Bundesverwaltungsgericht
Bereitschaftszeit bei Polizisten – Arbeitszeit?

Bereithaltung im Polizeidienst und Arbeitszeit
Bereitschaftszeiten bei der Polizei kommen nicht selten vor. Wie auch beim normalen Arbeitnehmer stellt sich dann die Frage, ob solche Zeiten eine vergütungspflichtige Arbeitszeit darstellen oder als Freizeit gewertet werden.
Verwaltungsgerichte entscheiden beim Polizeibeamten
Bei Streitigkeiten zwischen Polizisten und ihren Dienstherrn entscheiden zwar nicht die Arbeitsgerichte, sondern die Verwaltungsgerichte, allerdings ist die Rechtsgrundlage hier ebenfalls die Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG) der Europäischen Union.
Rufbereitschaft und Bereitschaftszeit
Ob Bereitschaftszeiten bzw. Rufbereitschaft eine vergütungspflichtige Arbeitszeit darstellen, dazu gibt es bereits Entscheidungen-im arbeitsrechtlichen Bereich-des Bundesarbeitsgerichts. Entscheidend ist immer welche Einschränkungen für den Arbeitnehmer damit verbunden sind. In der Regel ist diese Arbeitszeit, wenn sich der Arbeitnehmer an einen bestimmten Ort aufhalten muss.
Auslegung der Einschränkungen der Bereitschaftszeit
Oft gibt es Tarifverträge, die dann abgestuft eine Zahlung derartiger Zeiten vorsehen. Wenn es aber keinen Tarifvertrag gibt, dann kommt es darauf an, ob diese Zeiten tatsächlich den Arbeitnehmer so stark einschränken, dass vergütungspflichtige Arbeitszeit vorliegt. Dazu hatte ich bereits mehrere Artikel geschrieben.
vergütungspflichtige Arbeitszeit
Hier geht es nun um die Frage, ob die Bereithaltungszeiten bei der Polizei vergütungspflichtige Arbeitszeit sind oder nicht.
Bundesverwaltungsgericht
Das Bundesverwaltungsgericht hat nun diesbezüglich eine Entscheidung getroffen.
Sachverhalt
Der Kläger-ein Polizist-wollte rückwirkend ab Juni 2012, die in Abzug gebrachten Pausenzeiten, als Arbeitszeit bezahlt bekommen. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 27.05.2021 – Az 10 B 17.18) gab dem Kläger teilweise recht und verurteilte den Dienstherrn dazu eine finanzielle Abgeltung für nicht auf die Arbeitszeit angerechnet Pausen an 216 Tagen in der Zeit vom April 2015 bis Juni 2015 in Höhe von brutto 3124,34 € zu zahlen.
Oberverwaltungsgericht Berlin
Nach dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg stand dem Kläger ein beamtenrechtliche Ausgleichsanspruch wegen rechtswidriger Zuvielarbeit zu. Nach dem OVG hatte der Dienstherr den Kläger regelmäßig mehr als 41 Stunden pro Woche beschäftigt, also über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus. Das Oberverwaltungsgericht stellte klar, dass die Pausen unter Bereithaltungspflicht nach dem unionsrechtlichen Begriffsverständnis Arbeitszeit darstellen, die zu vergüten ist.
Revision
Gegen die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes wehrte sich der Dienstherr zum Bundesverwaltungsgericht mit seiner Revision.
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
Das Bundesverwaltungsgericht entschied, dass die Revision des Dienstherrn unbegründet ist.
Nach dem Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 13.10.2022- 2 C 7.21) kann man nicht pauschal die Bereithaltungszeit als Arbeitszeit einstufen, sondern es kommt immer auf den Einzelfall an. Insbesondere kommt es darauf an ob mit der Bereithaltungszeit auch Einschränkungen verbunden sind, die den Arbeitnehmer in seinem Freizeitverhalten stark beschränken. Je stärker die Einschränkungen sind, umso mehr spricht für eine vergütungspflichtige Arbeitszeit.
Insbesondere hat das Bundesverwaltungsgericht folgendes ausgeführt:
Die zur Anerkennung des beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruchs führende Annahme des Oberverwaltungsgerichts, Pausen unter Bereithaltungspflicht stellten unionsrechtlich Arbeitszeit dar, steht in ihrer Absolutheit nicht mit Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (RL 2003/88/EG, Arbeitszeitrichtlinie – ABl. L 299 S. 9) in Einklang (1.). Auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger könne einen Ausgleich für die Inanspruchnahme über die nationalrechtlichen Arbeitszeitvorgaben hinaus auf der Grundlage des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs verlangen, ist mit den unionsrechtlichen Haftungsgrundsätzen nicht vereinbar (2.). Das Berufungsurteil stellt sich aber aus anderen Gründen i. S. d. § 144 Abs. 4 VwGO im Ergebnis als richtig dar (3.).
Das Berufungsgericht geht im Ausgangspunkt zutreffend davon aus, dass die Begriffe Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG und Ruhezeit i. S. d. Art. 2 Nr. 2 RL 2003/88/EG einander ausschließen; Zwischenkategorien wie „Bereitschaftszeit“ oder „Ruhepause“ sind in der Richtlinie nicht vorgesehen (EuGH, Urteile vom 3. Oktober 2000 – C-303/98, Simap – NZA 2000, 1227 Rn. 47, vom 21. Februar 2018 – C-518/15, Matzak – NJW 2018, 1073 Rn. 55 und vom 9. März 2021 – C-344/19, Radiotelevizija Slovenija – NZA 2021, 485 Rn. 29). Die einem Arbeitnehmer während seiner täglichen Arbeitszeit gewährte Ruhepause bei gleichzeitig geforderter Bereitschaft ist entweder als „Arbeitszeit“ oder als „Ruhezeit“ einzuordnen. Die „bloße“ Pflicht des Arbeitnehmers, sich während der Pausen zur Wiederaufnahme der Arbeit bereitzuhalten, führt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts aber nicht automatisch dazu, die Pausenzeit als Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG zu qualifizieren.
Bereitschaftszeit ist grundsätzlich als Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG einzuordnen, wenn sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten und diesem zur Verfügung stehen muss, um gegebenenfalls sofort die geeigneten Leistungen erbringen zu können (EuGH, Urteile vom 9. September 2003 – C-151/02, Jaeger – Slg. 2003, I-8415 Rn. 63, vom 1. Dezember 2005 – C-14/04, Dellas – Slg. 2005, I-10279 Rn. 48 und vom 21. Februar 2018 – C-518/15, Matzak – NJW 2018, 1073 Rn. 59). Fehlt es aber an einer Verpflichtung, am Arbeitsplatz als dem vom Arbeitgeber bestimmten Ort zu bleiben, kann eine Bereitschaftszeit nicht automatisch als Arbeitszeit i. S. d. RL 2003/88/EG eingestuft werden. Die nationalen Gerichte haben in diesem Fall bei Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände zu prüfen, ob sich eine solche Einstufung daraus ergibt, dass dem Arbeitnehmer Einschränkungen von solcher Art auferlegt werden, dass sie seine Möglichkeit, während der Bereitschaftszeiten die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sich seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen (EuGH, Urteile vom 9. März 2021 – C-344/19, Radiotelevizija Slovenija – NZA 2021, 485 Rn. 37, 45 und – C-580/19, Stadt Offenbach am Main – NZA 2021, 489 Rn. 45). Dies ist grundsätzlich anzunehmen, wenn die dem Arbeitnehmer auferlegte Frist für die Aufnahme seiner Arbeit nur wenige Minuten beträgt und er deshalb in der Praxis weitgehend davon abgehalten wird, irgendeine auch nur kurzzeitige Freizeitaktivität zu planen. Dabei ist die Auswirkung einer solchen Reaktionsfrist im Anschluss an eine konkrete Würdigung zu beurteilen, bei der gegebenenfalls die übrigen dem Arbeitnehmer auferlegten Einschränkungen sowie die ihm während seiner Bereitschaftszeit gewährten Erleichterungen zu berücksichtigen sind (EuGH, Urteil vom 9. März 2021 – C-344/19, Radiotelevizija Slovenija – NZA 2021, 485 Rn. 48 f.).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 9. September 2021 – C-107/19, Dopravní podnik hl. m. Prahy – (NZA 2021, 1395 Rn. 37, 39 ff.) Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG in Bezug auf „Bereitschaft“ in Pausenzeiten dahin auszulegen, dass die einem Arbeitnehmer während seiner täglichen Arbeitszeit gewährte Ruhepause als Arbeitszeit im Sinne dieser Bestimmung zu qualifizieren ist, wenn sich aus einer Gesamtwürdigung der relevanten Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die dem Arbeitnehmer während dieser Ruhepause auferlegten Einschränkungen, die sich aus der Notwendigkeit ergeben, einsatzbereit zu sein, von solcher Art sind, dass sie objektiv gesehen ganz erheblich seine Möglichkeit beschränken, sich in der Pause zu entspannen und Tätigkeiten nach Wahl zu widmen. Zu den zu berücksichtigenden Umständen des Einzelfalls gehören die Auswirkung der Reaktionsfrist, die Häufigkeit, aber auch die Unvorhersehbarkeit möglicher Unterbrechungen der Ruhepausen, die eine zusätzliche beschränkende Wirkung auf die Möglichkeit des Arbeitnehmers haben kann, die Zeit frei zu gestalten. Die sich daraus ergebende Ungewissheit kann ihn in Daueralarmbereitschaft versetzen. Die den Ruhepausen immanenten Einschränkungen in räumlicher und zeitlicher Hinsicht sind bei der Gesamtwürdigung dagegen außer Acht zu lassen.
Urteil vom 13.10.2022 –
BVerwG 2 C 7.21
Anmerkung:
Eine interessante Entscheidung. Es kommt demnach immer auf die Einzelfall und die konkreten Einschränkungen beim Beamten in der Bereitschaftszeit an.
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Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht
Versetzung eines schwerbehinderten Beamten und Beteiligung des Integrationsamtes

Beamtenrecht und Versetzung in den Ruhestand
Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 07.07.2022 – BVerwG 2 A 4.21) hat entschieden, dass das Integrationsamt bei der Versetzung eines schwerbehinderten Lebenszeitbeamten in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit nicht nach Maßgabe des § 168 SGB IX zu beteiligen ist. Nach dem BVerwG ergibt sich auch nichts Gegenteiliges aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wie zum Beispiel aus dem Urteil des EuGH vom 9.3.2017 – Rs. C-406/15, weil das durch das Verfahren der Zurruhesetzung für Lebenszeitbeamte bewirkte Schutzniveau (§§ 44 ff. BBG) jedenfalls nicht hinter dem durch die §§ 168 ff. SGB IX für AN begründeten zurückbleibt.
Was war passiert?
Ein Beamter des BND klagte gegen seine Versetzung in den Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit. Der Beamte erlitt am 12. September 2015 einen Autounfall und ist seitdem durchgehend „arbeitsunfähig“ erkrankt. Nach mehreren Untersuchungen und stationären Behandlungen sowie einer erfolglos durchgeführten Wiedereingliederung beauftragte der BND einen Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie mit der Erstellung eines psychiatrisch-neurologischen Fachgutachtens.
starke psychische Beeinträchtigungen
Der Facharzt stellte mehrere stark ausgeprägte psychische Erkrankungen fest, wie zum Beispiel rezidivierende depressive Störung, derzeit mittel- bis schwergradige Episode und teilte mit, dass der Beamte/ Kläger wegen einer gravierenden seelischen Erkrankung dienstunfähig sei.
Der Dienstherr beantragte mit dem an das Bundeskanzleramt gerichtetem Schreiben vom 7. Dezember 2018 die Zustimmung zur Versetzung des Klägers in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit. Das Bundeskanzleramt erteilte daraufhin mit Schreiben vom 10. Dezember 2018 „unter dem Vorbehalt, dass der Beamte keine Einwendungen erhebt – gemäß § 47 Abs. 2 Satz 2 BBG zu der beabsichtigten Maßnahme“ das Einverständnis.
Anhörung
Mit Schreiben vom 30. Januar 2019 wurde dann der Beamte vom BND angehört. Der Kläger wandte sich dagegen mit einem anwaltlichen Schreiben, allerdings ohne Erfolg.
Die Gleichstellungsbeauftragte, die Schwerbehindertenvertretung und der auf Antrag des Klägers hinzugezogene Personalrat erhoben keine Einwendungen gegen die beabsichtigte Versetzung des Klägers in den Ruhestand.
Versetzung in den Ruhestand
Mit Bescheid vom 15. Juli 2019 verfügte der Präsident des BND die Versetzung des Klägers in den vorzeitigen Ruhestand. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies der BND mit Widerspruchsbescheid vom 5. März 2021 zurück.
Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht
Es kam dann zum Gerichtsverfahren, da der Kläger am 16. Februar 2021 (Untätigkeits-)Klage erhob. Der Beamte stützte die Klage vor allem auf formelle Mängel der Beschwerde.
Hier bestand die Besonderheit, dass die Eingangsinstanz nicht das Verwaltungsgericht war, sondern die erste und einzige Instanz (§ 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO) das Bundesverwaltungsgericht.
Klageabweisung durch das BVerwG
Dieses hält die Klage für unbegründet und wies diese ab.
Das Bundesverwaltungsgericht führte dazu aus:
Der Beteiligung des Integrationsamtes bedurfte es nicht, obwohl beim Kläger bereits zu Beginn des Zurruhesetzungsverfahrens ein Grad der Behinderung von 60 vom Hundert festgestellt und er als schwerbehinderter Mensch i. S. v. § 2 Abs. 2 SGB IX anerkannt war. Denn § 168 SGB IX, wonach die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf, ist nicht auf das Verfahren der Zurruhesetzung eines Lebenszeitbeamten nach §§ 44 ff. BBG anzuwenden (a. A. von Roetteken, ZBR 2018, 73 <79 ff.>; ders. jurisPR-ArbR 50/2021 Anm. 8 zu OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. Juli 2021 – 4 B 14.19 -; Düwell, in: Dau/Düwell/Joussen/Luik, SGB IX, 6. Aufl. 2022, Vorbem. § 168 Rn. 11; Rolfs, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 22. Aufl. 2022, § 168 SGB IX Rn. 3). Dies gilt selbst im Hinblick auf den Umstand, dass die Zurruhesetzung nach §§ 44 ff. BBG auch Fälle erfasst, in denen der zur Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft führende körperliche Zustand des Beamten zugleich die Dienstunfähigkeit i. S. v. § 44 Abs. 1 BBG begründet.
Auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Auslegung von Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (im Folgenden: RL 2000/78/EG) führt nicht dazu, dass die Vorschriften der §§ 168 ff. SGB IX auf das Verfahren der Zurruhesetzung eines Lebenszeitbeamten nach Maßgabe der §§ 44 ff. BBG anzuwenden sind.
Nach Art. 7 Abs. 2 RL 2000/78/EG steht im Falle von Menschen mit Behinderung der Gleichbehandlungsgrundsatz weder dem Recht der Mitgliedstaaten entgegen, Bestimmungen zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit am Arbeitsplatz beizubehalten oder zu erlassen, noch steht er Maßnahmen entgegen, mit denen Bestimmungen oder Vorkehrungen eingeführt oder beibehalten werden sollen, die einer Eingliederung von Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt dienen oder diese Eingliederung fördern. Diese Bestimmung hat der Europäische Gerichtshof dahingehend ausgelegt, dass die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, Maßnahmen im Sinne des Art. 7 Abs. 2 RL 2000/78/EG beizubehalten oder zu erlassen, dies aber nicht den Schluss zulässt, dass von den Mitgliedstaaten erlassene Bestimmungen außerhalb des Anwendungsbereichs des Unionsrechts liegen. Ist der Bereich des Unionsrechts eröffnet, haben die Mitgliedstaaten ihr Ermessen bei der Wahl zwischen den verschiedenen Durchführungsmodalitäten unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts auszuüben, zu denen insbesondere der Grundsatz der Gleichbehandlung gehört (EuGH, Urteil vom 9. März 2017 – C-406/15, Milkova – NZA 2017, 439 Rn. 52 f.).
Urteil vom 07.07.2022 – BVerwG 2 A 4.21
Anmerkung:
Die Entscheidung zeigt, dass gerade bei Schwerbehinderten – auch wenn es hier um das Beamtenrecht ging – diverse Vorschriften einzuhalten sind. Es wäre für den Dienstherrn hier stark nachteilig gewesen, wenn nach dem langen Verfahren über die Einschätzung der Diensttauglichkeit nun alles an der fehlenden Beteiligung des Integrationsamtes gescheitert wäre.
Rechtsanwalt Andreas Martin
Beamter bekommt Freizeitausgleich für „Pausen in Bereithaltung“

Abgrenzung zwischen Pause und Arbeitszeit
Die Abgrenzung zwischen Pause und Arbeitszeit ist ein häufiges Problem im Arbeitsrecht. Nicht nur Arbeitnehmer haben mit dieser Problematik zu kämpfen, sondern auch Beamte. Im Endeffekt geht es fast immer darum, inwieweit dem Beamten bzw. dem Arbeitnehmer die Pausenzeit zur freien Verfügung steht. Jegliche Einschränkung der Pausenzeit führen dazu, dass man dann prüfen muss, ob die Pause gegebenenfalls schon den Charakter von Arbeitszeit hat.
Pausenzeiten im Arbeitsrecht
Nach dem deutschen Arbeitsrecht sind Pausen im Voraus feststehende Unterbrechungen der Arbeit, in denen der Arbeitnehmer weder Arbeit zu leisten noch sich dafür bereitzuhalten hat und frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen kann.
Bereitschaftszeiten und Rufbereitschaft beim Arbeitnehmer
Es gibt umfangreiche Rechtsprechung zur Frage, ob zum Beispiel Bereitschaftszeiten oder Rufbereitschaft eine Arbeitszeit darstellen, die zu vergüten ist oder nicht.
Beamte und Pausenzeiten in Bereithaltung
Wie oben bereits ausgeführt, stellt sich die Problematik auch bei Beamten. Dort gibt es zum Beispiel eine sogenannte „Pause zur Bereithaltung“. Hier ist die Frage, ob diese Pause tatsächlich Arbeitszeit ist und der Beamte gegebenfalls hier nachträglich einen Anspruch auf Freizeitausgleich hat oder nicht.
Entscheidung des Bundesverwaltunsgerichts
Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Oktober 2022- Aktenzeichen 2 C 24.21 hat ein Beamter einen Anspruch auf Freizeitausgleich, soweit die ihm gewährten Pausenzeiten in „Bereithaltung“ als Arbeitszeit zu qualifizieren sind und hieraus eine dienstliche Inanspruchnahme über die durchschnittlich zu erbringende regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus resultiert.
Fall des Bundesverwaltungsgerichts
Ein Bundespolizist hatte auf Anrechnung von nicht „richtig“ gewährten Pausenzeiten auf seine Arbeitszeit geklagt. Er machte geltend, dass ihm im Jahr 2013 diverse Pausen als sog. Pausenzeiten in „Bereithaltung“ gewährt wurden und dies Arbeitszeit sei und keine Pausengewährung, da er die Pausen nicht komplett zur freien Verfügung hatte. Mit seiner Klage wollte der Bundespolizist ingesamt 1.020 Minuten, der nicht gewährten Pausenzeiten in Freizeitausgleich haben. Die einzelne Pausen beliefen sich damals auf jeweils 30 bis 45 Minuten.
Da es sich hier um einen Beamten handelte, war der Gang zu den Arbeitsgerichten nicht möglich, da ein Beamter kein Arbeitnehmer ist. Der Bundespolizist klagte vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht Bauzen (Urteil vom 27. Dezember 2021, Az 2 A 960/19) und konnte immerhin rund die Hälfte seine Forderung (510 Minuten an Freizeitausgleich) durchsetzen.
Revisionsverfahren
Dies war ihm aber noch nicht genug und der Beamte ging in Revision zum Bundesverwaltungsgericht.
Auf die Revision des Klägers hat das Bundesverwaltungsgericht die Beklagte verurteilt, dem Kläger weiteren Freizeitausgleich im Umfang von 105 Minuten zu gewähren.
Begründung durch das BVerwG
Das Bundesverwaltungsgericht führte dazu in seiner Pressemitteilung Nr. 63/2022 vom 13.10.2022 aus:
Der Kläger kann sein Begehren auf den beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruch wegen Zuvielarbeit stützen. Dessen Voraussetzungen sind bezogen auf die im Streit stehenden und dem Kläger ab August 2013 gewährten Pausenzeiten gegeben. Denn hierbei handelte es sich um Arbeitszeit und nicht um Ruhezeit. Für die insoweit vorzunehmende Abgrenzung ist maßgeblich, ob die im Rahmen einer Pausenzeit auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind, dass sie die Möglichkeiten, sich zu entspannen und sich Tätigkeiten nach Wahl zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beschränken. Solche objektiv ganz erheblichen Beschränkungen liegen vor, wenn ein Bundespolizeibeamter anlässlich von Maßnahmen der präventiven oder repressiven Gefahrenabwehr (im vorliegenden Fall Durchsuchungsmaßnahmen und die Vollstreckung eines Haftbefehls) seine ständige Erreichbarkeit verbunden mit der Pflicht zur sofortigen Dienstaufnahme während der ihm gewährten Pausenzeiten sicherstellen muss. In diesem Fall sind die Pausenzeiten als Arbeitszeit zu qualifizieren. Auf den Umfang der tatsächlichen dienstlichen Inanspruchnahme kommt es nicht an. Die Verpflichtung zum Tragen von Einsatzkleidung sowie zum Mitführen von Dienstwaffe und Dienstfahrzeug genügen für sich betrachtet jedoch nicht.
BVerwG 2 C 24.21 – Urteil vom 13. Oktober 2022
Anmerkung:
Wie oben bereits ausgeführt wurde, muss die Pause dem Arbeitnehmer zur freien Verfügung stehen. Eine nicht ausreichende Pausengewährung liegt von daher auch nicht vor, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Pause am nur Arbeitsplatz gewährt ohne, dass dieser die Möglichkeit hat diesen zu verlassen.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht
Rettungssanitäter beklaut bewusstlosen Patienten – Kündigung!
Ein verbeamteter Rettungssanitäter (gehörte zur Feuerwehr) transportierte einen bewusstlosen Patienten zum Krankenhaus. Während der Fahrt stahl er dem Patienten einen 50 EUR-Schein aus der Geldbörse.
Gegen den Rettungssanitäter wurde ein Strafverfahren eingeleitet und dieser wurde wegen dieses Diebstahls (in einem besonders schweren Fall) zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten auf Bewährung verurteilt.
Der Dienstherr entfernte den Beamten aus dem Dienstverhältnis („Kündigung“).
Dagegen wehrte sich der Rettungssanitäter. Er verlor in allen Instanzen, zuletzt vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 10.12.15 – Az 2 C 6.14) entschied ebenfalls gegen den Beamten und führte im Urteil u.a. aus:
Der Beklagte hat ein innerdienstliches Dienstvergehen begangen (1.). Die grundsätzliche Zuordnung des Dienstvergehens nach seiner Schwere zu einer der Disziplinarmaßnahmen nach § 5 Abs. 1 LDG NW richtet sich nach dem gesetzlich bestimmten Strafrahmen (2.a). Da der Beklagte die ausweglose Lage des Patienten ausgenutzt hat, ist hier die volle Ausschöpfung des in Anlehnung an die abstrakte Strafandrohung gebildeten Orientierungsrahmens geboten (2.b). Die in der Rechtsprechung entwickelten „anerkannten“ Milderungsgründe kommen dem Beklagten nicht zugute (2.c und d). Die Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände ergibt, dass der Beklagte wegen des endgültigen Verlusts des Vertrauens des Dienstherrn und der Allgemeinheit aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist (2.e).
Anmerkung:
Wäre der Rettungssanitäter hier nicht Beamter gewesen, sondern Arbeitnehmer dann wäre eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB möglich gewesen. Das Vertrauensverhältnis wäre hier nachhaltig zerstört. Diese Kündigung muss innerhalb von 2 Wochen ausgesprochen werden. Bei Diebstahl von Firmeneigentum oder beim Bestehlen von Kunden sind die Arbeitsgerichte recht streng und nehmen fast immer an, dass eine außerordentliche Kündigung möglich ist.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht
BVerwG: Personalrat hat nur Anspruch auf anonymisierte Daten zur Arbeitszeit
Das Bundesverwaltungsgericht hatte sich mit einer Beschwerde des Personalrats der Duisburger Agentur für Arbeit zu befassen. Dieser wollte von der Behörde eine eigene Einsicht in das dort genutzte elektronische Zeiterfassungssystem. Dabei ging es ihm vor allem darum unmittelbaren Zugriff auf die Arbeitszeitkonten der hier Beschäftigte zu erhalten.
Bundesverwaltungsgericht: Datenschutz geht vor
Die Agentur für Arbeit verweigerte den direkten Zugriff auf die Daten und vertrat die Auffassung, dass der Personalrat allein einen Anspruch auf die Vorlage von anonymisierten Arbeitzeitdaten hätte. Aus Gründen des Datenschutzes dürfte die Agentur keine persönlichen Daten weitergeben.
BVerwG- anonyme Daten nur nötig
Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil v. 19.03.2014, Az.: 6 P 1.13) gab der Agentur Recht und führte in seiner Pressemitteilung dazu aus:
Der Personalrat hat Anspruch auf Auskunft durch die Dienststelle, soweit dies zur Wahrnehmung seiner Aufgaben erforderlich ist. Er kann sich hier zwar auf seine Aufgabe berufen, die Einhaltung der zugunsten der Beschäftigten geltenden Gesetze, Tarifverträge und Dienstvereinbarungen zu überwachen. Soweit er dafür Einsicht in die Arbeitszeitdaten der Beschäftigten verlangen kann, genügt es jedoch, wenn ihm diese Daten in anonymisierter Form zur Verfügung gestellt werden; ein unmittelbarer („lesender“) Zugriff auf die Arbeitszeitdaten der namentlich bezeichneten Beschäftigten ist nicht erforderlich.
RA A. Martin