hilfsweise ordentlich
Mehrere Kündigungen durch den Arbeitgeber ausgesprochen- was machen?

Nicht selten kommt es vor, dass der Arbeitgeber oder dessen Rechtsanwalt (für diesen) mehrere Kündigungen des Arbeitsverhältnisses aussprechen.
außerordentliche Kündigung, hilfsweise ordentlich
Allein schon die häufig anzutreffende Kündigungsvariante –
Hiermit kündige ich Ihnen das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum nächstzulässigen Termin!
– enthält 2 Kündigungserklärungen, nämlich eine außerordentliche und eine (hilfsweise) ordentliche. Dies ist aber kein Problem. Der Kündigungsschutzantrag sollte, dann so formuliert werden, dass beide Kündigungen angegriffen werden.
Beispiel: Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die ordentliche Kündigung vom … , noch durch die im gleichen Schreiben hilfsweise erklärte außerordentliche Kündigung beendet worden ist.
Kündigungsschutzklage gegen alle Kündigungen des Arbeitgebers
Will der Arbeitnehmer gegen eine Kündigung des Arbeitgebers vorgehen, bleibt ihm nur die Möglichkeit der Erhebung der Kündigungsschutzklage innerhalb einer Frist von 3 Wochen. Macht er dies nicht, dann wird die Kündigung nach § 7 Kündigungsschutzgesetz wirksam.
Das Problem ist, dass dies auch für eine Kündigung gilt, die der Arbeitnehmer übersehen hat!
Beispiel: Der Arbeitgeber kündigt dem Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos am 1. März 2018. Am gleichen Tag erhält der Arbeitnehmer mit gesondertem Schreiben eine ordentliche und fristgemäße Kündigung zum 30. April 2018. Der Arbeitnehmer erhebt innerhalb von 3 Wochen die Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht Berlin und wehrt sich allein gegen die außerordentliche Kündigung. Die ordentliche Kündigung erwähnt er nicht.
Ergebnis: 3 Wochen (+ 1 Tag) nach dem Zugang der ordentlichen Kündigung wird das Arbeitsverhältnis zum 30.04.2018 beendet; auch wenn noch beim Arbeitsgericht eine Kündigungsschutzklage gegen die außerordentliche anhängig ist. Die Klage ist nur gegen die außerordentliche Kündigung gerichtet und erfasst sich die ordentliche Kündigung.
Wichtig!
Der Arbeitnehmer muss sich also gegen alle Kündigungen wehren, die er erhält. Vergißt er eine, dann wird diese – in der Regel – wirksam.
Ausnahme: doppelt verlautbare Kündigungen
Eine Ausnahme bilden die sog. doppelt verlautbaren Kündigungen. Diese liegen vor, wenn mehrere gleichlautenden Kündigung übergeben oder (auch auf unterschiedlichen Weg) zugestellt werden.
Beispiel: Die Arbeitnehmerin unterschreibt auch – zur Bestätigung des Zugangs der Kündigung – ein gleichlautendes (identisches) Exemplar der Kündigungserklärung und gibt es dem Arbeitgeber. Das andere identische Exemplar behält sie.
Es liegt hier ein einheitlichen Kündigungsvorgang vor (sog. doppelt verlautbare Kündigung) und damit liegt nur eine Kündigungserklärung (Willenserklärung) vor.
Folgekündigungen und allgemeiner Feststellungsantrag
Auch Folgekündigungen (Kündigungen, die nach der ersten Kündigung ausgesprochen werden) werden nicht durch die Kündigungsschutzklage erfasst.
Dazu wie folgt:
Wird nämlich lediglich eine Kündigungsschutzklage erhoben, dann werden Folgekündigungen regelmäßig nicht erfasst, denn die Kündigungsschutzklage hat nur einen sog. punktuellen Streitgegenstand und erfasst nur die Kündigung, gegen diese sie sich richtet.
Ausnahmen – 3-Wochenfrist beginnt nicht zu laufen
Wie so oft, gibt es hier auch Ausnahmen. Die 3-Wochenfrist für die Erhebung der Kündigungsschutzklage kann unter Umständen nicht mit dem Zugang beim Arbeitnehmer zu laufen beginnt und von daher auch nicht ablaufen kann, so zum Beispiel wenn der Arbeitgeber die Zustimmung einer Behörde für die Kündigung benötigt (§ 4 Abs. 1 Satz 4 KSchG, wie z.B. bei der Kündigung eines Schwerbehinderten (Integrationsamt) oder einer Schwangeren.
allgemeiner Feststellungsantrag
Auch kann und sollte der Arbeitnehmer immer neben dem konkreten Feststellungsantrag einen allgemeinen Feststellungsantrag stellen, der dann alle Folgekündigungen erfasst. Damit ist die 3-Wochenfrist gewahrt, wenn der Arbeitnehmer später – und dies muss er zwingend machen – mit seinem Antrag klarstellt, dass er auch gegen die (konkret zu bezeichnenden) Folgekündigungen vorgehen will. Dies darf aber nicht vergessen werden.
