LAG B-W
Fristlose Kündigung eines Betriebsrats wegen Veröffentlichung persönlicher Daten anderer Arbeitnehmer

Betriebsräte genießen einen besonderen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz. Geregelt ist dieser Sonderkündigungsschutz in § 15 des Kündigungsschutzgesetzes. Allerdings schützt dieser Kündigungsschutz nur vor einer ordentlichen Kündigung des Arbeitgebers. Wenn der Arbeitgeber einen außerordentlichen Kündigungsgrund hat, dann kann er auch das Arbeitsverhältnis eines Betriebsrates durch fristlose Kündigung beenden. In der Praxis kommt es eher nicht so häufig vor, dass ein wichtiger Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB vorliegt, sodass der Arbeitgeber außerordentlich aus wichtigem Grund das Arbeitsverhältnis eines Betriebsrates kündigen kann.
außerordentliche Kündigung und Betriebsrat
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hatte nun über einen solchen Fall zu entscheiden.
Sachverhalt des Landesarbeitsgerichts
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Zwischen dem Arbeitnehmer, der Betriebsrat war, und dem Arbeitgeber gab es ein Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht. Noch vor Rechtskraft der Entscheidung veröffentlichte der Betriebsrat die Prozessakten zu seinem Fall über eine Dropbox und gab so anderen Mitarbeitern die Möglichkeit dieser einzusehen. In den Prozessakten wurden persönliche Daten anderer Arbeitnehmer, insbesondere auch Gesundheitsdaten unter Nennung des vollen Namens, veröffentlicht.
fristlose Kündigung wegen Verletzung des Datenschutzes
Als der Arbeitgeber davon erfuhr, kündigte er außerordentlich und fristlos das Arbeitsverhältnis des Betriebsrats.
Der Betriebsrat wehrte sich gegen diese außerordentliche Kündigung mittels einer Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht.
Datenschutz im Arbeitsverhältnis
Der Betriebsrat argumentierte vor dem Arbeitsgericht, dass die Kündigung unwirksam ist. Nach Meinung des Betriebsrats bestehe keine Vorschrift, die es gebiete, Prozessakten geheim zu halten, im Übrigen sei ein Datenschutzverstoß schon deshalb abzulehnen, da er mit Blick auf Art. 2 Abs. 2c DS-GVO ausschließlich im Rahmen „persönlicher oder familiärer Tätigkeiten“ gehandelt habe.
Der als Betriebsrat tätige Arbeitnehmer verlor das Verfahren vor dem Arbeitsgericht und legte Berufung zum LAG ein.
Entscheidung des Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Das LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 25.03.2022, 7 Sa 63/21) entschied gegen den Arbeitnehmer.
In der Pressemitteilung vom 25. März 2022 führte das Landesarbeitsgericht dazu aus:
Wer im Rahmen eines von ihm angestrengten Gerichtsverfahrens bestimmte Schriftsätze der Gegenseite, in denen Daten, insbesondere auch besondere Kategorien personenbezogener Daten (Gesundheitsdaten), verarbeitet werden, der Betriebsöffentlichkeit durch die Verwen- dung eines zur Verfügung gestellten Links offenlegt und dadurch auch die Weiterverbreitungs- möglichkeit eröffnet, ohne dafür einen rechtfertigenden Grund zu haben, verletzt rechtswidrig und schuldhaft Persönlichkeitsrechte der in diesen Schriftsätzen namentlich benannten Perso- nen mit der Folge, dass vorliegend die außerordentliche Kündigung der Beklagten gerechtfer- tigt ist. Die Wahrnehmung berechtigter Interessen des Klägers lag jedenfalls insofern nicht vor, als die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts am Tage der Zurverfügungstel- lung des Links noch nicht vorlagen und dem Kläger auch noch die Möglichkeit offenstand, ge- gen das Urteil das Rechtsmittel der Berufung einzulegen, um in diesem Verfahren seinen Standpunkt darzulegen.
LAG BW Urteil vom 25.03.2022, 7 Sa 63/21
Anmerkung:
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erscheint hier recht hart. Es ist aber zu beachten, dass der Arbeitnehmer hier ohne nachvollziehbaren Grund-das Arbeitsgerichtsverfahren war noch nicht einmal rechtskräftig-die Schriftsätze veröffentlicht hat und in diesen Schriftsätzen die Gesundheitsdaten mehrerer anderer Arbeitnehmer, die nichts mit dem Verfahren zu tun haben, veröffentlicht waren. Gerade die Sensibilität dieser Daten war der Grund für die harte Entscheidung des Landesarbeitsgerichts.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht
Üble Nachrede per Whatsapp – „Kollege ist verurteilter Vergewaltiger“ – außerordentliche Kündigung !
Die Arbeitnehmerin wurde von der Arbeitgeberin zum 15. Februar 2018 als kaufmännische Angestellte eingestellt. Eine Probezeit von 6 Monaten wurde vereinbart.
Nur 2 Tage später wurde der Arbeitnehmerin in einer Bar von entfernten Bekannten gegenüber geäußert, dass ein Mitarbeiter der Arbeitgeberin, nämlich der Herr S. (Vater des Geschäftsführers), angeblich ein verurteilter Vergewaltiger sein soll. Diese Behauptung war aber falsch, was die Arbeitnehmerin nicht wusste.
Im Anschluss an diese Unterhaltung hatte die Klägerin nichts besseres zu Tun als den erfahrenen Klatsch und Tratsch zu sofort verbreiten.
Dazu schrieb Sie eine Arbeitskollegin per Whatsup an, die sie erst seit 2 Tagen kannte (!), und schrieb u.a. :
„Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber er [Herr S) soll ein verurteilter Vergewaltiger sein, deswegen will ganz L. nichts mehr mit ihm zu tun haben.“
„Ja gibt’s da irgendein Urteil oder so und wann soll das denn gewesen sein ?“
„Keine Ahnung, das haben die Leute nicht dazu gesagt, aber ganz EHRLICH für so jemanden werde ich nicht arbeiten.“
„So was ist schon eine krasse Behauptung.“
„Das haben mir mehrere Leute unabhängig von einander erzählt.“
„Ich weiß es auch nicht, aber die Leute, die mir das erzählt haben, haben noch nie Mist erzählt. Bin auch schockiert gewesen, als ich das gehört habe. Hab sogar kurzzeitig überlegt, ihn mit den Behauptungen zu konfrontieren.“
Und es kam, wie es kommen musste …
Die Arbeitskollegin nahm noch an dem Tag, an dem sie von der Arbeitnehmerin von den falschen Behauptungen Kenntnis erhielt, telefonisch Kontakt zum Geschäftsführer der Beklagten auf und führte dann unter Anwesenheit des Vaters des Geschäftsführers ein Gespräch, in welchem Sie die Behauptungen der Arbeitnehmerin offenbarte.
Der Geschäftsführer der Arbeitgeberin kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit der Arbeitnehmerin außerordentlich am Montag, den 19. Februar 2018, und hilfsweise ordentlich zum 6. März 2018.
Die Arbeitnehmerin/ Klägerin wehrte sich gegen die außerordentliche Kündigung mittels Kündigungsschutzklage und trug vor, dass diese Anlass zur Sorge gehabt hätte und zudem habe sie auf die Vertraulichkeit des Wortes vertraut.
Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt, soweit sie sich gegen die außerordentliche Kündigung richtete. Nach Ansicht des Arbeitsgerichts läge kein Kündigungsgrund vor.
In der Berufungsinstanz – Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Urteil vom 14.3.2019, 17 Sa 52/18 – verlor dann die Arbeitnehmerin.
Das LAG Baden-Württemberg führte dazu aus:
…..
Ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung kann insbesondere vorliegen, wenn der Arbeitnehmer zu Lasten eines Vorgesetzten den Tatbestand der üblen Nachrede (§ 186 StGB) erfüllt. Die Begehung von (Ehr-)Delikten zu Lasten des Arbeitgebers oder zu Lasten von Vorgesetzten ist grundsätzlich geeignet, einen die fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund darzustellen. Dabei kommt es nicht auf die strafrechtliche Wertung an, sondern darauf, ob dem Arbeitgeber deswegen nach dem gesamten Sachverhalt die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch zuzumuten ist (BAG, 21. April 2005 – 2 AZR 255/04). Mit der Begehung einer Straftat verletzt der Arbeitnehmer zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat (BAG, 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09; Rn. 26).
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Gegenüber der einfachen Beleidigung ist die üble Nachrede zwar nur in den Fällen, in denen der Täter sie öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften begeht, mit höherer Strafe bedroht. Aber sie ist bei abstrakter Betrachtung das Delikt mit dem höheren Unrechtsgehalt (vgl. Hilgendorf in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2009, Rn. 2 zu § 186 StGB): im Vergleich zum unsubstantiierten Werturteil (z.B. Bezeichnung als „Idiot“) hat die gegenüber einem Dritten abgegebene Tatsachenäußerung als motiviertes Urteil mehr Gewicht. Das Werturteil ist in seiner Suggestivkraft vom Prestige des Täters abhängig. Tatsachen hingegen sprechen für sich. Deshalb ist es stärker als das Werturteil oder die Meinungsäußerung geeignet, den Kundgabeempfänger gegen den Betroffenen einzunehmen (vgl. Hilgendorf in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2009, Rn. 2 zu § 186 StGB). Im Interesse eines wirksamen Ehrenschutzes bedroht das Gesetz in § 186 StGB die ehrenrührige Tatsachenbehauptung nicht erst mit Strafe, wenn sie unwahr ist, sondern schon dann, wenn sie „nicht erweislich wahr“ ist.
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Die Klägerin verbreitete über WhatsApp die objektiv unzutreffende Behauptung, Herr R. S. sei ein verurteilter Vergewaltiger. Diese Behauptung stellt eine ehrenrührige Behauptung dar, die zudem geeignet ist, den Betroffenen in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Dass es sich bei der Behauptung um eine ehrenrührige Behauptung handelte, war der Klägerin bewusst. Dies ergibt sich bereits aus ihrer Formulierung „und deshalb will ganz L. mit ihm nichts mehr zu tun haben.“, dem gesamten Verlauf der Chat-Unterredung und aus ihrer Entscheidung heraus, wegen dieses Umstandes nicht mehr für die Beklagte arbeiten zu wollen.
…
Nicht der Wahrnehmung berechtigter Interessen dienen Äußerungen, die lediglich der Freude am Klatsch, der Befriedigung menschlicher Neugier und der Erregung von Sensationen dienen (Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, 30. Aufl. 2019, StGB § 193 Rn. 9). Zugunsten der Klägerin kann unterstellt werden, dass sie in Sorge um ihr eigenes Wohl war und sich als Frau an ihrem Arbeitsplatz in der Firma nicht mehr sicher fühlte, nachdem sie von der Behauptung gehört hatte, Herr R. S. sei ein verurteilter Vergewaltiger. Sie könnte mit der Weitergabe der Behauptung gegenüber ihrer Kollegin, Frau S. D., versucht haben, sich Klarheit über den Wahrheitsgehalt der Behauptung zu verschaffen. Für eine derartige Klärung der Faktenlage ist jedoch eine Kollegin nicht unbedingt die geeignete Ansprechpartnerin. Darüber hinaus hatte sich die Klägerin zum Zeitpunkt des Chats mit ihrer Kollegin bereits entschieden, nicht mehr weiter für die Beklagte arbeiten zu wollen. Stand ihr Entschluss fest, ist kein berechtigtes Interesse mehr erkennbar, weshalb die Klägerin das Gerücht in Wahrnehmung berechtigter Interessen verbreiten können soll. Die Sorge um das eigene Wohl und das Wohl einer Kollegin rechtfertigt nicht das Verbreiten des Gerüchtes, denn das Verbreiten des Gerüchts ist per se nicht geeignet, die eigene Sicherheit oder auch nur das von ihr empfundene Sicherheitsgefühl zu verbessern. Außerdem versuchte sie, auch die Kollegin dazu zu bringen, die Arbeit im Betrieb der Beklagten zu beenden.
Fazit: Auch Klatsch und Trasch kann bestraft werden, was hier richtigerweise erfolgt ist. Wer nichts besseres zu tun hat als 2 Tage nach Arbeitsaufnahme – ohne jeglichen Nachweise – Behauptungen über Arbeitskollegen zu verbreiten, muss mit einer außerordentlichen Kündigung seines Arbeitsverhältnisses rechnen.
20 % – Nachtzuschlag für Dauernachtwache im Pflegedienst
Zur Zahlung eines Nachtzuschlags ist der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet. Dies gilt selbst dann, wenn es keine arbeitsvertragliche oder tarifvertragliche Regelung gibt.
Die gesetzliche Grundlage dafür ist § 6 Abs. 5 ArbZG. Dort ist geregelt:
§ 6 Nacht- und Schichtarbeit
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(5) Soweit keine tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen bestehen, hat der Arbeitgeber dem Nachtarbeitnehmer für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren.
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Höhe des Nachtzuschlags
Die Höhe des Nachtzuschlags ist gesetzlich aber nicht geregelt. Nach der Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 9. Dezember 2015 – 10 AZR 423/14) beträgt dieser aber zwischen 25 % und 30 %. Ein dauerhaft in Nachtarbeit arbeitender Arbeitnehmer bekommt in der Regel 30 % an Zuschlag; ein regelmäßig in Nachtarbeit arbeitender Arbeitnehmer bekommt 25 %. Abschläge sind aber in Sonderfällen denkbar. Einen solchen Abschlag um 5 % für einen regelmäßig in Nachtarbeit arbeitenden Arbeitnehmer (also dann 20 % – Zuschlag) hat das LAG Baden-Württemberg hier vorgenommen.
Dazu das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 11.1.2019, 9 Sa 58/18:
Nach § 6 Abs. 5 ArbZG ist der Arbeitgeber, soweit eine tarifvertragliche Ausgleichsregelung nicht besteht, verpflichtet, dem Nachtarbeitnehmer (§ 2 Abs. 5 ArbZG) für die während der Nachtzeit (§ 2 Abs. 3 ArbZG) geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Anzahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren. Der Arbeitgeber kann wählen, ob er den Ausgleichsanspruch durch Zahlung von Geld, durch bezahlte Freistellung oder durch eine Kombination von beidem erfüllt. Die gesetzlich begründete Wahlschuld (§ 262 BGB) konkretisiert sich auf eine der geschuldeten Leistungen erst dann, wenn der Schuldner das ihm zustehende Wahlrecht nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ausübt (BAG 18. Mai 2011 – 10 AZR 369/10 – Rn. 15 mwN).
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Das Arbeitsgericht ist auch zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass ein Zuschlag iHv. 25 % auf den jeweiligen Bruttostundenlohn bzw. die Gewährung einer entsprechenden Anzahl von bezahlten freien Tagen regelmäßig einen angemessenen Ausgleich für geleistete Nachtarbeit iSv. § 6 Abs. 5 ArbZG darstellt. Auch hier geht es zutreffend von den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG, 9. Dezember 2015, 5 AZR 423 / 14) aus.
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Nach gefestigter Rechtsprechung aller mit dieser Frage befassten Senate des Bundesarbeitsgerichts ist ein Nachtarbeitszuschlag iHv. 25 % des Bruttostundenlohns bzw. eine entsprechende Anzahl bezahlter freier Tage regelmäßig als angemessen iSd. § 6 Abs. 5 ArbZG anzusehen.
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Ein Wert von 25 % ist typischerweise dann angemessen, wenn ein Arbeitnehmer „Nachtarbeitnehmer“ iSv. § 2 Abs. 5 ArbZG ist, also im gesetzlich vorgegebenen Mindestumfang von 48 Tagen im Kalenderjahr Nachtarbeit leistet oder normalerweise Nachtarbeit in Wechselschicht leistet und während dieser Zeit die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbringt, ohne dass besondere Umstände vorliegen, die Anlass für eine Erhöhung oder Verminderung des Umfangs des Ausgleichsanspruchs bieten würden. Unabhängig von den anderen Zwecken der steuerrechtlichen Regelung in § 3b Abs. 1 Nr. 1 EStG kann aus ihr jedenfalls entnommen werden, dass auch der Gesetzgeber eine solche Größenordnung grundsätzlich als angemessen akzeptiert hat. Eine Erhöhung oder Verminderung des Umfangs des von § 6 Abs. 5 ArbZG geforderten Ausgleichs für Nachtarbeit kommt in Betracht, wenn Umstände im Zusammenhang mit der Erbringung der Arbeitsleistung vorliegen, die den regelmäßig angemessenen Wert von 25 % wegen der im Vergleich zum Üblichen niedrigeren oder höheren Belastung als zu gering oder zu hoch erscheinen lassen. Die Höhe des angemessenen Nachtarbeitszuschlags richtet sich nach der Gegenleistung, für die sie bestimmt ist (BAG 11. Februar 2009 – 5 AZR 148/08 – Rn. 12). Bei der Erbringung der regulären Arbeitsleistung in Dauernachtarbeit ist deshalb regelmäßig ein Nachtarbeitszuschlag iHv. 30 % auf den Bruttostundenlohn bzw. die Gewährung einer entsprechenden Anzahl freier Tage als angemessen anzusehen, da sich nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen sich die Belastung mit dem Umfang der geleisteten Nachtarbeit erhöht (BAG, 9. Dezember 2015, 5 AZR 423 / 14 – II 2 a der Gründe).
Andererseits kann nach § 6 Abs. 5 ArbZG ein geringerer Ausgleich erforderlich sein, wenn die Belastung durch die Nachtarbeit im Vergleich zum Üblichen geringer ist, weil z.B. in diese Zeit in nicht unerheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft fällt. Nach der Art der Arbeitsleistung ist auch zu beurteilen, ob der vom Gesetzgeber mit dem Lohnzuschlag verfolgte Zweck, im Interesse der Gesundheit des Arbeitnehmers Nachtarbeit zu verteuern und auf diesem Weg einzuschränken, zum Tragen kommen kann oder in einem solchen Fall nur die mit der Nachtarbeit verbundene Erschwernis ausgeglichen werden kann (BAG 31. August 2005 – 5 AZR 545/04 – zu I 4 b der Gründe, BAGE 115, 372). Relevanz kann die letztgenannte Erwägung aber nur in den Fällen haben, in denen die Nachtarbeit aus zwingenden technischen Gründen oder aus zwingend mit der Art der Tätigkeit verbundenen Gründen bei wertender Betrachtung vor dem Hintergrund des Schutzzwecks des § 6 Abs. 5 ArbZG unvermeidbar ist. Auch in einem solchen Fall ist ein Zuschlag von 10 % aber regelmäßig die Untergrenze dessen, was als angemessen angesehen werden kann (BAG 31. August 2005 – 5 AZR 545/04 – aaO [Angehörige eines Rettungsdienstes]; BAG, 09. Dezember 2015 – 10 AZR 423/14 Rn. 16ff).
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Die Anwendung dieser Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung führt zu dem Ergebnis, dass für die Tätigkeit der Klägerin ein Zuschlag für deren Nachtarbeit i.H.v. 20 % der Stundenvergütung angemessen im Sinne des § 6 Abs. 5 ArbZG ist.
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Auszugehen ist davon, dass ein Nachtarbeitszuschlag von 25 % angemessen ist. Dieser berücksichtigt jedoch nicht die Besonderheiten der konkreten Tätigkeit der Klägerin. Diese sind zum einen, dass sie in Dauernachtschicht arbeitet, zum anderen aber, dass die Beklagte die angeordnete Nachtschicht nicht vermeiden kann, weil sie hierzu nach § 10 LPersVO gesetzlich verpflichtet ist. Dafür, dass die Beklagte mehr Nachtarbeit anordnet als ihrer gesetzlichen Verpflichtung entspricht, gibt es keine Anhaltspunkte. Weitere Besonderheiten der Tätigkeit der Klägerin sind hier gerade nicht zu berücksichtigen, da zwischen den Parteien unstreitig ist, dass sich die Tätigkeit der Klägerin ansonsten von sonstigen Tätigkeiten nicht besonders unterscheidet. Die Anforderungen an die Tätigkeit der Klägerin sind nach dem unstreitigen Parteivortrag weder besonders belastend noch entlastend und unterscheiden sich nicht von einer gewöhnlichen Tätigkeit.
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Ausgehend von dem „Regelnachtarbeitszuschlag“ von 25 % ist in einem ersten Schritt eine Korrektur vorzunehmen, weil es sich bei der von der Klägerin geleisteten Nachtarbeit um gesetzlich angeordnete Nachtarbeit im Interesse des Gemeinwohls handelt und in einem zweiten Schritt eine weitere Korrektur vorzunehmen, weil die geleistete Dauernachtarbeit die Klägerin zusätzlich in ihrer Gesundheit gegenüber einfacher Nachtarbeit beeinträchtigt.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht
LAG BW:Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf halbe (geteilte) Urlaubstage!
Der Arbeitnehmer arbeitete bei der Beklagten als Zerspannungsmechaniker zum einem Verdienst von rund € 3.800 brutto pro Monat. Daneben betrieb der Arbeitnehmer privat ein Weingut.
Ihm wurden im Jahr 2015 antragsgemäß an 18 Tagen und im Jahr 2016 an 13 halben Urlaubstagen der Urlaub gewährt.
Die Arbeitgeberin gab dem Arbeitnehmer im August 2017 kund, ihm künftig jedenfalls nicht mehr als sechs halbe Tage Urlaub pro Jahr gewähren zu wollen.
Der Arbeitnehmer machte geltend, dass ihm ein Anspruch zustehe, dass 10, hilfsweise 8 Urlaubstage pro Jahr auch halbtageweise (somit 20 halbe Tage bzw. 16 halbe Tage) genommen werden dürfen.
Der Arbeitnehmer/ Kläger trug vor, dass er die halben Tage an Urlaub für die Arbeit auf seinen Weingut benötige und dies vorher nie problematisch gewesen sei.
Der Arbeitnehmer/ Kläger verlor sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch in der Berufungsinstanz vor dem Landesarbeitsgericht Urteil vom 6.3.2019, 4 Sa 73/18.
Das LAG Baden-Würtemberg führte dazu aus:
Die Klage gemäß Antrag zu 1 a) ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Urlaubsfestlegungen nach seinen Wünschen im Form von halben Urlaubstagen. Ein solcher Anspruch ergibt sich weder aus § 7 Abs. 1 BUrlG noch aus Vertrag.
1. Schon aus § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG ergibt sich kein Anspruch auf die gewünschten Urlaubsfestlegungen.
a) Gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz BUrlG hat der Arbeitgeber bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs grundsätzlich die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Der Arbeitgeber ist zur gewünschten Urlaubsgewährung verpflichtet, wenn ihm kein Leistungsverweigerungsrecht zusteht (BAG 18. Dezember 1986 – 8 AZR 502/84 -).
Ein solches Leistungsverweigerungsrecht steht dem Arbeitgeber gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz BUrlG zu, wenn der gewünschten Urlaubsgewährung dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer entgegenstehen, die unter sozialen Gesichtspunkten Vorrang verdienen.
b) Vorliegend begehrt der Kläger jedoch eine Feststellung, dass die Beklagte zur Urlaubsgewährung verpflichtet sei, ohne dass sich die Beklagte auf ein Leistungsverweigerungsrecht berufen dürfe. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Vergleich zwischen dem Hauptantrag zu 1 a) und dem Hilfsantrag zu 1 b). Nur letzterer wird eingeschränkt durch das Nichtvorliegen entgegenstehender betrieblicher Belange. Daraus ist im Umkehrschluss zu folgern, dass nach dem Hauptantrag zu 1 a) selbst entgegenstehende betriebliche Belange unbeachtlich sein sollen. Einen solchen weitgehenden einschränkungslosen Anspruch gewährt das Gesetz jedoch nicht.
Das klägerische Begehren missachtet auch die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 BUrlG.
a) Der Urlaub ist nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG nur dann entsprechend den Wünschen des Arbeitnehmers festzulegen, wenn der Urlaubswunsch des Arbeitnehmers die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 BUrlG erfüllt. Gem. § 7 Abs. 2 Satz 1 BUrlG ist der Urlaub jedoch zusammenhängend zu gewähren. Eine Ausnahme hiervon greift nur, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe eine Teilung erforderlich machen.
Umstritten ist schon, ob allein der bloße Wunsch des Arbeitnehmers, einen geteilten Urlaub zu erhalten, bereits ein in der Person des Arbeitnehmers liegender Grund für eine solche Teilung darstellen kann, jedenfalls solange eine zusammenhängende Gewährung von mindestens zwei Wochen gem. § 7 Abs. 2 Satz 2 BUrlG nicht verhindert wird (bejahend: LAG Niedersachsen 23. April 2009 – 7 Sa 1655/08 -; Arnold in Arnold/Tillmanns BUrlG 3. Aufl. § 7 Rn. 74; ablehnend: ErfK/Gallner 19. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 25; Neumann in Neumann/Fenski/Kühn BUrlG 11. Aufl. Rn. 60). Jedenfalls ausgehend von der gesetzgeberischen Grundwertung, dass der Urlaub Erholungszwecken zu dienen hat (BAG 29. Juli 1965 – 5 AZR 380/64 -), kann selbst auf Wunsch des Arbeitnehmers eine Zerstückelung und Atomisierung des Urlaubs in viele kleine Einheiten nicht gefordert werden (Arnold in Arnold/Tillmanns BUrlG 3. Aufl. § 7 Rn. 74; Neumann in Neumann/Fenski/Kühn BUrlG 11. Aufl. § 7 Rn. 62). Eine solche Urlaubsgewährung in Kleinstraten wäre vielmehr keine ordnungsgemäße Erfüllung des Urlaubsanspruchs des Arbeitnehmers. Ein derart gewährter Urlaub könnte nochmals gefordert werden (BAG 29. Juli 1965 – 5 AZR 380/64 -; Neumann in Neumann/Fenski/Kühn BUrlG 11. Aufl. § 7 Rn. 62; ErfK/Gallner 19. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 26). Eine Urlaubsgewährung von nur Bruchteilen eines Urlaubstages ist ohnehin gänzlich ausgeschlossen, es sei denn, es handelt sich um einen Bruchteil von unter 0,5, der sich aus der Teilurlaubsberechnung nach § 5 Abs. 2 BUrlG ergibt (BAG 19. Juni 2018 – 9 AZR 615/17 -; BAG 29. Juli 1965 – 5 AZR 380/64 -; ErfK/Gallner 19. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 26).
Von diesen Grundsätzen kann gem. § 13 Abs. 1 BUrlG auch arbeitsvertraglich nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden.
b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist festzustellen, dass der Kläger gerade eine „Atomisierung“ seines Urlaubsanspruchs in viele Bruchteile von Urlaubstagen begehrt. Dies ist nach Maßgabe des § 7 Abs. 2 BUrlG unzulässig.
1. Grundsätzlich wäre es denkbar, dass der Arbeitgeber auf sein Leistungsverweigerungsrecht gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz BUrlG verzichtet. Dies wäre für den Arbeitnehmer günstiger. Ebenfalls wäre es denkbar, für den den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigenden Urlaub eine von § 7 Abs. 2 BUrlG abweichende Regelung zu treffen. Einer solchen abweichenden Regelung stünde § 13 Abs. 1 BUrlG nicht entgegen. Eine solche vertragliche Regelung mit dem Inhalt eines Selbstbeurlaubungsrechts des Klägers, unabhängig von möglicherweise entgegenstehenden betrieblichen Gründen oder entgegenstehenden Urlaubswünschen sozial vorrangiger Arbeitnehmer, ist nicht festzustellen. Genauso wenig ist eine Vereinbarung festzustellen, dass Urlaubsgewährungen in Form von Bruchteilen einzelner Urlaubstagen erfolgen dürften.
a) Der Kläger behauptete insoweit, er hätte zu Beginn des Arbeitsverhältnisses mit dem vormaligen Geschäftsführer der Rechtsvorgängerin der Beklagten eine entsprechende Vereinbarung getroffen. Es kann dahinstehen, ob dieser Vortrag als hinreichend konkret und substantiiert erachtet werden kann. Denn der Kläger hat hierfür kein taugliches Beweismittel benannt. Denn der vom Kläger benannte Zeuge Herr D. ist 1966 geboren und war zu Beginn des Arbeitsverhältnisses des Klägers im Jahr 1977 offensichtlich noch nicht Geschäftsführer der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Der Kläger musste demnach auch einräumen, dass die behauptete Vereinbarung nicht mit dem benannten Zeugen getroffen worden sein soll, sondern mit dessen Vater.
Hinzu kommt, dass der Kläger selbst einräumen musste, dass jedenfalls in der Praxis, auch in der Zeit der Geschäftsführerschaft des benannten Zeugen, die halbtageweisen Urlaubsgewährungen nicht ohne Prüfung entgegenstehender Gründe erfolgt seien. Selbst in der mündlichen Verhandlung vor der erkennenden Berufungskammer räumte der Kläger ein, dass Urlaubsanträge gegenüber dem Meister gestellt worden seien mit der Frage, ob dies betrieblich in Ordnung gehe. Selbst wenn also der Zeuge in seiner Geschäftsführerschaft eine bereits von seinem Vater geschlossene Vereinbarung fortgeführt haben sollte, ließe sich aus der tatsächlichen Handhabung der Fortführung nicht auf eine Vereinbarung mit dem vom Kläger behaupteten Inhalt rückschließen.
Rechtsanwalt A. Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht
LAG B-W: Einstweilige Verfügung auf Weiterbeschäftigung bei Freistellung durch den Arbeitgeber.
Der Arbeitnehmer/ Verfügungskläger war als Leiter einer Motorenentwicklungsabteilung bei seiner Arbeitgeberin/ der Verfügungsbeklagten (Dieselmotoren 6- und 8-Zylinder) beschäftigt. Im Gegensatz zu einem „normalen“ dort tätigen Produktionsarbeiter, der gleichförmige Arbeit zu leisten hat, war der Arbeitnehmer als Leiter in höherem Maße auf Kenntnis vom aktuellen Geschehen und dem Fortgang der aktuellen Projekte dieser Abteilung, die er leitet, angewiesen.Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil der Arbeitnehmer/ der Verfügungskläger sich diese Kenntnisse nicht ohne Weiteres selbst außerhalb einer Tätigkeit im Betrieb verschaffen konnte.
Der Arbeitnehmer/ Verfügungskläger wurde von der Arbeitgeberin / Verfügungsbeklagten Ende 2015 einseitig unter Fortzahlung seiner vertragsgemäßen Vergütung freigestellt.
Ein Einverständnis des Verfügungsklägers mit seiner Freistellung bestand nicht. Er bestätigte nur den Erhalt der Freistellungserklärung (auf dieser) des Arbeitgebers.
Der Arbeitnehmer/ Verfügungskläger reichte einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Weiterbeschäftigung beim Arbeitsgericht ein und verlor vor dem Arbeitsgericht.
Die Berufung zum Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (Urteil vom 16.2.2017, 21 SaGa 1/16) hatte keinen Erfolg.
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg führte dazu aus:
Der zulässige Antrag des Verfügungsklägers ist nicht begründet.
…
Die Klage ist nicht begründet. Es besteht kein Verfügungsanspruch des Verfügungsklägers für den zur Entscheidung gestellten Klagantrag.
…
Gem. den §§ 64 Abs. 7, 62 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 935, 936, 937, 940 iVm. den §§ 916, 917, 918 ZPO bedarf ein im einstweiligen Verfügungsverfahren geltend gemachter materiell-rechtlicher Anspruch sowohl eines Verfügungsanspruchs als auch eines Verfügungsgrundes.Nach wohl überwiegender, jedenfalls aber zutreffender Auffassung genügt weder das unzweifelhafte Bestehen eines Beschäftigungsanspruchs noch der auf Grund Zeitablaufs drohende Rechtsverlust des Beschäftigungsanspruchs für das Vorliegen eines Verfügungsgrundes. Wird eine auf Beschäftigung gerichtete einstweilige Verfügung erlassen, wird für jeden Tag der Beschäftigung der materiell-rechtliche Anspruch bereits erfüllt. Die begehrte einstweilige Verfügung, die nach § 940 ZPO lediglich der vorläufigen Sicherung zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis dienen soll, nimmt für die Zeit dieser einstweiligen Regelung die Hauptsache bereits vorweg. An den Erlass einer Leistungsverfügung sind daher strenge Anforderungen zu stellen. So muss der Verfügungskläger auf die Erfüllung seines Anspruchs dringend angewiesen sein, dass die geschuldete Handlung so kurzfristig erbracht wird, dass die Erwirkung eines Titels im ordentlichen Verfahren nicht möglich ist und der dem Antragsteller aus der Nichterfüllung der geschuldeten Handlung drohende Schaden muss außer Verhältnis zum Schaden stehen, der dem Verfügungsbeklagten aus der sofortigen vorläufigen Erfüllung des streitigen Rechtsverhältnisses bzw. des streitigen Anspruchs droht. Daraus ergibt sich, dass der sukzessive Untergang des Beschäftigungsanspruchs durch Zeitablauf für den Verfügungsgrund allein nicht ausreicht. Hinzu kommen müssen vielmehr weitere Umstände, die zu der Erkenntnis führen, dass der Verfügungskläger auf den Erlass einer auf Beschäftigung gerichteten einstweiligen Verfügung bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren dringend angewiesen ist. Auf Grund des Gebots der Ausgewogenheit des einstweiligen Rechtsschutzes ist daher zu prüfen, ob das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers der Sicherung durch eine einstweilige Verfügung bedarf. Dies setzt ein deutlich gesteigertes Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers voraus (LAG Berlin-Brandenburg – 4 SaGa 2600/11 – in NJW-RR 2011, 551).
Bei Anwendung dieser Grundsätze, denen sich die erkennende Kammer anschließt, auf den vorliegenden Rechtsstreit ergibt sich, dass dem Verfügungskläger ein Verfügungsgrund für den von ihm streitgegenständlich geltend gemachten Anspruch nicht zur Seite steht.
….
Richtig ist auch, dass der Verfügungskläger als Leiter einer Motorenentwicklungsabteilung der Verfügungsbeklagten (Dieselmotoren 6- und 8-Zylinder) – im Gegensatz zu einem Arbeitnehmer, der gleichförmige Arbeit zu leisten hat – offensichtlich in höherem Maße auf Kenntnis vom aktuellen Geschehen und dem Fortgang der aktuellen Projekte dieser Abteilung, die er leitet, angewiesen ist, um seinen Aufgaben gerade als Leiter auch künftig gerecht werden zu können. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil der Verfügungskläger sich diese Kenntnisse nicht ohne Weiteres selbst außerhalb einer Tätigkeit im Betrieb verschaffen bzw. diese erhalten kann. Es geht gerade um die Entwicklung/Optimierung von Produkten, die die Verfügungsbeklagte selbst herstellt/verwendet, also gerade nicht (nur) um das Sammeln/Erlernen von Kenntnissen, die bereits vorhanden und im Eigenstudium über andere allgemein zugängliche Informationsquellen abrufbar sind.
Hingegen ist für die erkennende Kammer nicht erkennbar, dass der Verfügungskläger, beginnend ab dem Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung bis zum Termin, an dem die Hauptsache zum vorliegenden Streitgegenstand (vom Kläger eingeleitet mit Klage vom 02.08.2016 vor dem Arbeitsgericht Heilbronn mit dem Aktenzeichen 5 Ca 219/16) vor dem Arbeitsgericht verhandelt wird, das ist der 21.02.2017, noch darauf angewiesen ist, bis dahin beschäftigt zu werden. Zunächst ist dieser Zeitraum isoliert betrachtet tatsächlich nicht geeignet, den Verlust von Fertigkeiten/Kenntnissen des Verfügungsklägers annehmen zu können, der ihm ein weiteres Tätigsein für die Verfügungsbeklagte in hohem Maße erschweren würde. Dieser Zeitraum beträgt weniger als eine Woche. Arbeitsunterbrechungen in diesem Umfang ergeben sich schon ohne Weiteres im Rahmen der Nahme von Erholungsurlaub im laufenden Arbeitsverhältnis. Nur im Zusammenhang mit dem vom Verfügungskläger bisher bereits „Versäumten“ kann dieser Zeitraum von knapp einer Woche dazu führen, dass seine Weiterbeschäftigung dringend erforderlich sein könnte, um ihm die Fertigkeiten als Leiter einer Entwicklungsabteilung notwendig zu erhalten. Davon ist die erkennende Kammer hingegen nicht überzeugt (§ 286 ZPO). Es ist für die erkennende Kammer weder offensichtlich noch vom Verfügungskläger konkret vorgetragen, dass diese Woche des Zuwartens bis zur mündlichen Verhandlung im Hauptsacheverfahren in Verbindung mit der ihm entgangenen Teilhabe an der seit Ende November 2015 fortgeschrittenen Entwicklung in einem Maße beeinträchtigt, das ihm ein Abwarten des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung im Hauptsacheverfahren am 21.02.2017 nicht mehr zumutbar macht, etwa weil er damit Erfindungen oder Entwicklungen versäumt, die er gar nicht mehr oder nur unter ganz erschwerten Umständen aufholen kann. Insoweit ist vielmehr davon auszugehen, dass der Verfügungskläger dies als lebens- und berufserfahrener Akademiker, mit bisher offensichtlich großem beruflichen Erfolg, im Hinblick auf den am 21.02.2017 stattfindenden Kammertermin über die Hauptsache (noch) schultern kann. Diese Betrachtungsweise ist der Art des geltend gemachten Anspruchs, der die Hauptsache vorweg nimmt und nicht nur bloß sichert (siehe oben), vom Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung aus gesehen geschuldet.
Anmerkung:
Derartige Beschäftigungsansprüche sind schwer mittels einsteiliger Verfügung durchzusetzen. Die einstweilige Verfügung darf nämlich im Normalfall nicht gleich den geltend gemachten Anspruch auf Weiterbeschäftigung durchsetzen.
Interessant ist auch noch ein anderer Aspekt des Falles. Der Arbeitnehmer hatte nämlich auf der Freistellungsbescheinigung unter dem Punkt „erhalten“ unterschrieben. Die Arbeitgeberin trug im Prozess vor, dass damit bereits der Arbeitnehmer der Freistellung zugestimmt hätte. Das LAG fand hierfür deutliche Worte und führte dazu aus:
Daraus den Schluss zu ziehen, dass der Verfügungskläger mit seiner Freistellung von der Arbeit einverstanden gewesen sei ist völlig abwegig und bringt allein den untauglichen Versuch der Verfügungsbeklagten zum Ausdruck, in das in ihrem Schreiben vom 25.11.2015 erwähnte Gespräch mit dem Kläger das hineinzuinterpretieren, was ihren Interessen entspricht und was sich aus ihrem tatsächlichen Vortrag über den konkreten Inhalt dieses Gespräch gerade nicht ergibt.
Schön formuliert.
Rechtsanwalt Andreas Martin- Fachanwalt für Arbeitsrecht
Kündigung in der Probezeit/ Wartezeit mit verlängerter Kündigungsfrist
Das Landesarbeitsgericht Baden – Württemberg (Urteil vom 6.5.2015, 4 Sa 94/14) hatte über eine Kündigung in der Wartezeit zu entscheiden.
Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis gegenüber dem Arbeitnehmer innerhalb der Wartezeit nach § 1 KSchG (ersten 6 Monate des Arbeitsverhältnisses). Dabei sprach der Arbeitgeber aber nicht die Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt, also mit der kürzesten möglichen Kündigungsfrist aus, sondern mit einer längeren Frist.
Vielmehr kündigte der Arbeitgeber mit der Kündigung vom 26.02.2014 zum 31.05.2014 beendet, also mit einer Frist von 3 (!) Monaten.
Trotzdem bedurfte es keines Kündigungsgrundes, da eine Kündigung in der Wartzeit (Probezeit) vorlag; entscheidend ist der Zugang der Kündigung und dieser war während der noch noch vollendeten Wartezeit. Es spielt dabei keine Rolle, wann das Arbeitsverhältnis endet.
Allerdings wandte der Arbeitnehmer – der Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht erhob – ein, dass die Kündigung unwirksam sei, da diese allein den Zweck gehabt habe den Kündigungsschutz treuwidrig zu verhindern. Dies sähe man vor allem an der langen Kündigungsfrist. Nach dem BAG sei dies unzulässig, da es hier keinen Grund für eine Kündigung mit der überlangen Kündigungsfrist gebe, so der Arbeitnehmer.
Das LAG Baden-Württemberg sah dies nicht so und führte dazu aus:
1. Während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG besteht für den Arbeitgeber Kündigungsfreiheit. Der Arbeitnehmer ist während dieses Zeitraums lediglich vor einer sitten- oder treuwidrigen Ausübung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers geschützt (BAG 22. April 2010 – 6 AZR 828/08 – EzA-SD 2010 Nr. 12, 3-6; BAG 16. September 2004 – 2 AZR 447/03 – AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 44; BAG 7. März 2002 – 2 AZR 93/01 – AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 22; HaKo/Mayer 5. Aufl. § 1 KSchG Rn. 71). Eine solche treuwidrige Ausübung des Kündigungsrechts liegt zum Beispiel dann vor, wenn die Kündigung kurz vor Ablauf der Wartezeit erklärt wird, um den Erwerb des allgemeinen Kündigungsschutzes zu vereiteln. In diesen Fällen ist der Arbeitnehmer in entsprechender Anwendung von § 162 BGB so zu behandeln als wäre die Wartezeit bereits erfüllt. Jedoch kommt eine solche analoge Anwendung von § 162 BGB erst dann in Betracht, wenn das Vorgehen des Arbeitgebers unter Berücksichtigung der im Einzelfall gegebenen Umstände gegen Treu und Glauben verstößt (BAG 5. März 1987 – 2 AZR 187/86 – juris). Die Annahme einer solchen Treuwidrigkeit setzt aber das Vorliegen weiterer Umstände voraus, die Rückschlüsse auf einen solchen Vereitelungswillen zulassen (BAG 5. März 1987 aaO; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 34; KR/Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 103). Die Annahme einer Treuwidrigkeit in entsprechender Anwendung von § 162 BGB basiert nämlich auf dem Gedanken der Gesetzesumgehung und setzt voraus, dass Sinn und Zweck der Wartezeit umgangen wird. Dies liegt insbesondere dann vor, wenn sich der Arbeitgeber (zumindest vorerst) eigentlich gar nicht vom Arbeitnehmer trennen will, sondern lediglich den Eintritt des Kündigungsschutzes verhindern will (Krause in von Hoyningen-Huene/Linck KSchG 15. Aufl. § 1 Rn. 108). Dies wiederum kann angenommen werden, wenn der Arbeitgeber die Kündigung mit einer sehr langen Kündigungsfrist ausspricht (Krause in von Hoyningen-Huene/Linck KSchG 15. Aufl. § 1 Rn. 108; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 34), also nicht zum erstmöglichen Termin nach der Wartezeit kündigt (HaKo/Mayer 5. Aufl. § 1 KSchG Rn. 71), sondern zu einem wesentlich späteren Termin (KR/Grüneberg 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 10). Weil maßgebliches Kriterium ist, ob die längere Kündigungsfrist funktionswidrig zum Zwecke der Kündigungsschutzumgehung eingesetzt wurde, ist wie beim Aufhebungsvertrag darauf abzustellen, ob durch den Regelungsgehalt eine alsbaldige Beendigung des Arbeitsverhältnisses beabsichtigt ist oder vielmehr nur eine befristete Fortsetzung (Krause in von Hoyningen-Huene/Linck 15. Aufl. § 1 KSchG Rn. 108). Denn wenn sich der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer eigentlich gar nicht trennen will, dann liegt ein treuwidriger Einsatz der Wartezeitkündigung vor (Krause in von Hoyningen-Huene/Linck 15. Aufl. Rn. 108).
Im Zusammenhang mit einem Aufhebungsvertrag hat das BAG – wie von den Parteien richtig ausgeführt – konstatiert, dass eine Kündigung mit einer überschaubar langen Kündigungsfrist, die, wenn sie zumindest unterhalb der längst möglichen gesetzlichen oder tariflichen Kündigungsfrist liegt, zulässig ist, wenn dem Arbeitnehmer über eine Wiedereinstellungszusage die Chance zur Bewährung eingeräumt wird. Für diesen Fall hat das BAG ausgeführt, dass eine Überschreitung der Mindestkündigungsfrist nicht mehr in alleinigem oder überwiegendem Interesse des Arbeitgebers läge (BAG 7. März 2002 aaO). Daraus ist zu entnehmen, dass Überschreitungen der Mindestkündigungsfrist lediglich dann als Umstände für die Annahme eines Umgehungswillens geeignet sind, wenn sie im alleinigen oder überwiegenden Arbeitgeberinteresse liegen.
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2. Unter Anwendung dieser Grundsätze kann vorliegend von einer treuwidrigen Vereitelung des Eintritts des allgemeinen Kündigungsschutzes keine Rede sein.a) Die Beklagte hat im Kündigungsschreiben ausdrücklich ausgeführt, dass der Kläger (jedenfalls aus Sicht der Beklagten) die Probezeit nicht bestanden habe, was angesichts der unbestrittenen Fehlanzeige bei der Kundenakquise keineswegs willkürlich erscheint.
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Ebenfalls ist im Kündigungsschreiben ausdrücklich ausgeführt, dass die Beklagte dem Kläger mit der langen Kündigungsfrist eine Bewährungschance gewähren möchte und die Beklagte für den Fall der Bewährung bereit wäre, mit dem Kläger über einen anschließenden neuen Arbeitsvertrag zu sprechen.
Eine schöne Entscheidung, die nochmals genau aufführt, wann das BAG tatsächlich eine Vereitelung des Kündigungsschutzes mittels Kündigung mit langer Kündigungsfrist annimmt. Kündigt der Arbeitgeber während der Wartezeit mit langer Kündigungsfrist braucht er eine nachvollziehbare Erklärung dafür. Diese war hier, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer noch eine zweite Chance (Bewährung) einräumen wollte. Es ging dem Arbeitgeber nicht um Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes.
RA A. Martin
Verlängerung eines befristeten Arbeitsvertrages nicht durch Verlängerungsklausel möglich
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (Urteil vom 30.01.2015 – 12 Sa 70/14) hat entschieden, dass eine Klausel im Arbeitsvertrag unwirksam sein, wonach sich ein befristeter Arbeitsvertrag automatisch befristet verlängert.
Eine vom Land (Oberschulamt) als Beamtin beschäftigte Sonderschullehrerin wurde vom Land beurlaubt, um an einer Schule als Schulleiterin tätig zu sein. Dort schloß man einen befristeten Arbeitsvertrag, der unter anderem folgende Klausel enthielt:
Im Falle einer erneuten Beurlaubung durch das Oberschulamt verlängert sich dieses Vertragsverhältnis für den Zeitraum der erneuten Beurlaubung, ohne daß es weiterer Erklärungen der Parteien bedarf. Voraussetzung für die Beantragung einer weiteren Verlängerung ist die Zustimmung des … e.V.“
Danach sollte also der ursprünglich befristete Arbeitsvertrag weiter – automatisch für den Fall einer weiteren Beurlaubung der Lehrerin durch das Land – für die Dauer eben dieser Beurlaubung befristet werden.
Die Lehrerin erhob Klage auf Feststellung, dass ein unbefristetes Arbeitsverhältnis vorlag.
Das LAG Baden-Württemberg gab der Klägerin Recht und führte aus:
b) Die stillschweigende Vereinbarung der Parteien, die sie Ende des Schuljahres 2010/2011 trafen, das Arbeitsverhältnis bis zum Ende des Schuljahres 2013/2014 zu verlängern, erfüllt nicht das Schriftformerfordernis des § 14 Abs. 4 TzBfG und ist deshalb gem. § 125 BGB unwirksam.
Das Schriftformerfordernis ist nicht durch den Arbeitsvertrag vom 02.08.1995 erfüllt. Er enthält wie skizziert keine Vereinbarung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien am 14.09.2014 ende. Die schriftliche Regelung des § 11 des Arbeitsvertrags macht die schriftliche Abfassung der nachfolgenden Befristungsabreden, insbesondere der letzten Befristungsabrede, schon aus diesem Grund nicht entbehrlich.
Hinzu kommt, dass die Schriftform der Verlängerungsklausel im Hinblick auf die konkrete Vertragsverlängerung bis zum 14.09.2014 der Warnfunktion des Schriftformerfordernisses nicht gerecht wird. Das Schriftformerfordernis einer Befristungsabrede soll auch gewährleisten, dass dem Arbeitnehmer beim Lesen des schriftlichen Arbeitsvertrags quasi vor Augen geführt wird, dass er keinen Dauerarbeitsplatz erhält (vgl. BAG, Urteil vom 01.12.2004, 7 AZR 198/04, NZA 2005, 575 (577)). Das kann eine schriftliche Verlängerungsklausel, die ohnehin den Anschein der Dauerhaftigkeit erweckt, mit zunehmender Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht sicherstellen. So hat die Klägerin in den wiederholten Befristungen des Arbeitsverhältnisses lediglich eine ihrem Beamtenstatus geschuldete Formalität gesehen und – wie der Beklagte feststellt – keinen Vorstoß unternommen, einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu erlangen.
RA A. Martin
Frist für außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB
Was nicht alle Arbeitgeber wissen, ist dass es auch auf ihrer Seite eine Frist für eine außerordentliche Kündigung gibt. Nach § 626 II BGB muss der Arbeitgeber nämlich die Frist innerhalb von 2 Wochen ab Kenntnis vom Kündigungsgrund aussprechen (schriftlich natürlich).
Die Vorschrift lautet wie folgt:
§ 626
Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
Nach dem „reinen“ Gesetzeswortlaut müsste man meinen, dass der Arbeitgeber sofort nach dem er z.B. davon erfährt, dass der Arbeitnehmer z.B. Arbeitsmittel gestohlen hat, sich die 2-Wochenfrist notieren muss.
Richtig ist aber, dass der Arbeitgeber zunächst den Sachverhalt aufklären darf und während dieser Zeit die Frist nicht zu laufen beginnt. Dies soll dazu führen, dass der Arbeitgeber überlegt handeln kann, was letztendlich auch im Interesse des Arbeitnehmers ist.
Der Arbeitgeber darf sogar den Ausgang eines Strafverfahrens gegen den Arbeitnehmer abwarten und erst dann die außerordentliche Kündigung aussprechen.
So hat das LAG Baden-Würtemberg (Urteil vom 28.1.2013 – 13 TaBV 6714) entschieden, dass der Arbeitgeber berechtigt ist zunächst alle zur Aufklärung des Sachverhalts ihm notwendig erscheinenen Maßnahmen durchführen darf und während dieses Zeitraumes die obige Frist nicht zu laufen beginnt.
Rechtsanwalt Andreas Martin
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LAG B-W schießt im Befristungsrecht gegen das BAG
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 26. September 2013, Aktenzeichen 6 Sa28/13, entschieden, dass eine sachgrundlose Befristung nur möglich ist, wenn noch nie beim Arbeitgeber zuvor ein Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers bestanden hat.
LAG stellt sich gegen die neue Rechtsprechung des BAG
Dies wäre nicht weiter bemerkenswert, wenn nicht das Bundesarbeitsgericht im Jahr 2011 (Urteil vom 6.4.2011 – 7 AZR 716/09) jüngst entschieden hätte, dass eine sachgrundlose Befristung auch möglich ist, wenn die letzte Beschäftigung beim Arbeitgeber länger als drei Jahre zurückliegt. Das damalige Urteil des Bundesarbeitsgerichtes wurde stark kritisiert (Stichwort: „Paukenschlag aus Erfurt“). Gerade weil es im Gesetzestext („bereits zuvor“) keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass der Gesetzgeber hier Vorbeschäftigungen unberücksichtigt lassen wollte, ist die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes kaum nachvollziehbar.
Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung überschritten
Anscheinend wird dies nicht nur in der juristischen Literatur so gesehen, denn das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg stellte sich nun mit dem obigen Urteil der jüngsten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes entgegen und meint, dass das Bundesarbeitsgericht die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung überschritten hat.
In der Pressemitteilung des LAG wird ausgeführt:
Der Kläger war bei einem Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie aufgrund jeweils befristeter Arbeitsverträge vom 27. August 2007 bis 30. November 2007 und wieder vom 1. Februar 2011 bis 30. Juni 2011, verlängert bis 31. Mai 2012 und noch einmal verlängert bis 31. Januar 2013 beschäftigt. Mit seiner Klage hat er sich gegen die Befristung seines letzten Arbeitsvertrages gewandt.
Gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ist die sachgrundlose Befristung eines Arbeitsvertrages nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Das Bundesarbeitsgericht hat das Tatbestandsmerkmal „bereits zuvor“ in seiner neueren Rechtsprechung (Urteil vom 6. April 2011 – 7 AZR 716/09) dahin ausgelegt, dass in Anlehnung an die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB Vorbeschäftigungen beim selben Arbeitgeber, die länger als 3 Jahre zurückliegen, nicht zu berücksichtigen sind.
Von dieser Rechtsprechung weicht die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg ab. Das Landesarbeitsgericht hält die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung gegen den eindeutigen Wortlaut der Norm und den aus dem Gesetzgebungsverfahren erkennbaren Willen des Gesetzgebers, keine Frist in das Gesetz aufzunehmen, durch das Bundesarbeitsgericht für überschritten. Jedenfalls hätte das Bundesarbeitsgericht die Norm dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung ihrer Verfassungsmäßigkeit vorlegen müssen. Außerdem weiche die Rechtsprechung des 7. Senats des Bundesarbeitsgerichts von der des 2. Senats ab, so dass der 7. Senat das Verfahren zur Wahrung der Rechtseinheit nach § 45 ArbGG hätte durchführen müssen. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.
Eine mutige und richtige Entscheidung des LAG. Die Grenzen der Auslegung setzt der Wortlaut der Norm. Aus dem Gesetz ergibt sich nicht, was auf eine Frist bei der obigen Frage hindeutet. Der Rückgriff auf die Verjährungsfrist ist nicht nachvollziehbar.
Dem Paukenschlag aus Erfurt folgt nun das Echo aus Stuttgart.
Anwalt A. Martin