Arbeitszeiterfassung
Verdachtskündigung wegen Arbeitszeitbetrug

Arbeitszeitbetrug und außerordentliche Verdachtskündigung
Ein möglicher Arbeitszeitbetrug kann grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Dies gilt selbst dann, wenn nur der dringende Tatverdacht besteht und die weiteren Voraussetzung einer Verdachtskündigung vorliegen, aber der Nachweis des Arbeitszeitbetruges selbst nicht möglich ist. Gerade bei einem möglichen Arbeitszeitbetrug spielt die Verdachtskündigung eine große Rolle.
Verdachtskündigung als eigenständige Kündigung
Die Verdachtskündigung basiert auf einen eigenständigen Kündigungsgrund, nämlich ein starken Tatverdacht und kann dazu führen, dass aufgrund dessen das Arbeitsverhältnis außerordentlich gekündigt werden kann.
Nachweis nicht erforderlich
Da allerdings ein Nachweis der Tat/Straftat bei der Verdachtskündigung nicht notwendig ist, sind die weiteren Voraussetzungen der Verdachtskündigung recht streng. Ansonsten könnte jeder Arbeitgeber ja bei jedem möglichen Tatverdacht das Arbeitsverhältnis durch Kündigung beenden. Dass dies nicht geht, ist nachvollziehbar.
strenge Voraussetzungen
Die Verdachtskündigung hat von daher strenge Voraussetzungen.
Die Voraussetzungen der Verdachtskündigung sind:
- Kündigung wird auf Verdacht einer strafbaren Handlung bzw. eines vertragswidrigen Verhaltens gestützt,
- dringender Tatverdacht liegt zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung vor,
- eine Anhörung des Arbeitnehmers vor Ausspruch der Kündigung wurde vorgenommen,
- Interessenabwägung zu Gunsten des Arbeitgebers
dringender Tatverdacht ist ausreichend
Der Unterschied zur Tatkündigung – diese ist der häufigste Fall der Kündigung – besteht darin, dass bei der Verdachtskündigung diese ausdrücklich auf einen Tatverdacht basiert. Die Verdachtskündigung basiert also nicht auf nachweisbare Tatsachen, sondern auf einen nachweisbaren dringenden Tatverdacht.
Anhörung des Arbeitnehmers
Wie oben bereits ausgeführt, ist zwingende Voraussetzung einer Verdachtskündigung die Anhörung des Arbeitnehmers. Der Hintergrund ist der, dass die Rechtsprechung eine Verdachtskündigung zulässt, weil das Vertrauen zwischen Arbeitnehmern Arbeitgeber aufgrund des nachweisbaren Verdachtes einer Straftat oder scheren Pflichtverletzung – schwerwiegend gestört ist, allerdings muss der Arbeitnehmer im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung einer jeden Kündigung die Möglichkeit bekommen sich dazu entsprechend zu äußern.
Sachverhaltsermittlung
Auch muss der Arbeitgeber grundsätzlich alle Möglichkeiten ausschöpfen, um den Sachverhalt aufzuklären. Der Hintergrund ist auch der, dass die Gefahr besteht, dass durch die Verdachtskündigung ein Unschuldiger betroffen ist. Der Arbeitgeber muss also sich um umfassende Aufklärung des Sachverhaltes bemühen, um das Risiko, dass letztendlich jemand betroffen wird, der zwar verdächtig ist, aber die Pflichtverletzung nicht begangen hat, gekündigt wird.
Arbeitszeitbetrug – Manipulation von Arbeitszeiterfassungssystemen
Eine Verdachtskündigung kommt oft in Betracht, wenn es um Arbeitszeitbetrug geht. Wichtig ist zu wissen, dass es hier also nicht darum geht, dass man den Arbeitszeitbetrug nachweisen kann, dann würde man eine Tatkündigung aussprechen, sondern dass der dringende Tatverdacht besteht, dass ein solcher Arbeitszeitbetrug vorgenommen wurde.
Urteil des LAG Mecklenburg-Vorpommern zur ordentlichen Verdachtskündigung
Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 28.03.2023 – AZ 5 Sa 128/22) hatte sich nun mit einen Fall zu befassen, wonach der dringende Tatverdacht einer bewusst manipulierten Arbeitszeiterfassung bestand und dieses entschied, dass eine personenbedingte Kündigung hier gerechtfertigt ist.
Sachverhalt
Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
falsche Anmeldung bei Zeiterfassung
Ein Arbeitnehmer hatte sich-dies bei der Verdacht-von Zuhause online in das Zeiterfassungssystem des Arbeitgebers eingebucht, aber erst erheblich später im Dienstgebäude die Arbeit aufgenommen. Es lag also der Verdacht des Arbeitszeitbetruges nahe. Ein Nachweis war hier im Verfahren nicht möglich. Die ganze Sache kam raus, da eine Kollegin mehrfach versuchte den Arbeitnehmer im Büro aufzusuchen und das Büro aber verschlossen war, obwohl – laut dem Arbeitszeitsystem – der Arbeitnehmer im Büro war.
ordentliche Verdachtskündigung
Der Arbeitgeber sprach – nach Anhörung des Arbeitnehmers – eine ordentliche Verdachtskündigung aus und gewann vor dem Landesarbeitsgericht.
