Arbeitszeitrichtlinie

Bereitschaftszeit bei Polizisten – Arbeitszeit?

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Bereitschaftszeit bei Polizisten - Arbeitszeit?
Bereithaltungszeit bei Polizisten

Bereithaltung im Polizeidienst und Arbeitszeit

Bereitschaftszeiten bei der Polizei kommen nicht selten vor. Wie auch beim normalen Arbeitnehmer stellt sich dann die Frage, ob solche Zeiten eine vergütungspflichtige Arbeitszeit darstellen oder als Freizeit gewertet werden.

Verwaltungsgerichte entscheiden beim Polizeibeamten

Bei Streitigkeiten zwischen Polizisten und ihren Dienstherrn entscheiden zwar nicht die Arbeitsgerichte, sondern die Verwaltungsgerichte, allerdings ist die Rechtsgrundlage hier ebenfalls die Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG) der Europäischen Union.

Rufbereitschaft und Bereitschaftszeit

Ob Bereitschaftszeiten bzw. Rufbereitschaft eine vergütungspflichtige Arbeitszeit darstellen, dazu gibt es bereits Entscheidungen-im arbeitsrechtlichen Bereich-des Bundesarbeitsgerichts. Entscheidend ist immer welche Einschränkungen für den Arbeitnehmer damit verbunden sind. In der Regel ist diese Arbeitszeit, wenn sich der Arbeitnehmer an einen bestimmten Ort aufhalten muss.

Auslegung der Einschränkungen der Bereitschaftszeit

Oft gibt es Tarifverträge, die dann abgestuft eine Zahlung derartiger Zeiten vorsehen. Wenn es aber keinen Tarifvertrag gibt, dann kommt es darauf an, ob diese Zeiten tatsächlich den Arbeitnehmer so stark einschränken, dass vergütungspflichtige Arbeitszeit vorliegt. Dazu hatte ich bereits mehrere Artikel geschrieben.

vergütungspflichtige Arbeitszeit

Hier geht es nun um die Frage, ob die Bereithaltungszeiten bei der Polizei vergütungspflichtige Arbeitszeit sind oder nicht.

Bundesverwaltungsgericht

Das Bundesverwaltungsgericht hat nun diesbezüglich eine Entscheidung getroffen.

Sachverhalt

Der Kläger-ein Polizist-wollte rückwirkend ab Juni 2012, die in Abzug gebrachten Pausenzeiten, als Arbeitszeit bezahlt bekommen. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 27.05.2021 – Az 10 B 17.18) gab dem Kläger teilweise recht und verurteilte den Dienstherrn dazu eine finanzielle Abgeltung für nicht auf die Arbeitszeit angerechnet Pausen an 216 Tagen in der Zeit vom April 2015 bis Juni 2015 in Höhe von brutto 3124,34 € zu zahlen.

Oberverwaltungsgericht Berlin

Nach dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg stand dem Kläger ein beamtenrechtliche Ausgleichsanspruch wegen rechtswidriger Zuvielarbeit zu. Nach dem OVG hatte der Dienstherr den Kläger regelmäßig mehr als 41 Stunden pro Woche beschäftigt, also über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus. Das Oberverwaltungsgericht stellte klar, dass die Pausen unter Bereithaltungspflicht nach dem unionsrechtlichen Begriffsverständnis Arbeitszeit darstellen, die zu vergüten ist.

Revision

Gegen die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes wehrte sich der Dienstherr zum Bundesverwaltungsgericht mit seiner Revision.

Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts

Das Bundesverwaltungsgericht entschied, dass die Revision des Dienstherrn unbegründet ist.

Nach dem Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 13.10.2022- 2 C 7.21) kann man nicht pauschal die Bereithaltungszeit als Arbeitszeit einstufen, sondern es kommt immer auf den Einzelfall an. Insbesondere kommt es darauf an ob mit der Bereithaltungszeit auch Einschränkungen verbunden sind, die den Arbeitnehmer in seinem Freizeitverhalten stark beschränken. Je stärker die Einschränkungen sind, umso mehr spricht für eine vergütungspflichtige Arbeitszeit.

Insbesondere hat das Bundesverwaltungsgericht folgendes ausgeführt:

Die zur Anerkennung des beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruchs führende Annahme des Oberverwaltungsgerichts, Pausen unter Bereithaltungspflicht stellten unionsrechtlich Arbeitszeit dar, steht in ihrer Absolutheit nicht mit Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (RL 2003/88/EG, Arbeitszeitrichtlinie – ABl. L 299 S. 9) in Einklang (1.). Auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger könne einen Ausgleich für die Inanspruchnahme über die nationalrechtlichen Arbeitszeitvorgaben hinaus auf der Grundlage des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs verlangen, ist mit den unionsrechtlichen Haftungsgrundsätzen nicht vereinbar (2.). Das Berufungsurteil stellt sich aber aus anderen Gründen i. S. d. § 144 Abs. 4 VwGO im Ergebnis als richtig dar (3.).

Das Berufungsgericht geht im Ausgangspunkt zutreffend davon aus, dass die Begriffe Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG und Ruhezeit i. S. d. Art. 2 Nr. 2 RL 2003/88/EG einander ausschließen; Zwischenkategorien wie „Bereitschaftszeit“ oder „Ruhepause“ sind in der Richtlinie nicht vorgesehen (EuGH, Urteile vom 3. Oktober 2000 – C-303/98, Simap – NZA 2000, 1227 Rn. 47, vom 21. Februar 2018 – C-518/15, Matzak – NJW 2018, 1073 Rn. 55 und vom 9. März 2021 – C-344/19, Radiotelevizija Slovenija – NZA 2021, 485 Rn. 29). Die einem Arbeitnehmer während seiner täglichen Arbeitszeit gewährte Ruhepause bei gleichzeitig geforderter Bereitschaft ist entweder als „Arbeitszeit“ oder als „Ruhezeit“ einzuordnen. Die „bloße“ Pflicht des Arbeitnehmers, sich während der Pausen zur Wiederaufnahme der Arbeit bereitzuhalten, führt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts aber nicht automatisch dazu, die Pausenzeit als Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG zu qualifizieren.

Bereitschaftszeit ist grundsätzlich als Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG einzuordnen, wenn sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten und diesem zur Verfügung stehen muss, um gegebenenfalls sofort die geeigneten Leistungen erbringen zu können (EuGH, Urteile vom 9. September 2003 – C-151/02, Jaeger – Slg. 2003, I-8415 Rn. 63, vom 1. Dezember 2005 – C-14/04, Dellas – Slg. 2005, I-10279 Rn. 48 und vom 21. Februar 2018 – C-518/15, Matzak – NJW 2018, 1073 Rn. 59). Fehlt es aber an einer Verpflichtung, am Arbeitsplatz als dem vom Arbeitgeber bestimmten Ort zu bleiben, kann eine Bereitschaftszeit nicht automatisch als Arbeitszeit i. S. d. RL 2003/88/EG eingestuft werden. Die nationalen Gerichte haben in diesem Fall bei Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände zu prüfen, ob sich eine solche Einstufung daraus ergibt, dass dem Arbeitnehmer Einschränkungen von solcher Art auferlegt werden, dass sie seine Möglichkeit, während der Bereitschaftszeiten die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sich seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen (EuGH, Urteile vom 9. März 2021 – C-344/19, Radiotelevizija Slovenija – NZA 2021, 485 Rn. 37, 45 und – C-580/19, Stadt Offenbach am Main – NZA 2021, 489 Rn. 45). Dies ist grundsätzlich anzunehmen, wenn die dem Arbeitnehmer auferlegte Frist für die Aufnahme seiner Arbeit nur wenige Minuten beträgt und er deshalb in der Praxis weitgehend davon abgehalten wird, irgendeine auch nur kurzzeitige Freizeitaktivität zu planen. Dabei ist die Auswirkung einer solchen Reaktionsfrist im Anschluss an eine konkrete Würdigung zu beurteilen, bei der gegebenenfalls die übrigen dem Arbeitnehmer auferlegten Einschränkungen sowie die ihm während seiner Bereitschaftszeit gewährten Erleichterungen zu berücksichtigen sind (EuGH, Urteil vom 9. März 2021 – C-344/19, Radiotelevizija Slovenija – NZA 2021, 485 Rn. 48 f.).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 9. September 2021 – C-107/19, Dopravní podnik hl. m. Prahy – (NZA 2021, 1395 Rn. 37, 39 ff.) Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG in Bezug auf „Bereitschaft“ in Pausenzeiten dahin auszulegen, dass die einem Arbeitnehmer während seiner täglichen Arbeitszeit gewährte Ruhepause als Arbeitszeit im Sinne dieser Bestimmung zu qualifizieren ist, wenn sich aus einer Gesamtwürdigung der relevanten Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die dem Arbeitnehmer während dieser Ruhepause auferlegten Einschränkungen, die sich aus der Notwendigkeit ergeben, einsatzbereit zu sein, von solcher Art sind, dass sie objektiv gesehen ganz erheblich seine Möglichkeit beschränken, sich in der Pause zu entspannen und Tätigkeiten nach Wahl zu widmen. Zu den zu berücksichtigenden Umständen des Einzelfalls gehören die Auswirkung der Reaktionsfrist, die Häufigkeit, aber auch die Unvorhersehbarkeit möglicher Unterbrechungen der Ruhepausen, die eine zusätzliche beschränkende Wirkung auf die Möglichkeit des Arbeitnehmers haben kann, die Zeit frei zu gestalten. Die sich daraus ergebende Ungewissheit kann ihn in Daueralarmbereitschaft versetzen. Die den Ruhepausen immanenten Einschränkungen in räumlicher und zeitlicher Hinsicht sind bei der Gesamtwürdigung dagegen außer Acht zu lassen.

Urteil vom 13.10.2022 –
BVerwG 2 C 7.21

Anmerkung:

Eine interessante Entscheidung. Es kommt demnach immer auf die Einzelfall und die konkreten Einschränkungen beim Beamten in der Bereitschaftszeit an.

Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht

EuGH: Fahrzeit zur Arbeit kann Arbeitszeit sein

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Ein spanischer Arbeitnehmer musste nach der Schließung mehrerer regionaler Büros täglich von seinem Wohnort zu den verschiedenen Kundenstandorten fahren. Einen gewöhnlichen / festen Arbeitsort gab es nicht mehr.

Die Fahrtzeiten vom Wohnort zu den einzelnen Einsatzorten waren häufig beträchtlich. Die spanische Arbeitgeberin (ein Unternehmen) rechnet dabei die täglichen Fahrten vom Wohnort zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zum Wohnort nicht als Arbeitszeit, sondern als Ruhezeit ab.

Die Klage vor den spanischen Arbeitsgerichten auf Bezahlung der Fahrzeut zum ersten Kund und vom letzten Kunden zum Wohnort endete damit ,dass der Fall von dem in Spanien befassten Gericht dem EuGH vorgelegt wurde.

Der EuGH sollte entscheiden, ob die Zeit, des Arbeitnehmers für die Fahrten zu Beginn und am Ende des Tages vom Arbeitgeber zu bezahlende Arbeitszeit seien, gemäß der EG-Richtlinie „Arbeitszeit“ (Richtlinie 2003/88/EG).

Der EuGH (Urteil vom 10.9.2015, C-266/14) entschied nun, dass dies Arbeitszeit sei.

Der Europäische Gerichtshof führte dazu aus:

Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich insoweit, dass die Begriffe „Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 unionsrechtliche Begriffe darstellen, die anhand objektiver Merkmale unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und des Zwecks der Richtlinie zu bestimmen sind, der darin besteht, Mindestvorschriften zur Verbesserung der Lebens‑ und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer aufzustellen. Denn nur eine solche autonome Auslegung kann die volle Wirksamkeit dieser Richtlinie und eine einheitliche Anwendung der genannten Begriffe in sämtlichen Mitgliedstaaten sicherstellen (vgl. Urteil Dellas u. a., C‑14/04, EU:C:2005:728, Rn. 44 und 45, sowie Beschlüsse Vorel, C‑437/05, EU:C:2007:23, Rn. 26, und Grigore, C‑258/10, EU:C:2011:122, Rn. 44).
……
Zum ersten Bestandteil des Begriffs „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88, wonach der Arbeitnehmer seine Tätigkeit auszuüben oder seine Aufgaben wahrzunehmen hat, ist festzustellen, dass nicht bestritten worden ist, dass Tyco vor ihrer Entscheidung, die Regionalbüros zu schließen, die Fahrzeit ihrer Arbeitnehmer zwischen diesen Büros und dem Standort des ersten und des letzten Kunden des Tages als Arbeitszeit betrachtete, die Fahrzeit zwischen dem Wohnort und den Regionalbüros zu Beginn und am Ende des Tages dagegen nicht. Außerdem steht fest, dass sich die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Arbeitnehmer vor dieser Entscheidung täglich zu den Regionalbüros begaben, um die ihnen von Tyco bereitgestellten Fahrzeuge abzuholen und ihren Arbeitstag zu beginnen. Diese Arbeitnehmer beendeten ihren Arbeitstag auch in diesen Büros.
….
Zum zweiten Bestandteil des Begriffs „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88, wonach der Arbeitnehmer während dieser Zeit dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen muss, ist festzustellen, dass der Umstand entscheidend ist, dass der Arbeitnehmer verpflichtet ist, sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten und sich zu dessen Verfügung zu halten, um gegebenenfalls sofort seine Leistungen erbringen zu können (vgl. in diesem Sinne Urteile Dellas u. a., C‑14/04, EU:C:2005:728, Rn. 48, sowie Beschlüsse Vorel, C‑437/05, EU:C:2007:23, Rn. 28, und Grigore, C‑258/10, EU:C:2011:122, Rn. 63).
….
Zum dritten Bestandteil des Begriffs „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88, wonach der Arbeitnehmer während der betrachteten Zeitspanne arbeiten muss, ist festzustellen, dass – wie aus Rn. 34 des vorliegenden Urteils hervorgeht – bei einem Arbeitnehmer, der keinen festen Arbeitsort mehr hat und der seine Aufgaben während der Fahrt zu oder von einem Kunden wahrnimmt, auch davon auszugehen ist, dass er während dieser Fahrt arbeitet. Denn die Fahrten gehören, wie der Generalanwalt in Nr. 48 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, untrennbar zum Wesen eines Arbeitnehmers, der keinen festen oder gewöhnlichen Arbeitsort hat, so dass der Arbeitsort solcher Arbeitnehmer nicht auf die Orte beschränkt werden kann, an denen sie bei den Kunden ihres Arbeitgebers physisch tätig werden.
……..
Nach alledem ist bei Arbeitnehmern, die unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ein Firmenfahrzeug benutzen, um sich von ihrem Wohnort zu einem von ihrem Arbeitgeber bestimmten Kunden zu begeben bzw. vom Standort eines solchen Kunden zu ihrem Wohnort zurückzukehren und um sich während ihres Arbeitstags vom Standort eines Kunden zu einem anderen zu begeben, davon auszugehen, dass sie während dieser Fahrten im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie „arbeiten“.

Anmerkung:

Dieser Fall betrifft Arbeitnehmer ohne festen und gewöhnlichen Arbeitsort. Die Besonderheit bestand gerade darin, dass zunächst Regionalbüros bestanden und später diese geschlossen wurden und die Arbeitnehmer von zu Hause direkt zu den Kunden fuhren. Der „normale“ Arbeitnehmer, der von zu Hause zum Betrieb fährt (gewöhnlicher Arbeitsort) und dort seine Arbeit verrichtet, kann sich nicht auf diese Entscheidung berufen. Erstaunlich ist das Ergebnis schon, denn hätte es weiter Regionalbüros (feste Arbeitsorte) gegeben, dann wäre die Fahrt dorthin und zurück zum Wohnort des Arbeitnehmers keine Arbeitszeit gewesen. Durch deren Schließung ist „automatisch“ die gesamte Fahrzeit zur Arbeitszeit geworden.

Anwalt Andreas Martin