Altersrente

BAG Sozialauswahl bei einer betriebsbedingten Kündigung und Rentennähe

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BAG Sozialauswahl bei einer betriebsbedingten Kündigung und Rentennähe
BAG und Sozialauswahl

Sozialauswahl bei zeitlicher Nähe zur Rente

Wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer betriebsbedingt das Arbeitsverhältnis kündigt, dann kann er nicht nach freien Belieben einen beliebigen Arbeitnehmer auswählen, dem er das Arbeitsverhältnis beendet. Der Arbeitgebers ist grundsätzlich verpflichtet eine sogenannte Sozialauswahl durchzuführen. Voraussetzung dafür ist das das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet und es sich um eine betriebsbedingte Kündigung handelt.

Was ist eine betriebsbedingte Kündigung?

Eine betriebsbedingte Kündigung ist eine Kündigung, deren Gründe nicht in der Sphäre des Arbeitnehmers liegen, sondern welche aufgrund eines betrieblichen Überhang an Arbeitskräften ausgesprochen wird. Diese betriebsbedingten Gründe können innerbetriebliche oder auch außerbetriebliche Gründe haben.

Die betriebsbedingte Kündigung ist eine von drei in § 1 Abs. 2 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz genannten Möglichkeiten, die dem Arbeitgeber für eine solche Kündigung zur Verfügung stehen. Daneben gibt es noch die personenbedingte und die verhaltensbedingte Kündigung durch den Arbeitgeber.

Der Arbeitnehmer braucht für eine ordentliche Eigenkündigung keinen Grund.

Wann findet das Kündigungsschutzgesetz Anwendung?

Das Kündigungsschutzgesetz findet dann Anwendung, wenn der Arbeitnehmer länger als sechs Monate im Betrieb tätig ist und im Betrieb mehr als zehn Arbeitnehmer in Vollzeit abzüglich der Auszubildenden tätig sind.

Wo ist die Durchführung der Sozialauswahl geregelt?

Eine gesetzliche Regelung zur Durchführung der Sozialauswahl findet man in § 1 Abs. 3 des Kündigungsschutzgesetzes.

Muss der Arbeitgeber bei jeder ordentlichen Kündigung die Sozialauswahl durchführen?

Die Sozialauswahl es grundsätzlich bei einer betriebsbedingten Kündigung durchzuführen, wenn das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet. Bei einer ordentlichen Kündigung im Kleinbetrieb oder in der Probezeit braucht der Arbeitgeber keinen Kündigungsgrund, es sei denn, dass Sonderkündigungsschutz greift. Auch bei Anwendbarkeit des KSchG braucht der Arbeitgeber aber keine Sozialauswahl durchzuführen, wenn z.B. der Betrieb insgesamt geschlossen wird und allen Arbeitnehmern das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt gekündigt wird.

Wie ist die Sozialauswahl durchzuführen?

Bei der Durchführung der Sozialauswahl muss der Arbeitgeber vergleichbare Arbeitnehmer in eine Gruppe zusammenfassen und dann die entsprechende Entscheidung treffen-nach bestimmten Auswahlkriterien-welcher Arbeitnehmer die Kündigung erhalten soll.

Welche Ebenen gibt es bei der Sozialauswahl?

Bei der Sozialauswahl gibt es die horizontale Ebene, die vertikale Ebene und die räumliche Ebene.

Die horizontale Ebene bedeutet, dass Arbeitnehmer dann vergleichbar sind, wenn sie eine vergleichbare Berufsausbildung haben bzw. vergleichbare Tätigkeiten ausführen. Voraussetzung ist, dass die Arbeitnehmer durch das Direktionsrecht des Arbeitgebers an den jeweiligen anderen Arbeitsplatz umgesetzt werden können.

Was bedeutet Vertikalebene?

Vertikal sind Arbeitnehmer dann vergleichbar, wenn sie sich auf der gleichen Hierarchieebene befinden.

Was bedeutet räumliche Ebene?

Die räumliche Ebene bedeutet, dass Arbeitnehmer dann im Rahmen der Sozialauswahl vergleichbar sind, wenn sie im gleichen Betrieb beschäftigt sind. Eine räumliche Vergleichbarkeit liegt auch dann vor, wenn nach dem Arbeitsvertrag der Arbeitnehmer in einen anderen Betrieb des Unternehmens hätte versetzt werden können.

Was passiert, wenn die Arbeitnehmer nun vergleichbar sind?

Sofern der Arbeitgeber die Gruppe der vergleichbaren Arbeitnehmer gebildet hat, muss er eine entsprechende Auswahl treffen und dabei den am wenigsten schutzbedürftigen Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis kündigen.

Nach welchen Auswahlkriterien bestimmt sich die Schutzbedürftigkeit?

Die Schutzbedürftigkeit bestimmt sich gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 des Kündigungsschutzgesetzes nach folgenden Kriterien:

  • Dauer der Betriebszugehörigkeit
  • Lebensalter
  • Unterhaltspflicht
  • Schwerbehinderung

Was ist bei Arbeitnehmern, die rentennah sind?

Das Bundesarbeitsgericht hatte nun sich damit zu beschäftigen, ob im Rahmen der Sozialauswahl auch zulasten eines Arbeitnehmers berücksichtigt werden darf, dass dieser faktisch das Renteneintrittsalter bald erreicht. Das Bundesarbeitsgericht hat dies bejaht.

Was hat das Bundesarbeitsgericht im Bezug auf Berücksichtigung des Rentenalters bei der sozialen Auswahl entschieden?

Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 8.12.2022 – 6 AZR 31/22) hat entschieden, dass bei der betriebsbedingten Kündigung der Arbeitgeber grundsätzlich die Sozialauswahl anhand der Kriterien nach § eins Abs. 3 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz (bzw. hier nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nummer 2 der Insolvenzordnung) zu treffen hat. Bei der Gewichtung des Lebensalters kann der Arbeitgeber grundsätzlich auch zulasten des Arbeitnehmers berücksichtigen, wenn dieser bereits eine vorgezogene Rente wegen Alters abschlagsfrei bezieht. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer „rentennah“ ist, also eine solche abschlagsfreie Rente spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem im Aussicht genommenen Endes Arbeitsverhältnis beziehen kann. Dies gilt nicht für schwerbehinderte Menschen.

Was hat das BAG in seiner Pressemitteilung dazu ausgeführt?

Das Bundesarbeitsgericht hat dazu in seiner Pressemitteilung vom 8.12.2022, Nr. 46/22 ausgeführt:

Der Senat befand die erste Kündigung vom 27. März 2020 wie die Vorinstanzen im Ergebnis für unwirksam. Allerdings durften die Betriebsparteien die Rentennähe der Klägerin bei der Sozialauswahl bezogen auf das Kriterium „Lebensalter“ berücksichtigen. Sinn und Zweck der sozialen Auswahl ist es, unter Berücksichtigung der im Gesetz genannten Auswahlkriterien gegenüber demjenigen Arbeitnehmer eine Kündigung zu erklären, der sozial am wenigsten schutzbedürftig ist. Das Auswahlkriterium „Lebensalter“ ist dabei ambivalent. Zwar nimmt die soziale Schutzbedürftigkeit zunächst mit steigendem Lebensalter zu, weil lebensältere Arbeitnehmer nach wie vor typischerweise schlechtere Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Sie fällt aber wieder ab, wenn der Arbeitnehmer entweder spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses über ein Ersatzeinkommen in Form einer abschlags-freien Rente wegen Alters – mit Ausnahme der Altersrente für schwerbehinderte Menschen (§§ 37, 236a SGB VI) – verfügen kann oder über ein solches bereits verfügt, weil er eine abschlagsfreie Rente wegen Alters bezieht. Diese Umstände können der Arbeitgeber bzw. die Betriebsparteien bei dem Auswahlkriterium „Lebensalter“ zum Nachteil des Arbeitnehmers berücksichtigen. Insoweit billigen ihnen § 1 Abs. 3 KSchG, § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO einen Wertungsspielraum zu. Die streitbefangene Kündigung vom 27. März 2020 war im Ergebnis dennoch unwirksam, weil die Auswahl der Klägerin im vorliegenden Fall allein wegen ihrer Rentennähe unter Außerachtlassung der anderen Auswahlkriterien „Betriebszugehörigkeit“ und „Unterhaltspflichten“ erfolgte und deswegen grob fehlerhaft war. Im Hinblick auf die vorsorgliche Kündigung vom 29. Juni 2020 hatte die Revision des beklagten Insolvenzverwalters demgegenüber Erfolg. Diese Kündigung ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Ablauf des 30. September 2020 aufgelöst.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. Dezember 2022 – 6 AZR 31/22

Anmerkung: Aus Arbeitnehmersicht ist diese Entscheidung schlecht. Ist man bisher davon ausgegangen ist, dass bei der Sozialauswahl es für den Arbeitnehmer umso besser ist, je älter ist, muss man davon nun Abstand nehmen. Ab einem bestimmten Lebensalter kann dieses bei Rentennähe bei der Sozialauswahl negativ berücksichtigt werden. Dies ist deshalb erstaunlich, da auf der anderen Seite gerade ältere Arbeitnehmer erheblich mehr Probleme haben einen neuen, vergleichbaren Job zu erhalten als junge Arbeitnehmer.


Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht