Sittenwidrigkeit
Arbeitgeber muss bei Unterbezahlung dem Jobcenter Aufstockungsleistungen für Arbeitnehmer ersetzen
Das Arbeitsgericht Eberswalde (Urteil vom 10.9.2013- 2 Ca 428/13) entschied, dass ein Arbeitgeber, der einen sittenwidrig niedrigen Lohn an seinen Arbeitnehmer zahlte, dem Jobcenter für den Arbeitnehmer aufgewandte Aufstockungsleistungen nach dem SGB II erstatten muss.
Ein Arbeitgeber zahlte seinen Arbeitnehmer Stundenlöhne zwischen 1,59 EUR und 3,46 EUR gezahlt. Das Arbeitsgericht kam zum Ergebnis, dass hier Lohnwucher vorgelegen hat und von daher die Lohnabrede sittenwidrig sei. Bei üblicher Bezahlung hätte der Arbeitnehmer keine Leistungen nach dem ALG II – neben seinem Job – bekommen. Von daher verlangte das Jobcenter diese Leistungen vom Arbeitgeber zurück und das Arbeitsgericht Eberswalde gab dem Jobcenter Recht.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Die Entscheidung ist interessant, da der Lohnwucher in der Praxis nicht selten vorkommt, aber häufig nicht einfach nachweisbar ist. Insbesondere dann, wenn es wenige oder gar keine Tarifverträge in der Region / Branche gibt, an die man sich orientieren kann. Interessant wird es aber vor allem, wenn der allgemeine Mindestlohn 2015 in Deutschland bundesweit kommt, dann wäre jede Unterbezahlung beim gleichzeitigen Bezug von ALG II problematisch und Erstattungsansprüche des Jobcenters
RA A. Martin
BAG: Probezeitkündigung – keine Überprüfung nach Unionsrecht/ Art. 30 GRC
Die „Kündigung in der Probezeit des Arbeitgebers“ ist ein häufig diskutiertes Problem und für viele Arbeitnehmer besonders misslich, da bei einer Kündigung innerhalb der ersten 6 Monate des Arbeitsverhältnisses das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet. Nur am Rande sei erwähnt, dass dies unabhängig von einer vereinbarten Probezeit gilt.
Überprüfung der Probzeitkündigung durch die Arbeitsgerichte
Die Arbeitsgerichte überprüfen eine Kündigung in der Probezeit -also außerhalb des allgemeinen Kündigungsschutzes nach dem Kündigungsschutzgesetz – allein auf Willkürlichkeit, d.h. ob die Kündigung des Arbeitgebers sittenwidrig (§ 138 BGB) oder treuwidrig (§ 242 BGB) ist. Sofern ein nur irgendwie einleuchtender Grund Grund für die Kündigung vorliegt, ist die Kündigung rechtmäßig. Arbeitnehmern fällt es in der Praxis schwer nachzuweisen, dass die Kündigung in Wirklichkeit auf unsachlichen/willkürlichen Motiven beruht.
Verstoß der Kündigung in der Probezeit gegen Art. 30 Grundrechtscharter der EU
Arbeitnehmer, die sich verbissen gegen eine Probezeitkündigung wehren, lassen schon mal die Fantasie schweifen und so kommt hier § 30 der Grundrechtscharkter der Europäischen Union ins Spiel.
Art. 30 GRC lautet:
Schutz bei ungerechtfertigter Entlassung
Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatli- chen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten Anspruch auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung.
Aus diesem – recht allgemein gehaltenen Recht – wollte ein Arbeitnehmer einen Schutz vor einer Probezeitkündigung herleiten.
die Entscheidung des BAG
Das BAG (BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 8.12.2011, 6 AZN 1371/11) musste nun entscheiden, ob ein Revisionsgrund nicht allein darin liegt, dass das Landesarbeitsgericht nicht dem EuGH die Frage vorgelegt hat, ob die Kündigung während der Probezeit in Deutschland nicht gegen Art. 30 GRC verstößt. Der Arbeitnehmer erlitt einen Arbeitsunfall, an dem wohl dem Arbeitgeber ein (gewisses) Verschulden trifft. Danach kündigte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis in der Probezeit (vor dem Eintritt des allgemeinen Kündigungsschutzes nach dem Kündigungsschutzgesetz). Gegen die Kündigung erhob der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht entschieden, dass die Kündigung rechtmäßig sei, da kein Verstoß gegen § 138 BGB und § 242 BGB vorliege. Der Arbeitnehmer sah aber einen Verstoß gegen Unionsrecht, da aufgrund der in Deutschland hohen Voraussetzungen für die Unwirksamkeit einer solchen Kündigung die Arbeitnehmer nicht ausreichend geschützt seien und doch das Unionsrecht (Art. 30 GRC) gerade einen solchen Schutz vor „Entlassungen“ gewährleisten solle. Der Arbeitnehmer erhob Nichtzulassungsbeschwerde zum BAG. Das Bundesarbeitsgericht wies die Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet ab.
