Beschäftigungspflicht
BAG: Vollstreckung aus Beschäftigungsurteil gegen Arbeitgeber
Ein Arbeitnehmer erwirkte im Jahr 2010 ein Urteil auf Beschäftigung gegen den Arbeitgeber. Das Urteil ist rechtskräftig und danach muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer „zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Direktor Delivery Communication & Media Solutions Deutschland und General Western Europe auf der Managerebene 3 zu beschäftigen“.
Zwangsvollstreckung aus Beschäftigungsurteil
Da der Arbeitgeber dies nicht freiwillig tat, leitete der Arbeitnehmer gegen diesen aus dem Urteil (jur. Titel) die Zwangsvollstreckung ein.
Vollstreckungsgegenklage des Arbeitgebers
Gegen die Zwangsvollstreckung wehrte sich der Arbeitgeber mittels sog. Vollstreckungsgegenklage und trug vor, dass er die titulierte Beschäftigung des Beklagten unmöglich leisten könne, weil der Arbeitsplatz aufgrund konzernübergreifender Veränderungen der Organisationsstruktur weggefallen sei.
keine Zuweisung einer anderen Tätigkeit durch den Arbeitgeber
Eine andere Tätigkeit wies der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nicht zu. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben.
Revision des Arbeitnehmers hat vor dem Bundesarbeitsgericht Erfolg.
Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 21. März 2018 – 10 AZR 560/16) führte dazu in seiner Pressemitteilung vom 21.03.2018 Nr. 17/18 aus:
Selbst wenn die Beschäftigung des Beklagten infolge des Wegfalls des Arbeitsplatzes iSv. § 275 Abs. 1 BGB unmöglich ist, kann die Klägerin mit dieser Einwendung im Verfahren nach § 767 ZPO jedenfalls wegen des aus § 242 BGB abzuleitenden, von Amts wegen zu berücksichtigenden sog. Dolo-agit-Einwands nicht durchdringen. Durch die Nichtbeschäftigung des Beklagten verstößt die Klägerin gegen die Beschäftigungspflicht (§ 611 Abs. 1 BGB). Fehlendes Verschulden hat sie nicht dargelegt (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB). Sie muss dem Beklagten deshalb nach § 280 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 249 Abs. 1 BGB eine andere vertragsgemäße Beschäftigung zuweisen. Dass ihr dies nicht möglich oder zuzumuten sei, hat die Klägerin nicht behauptet.
Rechtsanwalt Andreas Martin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Kanzlei Berlin Marzahn-Hellersdorf
Einstweilige Verfügung des Arbeitnehmers auf Beschäftigung bzw. Weiterbeschäftigung beim Arbeitgeber
Grundsätzlich hat der Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber einen Anspruch auf Beschäftigung. Diesen Anspruch kann der Arbeitnehmer im „normalem Klageverfahren“ vor dem Arbeitsgericht geltend machen.
Eilbedürftigkeit
In einigen Fällen ist aber eine schnelle Lösung notwendig, die im normalen Klageverfahren nicht greifbar ist, da ein solches Verfahren sich über einen längeren Zeitraum hinziehen kann.
einstweiliges Rechtsschutzverfahren und Beschäftigungsanspruch
Sofern eine besondere Eilbedürftigkeit vorliegt, besteht in bestimmten Fällen die Möglichkeit des so genannten vorläufigen Rechtsschutzes. Dieser soll gewährleisten, dass eine schnelle Entscheidung, auch wenn diese grundsätzlich vorläufig ist und keine vollendeten Tatsachen herstellen soll, vom Gericht getroffen wird, um die Rechte des Antragstellers (hier also des Arbeitnehmers) zunächst zu sichern.
Wahlmöglichkeit zwischen Hauptsacheverfahren und einstweiligen Rechtschutzverfahren
Der Arbeitnehmer hat in der Regel nicht immer die Wahl zwischen dem normalem Hauptsacheverfahren (also der normalen Klage vor dem Arbeitsgericht) und dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren, denn für das einstweilige Rechtsschutzverfahren müssen besondere Voraussetzungen vorliegen, die der Arbeitnehmer glaubhaft machen muss. Die Glaubhaftmachung ist eine besondere Form des Beweises, die dem Antragsteller die Möglichkeit gibt neben den 5 Beweismitteln der Zivilprozessordnung auch seine Angaben mittels so genannter eidesstattlicher Versicherung „zu beweisen“.
einstweilige Verfügung vor dem Arbeitsgericht auf Beschäftigung/ Weiterbeschäftigung
Sofern der Arbeitnehmer also gegenüber dem Arbeitgeber seinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung/Beschäftigung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren durchsetzen möchte, wäre hier die einstweilige Verfügung die richtige prozessuale Form. Mittels einstweiliger Verfügung kann der Arbeitnehmer, sofern er Erfolg hat, erreichen, dass der Arbeitgeber ihn unverzüglich weiterbeschäftigen bzw. beschäftigen muss.
Voraussetzungen der einstweiligen Verfügung im Arbeitsrecht
Voraussetzung für die einstweilige Verfügung auf Beschäftigung/Weiterbeschäftigung ist, dass ein Anordnungsgrund und ein Anordnungsanspruch vom Arbeitnehmer glaubhaft gemacht wurde, also bewiesen wurde.
