Arbeitsvertrag
Sind „Crowdworker“ Arbeitnehmer?
Das Wichtigste vorab:
Crowdworker sind meist qualifizierte Internetnutzer, die zur Erledigung bestimmter Kleinsttätigkeiten (Mikrojobs) über Online-Plattformen („Crowdsourcer“) beauftragt werden. Auf der einen Seite gibt es also den Crowdworker und auf der anderen Seite den Crowdsourcer. Dieses Vertragsverhälnis (Crowdsourcing) kann als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren sein. Dies hat das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 1. Dezember 2020 – 9 AZR 102/20) entschieden.
Ob ein ein Crowdworker aber tatsächlich ein Arbeitnehmer – mit all dessen Rechten und Pflichten ist – hängt vom Einzelfall ab.
Crowdworking – Arbeitsverhältnis oder freie Mitarbeit?
Die Abgrenzung zwischen einem Arbeitnehmer und einem freier Mitarbeiter bzw. einer scheinselbstständigen Person ist nicht immer ganz einfach. Das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses begründet nämlich sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer weitgehende Rechte und Pflichten (so z.B. auch Urlaubsansprüche und Kündigungsschutz), so die Begründung der Sozialversicherungspflicht als auch die Eröffnung des Rechtsweges zu den Arbeitsgerichten.
Immer wieder versuchen Unternehmen, gerade wegen den strengen Schutzvorschriften zugunsten von Arbeitnehmern, bestimmte Rechtsverhältnisse zu kreieren, die nach außen hin keine Arbeitsverhältnisse sind. Dies gelingt aber nicht immer.
Dabei ist zu beachten, dass es auf die Bezeichnung, also ob jemand als freier Mitarbeiter oder Arbeitnehmer im Vertrag bezeichnet wird, nicht ankommt. Es kommt immer auf die tatsächliche Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses an.
Arbeitnehmerstatus
Gesetzlich ist geregelt:
§ 611a Arbeitsvertrag
(1) Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an.
(2) Der Arbeitgeber ist zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.
Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat für Arbeitnehmer folgende Mindestkriterien herausgearbeitet:
- persönliche Abhängigkeit vom Vertragspartner (Arbeitgeber),
- Weisungsgebundenheit
- u.a. keine freie Einteilung der Arbeitszeit.
- fremdbestimmte Arbeit für den Vertragspartner (Arbeitgeber)
Eine Einbindung in die betriebliche Organisation muss nicht mehr vorliegen. Dies war früher ein weiteres Kriterium für eine Arbeitnehmereigenschaft.
Der Grad der persönliche Abhängigkeit unterscheidet den Arbeitnehmer vom freien Mitarbeiter.
Crowdworking – Arbeitsvertrag?
Ob Crowdworking ein Arbeitsverhältnis begründet, wurde bisher überwiegend verneint (so zum Beispiel das LAG München, Urteil vom 4.12.2019 – 8 Sa 146/19). Mit Sicherheit sind auch die großen Crowdworking-Plattformen davon ausgegangen, dass zwischen ihnen und den beauftragten Vertragspartnern kein Arbeitsverhältnis zustande kommt. Darauf basiert auch deren Geschäftsmodell, welches nun zu überdenken wäre. Zumindest müssten eine andere Ausgestaltung der Aufträge erfolgen.
Gerade wenn viele kleinere Verträge bzw. Aufträge vergeben werden, dann würde man ja eine Vielzahl von Arbeitsverträgen schließen und diese müsste man auch entsprechend bedienen, d. h. der Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf Lohn und auf das Abführen der Sozialversicherungsabgaben und auch ein Urlaubsanspruch. Darüber hinaus müsste man dann für ihn nach jedem Auftrag gegebenfalls das Arbeitsverhältnis lösen, was arbeitsrechtlich schwierig ist.
Die Vorinstanz des Bundesarbeitsgericht – das Landesarbeitsgericht München – hatte dazu noch ausgeführt:
„Bietet ein Crowdsourcing-Unternehmen über eine App Auftragnehmern verschiedene Aufträge zur Durchführung an und steht es dem Auftragnehmer frei, einen Auftrag anzunehmen oder abzulehnen, und sind keinerlei Vorgaben über Ort und Zeit der Arbeitsleistung vorgegeben, besteht kein Arbeitsverhältnis mit dem Auftraggeber i.S.d. § 611a BGB. Maßgeblich sind im entschiedenen Fall weitere tatsächliche Gegebenheiten, die jegliche persönliche Abhängigkeit oder Weisungsgebundenheit vermissen lassen“
Dies hört sich zunächst überzeugend an.
Bundesarbeitsgericht – Crowdworker können Arbeitnehmer sein
Das Bundesarbeitsgericht sieht dies allerdings anders. Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht auch beim Sachverhalt etwas genauer hingeschaut.
Während das Landesarbeitsgericht München – aus welchen Gründen auch immer – davon ausgegangen ist, dass der Arbeitgeber keinerlei Vorgaben in Bezug auf die Ausführung der Aufträge vorgegeben hat, so führt das Bundesarbeitsgericht in seiner Pressemitteilung Nr. 43/20 vom 1.12.2020 aus:
Übernimmt der Crowdworker einen Auftrag, muss er diesen regelmäßig binnen zwei Stunden nach detaillierten Vorgaben des Crowdsourcers erledigen.
Dies macht einen erheblichen Unterschied aus.