Begründung des Bundesarbeitsgericht
Das BAG führt dazu aus:
bb) Soweit der Kläger unter Hinweis auf Art. 30 GRC rügt, das Landesarbeitsgericht hätte die Sittenwidrigkeit bzw. Treuwidrigkeit der Kündigung nicht ohne vorherige Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV verneinen dürfen, verkennt er, dass die Fragen der Sittenwidrigkeit im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB und der Treuwidrigkeit im Sinne von § 242 BGB nicht den für ein Vorabentscheidungsersuchen erforderlichen Bezug zu einem durch Unionsrecht geregelten Sachverhalt aufweisen.
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(1) Nur wenn ein konkreter Anhaltspunkt dafür vorliegt, dass der Gegenstand des Rechtsstreits eine Anknüpfung an das Unionsrecht aufweist, kommt ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV in Betracht (vgl. EuGH 18. Dezember 1997 – C-309/96 – [Annibaldi] Slg. 1997, I – 7493). Unterfällt ein Sachverhalt nicht dem Unionsrecht und geht es auch nicht um die Anwendung nationaler Regelungen, mit denen Unionsrecht durchgeführt wird, ist der Gerichtshof der Europäischen Union nicht zuständig (EuGH 1. März 2011 – C-457/09 -). Die Zuständigkeit des Gerichtshofs beschränkt sich auf die Prüfung der Bestimmungen des Unionsrechts (EuGH 12. November 2010 – C-339/10 – [Asparuhov Estov ua.]).
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(2) Entgegen der Auffassung des Klägers weist der Kündigungssachverhalt keinen Bezug zum Unionsrecht auf. Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis nicht im Rahmen einer Massenentlassung oder eines Betriebsübergangs gekündigt, so dass eine Anknüpfung an die Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen oder an die Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen von vornherein ausscheidet. Anknüpfungspunkte an das Unionsrecht liegen auch nicht bezüglich der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit, der Richtlinie 89/654/EWG des Rates vom 30. November 1989 über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz in Arbeitsstätten (Erste Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) oder der Richtlinie 95/63/EG des Rates vom 5. Dezember 1995 zur Änderung der Richtlinie 89/655/EWG über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Benutzung von Arbeitsmitteln durch Arbeitnehmer bei der Arbeit (Zweite Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) vor. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der von der Beklagten erklärten Wartezeitkündigung und nicht über die Auslegung von unionsrechtlichen Bestimmungen, die die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer schützen.
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(3) Die Grundrechte des Grundgesetzes bilden eine objektive Werteordnung, aus der sich Schutz- und Handlungsaufträge des Staates ergeben können, deren Erfüllung eine inhaltliche Anreicherung unbestimmter Begriffe des einfachen Rechts durch die Rechtsprechung erfordern kann, wie etwa bei der Gewinnung von Kündigungsschutz aus § 242 BGB für nicht vom Kündigungsschutzgesetz erfasste Arbeitnehmer (vgl. BVerfG 21. Juni 2006 – 1 BvR 1659/04 – NZA 2006, 913; 27. Januar 1998 – 1 BvL 15/87 – BVerfGE 97, 169; ErfK/Wißmann 12. Aufl. Vorbemerkung zum AEUV Rn. 6). Ein Arbeitnehmer ist nach nationalem Recht auch während der gesetzlichen Wartezeit des § 1 KSchG vor einer sitten- oder treuwidrigen Ausübung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers geschützt. In dieser Zeit ist das Vertrauen des Arbeitnehmers in den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses allerdings dadurch beschränkt, dass er mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses ohne den Nachweis von Gründen rechnen muss (vgl. BAG 22. April 2010 – 6 AZR 828/08 – Rn. 41, EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 1 Wartezeit Nr. 3). In der Wartezeit erfolgt grundsätzlich nur eine Missbrauchskontrolle (BVerfG 21. Juni 2006 – 1 BvR 1659/04 – Rn. 17 f., BVerfGK 8, 244). Auch unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben verstößt eine Kündigung in der Wartezeit deshalb nur dann gegen § 242 BGB, wenn sie Treu und Glauben aus Gründen verletzt, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind. Eine solche Kündigung ist nicht willkürlich, wenn für sie ein irgendwie einleuchtender Grund besteht (vgl. zu den diesbezüglich zu beachtenden Grundsätzen im Einzelnen BAG 24. Januar 2008 – 6 AZR 96/07 – Rn. 27 f., EzA BGB 2002 § 242 Kündigung Nr. 7).
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(4) Im Vergleich zu den Grundrechten des Grundgesetzes fehlt der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12. Dezember 2007 (GRC) ein solcher umfassender und damit auch tendenziell expansiver Charakter (ErfK/Wißmann 12. Aufl. Vorbemerkung zum AEUV Rn. 6). Die Charta gilt nach ihrem Art. 51 Abs. 1 „für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“ (EuGH 12. November 2010 – C-339/10 – [Asparuhov Estov ua.]). Nach Art. 6 Abs. 1 EUV, der ihr verbindlichen Charakter verleiht, und nach der Erklärung der GRC im Anhang zur Schlussakte der Regierungskonferenz, die den Vertrag von Lissabon angenommen hat, begründet die GRC keine neuen Zuständigkeiten für die Union und ändert deren Zuständigkeiten nicht (EuGH 12. November 2010 – C-339/10 – [Asparuhov Estov ua.]). Art. 51 Abs. 2 GRC, wonach die GRC den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die Zuständigkeiten der Union hinaus ausdehnt und weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Union begründet noch die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben ändert, stellt dies nochmals klar. Art. 30 GRC, wonach jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten Anspruch auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung hat, ändert somit nichts daran, dass nach dem gegenwärtigen Stand des Unionsrechts die §§ 138, 242 BGB keine Durchführung einer europäischen Richtlinie darstellen (vgl. Willemsen/Sagan NZA 2011, 258, 259) und auch keine sonstigen Anknüpfungspunkte an das Unionsrecht aufweisen.
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cc) Mit der Rüge, es sei nicht nachvollziehbar, dass das Landesarbeitsgericht die Negierung von Arbeitsschutzvorschriften durch die Beklagte nur als einfache Fahrlässigkeit qualifiziert habe, macht der Kläger eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das Landesarbeitsgericht geltend. Eine solche eröffnet nicht die Revision. Möglichen Rechtsanwendungsfehlern eines Berufungsgerichts kann vom Bundesarbeitsgericht als Revisionsgericht nur im Rahmen einer zulässigen Revision nachgegangen werden.
Der Entscheidung des BAG ist zuzustimmen. Der Arbeitnehmer, welcher in der Probezeit gekündigt wird, ist auch in Deutschland nicht rechtlos gestellt, auch wenn die Hürden einen faktischen Schutz vor einer Kündigung des Arbeitgebers zu erzielen recht groß sind. Anders wäre der Fall wohl, wenn der Arbeitgeber den Arbeitsunfall vorsätzlich herbeigeführt hätte. Dies hängt aber nicht mit Unionsrecht zusammen, sondern ergäbe sich aus der Tatsache, dass die Kündigung dann – nach der Rechtsprechung des BAG – missbräuchlich gewesen wäre.
Rechtsanwalt Arbeitsrecht Berlin- A. Martin
die sittenwidrige Kündigung des Arbeitgebers- Beispiele
die sittenwidrige Arbeitgeberkündigung- Beispiele
Man hört immer wieder, dass Arbeitnehmer meinen, dass ihre Kündigung sittenwidrig sein oder gegen Treu und Glauben verstößt. In der Praxis kommt die so genannte Sittenwidrigkeit einer Kündigung (§ 138 BGB) oder der Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) recht selten vor.
Folgende Beispiel soll verdeutlichen, dass die o.g. Fälle einer sittenwidrigen Kündigung nicht häufig vorkommen:
- Arbeitnehmer wehrt sich gegen Abmahnung und wird deshalb gekündigt
- Kündigung wegen aktiver Gewerkschaftstätigkeit im Betrieb
- Kündigung wegen Homosexualität
- Kündigung eines langwierig (gesunden) Beschäftigten wegen Krankheit
- Kündigung zur Vereitelung des Eintritts des Kündigungsschutzes (kurz vor Ablauf der Wartezeit)
- Kündigung eines Arbeitnehmers wegen des Verdachts einer Straftat ohne vorherige Anhörung
Man darf die vorgenannten Beispiel allerdings nicht missverstehen und überbewerten. Es kommt immer auf den Einzelfall an. Denn zum Beispiel beim vorletzten Fall ist es so, dass der Arbeitgeber grundsätzlich die Probezeit bis zum letzten Tag ausschöpfen kann. Wenn allerdings die Kündigung nur deshalb erfolgt, um zu verhindern, dass der Kündigungsschutz nach der sechsmonatigen Wartezeit eintritt, dann kann die Kündigung sittenwidrig sein. Für den Arbeitnehmer ist dies allerdings schwer nachzuweisen.
Wichtig ist, dass selbst dem Arbeitnehmer eine sittenwidrige Kündigung wenig nützt,wenn er die Kündigung auf sich beruhen lässt und sich nicht gegen die Kündigung wehrt. Die Kündigung wird nicht automatisch unwirksam bzw. nichtig, wenn diese sittenwidrig ist. Der Arbeitnehmer muss auf jeden Fall gegen die Kündigung vorgehen und Kündigungsschutzklage erheben. Das Arbeitsgericht beschäftigt sich dann mit dem Fall und wird überprüfen, ob die Kündigung wirksam oder unwirksam ist.
Anwalt Martin – Arbeitsrecht Berlin
Urteil: ArbG Leipzig – € 6,00 Stundenlohn für Fachverkäuferin sittenwidrig!
Urteil: ArbG Leipzig – € 6,00 Stundenlohn für Fachverkäuferin sittenwidrig!
Das Bundesarbeitsgericht hatte sich schon mehrfach damit beschäftigt, wann ein Arbeitslohn sittenwidrig ist. In der Regel wird auf den üblichen Lohn (z.B. aus Tarifverträgen) abgestellt. Bei einer Unterschreitung von mehr als 1/3 des branchenüblichen Arbeitslohnes geht das BAG von einer Sittenwidrigkeit aus.
Das Arbeitsgericht Leipzig (ArbG Leipzig, Urteil v. 11.03.2010, 2 Ca 2788/09) hatte nun über einen Fall einer Fachverkäuferin zu entscheiden, die € 6,00 brutto pro Stunde als Arbeitslohn bekommen hatte. Die Verkäuferin war in einem Wäschemarkt bei 30 Stunden Arbeit pro Woche zu einem Monatsbruttolohn in Höhe von € 780,00 beschäftigt. Der Tariflohn betrugt € 12,34 pro Stunde. Die Verkäuferin klagte auf € 8,50 brutto Stundenlohn, was ungefähr einem Tariflohn von 2/3 entspricht und bekam vor dem Arbeitsgericht Leipzig recht.
Das Arbeitsgericht sah hier ein erhebliches Mißverhältnis zwischen Leistung und Entlohnung und hielt den vereinbarten Arbeitslohn für sittenwidrig.
siehe dazu auch: „Ist Ihr Arbeitslohn schon sittenwidrig?“
Wann ist ein Aufhebungsvertrag sittenwidrig?
Wann ist ein Aufhebungsvertrag sittenwidrig?

Unter einem arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrag versteht das Bundesarbeitsgericht eine Vereinbarung über das vorzeitige Ausscheiden eines Arbeitnehmers aus einem Dauerarbeitsverhältnis .
Grundsätzlich können Arbeitnehmer und Arbeitgeber Aufhebungsverträge schließen und in diesen Verträgen diverse Vereinbarungen treffen. Diese Vereinbarungen können auch für eine Seite stark nachteilig sein ohne das dadurch der Vertrag sittenwidrig und damit nichtig ist. Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, dass die Vertragsfreiheit einen hohen Rang in unserem Rechtssystem hat. Trotzdem gibt es Fälle, in denen Aufhebungsverträge sittenwidrig und damit nichtig sind.
Sittenwidrigkeit des Aufhebungsvertrages
Die Rechtsprechung nimmt eine Sittenwidrigkeit eines Aufhebungsvertrages dann an, wenn z.B. ein auffälliges Mißverhältnis des beiderseitigen Nachgebens besteht, das auf eine verwerfliche Gesinnung des Arbeitgebers schließen lässt (BAG vom 11.09.1984 – 3 AZR 184/82, AP Nr. 37 zu § 138 BGB).
Wichtig ist, dass allgemein der „Normalbürger“ häufig von einer Sittenwidrigkeit bei nachteiligen Rechtsgeschäften ausgeht, dass aber tatsächlich in der Praxis die Sittenwidrigkeit sehr selten vorkommt.
Beispiele für die Sittenwidrigkeit:
- Arbeitnehmer erkennt strafbare Handlung an und verpflichtet sich zum Schadenersatz in Höhe einer bestimmten Summe, obwohl dies so nicht nachweisbar ist
- Verzicht des Arbeitnehmers auf einen Großteil der Abfindung ohne ersichtlichen Grund
- Arbeitnehmer verzichtet auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage im Abwicklungsvertrag ohne erkennbare Gegenleistung
- Ausnutzung einer Notlage des Arbeitgebers beim Aufhebungsvertrag
Zu beachten ist aber, dass häufiger in der Praxis die Fälle der Anfechtung des Aufhebungsvertrags vorliegen. Eine Anfechtung ist zum Beispiel dann möglich, wenn der Arbeitgeber
- den Arbeitnehmer durch Täuschung oder Drohung zum Abschluss des Aufhebungsvertrags gebracht hat.
Dabei ist zu beachten, dass der Arbeitnehmer aber die arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung nachweisen muss. Dies ist nicht immer einfach.
Hinweispflichten des Arbeitgebers?
Den Arbeitgeber können bei einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit den Arbeitnehmer Hinweis- und Aufklärungspflichten treffen. Diese können sich nach Treu und Glauben ergeben und beruhen auf den besonderen Umständen des Einzelfalles und sind das Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung.
Eigeninteresse des Arbeitgebers an Auflösung
Gesteigerte Hinweispflichten des Arbeitgebers können dann vorliegen, wenn der Aufhebungsvertrag auf die Initiative des Arbeitgebers hin und in seinem Interesse zustande kommt.
Rechtsanwalt Andreas Martin
Sehen Sie auch: Aufhebungsvertrag Sperre vermeiden
Ist Ihr Arbeitslohn schon sittenwidrig (Lohnwucher)?
Ist Ihr Arbeitslohn schon sittenwidrig (Lohnwucher)?
Diese Frage stellt sich so mancher Arbeitnehmer. Das Bundesarbeitsgericht ( BAG PM Nr.38 vom 22.04.2009) musste sich mit diesem Thema nun erneute auseinandersetzen und hat Stellung bezogen und wie folgt entschieden:
„Ein unzulässiger Lohnwucher im Sinn von § 138 Abs.2 BGB liegt vor, wenn der Arbeitslohn (hier: 3,25 Euro pro Stunde) den in der entsprechenden Branche und Region üblichen Tariflohn um mehr als ein Drittel unterschreitet.“
Faktisch heisst dies, dass man einen Vergleich zwischen dem branchenüblichen Lohn mit dem erhaltenen Lohn anstellen muss.
Auch wenn so manchen Arbeitnehmer beim Blick in die Lohntüte die Augen tränen, muss nicht immer der Lohnwucher des Arbeitgebers dahinterstecken.
Wenn aber eine Unterschreitung um 1/3 vorliegt,dann hat dies zur Folge, dass die Vergütungseinbarung im Arbeitsvertrag wegen des Verstoßes gegen eine gesetzliches Verbot unwirksam ist und der Arbeitnehmer den ortüblichen Lohn verlangen kann.
Dabei wird man sich an die ortsüblichen Tarifverträge orientieren. Findet man keinen passenden Tarifvertrag kann das Arbeitsgericht auch nach billigen Ermessen (§ 315, § 316 BGB) die prtsübliche Vergütung bestimmen.
Man darf den obigen Fall nicht verwechseln mit Fällen in denen ein zwingende Tariflohn vorgeschrieben ist (z.B. im Bau). Hier wird – egal was im Arbeitsvertrag steht – der Tariflohn geschuldet. Im obigen Fall gab es einen solchen Tarifvertrag nicht (was leider der Normalfall ist).
Update 2021
Die Frage eines sittenwidrigen Lohnes ist mittlerweile etwas entschärft durch das Mindestlohngesetz. Allerdings ist es immer noch denkbar, dass ein Lohn sittenwidrig ist, dieser müsste aber dann über den Mindestlohn liegen. Alles was darunter liegt, verstößt gegen das Mindestlohngesetz.
Es sind Fälle denkbar, wo jemand eine hohe Spezialisierung hat und weitaus weniger bekommen, als im Durchschnitt der vergleichbaren Arbeitnehmer der Branche in seiner Umgebung. Solche Fälle dürften aber nicht so häufig mehr vorkommen.
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