Anordnungsanspruch
Ein Anordnungsanspruch besteht dann, wenn der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Beschäftigung/Weiterbeschäftigung hat und und diese glaubhaft gemacht hat. Im Normalfall dürfte dies nicht das Problem des Verfügungsverfahrens sein. Wie oben ausgeführt wurde, hat der Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis grundsätzlich einen Anspruch auf Beschäftigung.
Nur in Ausnahmefällen kann der (vorläufige) Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers bei überwiegenden entgegenstehende Interessen des Arbeitgebers versagt werden. Solche Fälle können zum Beispiel dann vorliegen, wenn zu erwarten ist, dass der Arbeitnehmer sich geschäftsschädigend im Betrieb verhalten oder den Betriebsfrieden nachhaltig stören wird.
Beschäftigungsanspruch im Kündigungsschutzverfahren
Etwas anders ist die Situation, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber gekündigt wurde und der Arbeitnehmer sich gegen die Kündigung mittels Kündigungsschutzklage gewehrt hat. Bis zum Ablauf der Kündigungsfrist besteht ein vertraglicher Beschäftigungsanspruch. Danach ist dies nicht sicher, da ja eben das Gericht noch im Kündigungsschutzverfahren feststellen muss, ob die Kündigung wirksam war oder nicht.
Ausnahmsweise kann aber auch hier ein Beschäftigungsanspruch bejaht werden, wenn zum Beispiel die Kündigung offensichtlich unwirksam ist. Es wäre bloße Förmelei hier bis zum Ende des Kündigungsschutzverfahrens zu warten, wenn ohnehin abzusehen ist, dass das Verfahren für den Arbeitgeber negativ ausgehen wird. Ein weiterer Fall, bei dem ein Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus bestünde, ist der, dass seitens des Arbeitnehmers ein besonderes, überragendes Interesse an der Weiterbeschäftigung besteht. Ein solches Interesse kann zum Beispiel beim Auszubildenden bestehen, der dringend seine Ausbildung fortsetzen muss, da er ansonsten wahrscheinlich das Ausbildungsjahr wiederholen müsste. Weiter sind Fälle denkbar, bei denen der Arbeitnehmer, gerade bei einer starken Spezialisierung und fortlaufender Entwicklung der Arbeitsprozesse/Arbeitsmittel, die Gefahr besteht, dass der Arbeitnehmer „den Anschluss“ im Betrieb verliert .
Auch der besondere Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG kann im Wege der einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden, sofern dessen Voraussetzungen glaubhaft gemacht worden sind.
Verfügungsgrund
Neben dem Verfügungsanspruch muss der Arbeitnehmer auch den Verfügungsgrund glaubhaft machen. Dies ist im Normalfall der Teil, der etwas schwieriger ist. Verfügungsgrund heißt, dass eine Eilbedürftigkeit vorliegt. Im Kündigungsschutzverfahren heißt dies, dass es dem Arbeitnehmer nicht zumutbar ist bis zum Ende des Kündigungsrechtsstreits auf Weiterbeschäftigung zu warten. Diese Eilbedürftigkeit wird man aber dann verneinen, wenn der Arbeitnehmer im Kündigungsrechtsstreit keinen Weiterbeschäftigungsanspruch gestellt hat, es sei denn, dass er aus nachvollziehbaren Gründen daran gehindert war.
Anwalt A. Martin
Besteht eine Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers bzw. ein Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers?
Die gesetzliche Grundlage für die Rechte und Pflichten im Arbeitsverhältnis ist § 611 BGB i.V.m. dem konkreten Arbeitsvertrag. In § 611 BGB ist aber keine Regelung über einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Beschäftigung getroffen worden.
Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers
Ein solcher Beschäftigungsanspruch ist aber mittlerweile anerkannt (dazu grundlegend BAG – Urteil vom 10.11.1955 – AZR 591/54) und wird meist auf die Art. 2 Abs. 1 , 1 GG gestützt. Von daher ist der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet den Arbeitnehmer zu beschäftigen. Dies gilt vor allem im ungekündigten Arbeitsverhältnis. Der Arbeitnehmer kann diesen Anspruch vor dem Arbeitsgericht mittels Klage und in Eilfällen sogar mittels einstweilige Verfügung geltend machen.
Weiterbeschäftigungsanspruch im Kündigungsrechtsstreit
Darüber hinaus existiert auch – nach einer Kündigung – im Kündigungsrechtsstreit ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung zwischen den Instanzen, sofern der Arbeitnehmer den Kündigungsschutzprozess in der ersten Instanz gewinnt (sog. allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch- nach dem BAG beruht dieser auf § 242 BGB). Der Arbeitnehmer kann diesen Anspruch auf Weiterbeschäftigung im Kündigungsschutzprozess mittels Weiterbeschäftigungsantrag geltend machen.
Ausnahme: Entgegenstehen von schutzwerten Interessen des Arbeitgebers
Ein Beschäftigungsanspruch besteht nur dann nicht, wenn dem Anspruch auf Beschäftigung höherwertige schutzwerte Interessen des Arbeitgeber entgegenstehen. Diese können sein:
- drohender Geheimnisverrat
- Wegfall einer realen Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
- schwerwiegender Vertrauensverlust
- unzumutbare wirtschaftliche Belastung für den Arbeitgeber
- ähnlich schwere Gründe, wie die, die für eine außerordentliche Kündigung ausreichend wären
Rechtsanwalt A. Martin