Arbeitsgericht Siegburg
„Arschloch“ – Arbeitnehmer will € 4.100,00 an Schmerzensgeld vom Arbeitgeber

Beleidigung durch Vorgesetzten
Auch ein Arbeitnehmer kann Schmerzensgeld vom Arbeitgeber erhalten. Dies kommt aber selten vor und setzt in der Regel eine schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber voraus. Auch bei Arbeitsunfällen kommt nur selten ein Schmerzensgeldanspruch des Arbeitnehmers in Betracht. Am häufigsten ist ein solcher Anspruch auf eine immaterielle Entschädigung noch beim sog. Mobbing gegenüber dem Arbeitnehmer im Betrieb.
Rücksichtsnahmepflichten aus dem Arbeitsverhältnis
Aus einem Arbeitsverhältnis ergeben sich verschiedene Schutz- und Rücksichtsnahmepflichten als Nebenpflichten aus dem Arbeitsvertrag. Eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag besteht doch darin, dass man das allgemeine Persönlichkeitsrecht der anderen Seite, also des Vertragspartners, achtet und dieses nicht verletzt.
Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
Eine solche Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes liegt zum Beispiel dann vor, wenn eine Beleidigung gegenüber der anderen Seite ausgesprochen wird. Eine Beleidigung ist nach § 185 Strafgesetzbuch darüberhinaus auch eine Straftat.
Haftung des Arbeitgebers für eingesetzte Vorgesetzte
Der Arbeitgeber kann dabei auch für seine Untergebenen, die als Vorgesetzte der Arbeitnehmer fungieren, haften.
Schmerzensgeld und schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung
Bei einer starken Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes kann es durchaus sein, dass der Arbeitnehmer, der am Persönlichkeitsrecht vom Arbeitgeber schwer verletzt wird, gegenüber dem Arbeitgeber einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld hat. Hierbei zu beachten, dass eine einfache Verletzung des Persönlichkeitsrechtes aber nicht ausreicht. Es muss ein schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber oder einer dem Arbeitgeber zurechenbaren Person vorliegen. In einem solchen Fall-welcher in der Praxis wahrscheinlich eher selten vorkommt-hat dann der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld gegenüber dem Arbeitgeber.
Höhe eines möglichen Schmerzensgeldes
Bei der Frage, in welcher Höhe dann ein solcher Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld besteht, gibt es keine eindeutige gesetzliche Regelung (§ 253 BGB).
Die gesetzliche Regelung des § 253 BGB lautet:
§ 253 Immaterieller Schaden
(1) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden.
§ 253 BGB
(2) Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden.
billige Entschädigung in Geld
Der Schmerzensgeld liegt als „billige Entschädigung“ letztendlich im Ermessen des Gerichtes. In der Regel greifen Anwälte, um eine entsprechende Schmerzensgeld der Höhe nach bestimmen zu können, auf sogenannte Schmerzensgeldkatalog zurück. Dort sind-vor allen für körperliche Verletzungen-die Art der Verletzung und die Umstände des Einzelfalls aufgeführt und dann auch die entsprechende Entscheidung des Gerichtes mit der Höhe des damals zugesprochenen Schmerzensgeldes aufgelistet. Daran kann man sich grob orientieren. In der Regel wird der Anwalt immer etwas mehr Schmerzensgeld gerichtlich beantragen als er für realistisch hält, das Gericht bei einem bezifferten Schmerzengsgeldbetrag (anders beim Mindestschmerzensgeldantrag) nicht mehr zusprechen kann.
Fall des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen
Im vorliegenden Fall war so, dass ein Arbeitnehmer, der von einem Vorgesetzten aufgefordert wurde einen Coronatest beizubringen im Anschluss mit der Formulierung „Arschloch „betitelt wurde. Sodann wurde der Arbeitnehmer nach Hause geschickt.
Der Arbeitnehmer erhob auch später Klage, auch auf Feststellung, dass der Arbeitgeber von ihm keinen Coronatest verlangen durfte und darüber hinaus auch auf Zahlung von sogenannten Annahmeverzugslohn, da er den Test nicht sofort beibringen konnte. Der Annahmeverzugslohn wurde teilweise hier durch das Gericht zugesprochen, dass es die Aufgabe des Arbeitgebers gewesen wäre den Arbeitnehmer den Test mitzugeben, da der Arbeitgeber hierfür verantwortlich war.
Schmerzensgeldklage gegen den Arbeitgeber
Darüberhinaus wollte der Arbeitnehmer mit seiner Klage auch 4.100 € brutto an Schmerzensgeld vom Arbeitgeber, da er durch den Vorgesetzten (nicht vom Arbeitgeber selbst) mit dem Wort „Arschloch“ betitelt wurde und meinte, dass dies ein schwerwiegender Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht sei, welcher einen Anspruch auf Schmerzensgeld in derartiger Höhe rechtfertigte.
Entscheidung des Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen
Das Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen (Urteil vom 22.10.2021 – 2 Ca 52/21) sah dies aber nicht so und lehnte den Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld des Arbeitnehmer mit der Begründung ab, dass vielleicht eine allgemeine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers vorliegen würde, aber die Rechtsverletzung aber kein schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellen würde.
Begründung des Gerichts
Dazu führte das Gericht folgendes aus:
a) Ein Anspruch auf Geldentschädigung wegen der Verletzung des Persönlichkeitsrechts folgt grundsätzlich aus § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 1, 2 GG.
Nach ständiger Rechtsprechung setzt der Entschädigungsanspruch wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts voraus, dass ein schwerwiegender Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vorliegt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann (BGH vom 15. November 1994 – VI ZR 56/94; LAG Baden-Württemberg vom 12. Juni 2006 – 4 Sa 68/05). Das hängt insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab (BGH vom 30. Januar 1996 – VI ZR 386/94).
Bei der Anwendung der für einen Anspruch auf Geldentschädigung maßgeblichen Tatbestandsmerkmale einer schwerwiegenden Verletzung des Persönlichkeitsrechts und der mangelnden Möglichkeit anderweitiger Genugtuung haben die Gerichte die Fundierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Würde des Menschen zu beachten. Art. 1 Abs. 1 GG verpflichtet den Staat, alle Menschen gegen Angriffe auf die Menschenwürde zu schützen; der Schutz der Menschenwürde ist absolut und erstreckt sich auf alle Lebensbereiche. Der sich aus der Menschenwürde ergebende Achtungsanspruch kann verletzt werden, wenn die Diffamierung einer Person Ausdruck ihrer Missachtung ist, etwa durch Leugnung oder Herabsetzung der persönlichen Eigenschaften und Merkmale, die das Wesen des Menschen ausmachen. Die Feststellung einer solchen Verletzung durch eine Äußerung setzt eine deren Wortlaut und Begleitumstände berücksichtigende Deutung voraus (LG Oldenburg vom 7. Februar 2013 – 5 S 595/12 m. w. N.).
Eine Beleidigung kann also grundsätzlich – allerdings abhängig von den konkreten Umständen – einen Schmerzensgeldanspruch nach sich ziehen.
… Vorliegend sieht die Kammer jedoch keinen solchen Anspruch als begründet an, weil es an einem schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers infolge der zu betrachtenden Umstände fehlt.