Ausführungen im Urteil des LAG
Das LAG Mecklenburg-Vorpommern führte dazu aus:
Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 09.02.2022 zum 30.09.2022 verstößt nicht gegen § 1 KSchG.
Der Verdacht einer Pflichtverletzung stellt gegenüber dem verhaltensbezogenen Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung tatsächlich begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Der Verdacht kann eine ordentliche Kündigung aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers bedingen (BAG, Urteil vom 31. Januar 2019 – 2 AZR 426/18 – Rn. 20, juris = NZA 2019, 893). Der schwerwiegende Verdacht einer Pflichtverletzung kann zum Verlust der vertragsnotwendigen Vertrauenswürdigkeit des Arbeitnehmers und damit zu einem Eignungsmangel führen, der einem verständig und gerecht abwägenden Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht (BAG, Urteil vom 31. Januar 2019 – 2 AZR 426/18 – Rn. 21, juris = NZA 2019, 893). Eine Verdachtskündigung ist eine personenbedingte Kündigung. Sie wird nicht deshalb zu einer Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers, weil dieser die entscheidungserheblichen Verdachtsmomente selbst gesetzt hat. Ein Arbeitnehmer begeht nicht dadurch eine eigenständige Pflichtverletzung, dass er sich durch ein für sich genommen pflichtwidriges Verhalten einer weitergehenden, schwerwiegenden Pflichtverletzung (nur) verdächtig macht (BAG, Urteil vom 31. Januar 2019 – 2 AZR 426/18 – Rn. 24, juris = NZA 2019, 893).
Eine Verdachtskündigung ist als ordentliche Kündigung sozial nur gerechtfertigt ist, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten. Dies gilt zunächst für die Anforderungen an die Dringlichkeit des Verdachts als solchen. Der Verdacht muss auf konkreten, vom Kündigenden darzulegenden und ggf. zu beweisenden Tatsachen beruhen. Er muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen nicht aus (BAG, Urteil vom 31. Januar 2019 – 2 AZR 426/18 – Rn. 26 und 27, juris = NZA 2019, 893; LAG Köln, Urteil vom 23. Februar 2022 – 11 Sa 339/21 – Rn. 26, juris).
Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Dies gilt für einen vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch. Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit der am Gleitzeitmodell teilnehmenden Arbeitnehmer vertrauen können. Überträgt er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt ein Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung gestellten Formulare wissentlich und vorsätzlich falsch aus, so stellt dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar. Nicht anders zu bewerten ist es, wenn der Arbeitnehmer verpflichtet ist, die geleistete Arbeitszeit mit Hilfe des Arbeitsplatzrechners in einer elektronischen Zeiterfassung zu dokumentieren, und er hierbei vorsätzlich falsche Angaben macht. Der Arbeitnehmer verletzt damit in erheblicher Weise die sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebende Pflicht zur Rücksichtnahme (BAG, Urteil vom 13. Dezember 2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 17, juris = NZA 2019, 445; BAG, Urteil vom 26. September 2013 – 2 AZR 682/12 – Rn. 54, juris = ZTR 2014, 299; BAG, Urteil vom 9. Juni 2011 – 2 AZR 381/10 – Rn. 14, juris = NZA 2011, 1027).
LAG MV: https://www.landesrecht-mv.de/bsmv/document/JURE230046867
Anmerkung:
In der Praxis scheitern viele Kündigungen daran, dass man bestimmte Pflichtverletzungen nicht sicher nachweisen kann. Als Verdachtskündigung wären die Kündigungen aber oft wirksam. Dazu muss man aber den Arbeitnehmer vorher anhören und dann die Kündigung als Verdachtskündigung begründen (im Verfahren ist ausreichend).
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht
Pflicht zur Arbeitszeiterfassung durch den Arbeitgeber?

Arbeitszeit und Pflichten des Arbeitgebers
Es bestehen immer noch Unsicherheiten, ob der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet ist die Arbeitszeiten seiner Arbeitnehmer zu erfassen und aufzuzeichnen. Diese Frage soll hier beantwortet werden.
Was ist Arbeitszeit?
Arbeitszeit ist die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit abzüglich der Ruhepausen.
Wo ist die gesetzliche Grundlage geregelt?
Geregelt ist die Arbeitszeit und die entsprechenden Vorgaben zur Höchstarbeitszeit im Arbeitszeitgesetz.
Entscheidung des EuGH zur Arbeitszeiterfassung
Ich hatte hier schon berichtet, dass der Europäische Gerichtshof deutlich gemacht hat, dass grundsätzlich nach der Arbeitszeitrichtlinie der EU die einzelnen Mitgliedstaaten verpflichtet sind dafür zu sorgen, dass Arbeitgeber die Arbeitszeit der Arbeitnehmer erfassen. Eine entsprechende Umsetzung in das innerdeutsche Recht ist aber bis heute nicht erfolgt.
Entscheidung des BAG zur Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit
Ein Paukenschlag war von daher die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 13. September 2022 (Beschluss vom 13.9.2022, Aktenzeichen 1 ABR 22/21).
gesetzliche Grundlage = § § 3 Abs. 2 Nummer 1 des Arbeitsschutzgesetzes
Das Bundesarbeitsgericht führte aus, dass es schon lange eine gesetzliche Regelung gibt und zwar § 3 Abs. 2 Nummer 1 des Arbeitsschutzgesetzes, wonach Arbeitgeber verpflichtet sind die Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen. Die Problematik daran war die, dass niemand davon ausgegangen ist, dass bereits eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung durch den Arbeitgeber bestand. Die Regelung, auf die das Bundesarbeitsgericht hier verwiesen hat, ist äußerst ungenau und aus dieser kann man zumindest durch einfaches Lesen ohne Auslegung nicht ohne weiteres die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ableiten.
Zitat
§ 3 Grundpflichten des Arbeitgebers – Arbeitsschutzgesetz
(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. Dabei hat er eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten anzustreben.
(2) Zur Planung und Durchführung der Maßnahmen nach Absatz 1 hat der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten
für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen sowie.
Vorkehrungen zu treffen, daß die Maßnahmen erforderlichenfalls bei allen Tätigkeiten und eingebunden in die betrieblichen Führungsstrukturen beachtet werden und die Beschäftigten ihren Mitwirkungspflichten nachkommen können.
(3) Kosten für Maßnahmen nach diesem Gesetz darf der Arbeitgeber nicht den Beschäftigten auferlegen.
Pflicht zur Arbeitszeitaufzeichnung besteht
Dies kann aber letztendlich alles dahinstehen. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Pflicht zur Arbeitszeiterfassung aus dieser Norm abgeleitet und von daher sind Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet die Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer zu erfassen. Dies heißt, dass der Beginn und das Ende der Arbeitszeit-einschließlich der Pausen-zu erfassen sind.
keine Vorgabe, wie die Erfassung erfolgen soll
Das Bundesarbeitsgericht hat nicht geregelt, wie diese Erfassung auszusehen hat. Es hat insbesondere nicht den Arbeitgebern vorgeschrieben, dass diese besondere-zum Beispiel elektronische-Arbeitszeiterfassungsysteme einsetzen müssen. Dies heißt, dass es dem Arbeitgeber freisteht, wie er die Arbeitszeit letztendlich im Betrieb aufzeichnet.
per Hand oder elektronisch
Dies kann durch elektronische Arbeitszeiterfassungsysteme, wie zum Beispiel elektronische Steckkarten oder Login am Computer, erfolgen aber auch durch Aufzeichnungen zum Beispiel das Eintragen in einen entsprechenden Arbeitszeitkalender erfolgen.
Übertragung auf Arbeitnehmer möglich
Der Arbeitgeber ist sogar berechtigt die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung auf den Arbeitnehmer zu delegieren. Dies heißt, dass dann der Arbeitnehmer verpflichtet ist seine Arbeitszeiten zu erfassen. Damit ist der Arbeitgeber aber nicht komplett von seiner Verpflichtung befreit, sondern seine Aufzeichnungspflicht wandelt sich um in eine Überwachungspflicht. Der Arbeitgeber muss letztendlich auch überwachen, ob tatsächlich vom Arbeitnehmer die Aufzeichnung der Arbeitszeit korrekt erfolgt.
Vertrauensarbeitszeit in Home Office
Dies gilt auch für den Fall der sogenannten Vertrauensarbeitszeit, wie zum Beispiel im Home Office. Auch hier ist die Arbeitszeit grundsätzlich zu erfassen. Das Bundesarbeitsgericht differenziert hier nicht zwischen Arbeitnehmern, die im Betrieb anwesend sind und Arbeitnehmern, die zum Beispiel mobil arbeiten. Bei allen Arbeitnehmergruppen hat eine Arbeitszeiterfassung zu erfolgen.
hohe Bußgelder drohen
Arbeitgeber, die sich nicht an diese Vorgaben halten, riskieren, dass sie entsprechend von Arbeitsschutzbehörden ein hohes Bußgeld (§ 25 des Arbeitsschutzgesetzes) erhalten.
Beweislastumkehr in Arbeitsgerichtsprozessen?
Darüber hinaus können sich in Prozessen ergeben, dass eine Beweislastumkehr in Bezug auf erbrachte Arbeitszeiten von den Arbeitsgerichten angenommen wird. Dies ist aber zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sicher. Entscheidung dazu-zumindest von höchstrichterlicher Stelle-gibt es dazu noch nicht.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht