BAG Entscheidung

Ist die Fahrtzeit zum Kunden vergütungspflichtige Arbeitszeit?

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Ist die Fahrzeit gleich Arbeitszeit?
Fahrzeit und Arbeitszeit

Wann gilt die Fahrzeit als Arbeitszeit?

Ob Anfahrtszeiten zur Baustelle beziehungsweise zum Kunden zu vergütungspflichtige Arbeitszeit zählen, ist eine häufige Frage von Mandanten. In der Praxis besteht hier eine Unsicherheit auf beiden Seiten (Arbeitnehmer und Arbeitgeber). Um es kurz machen:

Das Wichtigste zur Fahrzeit = Arbeitszeit vorab!

Fahrzeit von zu Hause zur Arbeit oder zurück von der Arbeit nach Hause ist keine Arbeitszeit. Alles was vom Sitz des Arbeitgeber aus an Fahrzeit zu einen Kunden, zum Arbeitsort oder zu einer Baustelle entsteht, ist vergütungspflichtige Arbeitszeit.

Fahrzeit wird oft nicht bezahlt

Viele Arbeitgeber versuchen die Fahrzeiten als privates Vergnügen des Arbeitnehmers darzustellen und bezahlen diese nicht. Dies ist oft falsch.

Fahrzeit zum Arbeitgeber ist keine Arbeitszeit

Die Fahrzeit zum Arbeitgeber oder zurück vom Arbeitgeber nach Hause selbst ist keine Arbeitszeit. Dies dürfte allgemein bekannt sein.

fremdnützige Tätigkeit ist zu bezahlen

Hier geht es aber ausdrücklich um die Fahrzeit / Wegzeit direkt von zu Hause oder Arbeitgeber zum Kunden.Hier gilt aber in der Regel der Grundsatz, dass eine fremdnützige Tätigkeit zu bezahlen ist.

EuGH hat bereits Entscheidung dazu getroffen

Dabei hat es bereits eine Entscheidung des EuGH zur Problematik der Fahrzeit zum Kunden gegeben. Der EuGH hatte damals zu entscheiden, ob die Fahrtzeit eines Außendienstmitarbeiters, der von zu Hause direkt zum ersten Kunden fuhr – vergütungspflichtige Arbeitszeit – war. Der Europäische Gerichtshof hatte dies damals bejaht und darin eine vergütungspflichtige Arbeitszeit gesehen, da der Arbeitnehmer ja fremdnützig (im Interesse des Arbeitgebers) tätig sei.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Eine ähnliche Entscheidung ist nun durch das Bundesarbeitsgericht ergangen.

Fall des BAG

Ein Servicetechniker im Außendienst war morgens von zu Hause immer direkt zum ersten Kunden und am Abend vom letzten Kunden nach Hause gefahren. Der Arbeitgeber meinte, dass dies keine vergütungspflichtige Arbeitszeit sei. Eine Besonderheit des Falles bestand auch darin, dass es eine Betriebsvereinbarung im Betrieb des Arbeitgebers gab, wonach diese Fahrten eben nicht zur Arbeitszeit zählen und von daher auch nicht zu vergüten waren, wenn diese nicht 20 min übersteigen.

Der Arbeitnehmer erhob Lohnklage gegen den Arbeitgeber.

Vorinstanzen lehnten Anspruch ab

Die Vorinstanzen gaben dem Arbeitgeber Recht, so auch das Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 14. Dezember 2018 -10 Sa 96/18. Diese nahmen vor allen einen wirksamen Ausschluss durch die Betriebsvereinbarung (BV) an.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das Bundesarbeitsgericht gab aber dem Arbeitnehmer Recht und sprach ihm die Vergütung für diese Zeiten grundsätzlich zu. Allerdings waren hier noch weitere Ermittlungen zu führen, so dass die Sache zum LAG zurückverwiesen wurde.

Dazu führte das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 18. März 2020 – 5 AZR 36/19) in seiner Pressemitteilung Nr. 12/20 vom 18.03.2020 aus:

Mit den Fahrten von seiner Wohnung zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück erfüllt der Kläger seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung. Ein daraus resultierender Vergütungsanspruch wird durch § 8 BV nicht ausgeschlossen. Die Bestimmung regelt die Vergütung der Arbeitszeit, indem sie die An- und Abfahrtszeiten zum ersten bzw. vom letzten Kunden – soweit sie 20 Minuten nicht übersteigen – von der Vergütungspflicht ausschließt. § 8 BV betrifft damit entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts einen tariflich geregelten Gegenstand. Nach dem einschlägigen Manteltarifvertrag (MTV) sind sämtliche Tätigkeiten, die ein Arbeitnehmer in Erfüllung seiner vertraglichen Hauptleistungspflicht erbringt, mit der tariflichen Grundvergütung abzugelten. Dazu gehört bei Außendienstmitarbeitern die gesamte für An- und Abfahrten zum Kunden aufgewendete Fahrtzeit. Da der MTV keine Öffnungsklausel zugunsten abweichender Betriebsvereinbarungen enthält, ist § 8 BV wegen Verstoßes gegen die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam. Arbeitsentgelte, die durch Tarifvertrag geregelt sind, können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ist nicht wegen des Eingreifens eines Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 BetrVG aufgehoben. Auf Grund der Bindung der Beklagten an die fachlich einschlägigen Tarifverträge des Groß- und Außenhandels Niedersachsen, welche die Vergütung für geleistete Arbeit auch in Bezug auf Fahrtzeiten der Außendienstmitarbeiter abschließend regeln, besteht insoweit schon nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG** kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.

Der Kläger kann somit von der Beklagten die Gutschrift der umstrittenen Fahrtzeiten verlangen, soweit unter ihrer Berücksichtigung die vertraglich geschuldete regelmäßige Arbeitszeit überschritten wurde. Ob dies der Fall ist, konnte der Senat mangels hinreichender Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht abschließend entscheiden. Die Sache ist deshalb unter Aufhebung des Berufungsurteils zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen worden. Die vom Berufungsgericht erörterte Frage der Betriebsvereinbarungs-offenheit der arbeitsvertraglichen Vereinbarung stellt sich nicht, da die Betriebs-parteien mit der Regelung zur Vergütung der Fahrtzeiten in der BV die Binnenschranken der Betriebsverfassung nicht beachtet haben und die BV aus diesem Grunde insoweit unwirksam ist.

Anmerkung: Das Bundesarbeitsgericht hat überhaupt keine großen Ausführungen dazu gemacht, dass die Fahrzeiten hier Arbeitszeit darstellen, die zu vergüten ist. Dies war klar. Das Problem war hier die Betriebsvereinbarung, die einen solchen Vergütungsanspruch ausschloss bzw. zeitlich beschränkte (Fahrten über 20 min). Diese verstieß aber gegen den höherrangigen Tarifvertrag und war von daher unwirksam.

RA A. Martin

Kündigung bei Bagatelldelikten – Übersicht

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Kündigung bei Bagatelldelikten – Übersicht

Der Fall Emmely hat große Wellen geschlagen und wurde vielfach in der Öffentlichkeit diskutiert. Das BAG hat zwar nicht die ursprüngliche Rechtsprechung zur Bagatellkündigung (verhaltensbedingte Kündigung) aufgegeben, aber diese relativiert (siehe Artikel zur Emmely-Entscheidung). Es gab aber nicht nur diesem Fall, sondern diverse andere Entscheidungen vieler Landgerichte (Entscheidungsübersicht), die hier beispielhaft aufgeführt werden sollen.

Entscheidungsübersicht zur Bagatellkündigung

weitere Entscheidungen zur Bagatellkündigungen

Unter anderem haben sich folgende Landgericht mit ähnlichen Fällen beschäftigt:

für den Arbeitnehmer negative Entscheidungen

  • das LAG Mecklenburg Vorpommern (Entscheidung vom 2.6.2009 – SA 237/08)das LAG MV hielt eine außerordentliche Kündigung einer städtischen Mitarbeiterin für wirksam, die aus einer Schulkantine kleinere Bargeldbeträge (3,4 und 6 Euro) entwendet hatte
  • das LAG Rheinland Pfalz (Entscheidung vom 30.01.2009, Az 9 Sa 485/08) hatte Lebensmittel des Arbeitgebers aus einem Lager verbotswidrig mitgenommen. Dabei handelte es sich um geringwertige Sachen, wie z.B. um Spinat, Brötchen und Salat.
  • das LAG München (Landesarbeitsgericht München (Entscheidung vom 03.03.2011, 3 Sa 641/10) – Wert = € 20 Betrug und Verschleierung durch Buchhalter

für den Arbeitnehmer positive Entscheidungen

  • das LAG Hamm (Entscheidung vom 18.09.2009, 13 Sa 640/09) hielt eine fristlose, verhaltensbedingte Kündigung eines Bäckers, der den Brotaufstrich seines Arbeitgebers gegessen hatte, für unwirksam.
  • das Arbeitsgericht Reutlingen (Entscheidung vom 11.05.2010, 2 CA 601/2009) entschied, dass eine außerordentliche, verhaltensbedingte Kündigung eines Arbeitnehmers der verbotswidrig die Essenmarke seiner Lebensgefährtin (Wert 0,80 Euro) eingelöst hatte, für unwirksam.
  • das LAG Mannheim (Entscheidung vom 10.02.2010, 13 Sa 59/09) hielt eine außerordentliche Kündigung des Arbeitgebers gegenüber einen Arbeitnehmer, der aus einem Abfallcontainer des Arbeitgebers ein Kinderbett verbotswidrig zum privaten Gebrauch entnahm, für unwirksam.
  • das LAG Hamburg (Urteil vom 1.7.2015, 27 Ca 87/15) hielt eine fristlose Kündigung wegen der Entnahme von 8 Brötchen für unwirksam

Kriterien für Entscheidungen bei verhaltensbedingten Kündigungen

Wichtig ist, dass man nicht ohne Weiteres sich auf die eine oder andere Entscheidung berufen kann. Es kommt immer auf den Einzelfall an.

Folgende Kriterien sind bei solchen Bagatellkündigungen wichtig:

  • Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers
  • Höhe des Schadens beim Arbeitgeber
  • Verhalten des Arbeitnehmers nach der Tat (Bestreiten/ Zugeben)
  • Grad der Vertrauensstörung
  • Aufgabenstellung des Arbeitnehmers in Betrieb (Vermögensbetreuung/ z.B. Kassierer)
  • Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers
  • vorherige Abmahnungen oder störungsfreies Arbeitsverhältnis

Vor dem Ausspruch der außerordentlichen Kündigung stellt sich immer die Frage nach milderen Maßnahmen, wie z.B. einer Abmahnung oder einer ordentlichen Kündigung (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz).

Rechtsanwalt für Arbeitsrecht Marzahn – Anwalt Andreas Martin