Entscheidung des Bundesarbeitsgericht
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bei wechselnder Erkrankung ?
Der Arbeitgeber ist – sofern das Arbeitsverhältnis schon länger als 4 Wochen besteht – zur sog. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall (oft falsch auch als „Krankengeld“ bezeichnet) verpflichtet.
Danach bekommt der Arbeitnehmer dann Krankengeld von der Krankenkasse.
weitere Erkrankung nach 6-Wochen
Manchmal kommt es vor, dass der Arbeitnehmer nach Ablauf der 6 Wochen wieder kurzzeitig gesund und arbeitsfähig ist und dann wiederum nach kurzer Zeit erkrankt. Wenn es sich dabei um eine andere Erkrankung handelt, dann muss der Arbeitgeber wieder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz leisten.
wechselnde Erkrankungen nach 6 Wochen-Zeitraum
Die Frage ist aber, ob bei einer kurzen Gesundung des Arbeitnehmers oder bei wechselnden Erkrankungen während eines Krankheitszeitraumes nicht vermutet wird, dass die beiden Erkrankungen im Zusammenhang stehen, dann gibt es keine Lohnfortzahlung.
Entscheidung des Bundesarbeitsgericht
Dazu nun das Bundesarbeitsgericht in einer neuen Entscheidung:
Die Arbeitnehmer war bei der Arbeitgeberin/ Beklagten bis zum 31. Juli 2017 als Fachkraft in der Altenpflege beschäftigt.Seit dem 7. Februar 2017 war sie infolge eines psychischen Leidens arbeitsunfähig.
Die beklagte Arbeitnehmerin leistete Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bis einschließlich 20. März 2017. Danach bezog die Arbeitnehmerin Krankengeld bis zum 18. Mai 2017.
Am 19. Mai 2017 unterzog sich die Arbeitnehmerin wegen eines gynäkologischen Leidens einer Operation (andere Erkrankung).
Die Ärztin der Arbeitnehmerin bescheinigte am 18. Mai 2017 als „Erstbescheinigung“ eine Arbeitsunfähigkeit vom 19. Mai 2017 bis zum 16. Juni 2017 und durch Folgebescheinigung eine fortbestehende Arbeitsverhinderung bis einschließlich 30. Juni 2017.
Die Arbeitnehmerin erhielt in der Zeit vom 19. Mai bis zum 29. Juni 2017 weder von der Beklagten Entgeltfortzahlung (also nach der OP) noch von ihrer Krankenkasse Krankengeld.
Daraufhin verklagte diese Ihre Arbeitgeberin auf Zahlung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für den obigen Zeitraum in Höhe von 3.364,90 Euro brutto nebst Zinsen.
Zur Begründung trug die Arbeitnehmerin vor, dass sie ab dem 19. Mai 2017 wegen eines neuen Leidens arbeitsunfähig gewesen sei. Während die Arbeitsunfähigkeit wegen ihrer psychischen Erkrankung am 18. Mai 2017 geendet habe.
Die beklagte Arbeitgeberin hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, den Umständen nach sei von einem einheitlichen Verhinderungsfall auszugehen. Die Arbeitnehmerin habe deshalb nur einmal für die Dauer von sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall beanspruchen können.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (Urteil vom 26. September 2018 – 7 Sa 336/18) -hat die Klage – nach Beweisaufnahme durch Vernehmung von drei Ärzten – abgewiesen.
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Die Revision der Klägerin hatte vor dem Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11. Dezember 2019 – 5 AZR 505/18) keinen Erfolg.
In der Pressemitteilung Nr. 45/19 vom 11.12.2020 führt das Bundesarbeitsgericht dazu aus:
Der gesetzliche Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist auch dann auf die Dauer von sechs Wochen beschränkt, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue, auf einem anderen Grundleiden beruhende Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls). Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits zu dem Zeitpunkt beendet war, zu dem die weitere Erkrankung zur Arbeitsunfähigkeit führte.
Ist der Arbeitnehmer krankheitsbedingt arbeitsunfähig und schließt sich daran in engem zeitlichen Zusammenhang eine im Wege der „Erstbescheinigung“ attestierte weitere Arbeitsunfähigkeit an, hat der Arbeitnehmer im Streitfall darzulegen und zu beweisen, dass die vorangegangene Arbeitsunfähigkeit im Zeitpunkt des Eintritts der weiteren Arbeitsverhinderung geendet hatte. Dies ist der Klägerin nicht gelungen. Das Landesarbeitsgericht hat durch Vernehmung der die Klägerin behandelnden Ärzte umfassend Beweis erhoben. Danach konnte nicht festgestellt werden, dass ein einheitlicher Verhinderungsfall nicht vorlag. Das gilt umso mehr als nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine Untersuchung der Klägerin durch den behandelnden Arzt bei der Feststellung der bis einschließlich 18. Mai 2017 attestierten Arbeitsunfähigkeit nicht erfolgte.
Anmerkung:
Diese Entscheidung ist bei vielen Arbeitnehmer kaum bekannt. Viele glauben noch, dass man sich einfach nach Ablauf der 6 Wochen – ohne Arbeitsaufnahme – sofort mit einer anderen Diagnose krank schreiben lassen kann. Dies funktioniert in den meisten Fällen nicht. Die Krankheiten dürfen sich nicht „überschneiden“.
Entscheidungen der Gerichte zur Arbeitsunfähigkeit
- Kündigung bei nicht unverzüglichen Anzeige der Arbeitsunfähigkeit möglich – LAG Baden-Württemberg
- Kann man mit einem Krankenschein die Kündigung hinauszögern?
- Der Arbeitgeber will die Krankheit wissen – was muss ich verraten?
- Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bei wechselnder Erkrankung?
- BAG: Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall kann in Höhe des Mindestlohns nicht verfallen!
- Erkrankung des Arbeitnehmers während des Urlaubs?
- krankheitsbedingte Kündigung – Voraussetzungen und Prüfung der Wirksamkeit
- Höhe der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
- Personalgespräch während Krankheit – muss der Arbeitnehmer teilnehmen?
- Ausgleich von Überstunden bei Krankheit während der Freistellung?
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht in Berlin
BAG: Urlaubsabgeltung beim Tod des Arbeitnehmers für die Erben
Urlaub, der aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden kann, ist abzugelten. Die Frage war, ob dieser Anspruch auf Urlaubsabgeltung vererbbar ist und damit auf die Erben des während des Arbeitsverhältnis verstorbenen Arbeitnehmers übergeht.
Tod des Arbeitnehmers im bestehenden Arbeitsverhältnis
Der Ehemann (Erblasser) der Klägerin arbeitete bei der Beklagten (Arbeitgeberin). Im Jahr 2010 verstarb dieser, so dass das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten durch seinen Tod endete. Die Alleinerbin des Arbeitnehmers war dessen Ehefrau, die Klägerin.
Urlaubsanspruch nach TvöD stand noch aus
Auf das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers (Erblassers) fanden die Vorschriften des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD) Anwendung.
Resturlaub in Höhe von 25 Tagen
Nach § 26 des TVöD standen dem Erblasser in jedem Kalenderjahr 30 Arbeitstage Urlaub zu. Darüber hinaus hatte dieser als Schwerbehinderter (seit August 2010) auch Anspruch auf 2 zusätzliche Urlaubstage.
Insgesamt betrug der Resturlaubsanspruch des Erblassers zum Zeitpunkt des Todes 25 Arbeitstage; diese wollte die Ehefrau (Erbin) vom Arbeitgeber abgegolten haben.
Urlaubsabgeltung über € 5.857,75
Die Arbeitgeberin verweigerte die Zahlung. Woraufhin die Ehefrau/ Erblasserin den Abgeltungsbetrag in Höhe von
€ 5.857,75 einklagte.
Urlaubsabgeltungsklage in allen Instanzen gewonnen
Die Erblasserin bekam in allen Instanzen Recht.
Entscheidung des Bundesarbeitsgericht
Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 22. Januar 2019 – 9 AZR 45/16) wies die Revision der Arbeitgeberin zurück und führte aus:
Urlaub, der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommen werden kann, ist nach § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten. Die nach dem europäischen Unionsrecht gebotene Auslegung von §§ 1, 7 Abs. 4 BUrlG ergibt, dass der Resturlaub auch dann abzugelten ist, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass der durch Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) gewährleistete Anspruch auf bezahlten Mindestjahresurlaub nicht mit dem Tod des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis untergehen darf, ohne dass ein Anspruch auf finanzielle Vergütung für diesen Urlaub besteht, der im Wege der Erbfolge auf den Rechtsnachfolger des Arbeitnehmers überzugehen hat (EuGH 6. November 2018 – C-569/16 und C-570/16 – [Bauer und Willmeroth]). Daraus folgt für die richtlinienkonforme Auslegung von §§ 1, 7 Abs. 4 BUrlG, dass die Vergütungskomponente des Anspruchs auf den vor dem Tod nicht mehr genommenen Jahresurlaub als Bestandteil des Vermögens Teil der Erbmasse wird. Der Abgeltungsanspruch der Erben umfasst dabei nicht nur den Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub nach §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG von 24 Werktagen, sondern auch den Anspruch auf Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen nach § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX aF sowie den Anspruch auf Urlaub nach § 26 TVöD, der den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigt. Dem TVöD lässt sich nicht entnehmen, dass dem Erben das Verfallrisiko für den tariflichen Mehrurlaub bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Tod des Arbeitnehmers zugewiesen ist.
Rechtsanwalt Andreas Martin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Kanzlei Marzahn Hellersdorf