Zu berücksichtigen ist hier nach Auffassung der Kammer zunächst, dass es sich um eine einmalige Beleidigung des Vorgesetzten gegenüber dem Kläger handelte. Jedenfalls trägt der Kläger selbst nicht vor, dass es schon öfter von Seiten des Vorgesetzten ihm gegenüber zu Beschimpfungen gekommen wäre. Hinzu kommt, dass die Beleidigung zu einem Zeitpunkt erfolgte, in dem die allgemeine Lage durch Corona generell angespannt war, die Nerven aller damit „blank“ lagen und im Unternehmen der Beklagten in der Schicht des Klägers zudem ein aktueller Corona-Fall aufgetreten war. Zu berücksichtigen war zudem, dass der Kläger im Oktober 2020 unstreitig im Unternehmen durch die Verbreitung von Verschwörungstheorien Corona betreffend aufgefallen war, indem er entsprechende Flugblätter an Kollegen verteilte (vgl. Bl. 37 f. d. A.), sodass die Kammer – ohne dies indes gutzuheißen – nachvollziehen kann, dass in einer derartigen Gemengelage und zudem in der Produktion, in der meistens ein rauerer Umgangston herrscht, „im Affekt“ eine einmalige Beleidigung wie die streitgegenständliche fallen kann.
Eine schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das einen Geldentschädigungsanspruch nach sich zieht, sieht die Kammer aus den genannten Gründen in der Beleidigung also nicht, zumal auch der Kläger selbst nicht angibt, dass und in welcher Art und Weise er sich durch die Beleidigung in seiner Würde tatsächlich herabgesetzt gefühlt hat.
Ein Schmerzensgeldanspruch war also abzulehnen. ….
Urteil des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen vom 22.10.2021 – 2 Ca 52/21
Anmerkung
Man darf das Urteil nicht falsch verstehen. Das Gericht sagt ausdrücklich, dass eine Beleidigung durchaus eine schwere Persönlichkeitsverletzung darstellen kann, die einen Schmerzensgeldanspruch des Beleidigten zur Folge haben kann. In diesem Einzelfall aber, meinte das Gericht aber, dass eine solche schwere Verletzung nicht vorliegt, da hier faktisch eine Handlung im Affekt vorgelegen hat und es sich um eine einmalige Angelegenheit gehandelt hat. Dies kann man durchaus auch anders sehen, allerdings wäre ohnehin der Schmerzensgeld hier wohl überhöht gewesen.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht in Berlin
„Diesen kleinen Wicht schmeiße ich aus dem Fenster!“ – Kündigung wirksam.

Bedrohung des Arbeitgebers und außerordentliche Kündigung
Den Arbeitgeber zu bedrohen, ist meist keine gute Idee. Dass eine solche Drohung zu einer außerordentlichen und fristlosen Kündigung führen kann, wissen alle Arbeitnehmer. Für eine außerordentliche Kündigung muss ein wichtiger Kündigungsgrund vorliegen.
Androhung von Gewalt
Aber nicht nur die direkte Bedrohung des Arbeitgebers, sondern auch die Drohung gegenüber einem Dritten, den Arbeitgeber körperlich anzugreifen oder zu verletzen, kann eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, da das Vertrauensverhältnis dann nachhaltig zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zerstört ist. Eine Abmahnung ist dann entbehrlich.
Fensterwurf androhen und fristlose Kündigung
Nachvollziehbar ist auch, dass man seinen Chef nicht androhen sollte ihn aus dem Fenster zu werfen.
So ist dies allerdings geschehen. Ein Arbeitnehmer, der als Buchhalter (!) mehrere Jahre im Betrieb beschäftigt war, äußerte gegenüber einer Kollegin, dass er seinen Chef aus dem Fenster werfen würde und sagte:
Diesen kleinen Wicht schmeiße ich aus dem Fenster. Ich lasse mir das nicht länger gefallen. Ich bin kurz vorm Amoklauf. Ich sage dir, bald passiert was. Der lebt gefährlich, sehr gefährlich.
Vorangegangen war ein Streitgespräch mit dem Arbeitgeber.
fristlose und außerordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber
Als der Arbeitgeber davon erfuhr, weil nicht sonderlich begeistert, was nachvollziehbar ist. Er machte das, was zu erwarten war und kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis zum Arbeitnehmer außerordentlich und fristlos.
Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht Siegburg (Urteil vom 04.11.2021 zum Aktenzeichen 5 Ca 254/21) und verlor das Verfahren.
Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg im Kündigungsschutzverfahren
Das Arbeitsgericht Siegburg führte dazu aus:
Um eine derartige Ehrverletzung geht es vorliegend aber nicht. Zwar sagte der Kläger über seinen Vorgesetzten auch „kleiner Wicht“. Maßgebend ist vorliegend aber die Ankündigung einer schweren Straftat gegen Leib und Leben bzw. die körperliche Unversehrtheit seines Vorgesetzten, des Herrn xxx, in dem der Kläger ankündigte, diesen aus dem Fenster zu werfen und Amok zu laufen. Allein der Umstand, dass die Androhung dieser Straftaten gegebenenfalls noch mit einer Meinungsäußerung – soweit man nicht davon ausgeht, dass es sich bei der Bezeichnung als „kleiner Wicht“ bereits um Schmähkritik handelt – verbunden sein könnten, führt nicht dazu, dass der Kläger darauf vertrauen durfte, dass die Zeugin xxx sich mit dem Inhalt des Gesprächs nicht an ihre Vorgesetzten wenden wird. Selbstverständlich sind Arbeitnehmer berechtig, ihr Wissen über ernsthaft angekündigte schwere Straftaten gegen Leib und Leben bzw. die ernstzunehmende Ankündigung eines Amoklaufs, an ihre Vorgesetzten weiterzugeben. Dies selbst dann, wenn das Wissen aus „vertraulichen“ Gesprächen stammt. Es gibt keine Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wonach dies zum Schutze des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Drohenden unzulässig sein sollte. Selbst wenn es sie geben sollte, würde sich die erkennende Kammer ihr nicht anschließen. Es ist einem Arbeitnehmer, dem gegenüber in ernstzunehmender Art und Weise die Begehung einer Straftat gegen Leib und Leben bzw. ernstgemeint ein Amoklauf angekündigt wird, nicht zuzumuten, dieses Wissen für sich zu behalten und im Ernstfall in den Gewissenskonflikt zu gelangen, dass er bei Weitergabe des eigenen Wissens gegebenenfalls ein entsprechendes Unglück hätte verhindern können.
Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es ist eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorzunehmen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung – etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen – zu erreichen (BAG v. 10 Juni 2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227, 1231, juris).
Zwar erkennt die Kammer für das Bestandsinteresse des Klägers dessen Betriebszugehörigkeit seit 2007 an. Zudem berücksichtigt die erkennende Kammer zugunsten des Klägers, dass es sein kann, dass dieser aufgrund seines Alters und der besonderen gegenwärtigen Pandemiesituation Schwierigkeiten haben kann, eine neue adäquate Beschäftigung zu finden. Dennoch überwiegt im Ergebnis das Lösungsinteresse der Beklagten. Dies unabhängig davon, ob die im bestehenden Arbeitsverhältnis ausgesprochene Abmahnung zu Recht oder zu Unrecht erfolgte und ob es weitere Abmahnungen und Ermahnungen zu Recht oder zu Unrecht gegeben haben sollte. Dies, da die Wirksamkeit der außerordentlichen und fristlosen Kündigung nicht aufgrund einer fehlenden Abmahnung scheitert, da sie bei dem vorliegenden Sachverhalt aufgrund der besonderen Schwere des dem Kläger vorgeworfenen Verstoßes entbehrlich ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine frühere Abmahnung bei besonders schweren Verstößen entbehrlich, da der Arbeitnehmer von vornhinein nicht mit einer Billigung seines Verhaltens rechnen kann und er sich bewusst sein muss, dass er seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt. Genauso ist es im vorliegenden Fall. Der Kläger konnte von vornherein nicht damit rechnen, dass die Beklagte es vorbehaltlos hinnehmen wird, dass er gegenüber der Zeugin xxx in ernstzunehmender Art und Weise die Drohung aussprach, seinen Vorgesetzten aus dem Fenster zu werfen und Amok zu laufen. Ein derartiges Verhalten ist für den Bestand eines Arbeitsverhältnisses und die erforderliche vertrauensvolle Zusammenarbeit völlig inakzeptabel. Der Beklagten, die den Kläger zu seinen Äußerungen anhörte, kann nicht zugemutet werden, abzuwarten, ob der Kläger seinen Worten Taten folgen lässt. Dies, da die Beklagte gegenüber ihren anderen Arbeitnehmern verpflichtet ist, deren körperliche Unversehrtheit am Arbeitsplatz zu gewährleisten. Zugunsten der Beklagten spricht insoweit auch, dass der Kläger im Rahmen seiner Anhörung nicht zu seinen Äußerungen stand und sich für selbige entschuldigt. Selbst im Rahmen des durchgeführten Kammertermins vermochte der Kläger nach der durchgeführten Beweisaufnahme und der Erörterung der selbigen nicht zu erkennen, worin seine Pflichtverletzung bestanden hat.
Arbeitsgericht Siegburg, Urteil vom 4.11.2021 – Az 5 Ca 254/21
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht – Berlin
Azubi lässt sich krank schreiben und trainiert dann im Fitnessstudio – fristlose Kündigung wirksam

Kündigungsschutz im Ausbildungsverhältnis
Auszubildende werden rechtlich manchmal besser gestellt als Arbeitnehmer, zumindest, wenn es um die ordentliche Kündigung durch den Ausbilder geht. Nach der Wartezeit kann der Arbeitgeber ein Ausbildungsverhältnis nicht mehr mit ordentlicher Kündigung beenden, sondern nur noch mit einer außerordentlichen Kündigung (§ 22 Berufsbildungsgesetz – BBiG).
hohe Anforderungen an Gründe für außerordentliche Kündigung eines Auszubildenden
Die Anforderung an eine solche außerordentliche Kündigung sind recht hoch. Es muss immer ein wichtiger Grund gem. § 626 BGB / § 22 BBiG vorliegen. Dies wird oft von Arbeitgeberseite in der Praxis unterschätzt. Nur selten liegen entsprechende Gründe tatsächlich vor.
§ 22 BBiG lautet:
§ 22 Kündigung
(1) Während der Probezeit kann das Berufsausbildungsverhältnis jederzeit ohne Einhalten einer Kündigungsfrist gekündigt werden.
(2) Nach der Probezeit kann das Berufsausbildungsverhältnis nur gekündigt werden
1.
aus einem wichtigen Grund ohne Einhalten einer Kündigungsfrist,
2.
von Auszubildenden mit einer Kündigungsfrist von vier Wochen, wenn sie die Berufsausbildung aufgeben oder sich für eine andere Berufstätigkeit ausbilden lassen wollen.
(3) Die Kündigung muss schriftlich und in den Fällen des Absatzes 2 unter Angabe der Kündigungsgründe erfolgen.
(4) Eine Kündigung aus einem wichtigen Grund ist unwirksam, wenn die ihr zugrunde liegenden Tatsachen dem zur Kündigung Berechtigten länger als zwei Wochen bekannt sind. Ist ein vorgesehenes Güteverfahren vor einer außergerichtlichen Stelle eingeleitet, so wird bis zu dessen Beendigung der Lauf dieser Frist gehemmt.
wichtiger Grund und Kündigung eines Azubis
Ob ein wichtiger Grund für die Kündigung des Arbeitgebers gegeben ist, haben die Gerichte nach einem objektiven Maßstab zu beurteilen. Das Arbeitsgericht muss prüfen, ob die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers / Auszubildenden bei objektiver Beurteilung zu bejahen ist und schon im Zeitpunkt der Kündigung gegeben war. Die außerordentliche Kündigung kann dabei auf alle Gründe gestützt werden, die im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung objektiv vorlagen.
fristlose Kündigung beim Vortäuschen einer Erkrankung
Außerordentliche Kündigungen wegen einer vorgetäuschten Erkrankung kommen in der Praxis häufig vor, werden aber oft den Arbeitsgerichten für unwirksam erklärt. Der Arbeitgeber muss hier die fehlenden Erkrankung / Täuschung nachweisen, was schwierig ist, denn eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat einen gewissen Beweiswert. Dieser kann aber auch entkräftet werden, wenn zum Beispiel der Arbeitnehmer selbst kündigt und eine „passende“ AU-Bescheinigung bis zum Ende des Arbeitsverhältnis gleichzeitig vorlegt.
Arbeiten während der Krankschreibung
Auch das Nachgehen einer anderen Tätigkeit während der Zeiten der arbeitsunfähigen Erkrankung kann problematisch sein (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 03.04.2008 – 2 AZR 965/06). Ausnahmsweise ist diese aber zulässig, wenn der Heilungsprozess nicht verzögert wird.
Entscheidung des Arbeitsgerichts Siegburg zur fristlosen Kündigung
Das Arbeitsgericht Siegburg (Urteil vom 17.3.2022 – 5 Ca 1849/21) hatte sich nun mit einem ähnlichen Fall zu beschäftigen. Ein Arbeitgeber/Ausbilder hatte einem Auszubildenden das Ausbildungsverhältnis außerordentlich und fristlos gekündigt.
Dieser hatte sich arbeitsunfähig schreiben lassen, obwohl er gar nicht erkrankt war. Zumindest schloss der Arbeitgeber/Ausbilder aufgrund des Verhaltens des Azubis, dass keine Arbeitsunfähigkeit vorgelegen haben konnte. Von daher ging der Arbeitgeber/Ausbilder davon aus, dass hier eine unberechtigte Krankschreibung vorgelegen hat und der Auszubildende den Arbeitgeber über seine Erkrankung/Arbeitsunfähigkeit getäuscht hat.
Folgender Fall lag dem zugrunde.
Ein 24-jährige Azubi machte beim Ausbilder eine Lehre zum Sport- und Gesundheitstrainer in einem Fitnessstudio. Ganz so clever war der Auszubildende aber nicht, denn er fiel bei einer schulischen Prüfung durch. Wahrscheinlich hatte dieser auch für die Nachholprüfung, welche für den 5./6.10.2021 angesetzt war, nicht ausreichend gelernt, denn er ließ sich für diesen Zeitraum krank schreiben. Der Azubi erschien dazu am 6.10.2021 im Fitnessstudio der Beklagten und legte für den Zeitraum 5.-7.10.2021 eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor und absolvierte sodann ein intensives Krafttraining. An der Nachprüfung in der Berufsschule nahm der Azubi wegen seiner „Erkrankung“ nicht teil. Der Kläger erhielt am 6.10.2021 deswegen eine fristlose Kündigung. Hiergegen richtet sich seine Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht.
Kündigungsschutzklage ohne Erfolg
Das Arbeitsgericht Siegburg hat die Kündigungsschutzklage des Auszubildenden abgewiesen und ist davon ausgegangen, dass die fristlose Kündigung zu Recht erteilt wurde. Insbesondere hat das Arbeitsgericht auch offengelassen, ob der Auszubildende eine Gefälligkeitsbescheinigung vom Arzt erhalten hat oder ob er die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beim Arzt erschlichen (Täuschung des Arztes) hat. Für das Gericht war klar, dass eine Erkrankung nicht vorgelegen haben konnte (Krafttraining), sondern diese vorgeschoben war, um die Nachprüfung zu umgehen.
Eine Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist war dem Arbeitgeber / Ausbilder hier nicht zuzumuten. Nach dem Arbeitsgericht darf kein Auszubildender darf davon ausgehen, dass dessen Ausbilder es hinnimmt, falsche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt zu bekommen, um sich den anstehenden Prüfungen, insbesondere wenn es sich um Nachholprüfungen handelt, zu entziehen.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht