bewirkt. Erfolgversprechender – wenn auch kostenintensiver – ist die Einschaltung eines Privatdetektivs.
Es stehen dann eine verhaltensbedingte Kündigung oder eine Abmahnung im Raum.
Fall des LAG R-P
Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (Urteil vom 11.07.2013 – 1ß Sa 100/13) hatte über folgenden Sachverhalt zu entscheiden:
Der 1953 geborene Kläger ist seit 26.04.1995 im Kurbetrieb der Beklagten als Masseur beschäftigt. ………
Der Kläger leidet seit 1996 unter chronischem Bluthochdruck. …………..
Am 20.06.2012 suchte der Kläger die Praxis seines Hausarztes auf. Er wurde für die Zeit vom 20.06. bis einschließlich 29.06.2012 von der Allgemeinärztin Dr. med. E. B. arbeitsunfähig krankgeschrieben. Ihre Diagnose lautete: „Belastungsdyspnoe sowie Verdacht auf koronare Herzerkrankung.“ Der Kläger litt nach seinen Angaben unter zunehmendem Herzrasen, Atemnot und einer starken Zunahme von Wasser in den Beinen. Allein das Gehen habe ihm erhebliche Probleme bereitet, er sei erschöpft gewesen und habe sich ständig ausruhen und erholen müssen. Sein Pulsschlag habe nach normalem Treppensteigen ca. 120/min. betragen. Erfreulicherweise habe sich sein Gesundheitszustand durch die Einnahme des Medikaments Molsidomin in einer erhöhten Dosierung (2 x 4, statt 2 x 2 mg tgl.) wesentlich gebessert. Er habe sich daher zum Ende der Krankschreibung in der Lage gefühlt, leichte körperliche Arbeiten zu verrichten.
Bei der Beklagten ging aus den Reihen der Belegschaft der Hinweis ein, dass der Kläger während der Krankschreibung im Wohnhaus seiner Tochter Renovierungsarbeiten durchführe. Deshalb beauftragte die Beklagte am 25.06.2012 eine Detektei mit der Observierung des Klägers. Der Kläger wurde drei Tage vom 26. bis 28.06.2012 von Detektiven beschattet.
Am Samstag, dem 30.06.2012, nahm der Kläger seine Tätigkeit als Masseur im Betrieb der Beklagten wieder auf. Die Detektei legte der Beklagten am 03.07.2012 ihren Bericht (vgl. wegen des Inhalts im Einzelnen: Bl. 44-60 d.A.) vor. Am 03.07.2012 konfrontierte der kaufmännische Leiter der Beklagten den Kläger mit den Beobachtungen der Detektei und hörte ihn zu den Verdachtsmomenten an, die er in einem Aktenvermerk stichwortartig wie folgt zusammenfasste:
„…
Besuch Bauhaus am 26.06.12 à Herr C. stimmt zu
Schleifarbeiten mit Schleifmaschine und Atemschutzmaske am 26.06.12 à keine Rückmeldung
Fenster geputzt und „abgerubbelt“ à Zustimmung
Arbeiten mit Akkuschrauber oder -bohrer à keine Rückmeldung
Diverse Fahrten zwischen seinem Haus und der Baustelle im Zeitraum 26.06. – 28.06.12 à Zustimmung
Diverse Putzarbeiten, Säuberung von Arbeitsmaterial, Tragen von Kartonagen und einer Holzpalette à Zustimmung
Schrank ausgeladen aus Pkw am 28.06.12 à Zustimmung“Mit Schreiben vom 05.07.2012 hörte die Beklagte unter Beifügung des Berichts der Detektei den Betriebsrat zu einer beabsichtigten fristlosen Kündigung an. Die Betriebsratsvorsitzende teilte der Beklagten mit Schreiben vom 06.07.2012 mit, der Betriebsrat habe in seiner Sitzung den Beschluss gefasst, sich zur Kündigungsabsicht nicht zu äußern.
Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 10.07.2012, das dem Kläger am selben Tag zugegangen ist, fristlos, rein vorsorglich zum nächstzulässigen Termin. Gegen diese Kündigung hat der Kläger am 30.07.2012 Kündigungsschutzklage erhoben und die Ansicht vertreten, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung liege nicht vor. Er habe nur Hilfstätigkeiten bei der Renovierung im Haus seiner Tochter verrichtet, nachdem er sich erheblich besser gefühlt habe. Er habe sorgfältig jedes Maß an Anstrengung vermieden. Er bestritt, dass er eine Holzplatte in der Größe von 2,5 x 0,5 m getragen habe. Er habe nicht mit „Hammer und Meißel“ gearbeitet, sondern Fliesenkanten mit Hammer und Schraubenzieher geglättet. Er habe auch keinen Schrank getragen, sondern mit einer zweiten Person den Korpus eines Schuhschranks ohne Türen. Er habe mit Pausen und nach selbstbestimmtem Rhythmus gearbeitet.
Das Arbeitsgericht Ludwigshafen gab dem Kläger (Arbeitnehmer) Recht und hielt die Kündigung des Arbeitgebers für nicht rechtmäßig. Der Arbeitgeber legte gegen das Urteil der 1. Instanz Berufung ein und der Fall landete dann beim LAG R-P. Das Landesarbeitsgericht gab nun dem Arbeitgeber Recht und hielt die Kündigung für wirksam und führte dazu aus:
Die außerordentliche Kündigung der Beklagten ist gemäß § 626 BGB rechtswirksam. Gegen den Kläger besteht der dringende Verdacht, dass er zumindest ab 26.06.2012 nicht mehr arbeitsunfähig erkrankt war und sich von der Beklagten Entgeltfortzahlung erschlichen hat.
a) Die körperlich anstrengenden Tätigkeiten des Klägers auf der Baustelle im Haus seiner Tochter während der ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit rechtfertigen die außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB an sich.
aa) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Der Verdacht muss auf konkrete – vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu beweisende – Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (st. Rspr. vgl. BAG 25.10.2012 – 2 AZR 700/11 – Rn. 13-14 mwN, NZA 2013, 371).
bb) Die Berufungskammer geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BAG (26.08.1993 – 2 AZR 154/93 – AP BGB § 626 Nr. 112) und des LAG Rheinland-Pfalz (12.02.2010 – 9 Sa 275/09 – Juris) davon aus, dass es einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB zur fristlosen Kündigung darstellen kann, wenn der Arbeitnehmer unter Vorlage eines ärztlichen Attestes der Arbeit fern bleibt und sich Entgeltfortzahlung gewähren lässt, obwohl es sich in Wahrheit nur um eine vorgetäuschte Krankheit handelt. Auch der dringende Verdacht, der Arbeitnehmer habe sich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit unlauteren Mitteln erschlichen, kann einen wichtigen Grund zur Kündigung darstellen (BAG 26.08.1993 – 2 AZR 154/93 – aaO).
Hinzu kommt, dass sich ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer so verhalten muss, dass er bald wieder gesund wird und an seinen Arbeitsplatz zurückkehren kann. Er hat alles zu unterlassen, was seine Genesung verzögern könnte. Der erkrankte Arbeitnehmer hat insoweit auf die schützenswerten Interessen des Arbeitgebers, die sich ua. aus der Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung ergeben, Rücksicht zu nehmen. Eine schwerwiegende Verletzung dieser Rücksichtnahmepflicht kann nach der Rechtsprechung des BAG eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund an sich rechtfertigen. Deshalb kann ein pflichtwidriges Verhalten vorliegen, wenn ein Arbeitnehmer bei bescheinigter Arbeitsunfähigkeit den Heilungserfolg durch gesundheitswidriges Verhalten gefährdet. Damit verstößt er nicht nur gegen eine Leistungspflicht, sondern zerstört insbesondere auch das Vertrauen des Arbeitgebers in seine Redlichkeit. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer während der Krankheit nebenher bei einem anderen Arbeitgeber arbeitet, sondern kann auch gegeben sein, wenn er Freizeitaktivitäten nachgeht, die mit der Arbeitsunfähigkeit nur schwer in Einklang zu bringen sind (BAG 02.03.2006 – 2 AZR 53/05 – Rn. 23, 24 mwN, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14).
Das LAG hielt also die Verdachtskündigung (keine Tatkündigung, sondern der starkeVerdacht kann hier bereits ausreichen – Anhörung des Arbeitnehmers aber zwingend erforderlich) aufgrund der wohl vorgetäuschten Krankheit und des genesungswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers (siehe hier auch „Nebentätigkeit bei Krankheit“) für wirksam.
Kündigung bei Verdacht auf illegale Downloads am Arbeitsplatz rechtmäßig?
Auf den Rechner eines Arbeitnehmers (Informatiker) befanden sich illegale Downloads (Filme). Darüber hinaus befand sich auf dem Rechner auch entsprechende Software für den Download (Filesharing-Programme). Die Besonderheit bestand aber darin, dass der Rechner nicht ausschließlich vom diesem Arbeitnehmer genutzt wurde, sondern auch von anderen Personen. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich auch heraus, dass zur Hälfte der Zeiten, an denen die Downloads stattgefunden hatten, der Arbeitnehmer gar nicht am Arbeitsplatz war.
Kündigung durch den Arbeitgeber
Der Arbeitgeber ging aber trotzdem davon aus, dass die Vorwürfe sich bestätigt hatten und kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos und zwar als Verdachts -und auch als Tatkündigung.
Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers
Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage und wehrte sich gegen die Kündigungen.
Entscheidung des Arbeitsgerichts Arnsberg
Das Arbeitsgericht Arnsberg (1 Ca 1139/12) hielt die Kündigungen für unwirksam und gab der Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers statt.
Es lasse sich, so hat das Arbeitsgericht ausgeführt, nicht feststellen, dass der Kläger tatsächlich illegale Downloads vorgenommen habe. Sein Rechner habe auch von anderen Mitarbeitern genutzt werden können, zumal die Anmeldung am System aufgrund eines speziellen Profils ohne Kennworteingabe möglich gewesen sei. Es lägen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger vorsätzlich eine Störung des Funkverkehrs herbeigeführt oder widerrechtlich einen NAS-Server oder ein Notebook an sich genommen habe. Die fristlose Kündigung sei auch als Verdachtskündigung unwirksam. Eine ordentliche Kündigung komme nicht in Betracht, da der Kläger als ehemaliges Personalratsmitglied Sonderkündigungsschutz genieße.
Entscheidung des LAG Hamm
Das Landesarbeitsgericht Hamm (Urteil vom 6.12.2013 –13 Sa 596/13) wies die Berufung des Arbeitgebers zurück und führte aus (Pressemitteilung):
Das Arbeitsgericht Arnsberg hatte zwei fristlose Kündigungen für unwirksam erachtet, die gegenüber dem Kläger unter anderem wegen des Vorwurfs ausgesprochen wurden, illegale Musik- und Filmdownloads über den Dienstrechner vorgenommen zu haben. Dieser rechtlichen Wertung schloss sich die Berufungskammer an. Ausschlaggebend für die Entscheidung war, dass sich keine Feststellungen dazu treffen ließen, dass gerade der Kläger für das illegale Herunterladen verantwortlich war. Auch ein dringender Verdacht gegen den Kläger bestand nach Auffassung der Berufungskammer im Hinblick auf die unklare Verantwortlichkeit für die Download-Vorgänge nicht. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde unter anderem auch erörtert, dass die Arbeitgeberin nicht eine zügige Sicherstellung der „verdächtigen“ Rechner veranlasst hatte, so dass sich im Nachhinein nicht klären ließ, welche Personen später Dateien gelöscht hatten.
RA A. Martin
LAG Schleswig-Holstein: erweiterte Anhörung des Betriebsrates bei Diebstahlsverdacht
Eine Mitarbeiterin eines Schwimmbades wurde beschuldigt Fundsachen der Badegäste gestohlen zu haben. Der Arbeitgeber sprach eine fristlose Kündigung und hilfsweise eine ordentliche Kündigung aus.
Nach der Anhörung der Arbeitnehmerin wurden noch zwei weitere Kündigungen und zwar Verdachtskündigungen (einmal fristlos und einmal ordentlich) durch den Arbeitgeber ausgesprochen.
Vor jeder Kündigung wurde der Betriebsrat angehört. Der Arbeitgeber informiert allerdings den Betriebsrat nicht über den bisherigen Verlauf des Arbeitsverhältnisses, insbesondere nicht darüber, dass das bisherige Arbeitsverhältnis „störungsfrei“ verlaufen ist.
Ob der Diebstahl begangen wurde, war zwischen den Parteien streitig.
Die Arbeitnehmerin erhob gegen die Kündigungen Kündigungsschutzklage und gewann vor dem Arbeitsgericht Neumünster. Die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes durch den Arbeitgeber blieb ohne Erfolg.
LAG Schleswig-Holstein
Das LAG (Aktenzeichen: 2 Sa 305/11 – Verkündet am 10.01.2012) führte dazu aus:
Keinem von beiden Schreiben kann entnommen werden, ob die Beklagte eine Interessenabwägung vorgenommen hat und welches Ergebnis diese hatte. Der Arbeitgeber ist gehalten, dem Betriebsrat den bei Einleitung des Anhörungsverfahrens vorhandenen Kenntnisstand mitzuteilen. Dazu gehören auch entlastende Umstände bei 10
Pflichtwidrigkeiten des Arbeitnehmers (Fitting, Rn. 24 zu § 102 BetrVG). Im Hinblick
auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 10.06.2010 (2 AZR 541/09 –
DB 2010,2395) ist auch im Fall einer strafbaren Handlung des Arbeitnehmers vom
Arbeitgeber eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung und Interessenabwägung dahingehend vorzunehmen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses trotz der eingetretenen Vertrauensstörung zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, lassen sich
nicht abschließend festlegen. Jedenfalls gehören hierzu die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen – störungsfreier – Verlauf. Hat das Arbeitsverhältnis über viele
Jahre hinweg ungestört bestanden, ist eine genaue Prüfung dahingehend vorzunehmen, ob die sich dadurch verfestigte Vertrauensbeziehung durch eine erstmalige Enttäuschung des Vertrauens vollständig und unwiederbringlich zerstört werden konnte.
Hier war das Ziel der Arbeitnehmerin nicht die Abfindung, sondern der Arbeitsplatz.
Die Entscheidung ist deshalb interessant, da hier Bezug genommen wird auf die Emmely- Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes und wieder die Begriffe „Vertrauenskapital“ und „störungsfreier Verlauf“ eine Rolle spielen. Zukünftig sollte von daher der Arbeitgeber bei Straftaten oder bei Bestehen eines Verdachtes einer Straftat durch den Arbeitnehmer auch umfassend über den bisherigen Verlauf des Arbeitsverhältnisses dem Betriebsrat informieren.
Verdachtskündigung und fehlende Anhörung!
Zum Beispiel beim Diebstahl im Betrieb kann der Arbeitgeber häufig den schuldigen Arbeitnehmer nicht sofort ermitteln. Wie bereits ausgeführt, muss eine außerordentliche Kündigung innerhalb von 2 Wochen nach Kenntnis von den maßgeblichen Tatsachen erfolgen. Der Arbeitgeber darf hier zunächst ermitteln. Da aber solche Ermittlungen – ggfs. auch über die Strafverfolgungsbehörden – lange andauern, stellt sich die Frage nach einer „schnellen Kündigung“. Im Raum steht dann meist immer die sog. Verdachtskündigung. Diese ist das Gegenteil zu einer sog. Tatkündigung, bei der der Arbeitgeber nicht aufgrund eines Verdachts, sondern aufgrund von erwiesenen Tatsachen in Bezug auf die Pflichtverletzung das Arbeitsverhältnis kündigt.
Verdachtskündigung
Eine Verdachtskündigung ist eine Kündigung ohne sichere Kenntnis von der Pflichtverletzung des Arbeitnehmers (z.B. von der Begehung eines Diebstahls). Eine solche Kündigung ist möglich, wenn der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen schwerwiegenden Verfehlung des Arbeitnehmers besteht. Der Grund für die Möglichkeit einer Verdachtskündigung ist der, dass schon aufgrund des schwerwiegenden Verdachts das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zerstört sein kann, z.B. beim Verdacht eines Diebstahls durch einen Kassierer (Kernbereich der Tätigkeit).
Anhörung und Verdachtskündigung
Die Anforderungen an eine Verdachtskündigung sind recht hoch. Dies macht auch Sinn, denn schließlich wird hier die Möglichkeit der außerordentlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber nur allein aufgrund eines Verdachts geschaffen, der sich später ja als falsch herausstellen kann. Eine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung der Verdachtskündigung ist von daher die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber. Ansonsten würde die Kündigung gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen. Eine Verdachtskündigung ohne Anhörung ist von daher unwirksam.
Siehe auch dazu:
Verdachtskündigung wegen sexueller Belästigung einer Patientin
BAG – Unterschlagung am Arbeitsplatz und notarielles Schuldanerkenntnis!
Begeht der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz eine Straftat, insbesondere, wenn es sich um eine Vermögensstraftat zum Nachteil des Arbeitgebers handelt, dann liegt es nahe, dass der Arbeitgeber hier das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos kündigt. Die Chancen stehen hier – obwohl es eigentlich schwierig für den Arbeitgeber ist verhaltensbedingt zu kündigen – nicht schlecht, dass er mit der Kündigung „durchkommt“.
Hier ist der Grundsatz – auch nach der Emmely-Entscheidung des BAG – immer noch so, dass eine außerordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber möglich und meist gut durchsetzbar ist. Allenfalls bei sehr geringen Schädigungen oder bei außergewöhnlichen Umständen (langes störungsfreies Arbeitsverhältnis) hat der Arbeitnehmer auch hier Chancen den Kündigungsschutzprozess zu gewinnen. Die Regel ist aber, dass der Arbeitgeber hier meist bessere Karten hat, wenn der die Straftat nachweisen kann oder eine Verdachtskündigung zulässig ist.
Nachweis der Schädigung erforderlich?
Der Arbeitgeber muss – dies ist ein häufiges Mißverständnis – auch nicht zum Zeitpunkt der Kündigung den Diebstahl/Unterschlagung immer nachgewiesen haben. Auch ohne Nachweis und nur aufgrund des Verdachts des Begehens einer Straftat kann eine außerordentliche Kündigung des Arbeitgebers gerechtfertigt sein. Man spricht hier von einer sog. Verdachtskündigung, an deren Wirksamkeit aber recht hohe Anforderungen gestellt werden.
BAG und notarielles Schuldanerkenntnis
Aufgrund der hohen Anforderungen an die Verdachtskündigung, ist es für den Arbeitgeber sicherer, wenn der die Straftat des Arbeitnehmers nachweisen kann. Wenn der Arbeitnehmer die Unterschlagung zugibt und dies sogar noch vor einem Notar, dann hat der Arbeitgeber im Prozess eigentlich keine Beweisprobleme mehr zu erwarten in Bezug auf den Nachweis der Straftat.
Anfechtung der notariellen Erklärung durch den Arbeitnehmer?
Das Bundesarbeitsgericht hatte nun einen ähnlichen Fall zu entscheiden. Es ging hier zwar nicht um ein Kündigungsschutzverfahren, allerdings entschied das BAG die Frage, ob ein Arbeitnehmer, der ein notarielles Schuldanerkenntnis in Bezug auf die Begehung einer Unterschlagung abgegeben hat, noch später gegen das Schuldanerkenntnis vorgehen kann.
Ein Arbeitnehmer unterschlug über Jahre erhebliche Geldbeträge im Betrieb des Arbeitgebers. Er arbeitete an der Kasse und entnahm zuletzt fast täglich Beträge zwischen € 500 bis 1000 und stellte hierfür gefälschte Pfandbons aus. Der Arbeitgeber überwachte – heimlich – den Arbeitsplatz und konnte die Unterschlagung aufdecken. Der Arbeitnehmer wurde sodann – im Beisein des Betriebsrates – mit den Vorwürfen konfrontiert und gab zu, so über Jahre (4 Jahre) über € 100.000,00 (!!!) aus der Kasse des Arbeitgebers entnommen zu haben. Daraufhin fuhr man zum nächsten Notar und der Arbeitnehmer gab ein notarielles Schuldanerkenntnis über € 113.750,00 ab und unterwarf sich in der Urkunde der Zwangsvollstreckung. Ihm wurde eine Ratenzahlung von € 200,00 monatlich gewährt.
Später wandte sich der Arbeitnehmer gegen das notarielle Schuldanerkenntnis und verlangte zudem die Herausgabe der Urkunde. Er wandte die Sittenwidrigkeit dieser Urkunde ein.
Das BAG führte dazu aus:
„Die Klage blieb vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgericht ohne Erfolg. Einwände gegen die Höhe des von ihm verursachten Schadens oder gegen die Art und Weise, wie er überführt wurde, kann der Kläger gegen das notarielle Schuldanerkenntnis nicht ins Feld führen. Mit Unterzeichnung des Anerkenntnisses hat er solche bekannten Einwände aufgegeben. Der Inhalt der notariellen Urkunde stellt sich auch nicht als sittenwidrig dar. Zwar ist die Summe hoch, im Verhältnis zu dem vorausgegangenen Geständnis des Klägers und zu den Feststellungen, die die Beklagte gemacht hatte, ist der Schadensbetrag aber vorsichtig kalkuliert. Die Beklagte hat auch keine Geschäftsunerfahrenheit des Klägers ausgenutzt. Die Drohung mit einer Strafanzeige erscheint angesichts des vom Kläger selbst eingeräumten Sachverhalts nicht als unverhältnismäßig. Grundsätzlich kann ein unterzeichnetes notarielles Schuldanerkenntnis nicht erfolgreich mit den Argumenten angegriffen werden, die vor Unterschrift gegen die Forderung des Gegners hätten erhoben werden können.“
LAG Berlin – Verdachtskündigung wegen „Schrottdiebstahl“ wirksam!
LAG Berlin – Verdachtskündigung wegen „Schrottdiebstahl“ wirksam!
– Rechtsanwalt Arbeitsrecht Berlin-
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg beschäftigte sich erneut mit dem Problem einer Verdachtskündigung (nicht erwiesener Verdacht) wegen des angeblichen Diebstahls von 1 Rohrzange und 4 Metallhalbschalen im Schrottwert von rund EUR 400. Das LAG Berlin-Brandenburg bestätigte letztendlich die vom Arbeitgeber ausgesprochene Verdachtskündigung.
Sachverhalt:
Der Kläger, ein langjähriger Schlosser, der zwei Kindern unterhaltspflichtig ist, befuhr nach Dienstschluss erneut das Betriebsgelände seines Arbeitgebers und nahm vom Gelände – unstreitig – 4 Metallhalbschalen im Wert von ungefähr je € 80,00 mit. Die Schalen wurden beim Schrotthändler vom Kläger dann verkauft. Der Kläger gab an, dass er die Metallhalbschalen – beim Austreten – abseits von den Lagerräumen, in den die Materialien sich befanden, gesehen habe und davon ausging, dass die Werkstücke niemanden gehören. Er habe Sie dann beim Schrotthändler „abgegeben“. Der Arbeitgeber stellte Strafanzeige wegen Diebstahls und kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos aus außerordentlichem Grund.
Der Kläger erhob gegen die fristlose Kündigung die Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht in Frankfurt (Oder) und vor verlor dort den Kündigungsrechtsstreit. Gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts legte er fristgerecht beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Berufung ein. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg wies die Berufung ab.
Das LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 12.03.2010 – 13 SA 2621/09) führte Folgendes aus:
„ Wie das Arbeitsgericht insofern zutreffend ausgeführt hat, kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht nur eine erhebliche Vertragsverletzung wie zum Beispiel ein Diebstahl, sondern auch schon der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Eine Verdachtskündigung liegt vor, wenn und soweit der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines (nicht erwiesenen) strafbaren Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. Eine Verdachtskündigung ist nur dann zulässig, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, dass für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Dabei ist die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers Wirksamkeitsvoraussetzung der Verdachtskündigung. Die Kündigung verstieße anderenfalls gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie wäre nicht ultima ratio (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. nur BAG 23.06.2009 – 2 AZR 474/07 – EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung, zu Rz 51 m. w. N. aus der Rechtsprechung). ….
Eine Abmahnung anstelle der Kündigung wegen des Verdachts eines Diebstahls von Messinghalbschalen aus dem Werk der Beklagten mit einem Schrottverkaufswert von über 400,00 € bedurfte es nicht. Der Arbeitnehmer muss in einem solchen Fall, der vorliegend zu einer rechtskräftigen Verurteilung wegen Unterschlagen führte, von vornherein wissen, dass der Arbeitgeber ein derartiges Fehlverhalten nicht duldet und missbilligt.d) Endlich sind auch bei einer abschließenden Interessenabwägung keine Gründe ersichtlich, die gegen die Wirksamkeit der Kündigung sprechen. Zwar ist der Kläger seit dem 01. Januar 1995 im Betrieb der Beklagten tätig. Er ist 2 Kindern im Alter von 14 und 9 Jahren zum Unterhalt verpflichtet. Allerdings wiegt der Verdacht des Diebstahls und die dabei gezeigte kriminelle Energie des Klägers, die angesichts des Gewichts der Metallhalbschalen auch erhebliche körperliche Anstrengungen erforderte, diese Umstände mehr als auf. Der Kläger hat im Übrigen einen anderen Arbeitsplatz gefunden, auf dem er zumindest seit dem 15. Oktober 2009 arbeitet (vgl. die Schreiben des Klägervertreters vom 15.10.2009, Bl. 80 d. A. sowie vom 04.03.2010, Bl. 154 d. A.).
Bei Verdacht gefeuert? Was ist eine Verdachtskündigung?
Bei Verdacht gefeuert? Was ist eine Verdachtskündigung?
Kann man nur aufgrund eines Verdachts gekündigt werden? Ja, kaum zu glauben, aber wahr. Der Arbeitgeber kann einen Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis schon dann außerordentlich oder ggfs. ordentlich kündigen, wenn ein begründeter Verdacht, zB. auf eine strafbare Handlung, wie der Diebstahl von Firmeneigentum vorliegt. Man spricht dann von einer sog. Verdachtskündigung.
Was steckt hinter der Verdachtskündigung?
Jedes Arbeitsverhältnis basiert auf ein gegenseitiges Vertrauen. Deshalb kann auch der Verlust dieses Vertrauens einen Grund zur Kündigung darstellen, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der Interessen des einen Vertragsteils dem anderen Vertragsteil nicht mehr zuzumuten ist. Faktisch ist bei der Verdachtskündigung die Vertrauensgrundlage zuvor entfallen. Dies erlaubt den Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zu beenden.
Wichtig ist, dass die Verdachtskündigung eben keine Kündigung wegen z.B. einer nachgewiesenen Straftat ist. Von diesen Sachverhalten ist die Verdachtskündigung abzugrenzen, denn bei der Verdachtskündigung wird eben nicht, wie bei der normalen Kündigung, aufgrund eines erwiesenen Sachverhalts gekündigt, sondern allein aufgrund eines bloßen Verdachts. Man unterscheidet von daher die Verdachtskündigung von einer sog. Tatkündigung.
Es ist zulässig, wenn der Arbeitgeber z.B. weil er eine Straftat des Arbeitnehmers für erwiesen hält, zunächst eine Tatkündigun ausspricht und hilfsweise eine Verdachtskündigung.
Was sind die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung?
Eine Verdachtskündigung ist ein schwerwiegender Eingriff. Es ist nachvollziehbar, dass diese nur unter strengen Voraussetzungen möglich ist. Es besteht nämlich die Möglichkeit, dass der Arbeitnehmer nur deshalb seinen Arbeitsplatz verliert, weil z.B. zu Unrecht ein Verdacht gegen ihn besteht.
Es sind hier zunächst die Grundsätze einer verhaltensbedingten Kündigung zu beachten.
Folgende Voraussetzungen müssen zusätzlich vorliegen:
- dringender Tatverdacht, der auf objektive Tatsachen gestützt ist
- erhebliche Vertrauensstörung,
- Ausschöpfung aller zumutbaren Aufklärungsmaßnahmen
- Anhörung des Arbeitnehmers,
- Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
Bei der Verdachtskündigung muss es sich um sehr schwerwiegende Verfehlungen, wie z.B. den Diebstahl von Firmeneigentum, handeln und auch muss die Angelegenheit dringend sein. Die Rechtsprechung fordert auch immer einen Zusammenhang zur Tätigkeit des Arbeitnehmers. Der Verdacht „müsse nachteilige Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers haben.“. Dies ist z.B. beim Diebstahl durch eine Kassiererin der Fall, da diese in Bezug auf das ihr anvertraute Geld eine besondere Vertrauensstellung hat.
Beispiele für zulässige Verdachtskündigungen:
- Diebstahl durch eine Kassiererin
- Veruntreuungen eines Filialleiters
- Versicherungsbetrug durch einen Prokuristen
- Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit
- sexuelle Belästigung von Arbeitskolleginnen
Grundsätzlich gilt, dass das Strafverfahren gegen den Arbeitnehmer zunächst keinen Einfluss auf den Kündigungsschutzprozess hat.
Wenn allerdings der Arbeitnehmer nach rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens strafrechtlich freigesprochen wird, dann kann dieser ggfs. einen Anspruch auf Wiedereinstellung gegenüber seinen Arbeitgeber haben. Die Verdachtskündigung bleibt aber trotzdem wirksam.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine Verdachtskündigung äußerst „unangenehm“ für den Arbeitnehmer sein kann, da der Arbeitgeber nur den Verdacht nachweisen muss und nicht die Tat.
Rechtsanwalt Berlin – Arbeitsrecht A. Martin