LAG München
Corona-Test verweigert – muss der Arbeitgeber trotzdem Lohn zahlen?

Die Corona-Infektionszahlen mit SARS-CoV in Deutschland sind wieder spürbar angestiegenen auch wenn die Impfquote der Bevölkerung sowie die Zahl der durchgeführten Boosterimpfungen stetig steigen. Auch hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass selbst 2 Impfungen wegen vor einer Corona-Infektion, noch für der Übertragung des Corona-Viruses schützen. Allerdings sollen die Impfungen zumindest vor schwere Verläufe schützen. Dies alles hat auch Einfluss auf das deutsche Arbeitsrecht und den Arbeitsschutz am Arbeitsplatz.
Bundesinfektionsschutzgesetz und Corona-Test am Arbeitsplatz
Eine zentrale Regelung ist das bundesweit geltende Infektionsschutzgesetz, die bisherigen grundlegenden Regeln zum betrieblichen Infektionsschutz bestehen bis einschließlich 19. März 2022 unverändert fort. Darüber hinaus enthält § 28b des Infektionsschutzgesetzes nund noch weitere Verschärfungen, was Corona-Test am Arbeitsplatz und den Zutritt zum Arbeitsplatz für ungeimpfte Personen betrifft, die ebenfalls befristet bis einschließlich 19. März 2022 gelten.
Was bedeutet die 3G-Regel am Arbeitsplatz?
Mitarbeiter, die Kontakt zu anderen Personen haben, dürfen den Arbeitsplatz nur betreten, wenn sie geimpft, genesen oder positiv getestet wurden. Der Arbeitgeber muss dazu den Nachweis dafür prüfen und dokumentieren. Auch hierfür besteht eine tägliche Nachweispflicht. Arbeitgeber und Beschäftigte müssen beim Betreten der Arbeitsstätte eine Impf- und Genesenennachweis oder eine aktuelle Bescheinigung über einen negativen Coronatest mitführen.
Was ist die gesetzliche Grundlage für die betriebliche 3G-Regel am Arbeitsplatz?
§ 28b des Infektionsschutzgesetzes , welcher befristet bis einschließlich 19. März 2022 gilt, regelt die betriebliche 3-G-Pflicht.
Was ist in § 28 b Infektionsschutzgesetz geregelt?
§ 28b IfSG ist geregelt:
(1) Arbeitgeber und Beschäftigte dürfen Arbeitsstätten, in denen physische Kontakte von Arbeitgebern und Beschäftigten untereinander oder zu Dritten nicht ausgeschlossen werden können, nur betreten und Arbeitgeber dürfen Transporte von mehreren Beschäftigten zur Arbeitsstätte oder von der Arbeitsstätte nur durchführen, wenn sie geimpfte Personen, genesene Personen oder getestete Personen im Sinne des § 2 Nummer 2, Nummer 4 oder Nummer 6 der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung in der jeweils geltenden Fassung sind und einen Impfnachweis, einen Genesenennachweis oder einen Testnachweis im Sinne des § 2 Nummer 3, Nummer 5 oder Nummer 7 der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung in der jeweils geltenden Fassung mit sich führen, zur Kontrolle verfügbar halten oder bei dem Arbeitgeber hinterlegt haben. Sofern die dem Testnachweis zugrunde liegende Testung mittels Nukleinsäurenachweis (PCR, PoC-PCR oder weitere Methoden der Nukleinsäureamplifikationstechnik) erfolgt ist, darf diese abweichend von § 2 Nummer 7 der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung in der jeweils geltenden Fassung maximal 48 Stunden zurückliegen. Abweichend von Satz 1 ist Arbeitgebern und Beschäftigten ein Betreten der Arbeitsstätte erlaubt, um1.
unmittelbar vor der Arbeitsaufnahme ein Testangebot des Arbeitgebers zur Erlangung eines Nachweises im Sinne des § 4 Absatz 1 der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung vom 25. Juni 2021 (BAnz AT 28.06.2021 V1), die durch Artikel 1 der Verordnung vom 6. September 2021 (BAnz AT 09.09.2021 V1) geändert worden ist, wahrzunehmen oder2.
ein Impfangebot des Arbeitgebers wahrzunehmen.
Der Arbeitgeber hat seine Beschäftigten bei Bedarf in barrierefrei zugänglicher Form über die betrieblichen Zugangsregelungen zu informieren.
§ 28 b Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes
Für Gesundheits- und Pflegeberufe gelten sogar noch Verschärfungen, die man in Absatz der Regelung findet.
Kann der Arbeitgeber Corona-Tests vorschreiben?
In Deutschland können Tests nur durchgeführt werden, wenn dafür eine gesetzliche Grundlage besteht. Die Grundlage für die Testpflicht ist die obigen Regelung des Infektionsschutzgesetzes.
Nach der obigen Regelung dürfen ungeimpfte Personen, die nicht zu den genesen im Person gehören, die Arbeitsstätte nur mit einem gültigen PCR-Test betreten. Geregelt ist in der Vorschrift des § 28 B Abs. 1 des Infektionsschutzgesetz es aber nicht, dass der Arbeitgeber selbst den Test durchführen darf. Wenn der Arbeitnehmer einen ausreichenden Test hat, die aktuell ist, dann darf er damit den Betrieb grundsätzlich betreten und hat dann, wenn er seine Arbeitsleistung erbringt einen Anspruch auf Zahlung von Arbeitslohn. Von daher darf der Arbeitgeber selbst den Test nach dieser Vorschrift nicht durchführen lassen, sondern kann nur verlangen, dass der Arbeitnehmer einen ausreichenden Test vorliegt.
Verweigerter Corona-Test kann zum Entfall der Lohnfortzahlung führen
Wenn der Arbeitnehmer nun als ungeimpfte und nicht genese Person keinen entsprechenden Nachweis über den negativen PCR-Test hat, dann darf dieser seinen Arbeitsplatz nicht betreten. Der Arbeitgeber darf dem Arbeitnehmer im Betrieb keine Arbeit zuweisen, zumindest dann nicht, wenn Kontakt zu anderen Personen besteht. Faktisch kann der Arbeitgeber-in den meisten Fällen-den Arbeitnehmer nicht beschäftigen. Er wird in der Regel dann den Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung unbezahlt freistellen und der Arbeitnehmer hat dann keinen Anspruch auf Vergütung. Auch andere Anspruchsgrundlagen greifen hier nicht. Ein Anspruch auf Kurzarbeitergeld besteht mangels Kurzarbeit ebensowenig, wie eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, da der Arbeitnehmer nicht krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist. Denkbar wäre allenfalls eine Beschäftigung in Home-Office oder eine Freistellung unter Nutzung von Arbeitszeitkonten, was aber selten vorkommen dürfte.
Lohnzahlung und verweigerter PCR-Test
Vom Ergebnis führt dies dazu, dass der Arbeitnehmer nach Hause geschickt wird und auch keinen Anspruch auf Entschädigung hat. Es gilt der Grundsatz, ohne Arbeit kein Lohn. Der Arbeitnehmer muss, sofern er der Meinung ist, dass er in der Ausnahme von diesem Grundsatz einen Lohnanspruch hat dann nachweisen, dass die Voraussetzung dafür vorliegen. Ein Annahmeverzugslohnanspruch liegt aber nicht vor, da der Arbeitgeber den Arbeitnehmer keinen innerbetrieblichen Arbeitsplatz aufgrund der gesetzlichen Regelung anbieten darf. Kurz um, der Arbeitgeber darf den Arbeitnehmer in Kontakt zu anderen Arbeitnehmern bzw. Kunden nicht beschäftigen und von daher kann der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung, selbst verschuldet, nicht erbringen und hat in der Regel keinen Lohnanspruch.
Entscheidung des Landesarbeitsgericht München
Das Landesarbeitsgericht München (Urteil vom 26.10.2021, Az. 9 Sa 332/21) hat dazu bereits entschieden und dem Arbeitgeber Recht gegeben.
Es lag ein Fall vor, wonach nach einem Tarifvertrag eine Arbeitnehmerin (Orchestermusikerin) zur Durchführung eines PCR-Test verpflichtet war bzw. einen negativen Test für den Arbeitsantritt (Proben/ Auftritte) vorlegen musste.
Diese weigerte sich und wurde dann vom Arbeitgeber nicht beschäftigt. Sie klagte daraufhin auf Zahlung ihres Arbeitslohnes und Beschäftigung auch ohne Corona-Test und verlor sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch von dem Landesarbeitsgericht München.
Das Landesarbeitsgericht München entschied dazu, dass die Arbeitnehmerin keinen Anspruch auf Lohnzahlung und Beschäftigung ohne gültigen PCR-Test hat.
Das LAG München führt dazu in seiner Pressemitteilung vom 25.11.2021 aus:
Das Landesarbeitsgericht hat die klageabweisende Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt und ausgeführt, dass der Arbeitgeber aufgrund des Tarifvertrages berechtigt war, die Testung zu verlan- gen auch ohne dass konkrete Symptome für eine Erkrankung vorlagen. Bei einer Infektion mit dem Sars-Cov-2-Virus handele es sich um eine ansteckende Erkrankung i.S.d. Tarifnorm, die auch von symptomfreien Personen übertragen werde, und die bei einem erheblichen Anteil der Erkrankten, insbesondere bei Personen mit höherem Lebensalter, zum Tod, und bei einem erheblichen Anteil der Personen mit leichteren Verläufen zu Langzeitschäden führe. Der Schutz der Orchesterkollegen vor Ansteckung sei gerade bei der Tätigkeit als Flötistin anderweitig nicht möglich. Die Testpflicht sei ver- hältnismäßig. Der Nasen- und Rachenabstrich sei nicht zwingend gewesen. Der Arbeitgeber habe es vielmehr akzeptiert, dass die Arbeitnehmer einen PCR-Test bei einem Arzt ihres Vertrauens in Form eines reinen Rachenabstrichs durchführen. Hierin liege kein unzulässiger Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Ein Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen habe nicht vorgelegen
Der Arbeitgeber war deshalb nicht verpflichtet, die Klägerin ohne Vorlage eines Tests auf eine Infektion mit dem Sars-Cov-2-Virus zu beschäftigen und musste ihr aufgrund ihrer Weigerung auch keine Vergütung zahlen, solange sie aufgrund ihrer Weigerung ihrer Verpflichtung nicht nachkommen durfte, an Proben und Aufführungen teilzunehmen.
Pressemitteilung des LAG München Nr. 25.11.2021
Anmerkung zum Urteil:
Die Besonderheit des Urteils besteht darin, dass hier die Testpflicht sich nicht nach dem Infektionsschutzgesetz ergab, sondern aufgrund eines anwendbaren Tarifvertrags einen entsprechenden negativen Test als Voraussetzung für den Arbeitsantritt vorsieht. Dies ist in der Praxis recht selten. Allerdings hätte auch eine Entscheidung ohne diesen Tarifvertrag nach dem neuen Infektionsschutzgesetz nicht anders aussehen dürfen. Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung der Arbeitnehmerin bestand hier nicht.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht
Zahlung aus Vergleich wegen Entschädigung nach AGG und Berücksichtigung bei Prozesskostenhilfe
Der Arbeitnehmer machte mit der Klage Zahlungsansprüche auf Entschädigung wegen einer Diskriminierung nach dem AGG in Höhe von rund € 21.000 geltend (nach § 15 Abs. 1 und 2 AGG). Es ging um eine Bewerbung, bei der der Arbeitnehmer als Bewerber in diskriminierender Weise übergangen worden sein soll.
AGG-Entschädigung eines abgelehnten Bewerbers
Gleichzeitig beantragte er für das Verfahren Prozesskostehilfe, über die aber nicht gleich entschieden wurde.
Beantragung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für das Verfahren
Im Laufe des Verfahrens schlossen die Parteien einen vom Arbeitsgericht München protokollierten Vergleich nach dessen Ziff. 1 die beklagte Arbeitgeberin
„an den Kläger unter Aufrechterhaltung der wechselseitigen Rechtsstandpunkte zur Abgeltung der mit dem zu Nr. 1 angekündigten Klageantrag geltend gemachten Forderung einen Betrag in Höhe von 15.000,00 €“
zahle.
PKH-Bewilligung nach Abschluss des Vergleichs
Nach Abschluss des Vergleichs wollte der Arbeitnehmer nun die Bewilligung der PKH unter Beiordnung seines Rechtsanwalts. Diese wurde ihm gewährt.
In einem weiteren Verfahren vor dem Arbeitsgericht München machte der Klägerin wiederum eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend und schloss im Gütetermin einen Vergleich über € 3.500.
Festsetzung der Anwaltsvergütung
Die Vergütung des Anwalts des Klägers wurde antragsgemäß mit rund € 1.700 (als Prozesskostenhilfevergütung) festgesetzt.
Das Arbeitsgericht München kam zum Ergebnis, dass sich der Kläger/ Antragsteller auf jeden Fall einen Teil der Zahlung aus dem Vergleich als einsetzbares Vermögen anrechnen lassen müsste.
Bezirksrevision will Einsatz der Zahlungen für PKH
Nachdem das Verfahren gemäß Eingangsstempel am 26.01.2017 der Bezirksrevisorin am Landesarbeitsgericht München vorgelegt worden ist, hat diese am 30.01.2017 sofortige Beschwerde beim Arbeitsgericht München eingelegt. Die Entschädigungszahlungen in Höhe von insgesamt 18.500,00 € aus dem hiesigen und dem Verfahren zum Gz. 25 Ca 10418/16 habe der Kläger zur Deckung der Prozesskosten einzusetzen. Die geleisteten Entschädigungszahlungen seien im Anschluss an die Rechtsprechung des BGH (vgl. Beschluss vom 10.01.2006 –VI ZB 26/05 –NJW 2006,1068) nicht mit einem Schmerzensgeld vergleichbar. Die AGG-Entschädigung diene der Prävention, während beim Schmer-zensgeld vor allem die schadensausgleichende Funktion, nach der das Leben des Geschädigten dadurch im gewissen Umfang erleichtert werden solle, opferbezogene Merkmale wie auch die Verhältnisse des Schädigers im Vordergrund stünden.
Arbeitsgericht München stimmt zu
Durch Beschluss vom 28.03.2017 hat das Arbeitsgericht München der sofortigen Beschwerde der Staatskasse gegen die PKH-Festsetzung vom 27.01.2017 gegen den Beschluss vom 28.11.2016 (richtig: Beschluss vom 28.11.2016 in der Fassung des Abänderungsbeschlusses vom 12.12.2016) insofern abgeholfen, als der Kläger ein Vermögen von 5.400,00 € einzusetzen habe.
sofortige Beschwerde zum LAG München
Dagegen legte der Arbeitnehmer/ Antragsteller sofortige Beschwerde zum Landesarbeitsgericht München ein.
LAG München hilft der sofortigen Beschwerde des Klägers/ Anwalts nicht ab
Das LAG München (Beschluss vom 18.10.2017 – 3 Ta 170/17) halt der sofortigen Beschwerde des Arbeitnehmers nicht ab und führte dazu aus:
Zahlungsansprüche aus einem gerichtlichen Vergleich sind nur dann vom Vermögenseinsatz gem. § 115 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 90 Abs. 3 SGB XII ausgenommen, wenn der Rechtsgrund des § 15 Abs. 2 AGG im arbeitsgerichtlichen Vergleich zum Ausdruck gekommen und der Vergleich nicht lediglich zur Beseitigung der Ungewissheit über den Ausgang des Verfahrens abgeschlossen worden ist.
Es kann daher im entschiedenen Verfahren offen bleiben, ob im Hinblick auf den Präventationszweck der Entschädigungszahlung gem. § 15 Abs. 2 AGG der Einsatz desjenigen Teiles der Entschädigung zu verlangen ist, dem keine Ausgleichsfunktion zukommt.
Nach § 115 Abs. 3 ZPO hat die Partei ihr Vermögen einzusetzen, soweit dies zumutbar ist. Wann dies zumutbar ist, bestimmt sich nach § 90 SGB XII, der gemäß § 115 Abs. 3 Satz 2 ZPO entsprechend gilt. Mit der Regelung, dass der Einsatz oder die Verwertung eines Vermögens dann nicht gefordert werden darf, soweit dies fürden Antragsteller und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde,ermög-licht es § 90 Abs. 3 SGB XII, in besonders begünstigten Einzelfällen von dem Grundsatz des § 90 Abs. 1 und Abs. 2 SGB XII, wonach das sämtliche Vermögen bis auf das Schonvermögen zu verwerten ist, Ausnahmen zuzulassen(vgl. Fischer in Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl. 2016, § 115 Rn. 48). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stellt der Einsatz von Schmerzensgeld als Vermögen grundsätzlich eine Härte nach § 90 Abs. 3 SGB XII dar (vgl. aktuell BVerwG vom 26.05.2011 –5 B 26/11 –BeckRS 2011, 51679, Rn. 6), weil der Einsatz des Schmerzensgeldes im Rahmen der Prozesskostenhilfe seiner besonderen Zwecksetzung zuwiderliefe. Das Schmerzensgeld stünde den Betroffenen nicht mehr zu den Zwecken zur Verfügung, für die es bestimmt sei. Nach § 253 Abs. 2 BGB handele es sich bei dem Schmerzensgeld um eine Geldleistung für die Abdeckung eines immateriellen Schadens und diene vor allem dem Ausgleich erlittener oder andauernder Beeinträchtigungen der körperlichen und seelischen Integrität, insbesondere auch dem Ausgleich von Erschwernissen, Nachteilen und Leiden, die über den Schadensfall hinaus anhalten und die durch die materielle Schadensersatzleistung nicht abgedeckt seien. Das Schmerzensgeld trage zugleich dem Gedanken Rechnung, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan habe, Genugtuung schulde.
Der Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes entspreche es, dass das Leben des Geschädigten dadurch in gewissem Umfange erleichtert werden solle, was aber nur gewährleistet sei, wenn der Geschädigte das Schmerzensgeld zur freien Verfügung behalte und nicht für Prozesskosten oder seinen notwendigen Lebensunterhalt aufwenden müsse. Schmerzensgeld sei deshalb im Rahmen der Prozesskostenhilfe regelmäßig nicht als Vermögen einzusetzen (vgl. BVerwG vom 26.05.2011 –5 B 26/11 –a.a.O. m.w.N.). Weil seine Höhe von der Schwere der Schädigung und dem Gewicht des erlittenen Unrechts abhänge, sei es nicht gerechtfertigt, die freie Verfügbarkeit des zu deren Ausgleich und Genugtuung erhaltenen Schmerzensgeldes auch nur in Teilen einzuschränken (vgl. BVerwG vom 26.05.2011 –5 B 26/11 –Rz. 7). Das BSG hat für die Grundsicherung für Arbeitsuchende (§ 11 SGB II) Entschädigungszahlungen wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Schmerzensgeld eingestuft und von der Berücksichtigung als Einkommen ausgenommen (vgl. Urteil vom 22.08.2012 –B 14 AS 164/11 R –BeckRS 2012, 75932). Zwar ergebe sich dies nicht aus der aktuellen zivilrechtlichen Systematik, weil sich der Gesetzgeber bewusst dagegen entschieden habe, § 253 Abs. 2 BGB bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts analog anzuwenden und die umfassende Prüfung mit Güter-und Interessabwägung aufrechterhalten habe. Der Gesetzgeber habe aber für das SGB II vor dem Hintergrund der Historie des Sozialhilferechts keine Veränderung zur Rechtslage angestrebt. Dies setze allerdings voraus, dass eine Entschädigungszahlung nach § 15 Abs. 2 AGG auch tatbestandlich vorliege, d.h. dass die Voraussetzung eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot positiv festgestellt worden sei (vgl. BSG, Urteil vom 22.08.2012 –B 14 AS 164/11 R –Rn. 16, 18 und 20 m.w.N.). Werde in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich die Zahlung eines Geldbetrages vereinbart, so könne dies nur dann als eine nach §11 SGB II von der Berücksichtigung als Einkommen freizustellende Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG gewertet werden, wenn dieser Rechtsgrund im arbeitsgerichtlichen Vergleich zum Ausdruck gekommen sei und der Vergleich nicht lediglich zur Beseitigung der Ungewissheit über den Ausgang des Verfahrens abgeschlossen worden sei. Fürden Fall, dass sich den maßgebenden Vergleichen nicht entnehmen ließe, dass sie im Hinblick auf die Regelung des § 15 Abs. 2 AGG geschlossen worden seien, seien die Zahlungen an den Antragsteller ab dem jeweiligen Zuflussmonat als Einkommen zu berücksichtigen und auf einen angemessenen Zeitraum zu verteilen, wie dies bereits im Hinblick auf die in
einem arbeitsgerichtlichen Vergleich vereinbarte Abfindung wegen des Verlustes des Ar-beitsplatzes bzw. in Bezug auf Nachzahlungen von Arbeitsentgelt und Abfindung in Raten aus einem arbeitsgerichtlichen Vergleich entschieden worden sei (vgl. BSG, Urteil vom 22.08.2012 –B 14 AS 164/11 R –Rn. 20 und 21).
Rechtsanwalt Andreas Martin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Berlin Marzahn- Hellersdorf
LAG München: Anzeige der Schwangerschaft beim Betriebsrat auch gegen den willen der Arbeitnehmerin möglich!
Das Landesarbeitsgericht München hat entschieden, dass der Arbeitgeber berechtigt und sogar verpflichtet ist die Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin auch gegen deren Willen gegenüber dem Betriebsrat anzuzeigen.
Das LAG München (Beschluss vom 27.09.2017 – 11 TaBV 36/17) begründete dies wie folgt:
Zu Recht hat das Arbeitsgericht einen Informationsanspruch im Hinblick auf die namentliche Benennung von schwangeren Mitarbeitern aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. mit Abs. 2 Satz 1 BetrVG angenommen. Insbesondere zur Überwachung der Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften, wie etwa des Mutterschutzgesetzes und der in diesem Zusammenhang ergangenen Verordnungen,besteht die Informationspflicht, auch im Zusammenhang mit den Aufgaben nach § 89 BetrVG.Denn nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG hat der Arbeitgeber den Betriebsrat zur Durchführung seiner Aufgaben rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und nach Satz 2 Hs. 1 auf Verlangen die zur Durchführung der Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Dabei geht mit dieser Verpflichtung eine entsprechender Anspruch des Betriebsrats einher, soweit die begehrte Information zur Aufgabenwahrnehmung erforderlich ist (vgl. BAG Beschluss v. 07.02.2012 –1 ABR 46/10; Beschluss v. 15.03.2011 –1 ABR 112/09).DieseÜberwachungsaufgabe nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG dahingehend, dass die zu Gunsten der Arbeitnehmergeltenden Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden, ist weder von einer zu besorgenden Rechtsverletzung des Arbeitgebers beim Normvollzug noch vom Vorliegen besonderer Mitwirkungs- oder Mitbestimmungsrechte abhängig (vgl. BAG Beschluss v. 24.01.2006 –1 ABR 60/04). Maßgeblich ist lediglich, im Sinne einer zweistufigen Prüfung, worauf bereits das Arbeitsgericht hingewiesen hat, ob überhaupt eine Aufgabe des Betriebsrats gegeben ist und ob im Einzelfall die begehrte Information zur Wahrnehmung erforderlich ist.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht
LAG München: Aufhebung der Prozesskostenhilfe bei nicht mitgeteilter Adressänderung und höheres Einkommen!
Einem Arbeitnehmer wurde mit Beschluss vom 03.11.2014 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für eine Kündigungsschutz- und Zahlungsklage bewilligt.
Wer Prozesskostenhilfe (PKH) bekommt, muss 4 Jahre lang nach Abschluss des Klageverfahrens und zwar 1 x pro Jahr Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse erteilen. Zudem muss er von sich aus jeden Adresswechsel und ein dauerhaft höheres Einkommen (von mehr als 100 Euro pro Monat) dem Gericht anzeigen.
Mit Schreiben vom 04.11.2015 wurde der Arbeitnehmer vom Arbeitsgericht aufgefordert mitzuteilen, ob und ggf. in welchem Umfang eine Änderung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten ist. Der Arbeitnehmer reichte über seinen Anwalt sodann eine neue Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (siehe Formular hier) beim Arbeitsgericht ein. Aus der Erklärung ging hervor, dass der Arbeitnehmer in der Zwischenzeit umgezogen war und mittlerweile ein (viel höheres) monatliches Einkommen in Höhe von 1.977,- € brutto bezieht.
Der Arbeitnehmer hatte weder sein nun höheres Einkommen, noch seinen Umzug dem Gericht (selbständig) angezeigt.
Mit Beschluss vom 28.01.2016 hat das Arbeitsgericht München die Prozesskostenhilfe-Bewilligung nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO aufgehoben.
Dagegen legte der Arbeitnehmer / Kläger Beschwerde ein, welche das Arbeitsgericht nicht abhalf und dem Landesarbeitsgericht München vorlegte.
Der Arbeitnehmer macht in seiner Beschwerdebegründung im Wesentlichen geltend, dass ein Fall grober Nachlässigkeit nicht vorliegt, jedenfalls ein atypischer Fall gegeben sei und sich im Übrigen die Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse vorliegend auf die Prozesskostenhilfe-Bewilligung nicht auswirke.
Das Landesarbeitsgericht München (Beschluss vom 16.06.2016 – 9 Ta 77/16) half der Beschwerde nicht ab und führte dazu aus:
Das Arbeitsgericht hat die Bewilligung der Prozesskostenhilfe zu Recht aufgehoben.
Nach § 124 Abs. 1 Ziff. 4 ZPO soll das Gericht die Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei entgegen § 120a Abs. 2 S. 1 bis 3 ZPO dem Gericht wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Änderungen ihrer Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtig oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat.
Nach § 120a Abs. 2 S. 1 ZPO hat die Partei innerhalb von vier Jahren nach Ende des Verfahrens dem Gericht unverzüglich mitzuteilen, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei wesentlich ändern oder sich ihre Anschrift ändert. Diese Pflichten hat der Kläger verletzt, indem er sowohl eine wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse als auch seine Adressänderung nicht, bzw. erst auf Aufforderung und mit einer Verspätung hinsichtlich der Änderung des Einkommens von zehn Monaten und hinsichtlich der Adressänderung von mindestens vier Monaten mitgeteilt hat.
…..Es kann hier dabei dahinstehen, ob die Veränderung der wirtschaftlichen Situation des Klägers zu einer Änderung der Prozesskostenhilfe-Bewilligung führt. § 120a Abs. 2 ZPO stellt für die Frage, ob eine wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse vorliegt, an keiner Stelle auf die Frage ab, ob die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation kausal für die Prozesskostenhilfe- Bewilligung ist. Der Gesetzgeber hat vielmehr bei der Neuregelung in § 120a Abs. 2 S. 2 und 3 ZPO das, was unter einer wesentlichen Änderung zu verstehen ist, durch Benennung eines konkreten Betrages definiert. Bei einer Erhöhung des Bruttomonatseinkommens um 100,- € oder bei einer Entlastung um 100,- € handelt es sich dabei keineswegs um eine Veränderung der wirtschaftlichen Situation, die regelmäßig zu einer Änderung der Prozesskostenhilfe-Bewilligung führt. Insbesondere in den Fällen, in denen mehrere Unterhaltspflichten erfüllt werden oder sonstige Belastungen bestehen, wird die Prozesskostenhilfe-Bewilligung nicht beeinflusst werden. Gleichwohl hat der Gesetzgeber auch in diesen Fällen angeordnet, dass dem Gericht eine Überprüfungsmöglichkeit eröffnet werden muss.
…..
Ob sich die Tatbestandsmerkmale „absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit“ allein auf die Fälle einer unrichtigen Mitteilung oder auch auf Fälle der unterlassenen Mitteilung einer Änderung beziehen, ist umstritten.
…..
Betrachtet man den Wortlaut von § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO so ergibt sich, dass ein Entzug der Prozesskostenhilfe bereits dann möglich ist, wenn die Partei die Änderungen nicht unverzüglich mitgeteilt hat. Auf Vorliegen von Vorsatz und grobe Nachlässigkeit kommt es nur bei unrichtigen Angaben an. Hätte der Gesetzgeber den Verschuldensmaßstab der groben Fahrlässigkeit und des Vorsatzes auch für die Fälle des Unterlassens einer Mitteilung einführen wollen, wäre das „unverzüglich“ in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO n.F. überflüssig. Der Gesetzgeber hätte formulieren können „absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtig oder nicht mitgeteilt hat.“ Die Regelung wäre einfacher gewesen und hätte den hier unterstellten gesetzgeberischen Willen klar und deutlich zum Ausdruck gebracht. Der Gesetzgeber hat sich aber dafür entschieden, bei der unterlassenen Mitteilung darauf abzustellen, ob die Partei die Änderung nicht unverzüglich mitgeteilt hat.
Anmerkung:
Das Bundesarbeitsgericht hatte bereits entschieden, dass die Aufhebung der PKH nur bei Absicht oder grober Nachlässigkeit erfolgen dürfe. Dabei verlangte das BAG für die grobe Nachlässigkeit mehr als nur Fahrlässigkeit, sondern eine „grobe Sorglosigkeit“.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht
Weihnachtsgratifikation – keine Rückzahlung bei Ausscheiden aufgrund Verhaltens des Arbeitgebers
Die Klägerin (Arbeitnehmerin) war bei der Beklagten (Arbeitgeber) zuletzt in Teilzeit seit 2013 tätig. Im Arbeitsvertrag stand folgende Klausel:
„Der Mitarbeiter erhält anteiliges Urlaubsgeld (ab 2014) und eine freiwillige Weihnachtsgratifikation in Höhe eines Monatsgehalts (für 2013 anteilig). Bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis bis zum 31.03. des Folgejahres ist diese Gratifikation in voller Höhe zurück zu zahlen.“
Ob ein bestimmter Grund für das Ausscheiden vorliegen muss, wurde in der Klausel nicht geregelt.
Die Klägerin erhielt im November 2014 ein „Weihnachtsgeld“ in Höhe von € 1.560 brutto. Später kündigte die Klägerin zum 31.03.2015. Die Beklagte zog im März 2015 das Weihnachtsgeld netto (1.245,27 €) vom Märzlohn der Klägerin wieder ab. Damit brachte die Beklagten zum Ausdruck,dass die Klägerin verpflichtet war das Weihnachtsgeld zurückzuzahlen und keinen Anspruch auf Zahlung desselben hatte.
Die Klägerin klagte auf Zahlung des Weihnachtsgeldes und gewann in der 2. Instanz (Berufung).
Das LAG München, Urteil vom 19.1.2017 – 3 Sa 492/16 führte dazu aus:
Die Berufung ist auch begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung ihrer Vergütung für März 2015 gemäß § 611 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag und auf Zahlung der Urlaubsabgeltung gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG. Die Beklagte war aus keinem Rechtsgrund berechtigt, von der Klägerin die Rückzahlung des im November 2014 gezahlten Weihnachtsgel- des zu verlangen. Die Regelung in Ziff. 5 Abs. 5 des Arbeitsvertrags ist wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. Eine Rückforderung scheidet gleichfalls nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB aus, da das Weihnachtsgeld aufgrund vertraglicher Regelung in Ziff. 5 Abs. 5 Satz 1 des Arbeitsvertrages gezahlt worden ist.
…….
Nach der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte zu § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB muss eine Rückzahlungsverpflichtung von Weihnachtsgratifikation danach unterscheiden, ob die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in den Verantwortungsbereich des Arbeitnehmers fällt (vgl. LAG Düsseldorf, Urteil vom 19.07.2011 – 16 Sa 607/11 – NZA- RR 2011, 630; LAG München, Urteil vom 26.05.2009 – 6 Sa 1135/08 – BeckRS 2009, 67470; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13.07.2007 – 6 Sa 315/07 – BeckRS 2007, 47223). Andernfalls bestehe keine sachliche Grundlage für die Erstattung der Weihnachtsgratifikation durch den Arbeitnehmer. Die Weihnachtsgratifikation stelle, sofern eine Rückzahlungsverpflichtung bei vorzeitigem Ausscheiden mit ihr verbunden sei, nicht lediglich der Belohnung erbrachter, sondern auch einen Anreiz zu weiterer Betriebstreue dar. Mit ihr sollen die Arbeitnehmer auch künftig für eine bestimmte Zeit an den Betrieb gebunden werden. Sehe in derartigen Fällen eine Arbeitsvertragsklausel eine Rückzahlungsverpflichtung auch für den Fall einer vor Ablauf der Vertragsbindungsfrist ausge- sprochenen betriebsbedingten Kündigung durch den Arbeitgeber vor, habe es der Arbeitnehmer nicht mehr in der Hand, durch eigene Betriebstreue der Rückzahlungspflicht zu entgehen (vgl. LAG München, Urteil vom 26.05.2009, a.a.O.; ihm folgend LAG Düsseldorf, Urteil vom 19.07.2011, a.a.O.).
…..
Es stellt einen Wertungswiderspruch dar, wenn der betriebstreue Arbeitnehmer eine ihm aus Gründen geüb- ter und erwarteter Betriebstreue gezahlte Weihnachtsgratifikation zurückzahlen müsste. Eine derart weit gefasste, undifferenzierte Rückzahlungsklausel in einem vorformulierten Arbeitsvertrag liefe auch dem Rechtsgedanken des § 162 Abs. 2 BGB zu wider, weil der Arbeitgeber eines Kleinbetriebes im Sinne des § 23 Abs. 1 KSchG ohne gerichtliche Überprüfung durch Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor dem Stichtag die Voraussetzung zur Rückzahlungsverpflichtung des Arbeitnehmers herbeiführen könnte. Eine solche Klausel würde im Ergebnis zu einer ungerechtfertigten Erschwerung des durch Art. 12 GG geschützten Kündigungsrechts des Arbeitnehmers führen, weil der Arbeitnehmer auch bei einem gravierenden Fehlverhalten des Arbeitgebers von einer außerordentlichen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB im Hinblick auf die andernfalls zurückzuzahlende Weih- nachtsgratifikation abgehalten werden könnte.
…..
Darüber hinaus darf nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine freiwillig gezahlte Gratifikation dann nicht mit einem Rückzahlungsvorbehalt verbunden werden, wenn es sich auch um Entgelt für eine bereits erbrachte Arbeitsleistung handelt und sie vom Arbeitnehmer durch die Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung verdient worden ist (vgl. BAG, Urteil vom 18.01.2012 – 10 AZR 612/10 – a.a.O., Rn. 22; Urteil vom 18.01.2012 – 10 AZR 667/10 – NZA 2012, 620, Rn. 9; siehe auch BAG, Urteil vom 13.05.2015 – 10 AZR 266/14 – NZA 2015, 992, Rn. 15). Eine solche Klausel steht im Widerspruch zu § 611 BGB. Sie entzieht dem Arbeitnehmer bereits erarbeiteten Lohn und erschwert unzulässig die Ausübung des Kündigungsrechts. Ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer Lohn für geleistete Arbeit ggf. vorzuenthalten zu können, ist nicht ersichtlich (vgl. BAG, Urteil vom 18.01.2012 – 10 AZR 612/10 – a.a.O., Rn. 23)..
Für die Frage, ob eine Sonderzahlung auch Vergütung für bereits erbrachte Arbeitsleistung darstellt, sind die vom Arbeitgeber mit einer Sonderzahlung verfolgten Zwecke durch Auslegung der vertraglichen Vereinbarungen zu ermitteln (vgl. BAG, Urteil vom 18.01.2012, a.a.O., Rn. 15). Dabei ist der Vergütungscharakter eindeutig, wenn die Sonderzahlung an das Erreichen quantitativer oder qualitativer Ziele geknüpft ist. Macht die Zahlung einen wesentlichen Anteil der Gesamtvergütung des Arbeitnehmers aus, handelt es sich gleichfalls regelmäßig um Arbeitsentgelt, das als Gegenleistung zur erbrachten Arbeitsleistung geschuldet wird. Wird die Zahlung erbracht, ohne dass weitere An- spruchsvoraussetzungen vereinbart sind, spricht dies ebenfalls dafür, dass die Sonderzahlung als Gegenleistung für die Arbeitsleistung geschuldet wird (vgl. BAG, Urteil vom 13.05.2015, a.a.O., Rn. 13 m.w.N.). Will der Arbeitgeber andere Zwecke als die Vergütung der Arbeitsleistung verfolgen, muss sich dies deutlich aus der zugrundeliegenden Vereinbarung ergeben. So können Sonderzahlungen als Treueprämie erwiesene oder als „Halteprämie“ künftige Betriebstreue honorieren; der Arbeitgeber kann aber auch den Zweck verfolgen, sich an den zum Weihnachtsfest typischerweise erhöhten Aufwendungen seiner Arbeitnehmer zu beteiligen. Ist die Honorierung künftiger Betriebstreue be- zweckt, wird dies regelmäßig dadurch sichergestellt, dass die Sonderzuwendung nur bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über einen Stichtag hinaus bis zum Ende eines dem Arbeitnehmer noch zumutbaren Bindungszeitraumes gezahlt wird oder der Arbeitnehmer diese zurückzuzahlen hat, wenn das Arbeitsverhältnis vor Ablauf zumutbarer Bindungs- fristen endet. Ist die Honorierung erwiesener Betriebstreue bezweckt, wird dies regelmäßig dadurch sichergestellt, dass die Zahlung der Sonderzuwendung vom (ungekündigten) Bestand des Arbeitsverhältnisses am Auszahlungstag abhängig gemacht wird. Ein weite- res Merkmal derartiger Zahlungen ist, dass sie nicht von einer bestimmten Arbeitsleistung, sondern regelmäßig nur vom Bestand des Arbeitsverhältnisses abhängen (vgl. BAG, Ur- teil vom 13.05.2015, a.a.O., Rn. 14 m.w.N.).
Die danach gebotene Auslegung des Vertrags ergibt, dass die der Klägerin im November 2015 gezahlte Weihnachtsgratifikation auch Entgeltcharakter hat mit der Folge, dass sie nicht nach § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB mit einem Rückzahlungsvorbehalt verbunden werden durfte.
Anmerkung:
Die Rückzahlungsklauseln führen selbst bei deren Wirksamkeit oft nicht zum Rückzahlungsanspruch des Arbeitgebers. Hat die Gratifikation einen Entgeltcharakter ist eine Rückzahlung nicht zulässig, da der Arbeitnehmer sich die Gravitation selbst erarbeitet hat.
LAG München: Schadenersatz wegen nicht gewährten Urlaub besteht auch ohne Verzug des Arbeitgebers!
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte bereits im Jahr 2014 entschieden, dass – entgegen der bisherigen Rechtsprechung des BAG – der Arbeitgeber von sich aus verpflichtet ist dem Arbeitnehmer Urlaub zu gewähren mit der Konsequenz, dass bei Nichtgewährung ein Schadenersatzanspruch des Arbeitnehmers besteht, sofern der Arbeitgeber die nicht rechtzeitige Urlaubsgewährung nicht zu vertreten hat. Ein Verzug des Arbeitgebers mit der Urlaubsgewährung ist nicht erforderlich für diesen Schadenersatzanspruch, so das LAG Berlin-Brandenburg.
Auch das Landesarbeitsgericht München hat sich dieser Auffassung angeschlossen.
Das LAG München (Urteil vom 6.5.2015 – 8 Sa 982/14) führte dazu aus:
Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des BAG besteht ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Schadensersatz in Form eines Ersatzurlaubes nach § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 283 BGB i. V. m. § 249 Abs. 1 BGB, der sich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 251 Abs. 1 BGB in einen Abgeltungsanspruch umwandelt, nicht nur dann, wenn sich der Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Untergangs des originären Urlaubsanspruchs mit der Urlaubsgewährung in Verzug befunden hat, sondern bereits dann, wenn er seiner Verpflichtung nicht nachgekommen ist, dem Arbeitnehmer von sich aus rechtzeitig Urlaub zu gewähren.
Es kommt also nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer Urlaub beantragt und dadurch
den Arbeitgeber nach § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verzug gesetzt hat. ………………Dem Anspruch des Klägers steht so nicht entgegen, dass er keinen Urlaub beantragt hat.Der Beklagte war verpflichtet, dem Kläger seinen gesetzlichen Urlaub auch ohne
vorherige Aufforderung rechtzeitig zu gewähren. Dies folgt aus der Auslegung des Bun-
desurlaubsgesetzes unter Berücksichtigung des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Ra-
tes über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung vom 04.11.2003 („Arbeitszeitrichtli-
nie“).
Anmerkung:
Die obigen Entscheidungen sind in der Praxis von erheblicher Bedeutung. Sowohl das LAG Berlin-Brandenburg als auch das LAG München haben die bisherige Rechtsprechung des BAG zur Urlaubsgewährung „auf den Kopf gestellt“. Nach dem BAG muss der Arbeitnehmer einen Urlaubsantrag stellen und den Arbeitgeber zur Urlaubsgewährung auffordern, um später – bei Nichtgewährung – einen Schadenersatzanspruch zu haben, während nach den obigen Entscheidungen nun der Arbeitgeber für die Gewährung des Urlaubs von sich aus verantwortlich ist , ansonsten setzt er sich – wenn der Urlaub verfällt – Schadenersatzansprüchen aus. Besteht das Arbeitsverhältnis fort besteht der Schadenersatzanspruch auf Gewährung der Anzahl der Urlaubstage, die verfallen sind, ist das Arbeitsverhältnis beendet und kann von daher der Urlaub nicht mehr genommen werden, besteht ein Urlaubsabgeltungsanspruch. Die obigen Entscheidungen der LAG basieren auf Art. 7 der europarechtlichen Richtlinie 2003/88/EG (Urlaubsrichtlinie). Als das BAG seine Rechtsprechung zur Urlaubsgewährung begründete, gab es diese Richtlinie noch nicht und von daher bleibt abzuwarten, ob das Bundesarbeitsgericht nun seine Rechtsprechung zur Urlaubsgewährung entsprechend ändert.
Rechtsanwalt Andreas Martin
- Fachanwalt für Arbeitsrecht
LAG München: ehrenamtliche Mitarbeiter zählen nicht!
Das Landesarbeitsgericht München ( Urteil vom 26.11.2014 10 Sa 471/14) hatte zu entscheiden, ob bei der Frage, ob ein Kleinbetrieb vorliegt oder das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet (Schwellenwert: mehr als 10 Arbeitnehmer) auch ehrenamtliche Mitarbeiter zu berücksichtigen sind.
Das LAG München entschied letztendlich, dass ehrenamtliche Tätige – da keine Arbeitnehmer – nicht bei der Berechnung des Schwellenwertes nach § 23 Abs. 1 KSchG einzubeziehen sind.
Rechtsanwalt Andreas Martin
Muss das Gericht im Mobbing-Prozess den Arbeitnehmer als Partei vernehmen?
Klagt der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber wegen Mobbing so besteht sehr häufig ein Beweisproblem. Der Arbeitnehmer muss zunächst (und dies ist nicht alles) nämlich darlegen und notfalls beweisen, dass eine Mobbinghandlung (Schikane) seitens des Arbeitgebers vorliegt. Häufig gibt es hier meist wenig und keine Zeugen.
Parteivernehmung im Arbeitsgerichtsprozess
Im Zivilprozess – die Zivilprozessordnung gilt auch im Arbeitsgerichtsprozess mit wenigen Einschränkungen – gibt es die Möglichkeit als Beweismittel die Partei (also z.B. den Kläger / Arbeitnehmer) zu vernehmen. Dies ist meist der Notanker für den Arbeitnehmer. Die Frage ist, ob dies – und wenn ja- möglich ist und ob ggfs. sogar das Gericht von Amts wegen eine Parteivernehmung durchführen muss.
Sachverhalt: Schikane durch Vorgesetzten
Ein Arbeitnehmer, der als „System-Support-Analyst“ tätig war, wurde von seinem Vorgesetzten gemobbt. Dieser sagte – so der Arbeitnehmer – u.a., dass der Arbeitnehmer nie eine Beförderung erhalten werde solange wie er dessen Vorgesetzter sei. Es gab eine Vielzahl ähnlicher diskriminierende Äußerungen, wie z.B., dass er Arbeitnehmer von zu Haus aus arbeiten solle, wenn er sich krank fühle und die Inanspruchnahme der Elternzeit würde „schmerzliche Folgen“ für den Arbeitnehmer haben und er würde dem Arbeitnehmer das Arbeitsleben „horribel“ machen.
„Sie arbeiten nicht hart genug, denn Sie sehen nicht gestresst aus!“
Der Arbeitnehmer musste sich die obigen Äußerungen regelmäßig anhören und bekam in Folge dessen Schlafstörungen und Depressionen.
Klage auf Entschädigung bzw. Schmerzensgeld wegen Mobbing
Der Arbeitnehmer klage sodann vor dem Arbeitsgericht auf Entschädigung / Schmerzensgeld wegen Mobbing am Arbeitsplatz. Weiter sollte der Arbeitgeber alle materiellen und immateriellen Zukunftsschäden übernehmen. Für die Mobbinghandlungen seines Vorgesetzten hatte der Arbeitnehmer als Beweismittel nur allein seine Vernehmung als Partei angeboten. Weitere Beweismittel, insbesondere Zeugen, hatte der Arbeitnehmer nicht. Eine Parteivernehmung nach § 447 ZPO scheiterte an der fehlenden Zustimmung der Gegenseite. Es blieb also nur die Parteivernehmung von Amts wegen nach § 248 ZPO durch das Gericht, die nicht der Zustimmung der Gegenseite bedarf.
Entscheidung des Arbeitsgerichts München/ LAG
Das Arbeitsgericht München (Urteil vom 29.03.11 – 21 Ca 12312/10) wies die Klage des Arbeitnehmers ab. Das LAG München wies ebenfalls die Berufung zurück (abgesehen von einer geringen Bonuszahlung, die aber nichts mit den Mobbing-Anträgen zu tun hatte).
BAG – Entscheidung : Mobbing
Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 14.11.2013, 8 AZR 813/12) hat das Urteil des LAG München aufgehoben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG München zurückverwiesen.
Das BAG meint, dass der Arbeitnehmer hier genau die einzelnen Vorfälle vorgetragen habe (mit genauen Datum, insgesamt 6 Fälle) und das LAG München die Parteivernahme des Klägers / Arbeitnehmers nicht einfach mit der Begründung “ es fehle an einer gewissen Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der streitgegenständlichen Behauptungen“, hätte ablehnen dürfen.
Das BAG führte in seiner Urteilsbegründung aus:
II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
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1. Dass die vom Kläger behaupteten Äußerungen seines Vorgesetzten tatsächlich getätigt worden sind, muss der Kläger beweisen, weil er für das Vorliegen von Mobbinghandlungen, aus denen er seinen Entschädigungs-, Schmerzensgeld- und Schadensersatzanspruch herleitet, darlegungs- und beweispflichtig ist (vgl. BAG 24. April 2008 – 8 AZR 347/07 – Rn. 41).
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………………………
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a) Grundsätzlich gehen einer Parteivernehmung andere Beweismittel, insbesondere der Zeugenbeweis nach §§ 373 ff. ZPO vor. Nach allgemeiner Meinung ist die Parteivernehmung nach §§ 445 ff. ZPO ein subsidiäres Beweismittel (vgl. Thomas/Putzo/Reichold ZPO 34. Aufl. Vorbem. § 445 Rn. 1; Zöller/Geimer/Greger ZPO 29. Aufl. Vorbem. § 445 Rn. 5; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 71. Aufl. Übersicht § 445 Rn. 7).
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b) Dem Kläger hätte ein anderes Beweismittel als die eigene Parteieinvernahme zur Verfügung gestanden. Er hätte für die Richtigkeit seiner Behauptungen seinen Vorgesetzten S als Zeugen benennen können. Dass dieser die „Mobbing-Äußerungen“ selbst getätigt haben soll, steht dem nicht entgegen. Allein die Tatsache, dass die Beklagte, also nicht der Zeuge selbst, die vom Kläger behaupteten Äußerungen des Zeugen bestritten hatte, führt nicht dazu, dass für den Kläger ein solches Beweisangebot aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ausscheidet. Auch wenn eine Aussage des Zeugen, welche die Behauptungen des Klägers bestätigen würde, für den Zeugen selbst und die Beklagte, als deren Repräsentant der Zeuge aufgetreten war, ungünstige Folgen hätte, musste der Kläger nicht zwingend davon ausgehen, der Zeuge werde die klägerischen Behauptungen nicht bestätigen. Dieser wäre zu einer wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet gewesen. Sowohl bei einer uneidlichen als auch bei einer eidlichen Falschaussage hätten ihm strafrechtliche Konsequenzen gedroht (§§ 153, 154 StGB). Allein deshalb durfte der Kläger – gleichsam im Wege einer „vorweggenommenen Beweiswürdigung“ – nicht davon ausgehen, der Zeuge werde wahrheitswidrig unter Inkaufnahme strafrechtlicher Folgen die angeblich von ihm getätigten Äußerungen leugnen, und deshalb auf das Beweisangebot „Zeugenvernehmung“ verzichten. Hinzu kommt, dass der Zeuge, um eine Zwangslage zwischen Falschaussage und einer wahrheitsgemäßen Aussage mit negativen Folgen für sich zu vermeiden, die Möglichkeit der Zeugnisverweigerung nach § 384 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO gehabt hätte.
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c) Nachdem der Kläger den ihm möglichen Zeugenbeweis nicht angetreten hatte, musste das Landesarbeitsgericht darüber entscheiden, ob es den Kläger für die Richtigkeit seiner streitigen Behauptungen nach § 448 ZPO als Partei vernehmen sollte. Allein die Tatsache, dass der Kläger für seine bestrittenen Behauptungen keinen ihm möglichen Zeugenbeweis angeboten hat, entbindet das Landesarbeitsgericht nicht von dieser Verpflichtung. Nach ständiger Rechtsprechung ist Voraussetzung für eine Parteivernehmung der beweispflichtigen Partei gemäß § 448 ZPO, dass für die zu beweisende Tatsache aufgrund einer vorausgegangenen Beweisaufnahme oder des sonstigen Verhandlungsinhalts eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht (vgl. BGH 9. März 1990 – V ZR 244/88 – Rn. 14, BGHZ 110, 363; 16. Juli 1998 – I ZR 32/96 – Rn. 20 mwN; BAG 16. September 1999 – 2 AZR 712/98 – zu II 2 f dd der Gründe; 6. Dezember 2001 – 2 AZR 396/00 – zu B III 2 b bb der Gründe, BAGE 100, 52).
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d) Von diesem Grundsatz ist im konkreten Streitfalle auch unter der Berücksichtigung der Rechtsprechung zur Beweisführung bei sogenannten „Vier-Augen-Gesprächen“ auszugehen.
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…………………..
20Der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG 22. Mai 2007 – 3 AZN 1155/06 – Rn. 17, BAGE 122, 347) hat eine Verpflichtung zur Vernehmung einer beweispflichtigen Partei nach § 448 ZPO oder zur Anhörung derselben nach § 141 ZPO ebenfalls nur für den Fall gesehen, dass „ein Gespräch allein zwischen den Parteien stattgefunden hat und deshalb kein Zeuge, auch kein ‚gegnerischer‘ Zeuge zugegen ist“. Im vorliegenden Streitfalle ist diese Fallkonstellation ebenfalls nicht gegeben, weil die vom Kläger geschilderten Vier-Augen-Gespräche nicht mit der Beklagten, dh. derem Geschäftsführer als Beklagtenvertreter, geführt worden waren, sondern mit seinem Vorgesetzten, der als Zeuge – wenn auch als „gegnerischer“ Zeuge – gemäß §§ 373 ff. ZPO hätte vernommen werden können. Im Übrigen stellt der Dritte Senat in der zitierten Entscheidung auch darauf ab, dass eine Parteivernehmung nach § 448 ZPO nur in Frage kommt, „soweit dessen Voraussetzungen vorliegen“ (BAG 22. Mai 2007 – 3 AZN 1155/06 – Rn. 16, aaO). Dies kann nur heißen, dass auch der Dritte Senat davon ausgeht, eine Parteieinvernahme der beweispflichtigen Partei komme grundsätzlich nur dann in Frage, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die zu beweisende Tatsache spricht.
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Auch in den zwei weiteren vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fällen, in denen eine Pflicht zur Parteivernehmung nach § 448 ZPO bejaht bzw. eine solche nicht beanstandet worden war, stand einer Partei ein Zeuge für ein Vier-Augen-Gespräch zur Verfügung, welcher vernommen worden war (vgl. BAG 6. Dezember 2001 – 2 AZR 396/00 – BAGE 100, 52 und 19. November 2008 – 10 AZR 671/07 -; so auch: BGH 9. Oktober 1997 – IX ZR 269/96 -; 16. Juli 1998 – I ZR 32/96).
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e) Damit war das Landesarbeitsgericht nicht – gleichsam von Amts wegen – verpflichtet, den Kläger gemäß § 448 ZPO als Partei zu vernehmen. Vielmehr musste es prüfen, ob eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür sprach, dass die vom Kläger geschilderten Äußerungen seines Vorgesetzten in den Vier-Augen-Gesprächen tatsächlich gefallen waren. Dafür hätte das Landesarbeitsgericht in nachprüfbarer Weise darlegen müssen, weshalb es von der Parteivernehmung des Klägers abgesehen hat. Andernfalls kann nicht davon ausgegangen werden, dass es von seinem ihm nach § 448 ZPO eingeräumten Ermessen überhaupt Gebrauch gemacht hat. Verneint das Landesarbeitsgericht die gewisse Wahrscheinlichkeit der Beweistatsache und lehnt es deshalb eine Parteivernehmung ab, so müssen seine Feststellungen in einer § 286 ZPO genügenden Weise getroffen sein (BGH 9. März 1990 – V ZR 244/88 – zu I 1 b der Gründe, BGHZ 110, 363). Daran fehlt es vorliegend. Das Landesarbeitsgericht hat ohne nähere Angabe von Gründen lediglich festgestellt, dass „ein sog. Anfangs- oder Anbeweis für die behaupteten Tatsachen“ fehlt. Aus welchen Gründen es zu dieser Feststellung gelangt ist, hat das Berufungsgericht nicht ausgeführt. Allein der Hinweis darauf, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 4. November 2011 persönlich anwesend war und Gelegenheit zur Stellungnahme hatte, ist in diesem Zusammenhang unbehelflich, weil daraus nicht ersichtlich wird, ob das Gericht dem Kläger Fragen gestellt hat oder ob er und gegebenenfalls welche Erklärungen er in der mündlichen Verhandlung abgegeben hat. Diesbezüglich enthält auch die Sitzungsniederschrift keine Feststellungen.
Eine wahrscheinlich eher für Juristen interessante Entscheidung des BAG. Die Rechtsprechung zu den sog. „Vier-Augen-Gesprächen“ ist aber auch für andere Prozesse vor den Arbeitsgerichten interessant, insbesondere bei Kündigungs – und Abmahnsachverhalten gibt es häufig Beweisprobleme für den relevanten Sachverhalt. Hier wäre die Rechtsprechung zu beachten.
Anwalt Andreas Martin
LAG München: Bagatellkündigung bei Betrug gegenüber Arbeitgeber („Vertuschung von € 20-Forderung) wirksam
Nicht erst seit dem Urteil in Sachen „Emmely“ wird die sog. Bagatellkündigung im Arbeitsrecht heftig diskutiert. Die Kündigung wegen „geringfügiger Straftaten“, wie Betrug, Diebstahl und Unterschlagung von geringwertigen Sachen erscheint vielen Arbeitnehmern „systemwidrig“ angesichts des Umstandes, das es ansonsten sehr hohe Anforderungen an verhaltensbedingten Kündigungen durch den Arbeitgeber (Kündigungsschutzgesetz) von der Rechtsprechung gestellt werden.
BAG – Emmely und das sog. Vertrauenskapital
Auch nach dem Urteil „Emmely“ hat das BAG seine Rechtsprechung zur Bagatellkündigung nicht aufgegeben, sondern nur „modifiziert“ und klargestellt, dass – und dies ist eigentlich nichts Neues – immer auf den Einzelfall abzustellen ist und gerade bei langem unbeanstandeten Bestehen eines Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmer sog. „Vertrauenskapital“ erworben hat, welches im Rahmen der Interessenabwägung zu Gunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen ist.
LAG München und der Betrug des Buchhalters über eine Forderung von € 20
Das Landesarbeitsgericht München (Entscheidung vom 03.03.2011, 3 Sa 641/10) hatte nun einen Fall zu entscheiden, der sich wiederum um eine Bagatellkündigung eines Arbeitgebers wegen € 20,00 drehte.
Ein Buchhalter, der zudem noch schwerbehindert war und kurz vor seinem altersbedingten Ausscheiden stand, hatte seine elektronische Zugangskarte zum Betrieb verloren und schuldete deshalb seinem Arbeitgeber € 20 für eine Ersatzkarte. Der Arbeitnehmer verschleierte aber diese Forderung und nutze dabei seinen Zugang zur Buchhaltung. Als der Arbeitgeber dies herausbekam, kündigte er das Arbeitsverhältnis außerordentlich (verhaltensbedingt) und fristlos ohne vorher abzumahnen. Der Arbeitnehmer erhob gegen die Kündigung die Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht. Das Arbeitsgericht gab dem Arbeitnehmer recht. Der Arbeitgeber war – nach dem er Berufung gegen das Urteil der I. Instanz einlegte – aber erfolgreich. Das LAG München entschied für den Arbeitgeber und sah hier eine wichtigen Grund für eine Kündigung ohne vorherige Abmachung trotz des geringen Betrages und des baldigen altersbedingten Ausscheidens des Arbeitnehmers.
die Entscheidung des LAG München
Das LAG München begründet die Entscheidung wie folgt:
Der Kläger hat eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen, die an sich ge- eignet ist, einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB zu bilden.
a) Dabei geht die Berufungskammer von den Grundsätzen aus, wie sie das Bundes- arbeitsgericht in der „Emmely-Entscheidung“ vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – dargestellt hat. Danach verletzt der Arbeitnehmer, der bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche – gegebenenfalls strafbare – Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers begeht, zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sa- chen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise so- gar gar keinem Schaden geführt hat (BAG a. a. O. Rn. 26).
b) Ein solches Verhalten des Klägers liegt hier vor.
Die Berufungskammer geht davon aus, dass der Kläger vorsätzlich die Forderung auf Be- gleichung des Betrags von 20,00 € in zwei Teilbeträge aufgeteilt und auf dem Gegenkonto 65900 „Übrige Sonstige Personalaufwendungen“ zu Lasten des Betriebsrats-Budgets ge- bucht hat, um den Eindruck zu erwecken, die Forderung sei nicht mehr vorhanden, mithin beglichen, und um seine Absicht der Nichtzahlung zu verschleiern.
3 Sa 641/10
aa) Dies folgt zum einen daraus, dass die Behauptung des Klägers, er habe infolge eines Versehens die Aufspaltung in zwei Teilbeträge vorgenommen, bei einem langjähri- gen, einschlägig beschäftigten Arbeitnehmer wie dem Kläger absolut lebensfremd ist, wenn eine entsprechende Korrektur-Software zur Verfügung steht und der Kläger zur Be- hebung des Fehlers unschwer den viel einfacheren Weg eines Einzelstornos hätte wählen können.
………………
Eine vorherige Abmahnung war nach Lage der Dinge entbehrlich.
Das Fehlverhalten des Klägers betrifft den Kernbereich seiner arbeitsvertraglich geschul- deten Tätigkeit.
3 Sa 641/10
Der Kläger hat nach seinem eigenen Vortrag eine fachlich weitgehend selbstständige, eigenverantwortliche Stellung mit einem sehr weitreichenden Kompetenzbereich im Bereich der Buchhaltung. Jedem vernünftigen Arbeitnehmer in dieser Position muss klar sein, dass der Arbeitgeber vorsätzliche Falschbuchungen zum Schaden des Arbeitgebers und zum Nutzen des Arbeitnehmers nicht hinnehmen und lediglich mit einer „letzten Verwar- nung“ in Form einer Abmahnung beantworten wird. Hinzukommt die besondere Vertrau- ensstellung, die der Kläger nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag der Beklagten hat- te. Für einen Mitarbeiter in dieser Vertrauensposition gehört absolute Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit zur schlechterdings unabdingbaren Grundlage des Arbeitsverhältnisses. Wer – wie der Kläger – diese Vertrauensgrundlage missachtet, kann in einer Position wie derje- nigen des Klägers keinen weiteren Vertrauensvorschuss erwarten. Er hat den Vertrau- ensvorrat – auch bei langjähriger Beschäftigung – aufgezehrt.
Nach allem scheitert die Kündigung nicht daran, dass sie unverhältnismäßig wäre. Viel- mehr war sie tatsächlich die der Beklagten zur Verfügung stehende ultima ratio.
3. Die Interessenabwägung ergibt vorliegend, dass unter Berücksichtigung aller Um- stände des Falles das Interesse der Beklagten an einer sofortigen Lösung des Arbeitsver- hältnisses das gegenläufige Interesse des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnis- ses bis zur kurz bevorstehenden Verrentung überwiegt.
a) Zu Recht weist der Kläger darauf hin, dass zu seinen Gunsten vor allem sein Lebensalter, die lange Dauer des Arbeitsverhältnisses und der nahe bevorstehende Verren- tungstermin – zwei Monate nach Ausspruch der Kündigung – anzuführen sind.
b) Andererseits ist zu berücksichtigen, dass der Kläger sich mit einer beachtlichen Hartnäckigkeit der Forderung der Beklagten „entledigt“ hat, dass er hierbei seine berufli- chen, im Arbeitsverhältnis bei der Beklagten erworbenen Fähigkeiten und Kompetenzen zielgerichtet ausgenutzt und dazu eingesetzt hat, den Vorgang zu verschleiern.
Zu Lasten des Klägers ist weiter anzuführen, dass eine Wiederholungsgefahr – angesichts der buchhalterischen Kompetenz des Klägers und der Bereitschaft, diese auf rechtswidri- ge Art und Weise zu seinen eigenen Gunsten und zu Lasten der Beklagten einzusetzen –
3 Sa 641/10
gerade nicht schlechterdings ausgeschlossen ist. Die Annahme, einer solchen Wiederho- lungsgefahr durch entsprechende Weisungen vorzubeugen, erscheint eher theoretischer Natur. Ein „Genehmigungs-Generalvorbehalt“ erscheint ebenso unzumutbar wie eine To- talkontrolle des Klägers, weil dann eine weitere Mitarbeiterin oder ein weiterer Mitarbeiter die arbeitsvertragliche Tätigkeit des Klägers gewissermaßen ununterbrochen begleiten müsste und in diesem Falle gleich auf die Arbeitskraft des Klägers verzichtet werden könnte.
Schließlich ist zu Lasten des Klägers und zu Gunsten der Beklagten auch anzuführen, dass ein vitales Interesse des Arbeitgebers daran besteht, dass er von einem fachlich weitgehend selbstständig arbeitenden Buchhalter nicht zu dessen eigenem, ungerechtfer- tigten Nutzen hinters Licht geführt wird. An einer klaren Haltung insoweit besteht auch ein berechtigtes Interesse dergestalt, dass es dem Arbeitgeber gestattet sein muss, keine fal- schen Signale in die Belegschaft zu senden, sondern eine klare, berechenbare Linie zu verfolgen, gegebenenfalls auch durch Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung.
Nach allem geht die Interessenabwägung hier zu Lasten des Klägers aus, auch wenn an- genommen wird, dass der Kläger lange Jahre in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne dass es zu vergleichbaren Pflichtverletzungen oder nennenswerten sonstigen Belas- tungen des Arbeitsverhältnisses gekommen wäre. Die für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung der Arbeitsvertragspartner ist hier bereits durch erstmalige Vertrauens- enttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört, der Vertrauensvorrat vollständig aufgezehrt. Denn bei der Pflichtverletzung des Klägers handelt es sich – anders als in dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall Emmely (BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09) – um ein Verhalten, dass von vornherein auf Heimlichkeit angelegt war.
Schön sind die Ausführungen in Bezug auf die „Aufzehrung des Vertrauenskapitals“, da das Verhaltens des Klägers von vornherein auf „Heimlichkeit“ angelegt war. Ob die Entscheidung aber auch inhaltlich richtig ist, darf bezweifelt werden, denn eine „gewisse Heimlichkeit“ wohnt fast allen Betrugsdelikten inne und ist nichts besonders Verwerfliches und kann von daher auch nicht zur „Aufzehrung des Vertrauenskaptials“ führen. Aufgrund des hohen Lebensalters des Arbeitnehmers und des ohnehin baldigen Ausscheidens und der damit begrenzten Wiederholungsgefahr erscheint die Entscheidung des LAG „falsch gewuchtet“. Im Rahmen der Interessenabwägung wären diese Punkte stärker zu berücksichtigen gewesen.
Eine kleine Übersicht über Kündigungen bei Bagatelldelikten findet man hier.
RA A. Martin
LAG: München – Schadenersatz des Arbeitgebers bei betrieblichen Trunkenheitsunfall des Arbeitnehmers
Gerade bei Berufskraftfahrern kommt es – arbeitsbedingt – auch schon mal zu Verkehrsunfällen. Der Arbeitnehmer in Bezug auf seine Haftung ist im Innenverhältnis zum Arbeitgeber aber privilegiert und hat im Außenverhältnis ggfs. einen Freistellungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber. Was aber, wenn der Arbeitnehmer den Unfall grob fahrlässig und zusätzlich unter Verstoß gegen ein betriebliches Alkoholverbot verursacht hat?
Arbeitnehmerhaftung im Arbeitsverhältnis
Das BAG hat – abgeleitet von den damaligen Grundsätzen über den schadensgeneigte Arbeit – folgende Grundsätze für die Arbeitnehmerhaftung im Arbeitsverhältnis gegenüber dem Arbeitgeber aufgestellt:
- leichtes Verschulden des Arbeitnehmer = keine Haftung gegenüber dem Arbeitgeber
- mittlere Fahrlässigkeit = Teilung des Schadens zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber
- grobe Fahrlässigkeit = Alleinhaftung des Arbeitnehmers
Haftung bei grober Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers
Bei grober Fahrlässigkeit ist der Arbeitnehmer eigentlich zum vollen Schadenersatz verpflichtet. Für Arbeitgeber hört sich dieses Ergebnis ersteinmal überzeugend an, allerdings wird in der Praxis durch die Arbeitsgerichte selten grobe Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers bei der Schadensverursachung angenommen.
Aber selbst wenn das Arbeitsgericht/ Landesarbeitsgericht zur groben Fahrlässigkeit kommt, dann heißt dies nicht unbedingt, dass der Arbeitnehmer ohne Begrenzung Schadenersatz zu leisten hat. Hier nehmen einige Landesarbeitsgerichte trotzdem eine Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung der Höhe nach an. Das LAG München hier eine Beschränkung der Schaderersatzzahlung in Höhe von maximal 3 Bruttomonatsgehältern.
die Entscheidung des LAG München
Das LAG München (Entscheidung vom 27.7.2011/ Sa 319/11) entschied, dass im vorliegendem Fall der Lkw-Fahrer grob fahrlässig handelte, da er den Unfall unter Alkoholeinfluss und gegen Verstoß gegen das betriebliche Alkoholverbot schuldhaft verursachte, aber trotzdem dieser nicht in voller Höhe haftet, sondern nur auf 3 Bruttomonatsgehälter begrenzt.
Das Landesarbeitsgericht München führt dazu aus:
Mit dem Arbeitsgericht ist davon auszugehen, dass der Beklagte seine arbeitsvertraglichen Pflichten dadurch grob fahrlässig verletzt hat, dass er seinen Dienst im alkoholisierten Zustand angetreten, den Lkw trotz einer Blutalkoholkonzentration von mindestens0,94 ‰ gefahren und in Folge der Alkoholisierung und alkoholbedingter Ausfallerscheinungen einen Schaden am Fahrzeug verschuldet hat, §§ 280 Abs. 1, 276, 254 BGBi. V. m. dem Arbeitsvertrag, § 823 Abs. 1 BGB. a) Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was imgegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (vgl. BAG, Urt. v. 23.01.1997 – 8 AZR893/95 -, NZA 1998, 140; LAG Köln, Urt. v. 09.11.2005 – 3 (7) Sa 369/05 -, NZA-RR 2006,311)……. Entgegen der Auffassung des Beklagten kommt es für die Feststellung des Grades des Verschuldens nicht lediglich auf den eigentlichen Unfallhergang an, sondern bereits auf das Geschehen beim Dienstantritt. Angesichts des ausdrücklich erteilten Alkoholverbots vom 27.04.2007 und der bei einem Berufskraftfahrer zu unterstellenden Kenntnis der Gefahren alkoholisierten Führens von Kraftfahrzeugen hat der Beklagte in besonderer Weise leichtfertig und unverantwortlich gehandelt ……. Ob und ggf. in welchem Umfang der Arbeitnehmer an den Schadensfolgen zu beteiligen ist, richtet sich im Rahmen einer Abwägung der Gesamtumstände, insbesondere von Schadensanlass und Schadensfolgen, nach Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten. Zu den Umständen, denen je nach Lage des Einzelfalls ein unterschiedliches Gewicht beizumessen ist und die im Hinblick auf die Vielfalt möglicher Schadensursachen auch nicht abschließend bezeichnet werden können, gehören der Grad des dem Arbeitnehmer zur Last fallenden Verschuldens, die Gefahrgeneigtheit der Arbeit, die Höhe des Schadens, ein vom Arbeitgeber einkalkuliertes oder durch die Versicherung abdeckbares Risiko, die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb und die Höhe des Arbeitsentgelts, in dem möglicherweise eine Risikoprämie enthalten ist. Auch können u. U. die persönliche Verhältnisse des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sein (vgl. BAG, Urt. v. 18.01.2007 – 8 AZR 250/06 -, aaO; Urt. v. 18.04.2002 – 8 AZR 348/01 -, NZA 2003, 37; Urt. v. 15.11.2001 – 8 AZR 95/01 -, NZA 2002, 612). Die hiergegen vorgebrachten Argumente greifen nicht durch. Soweit das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 12.10.1989 (aaO) meint, es fehle bereits an einer allgemeinen Rechtsüberzeugung, so dürfte sich diese in den vergangenen zwei Jahrzehnten gewandelt haben (vgl. etwa den Gesetzesantrag des Landes Brandenburg für ein Arbeitsvertragsgesetz, wiedergegeben bei Griese, NZA 1996, aaO, 808 f.). Angesichts der immer wertvolleren Betriebsmittel, die im Arbeitsalltag zum Einsatz kommen, der zunehmenden Leistungsverdichtung am Arbeitsplatz und den gleichzeitig festzustellenden (Net-11 Sa 319/11 – 12 – to-)Gehaltsrückgängen bei vielen Beschäftigungsgruppen ist das grundgesetzliche Gebot der Existenzsicherung, Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG, im Rahmen der Arbeitnehmerhaftung stärker zu berücksichtigen. Immerhin hat das Bundesarbeitsgericht in einer neueren Entscheidung zur Arbeitnehmerhaftung den geltend gemachten Schaden an der „vielfach in die Diskussion eingeführten Grenze von drei Monatsgehältern“ gemessen (vgl. BAG, Urt. v. 18.01.2007, aaO, Rn. 42). Auch schließt das geltende Recht keinen Richtwert oder Leitlinien für die Höhe der Schadenshaftung aus (so noch BAG, Urt. v. 12.10.1989, aaO; Reichold, aaO). Die vorstehend genannte Typisierung orientiert sich an den aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 GG abgeleiteten Werten, die als „Umstände“ i. S. d. § 254 Abs. 1 BGB in die Schadensbestimmung einfließen. Es geht um eine Abwä- gung der Schadenstragung nach Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten (so BAG, Urt. v. 18.01.2007, aaO). Im Übrigen sind Regelwerte der Rechtsfortbildung nicht fremd: Monatsgrenzen liegen etwa der Rechtsprechung zur Rückzahlung von Fortbildungskosten zugrunde (siehe etwa BAG, Urt. v. 14.01.2009 – 3 AZR 900/07 -, NZA 2009, 666). b) Nach den vorstehenden Grundsätzen ist die Haftung des Beklagten auf drei Bruttomonatsvergütungen zu beschränken.
Wichtig ist zu wissen, dass das BAG eben keine Beschränkung auf 3 Monatsgehälter der betrieblichen Haftung des Arbeitnehmers beschränkt. Ob das BAG tatsächlich ein solche Schranke – wie das LAG München – etabliert, bleibt abzuwarten. Das Argument des LAG München, dass aufgrund des hohen Haftungsrisiko´s (Arbeit an und mit teuren Maschinen/ gefährliche Arbeiten) vieler Arbeitnehmer eine Grenze der Haftung gezogen werden muss, ist nachvollziehbar. Ob eine pauschale Grenze auf 3 Bruttomonatsgehälter aber gerechtfertigt ist oder es nicht doch besser auf auf den Einzelfall abzustellen ist, ist fraglich.
Anwalt Martin