Ergebnis: Der Arbeitnehmer sollte alle Schreiben, zumindest nach dem Zugang einer Kündigung des Arbeitgebers sorgsam lesen und prüfen, ob diese nicht eine Kündigungserklärung enthalten. Wird eine erneute Kündigung ausgesprochen, sollte sich der Arbeitnehmer sorgsam den Tag des Zugangs der Kündigung notieren und seinen Rechtsanwalt umgehend informieren. Er muss für den Erhalt der Kündigung nicht unterzeichnen (dem Arbeitgeber die Kündigung bestätigen). Der Anwalt wird dann die Kündigungsschutzklage erweitern.
Rechtsanwalt Andreas Martin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Kanzlei Berlin Marzahn- Hellersdorf
BAG: Kündigung wegen privater Nutzung des Dienstrechners – Verwertungsverbot für Computerüberwachung.
Ein Arbeitnehmer war seit 2011 bei seiner Arbeitgeberin als „Web-Entwickler“ beschäftigt. Im April 2015 teilte die Arbeitgeberin mit, dass im Betrieb der gesamte Internet-Verkehr und die Benutzung der Computer-Systeme mitgeloggt werden. Kurz gesagt, die Arbeitgeberin überwachte die Dienstrechner ihrer Arbeitnehmer, so auch des späteren Klägers komplett. Dazu wurde auf dem Dienst-PC des Klägers eine Software installiert, die sämtliche Tastatureingaben protokollierte und regelmäßig Bildschirmfotos automatisch fertigte.
Im Hinblick auf § 32 des Bundesdatenschutzgesetz ist dies problematisch (siehe unten die Ausführungen des BAG). Diese Norm lautet:
1) Personenbezogene Daten eines Beschäftigten dürfen für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses für dessen Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Zur Aufdeckung von Straftaten dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten an dem Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.
Nach einiger Zeit wurden die Daten von der Arbeitgeberin ausgewertet und es stellte sich heraus, dass der Arbeitnehmer während der Arbeitszeit mit dem Dienst-Rechner private Tätigkeiten durchführte. Der auf schriftliche Nachfrage gab der Arbeitnehmer an, nur in geringem Umfang und in der Regel in seinen Pausen ein Computerspiel programmiert und E-Mail-Verkehr für die Firma seines Vaters abgewickelt zu haben.
Die von der „Überwachungssoftware“ der Arbeitgeberin aufgezeichneten Daten belegten aber eine private Tätigkeit des Klägers in einem erheblichen Umfang.
Die Arbeitgeberin kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich (hier liegen zwei Kündigungen vor; eine außerordentliche und fristlose und eine ordentliche, die hilfsweise erfolgt).
Der Kläger erhob gegen die Kündigungen Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht und gewann sowohl die 1. als auch die 2. Instanz (Urteil vom 17. Juni 2016 – 16 Sa 1711/15).
Die Revision der Arbeitgeberin/ der Beklagten blieb ohne Erfolg. Auch das BAG hielt die Kündigungen für unwirksam. Dabei sah das Bundesarbeitsgericht ein Beweisverwertungsverbot der Daten, die die Beklagten mit dem Überwachungsprogramm/ Aufzeichnungsprogramm erlangt hatte, auch wenn dies nicht heimlich geschehen ist. Trotzdem liegt ein Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers (Datenschutz/ informelle Selbstbestimmung) vor, denn es bestand kein Anlass für eine solche Überwachung.
Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 27. Juli 2017 – 2 AZR 681/16) führt dazu in seiner Pressemitteilung vom 27.07.2017 mit der Nummer 31/17 aus:
Der Einsatz eines Software-Keyloggers, mit dem alle Tastatureingaben an einem dienstlichen Computer für eine verdeckte Überwachung und Kontrolle des Arbeitnehmers aufgezeichnet werden, ist nach § 32 Abs. 1 BDSG unzulässig, wenn kein auf den Arbeitnehmer bezogener, durch konkrete Tatsachen begründeter Verdacht einer Straftat oder einer anderen schwerwiegenden Pflichtverletzung besteht.
Die durch den Keylogger gewonnenen Erkenntnisse über die Privattätigkeiten des Klägers dürfen im gerichtlichen Verfahren nicht verwertet werden. Die Beklagte hat durch dessen Einsatz das als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewährleistete Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG) verletzt. Die Informationsgewinnung war nicht nach § 32 Abs. 1 BDSG zulässig. Die Beklagte hatte beim Einsatz der Software gegenüber dem Kläger keinen auf Tatsachen beruhenden Verdacht einer Straftat oder einer anderen schwerwiegenden Pflichtverletzung. Die von ihr „ins Blaue hinein“ veranlasste Maßnahme war daher unverhältnismäßig. Hinsichtlich der vom Kläger eingeräumten Privatnutzung hat das Landesarbeitsgericht ohne Rechtsfehler angenommen, diese rechtfertige die Kündigungen mangels vorheriger Abmahnung nicht.
Anmerkung:
Auch wenn die „Überwachung“ hier nicht heimlich geschah, so lag dennoch eine Datenerfassung ohne konkreten Anlass vor. Dies war hier problematisch. Die Daten durften also nicht für die Kündigungen verwertet werden. Es blieb dann nur noch die schriftliche Einlassung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber, in welcher er private Tätigkeit im Arbeitsplatz in geringen Umfang eingeräumt hatte. Da aber bei leichten bis mittelschweren Pflichtverletzungen erst vom Arbeitgeber abgemahnt werden musste, hätte den Kündigungen eine Abmahnung vorausgehen müssen, was nicht geschehen ist. Der Arbeitgeber hätte hier also nicht abmahnen dürfen.
Rechtsanwalt Andreas Martin
Arbeitnehmer stellt Kofferbomben-Attrappe im Betrieb auf- fristlose Kündigung
Ein 49-jähriger Angestellter, der sei 33 Jahren bereits beim Arbeitgeber, zuletzt in der Maschinenabteilung des Bergwerks Prosper-Haniel tätig war, kam auf die dumme Idee, dem Arbeitgeber und seinen Kollegen einen Streich spielen zu wollen.
Streich des Arbeitnehmers
Anfang 2016 fand er -während einer Nachtschicht – einen ungewöhnlichen Koffer, der mit einem Absperrhahn und einem Manometer versehenen war und aus dem Drähte herausragten.
„Bombenkoffer“ mit „arabischer“ Beschriftung und Süßwaren im Innern
Auf diesem Koffer brachte er in weißer Farbe Schriftzüge mit Fantasiewörtern auf, die den Eindruck islamistischer „Parolen“ erweckten. In den Koffer legte der Angestellte dann Süßwaren, die als Belohnung für „mutige“ Kofferöffner dienen sollten.
Polizeieinsatz/ Räumung des Betriebs
Eine Woche später wurde der Koffer im Bereich der Aufbereitung gefunden. Der Arbeitgeber schaltete sofort die Polizei ein. Eine Sprengstoffeinheit der Polizei wurde angefordert. Bis zum Eintreffen der Einheit musste das Gebäude abgesperrt und geräumt werden.
Arbeitgeber verstand keinen Spaß
Auch wenn sich dann herausstellte, dass alles nur ein „Spaß“ war und es sich um keine Bombe, sondern um eine Attrappe handelte, war der Arbeitgeber äußerst verärgert und sah in dem Verhalten des Arbeitnehmers ein grobe Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten des Arbeitnehmer.
außerordentliche Kündigung, hilfsweise ordentlich
Er kündigte dem Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis fristlos aus außerordentlichem Grund (hilfsweise ordentlich) und führte an, dass der „Scherz“ des Arbeitnehmers psychische Belastungen für die Belegschaft und eine gravierende Störung der Betriebsabläufe verursacht hatte. Außerdem sei der Betriebsfrieden gestört worden. Das Verhalten sei geeignet gewesen, Beschäftigte mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund in Misskredit zu bringen.
Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht
Der Angestellte erhob Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht.
Der Arbeitnehmer meinte, dass der Koffer kein gefährlicher Gegenstand gewesen sei, sondern ein „Spaßgegenstand„.
Das Arbeitsgericht Herne entschied gegen den Arbeitnehmer und wies die Kündigungsschutzklage ab. Im Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht Hamm (5.4.17, 3 Sa 1398/16) einigten sich die Parteien auf einen Vergleich und zwar auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der ebenfalls (hilfsweise) ausgesprochenen ordentlichen Kündigung ohne Zahlung einer Abfindung.
Anmerkung:
Auch ein Spaß kann für den Arbeitnehmer böse enden. Was der Arbeitnehmer noch für lustig hält, kann unter Umständen – so wie hier – eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.