Wenn nämlich der Crowdworker den Auftrag übernimmt und diesen dann innerhalb einer bestimmten Zeit unter Beachtung von detaillierten Vorgaben auszuführen hat, dann spricht einiges dafür, dass dieser Crowdworker persönlich abhängig und damit Arbeitnehmer ist. Der freie Mitarbeiter kann selbst über seine Zeit bestimmen und auch bestimmen, wann er wie den Auftrag ausführt.
Beim obigen Fall war es auch so, dass der Crowdworker hier erheblich viele Aufträge ausgeführt hat. Um eine Vorstellung dafür zu bekommen, wie viel tatsächlich von diesen Mikroaufträgen an den Crowdworker vergeben worden ist, muss man sich vor Augen führen, dass dieser in einem Zeitraum von elf Monaten insgesamt 2978 Aufträge ausgeführt hat.
Für erledigte Aufträge wurden dem Crowdworker auf seinem Nutzerkonto Erfahrungspunkte gutgeschrieben.
Für erledigte Aufträge werden ihm auf seinem Nutzerkonto Erfahrungspunkte gutgeschrieben. Das System erhöht mit der Anzahl erledigter Aufträge das Level und gestattet die gleichzeitige Annahme mehrerer Aufträge
Klage des Crowdworkers auf Kündigungsschutz und Lohn
Mit seiner Klage hatte der betroffene Crowdworker zunächst beantragt festzustellen, dass zwischen ihm und dem Crowsourcer (Plattform) ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht. Im Verlauf des Rechtsstreits kündigte die Online-Plattform ein etwaig bestehendes Arbeitsverhältnis vorsorglich. Daraufhin hat der Crowdworker seine Klage um einen Kündigungsschutzantrag erweitert und zudem auch noch Arbeitslohn eingeklagt.
Entscheidung des BAG – Crowdworking und Auftragsvergabe
Das Bundesarbeitsgericht führt dazu weiter in seiner Pressemitteilung aus:
Der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat erkannt, dass der Kläger im Zeitpunkt der vorsorglichen Kündigung vom 24. Juni 2019 in einem Arbeitsverhältnis bei der Beklagten stand.
Die Arbeitnehmereigenschaft hängt nach § 611a BGB davon ab, dass der Beschäftigte weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit leistet.Zeigt die tatsächliche Durchführung eines Vertragsverhältnisses, dass es sich hierbei um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an. Die dazu vom Gesetz verlangte Gesamtwürdigung aller Umstände kann ergeben, dass Crowdworker als Arbeitnehmer anzusehen sind.
Für ein Arbeitsverhältnis spricht es, wenn der Auftraggeber die Zusammenarbeit über die von ihm betriebene Online-Plattform so steuert, dass der Auftragnehmer infolge dessen seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestalten kann. So liegt der entschiedene Fall.
Der Kläger leistete in arbeitnehmertypischer Weise weisungsgebundene und fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit. Zwar war er vertraglich nicht zur Annahme von Angeboten der Beklagten verpflichtet. Die Organisationsstruktur der von der Beklagten betriebenen Online-Plattform war aber darauf ausgerichtet, dass über einen Account angemeldete und eingearbeitete Nutzer kontinuierlich Bündel einfacher, Schritt für Schritt vertraglich vorgegebener Kleinstaufträge annehmen, um diese persönlich zu erledigen. Erst ein mit der Anzahl durchgeführter Aufträge erhöhtes Level im Bewertungssystem ermöglicht es den Nutzern der Online-Plattform, gleichzeitig mehrere Aufträge anzunehmen, um diese auf einer Route zu erledigen und damit faktisch einen höheren Stundenlohn zu erzielen. Durch dieses Anreizsystem wurde der Kläger dazu veranlasst, in dem Bezirk seines gewöhnlichen Aufenthaltsorts kontinuierlich Kontrolltätigkeiten zu erledigen.
Lohnanspruch freier Mitarbeit zum Schein
Hinsichtlich des eingeklagten Lohnes führte das Bundesarbeitsgericht aus:
Der Kläger kann nicht ohne weiteres Vergütungszahlung nach Maßgabe seiner bisher als vermeintlich freier Mitarbeiter bezogenen Honorare verlangen. Stellt sich ein vermeintlich freies Dienstverhältnis im Nachhinein als Arbeitsverhältnis dar, kann in der Regel nicht davon ausgegangen werden, die für den freien Mitarbeiter vereinbarte Vergütung sei der Höhe nach auch für eine Beschäftigung als Arbeitnehmer verabredet. Geschuldet ist die übliche Vergütung iSv. § 612 Abs. 2 BGB, deren Höhe das Landesarbeitsgericht aufzuklären hat.
Anmerkung zur Entscheidung:
Von daher kann auch der Crowdworker ein Arbeitnehmer sein. Diese Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes dürfte erhebliche Auswirkung auf die Crowdworking-Szene haben. Das Geschäftsmodell des Crowdworking funktioniert im Endeffekt nur dann reibungslos, wenn letztendlich die Vertragspartner keine Arbeitnehmer sind.
Es bleibt abzuwarten, wie hier versucht werden wird, die mögliche Arbeitnehmereigenschaft der Crowdworker durch neue Vertragsgestaltungen zu eliminieren.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht Berlin
Was bedeutet Befristung ohne Sachgrund?

Das Wichtigste vorab:
Die zeitliche Befristung ohne Sachgrund bedeutet einfach nur, dass der Arbeitgeber keinen gesetzlichen Grund für die Befristung des Arbeitsvertrag hat. Das Wort Sachgrund kann man auch durch das Wort Grund ersetzen, so dass also eine grundlose zeitliche Befristung des Arbeitsvertrags vorliegt. Der Arbeitgeber braucht bei eine Neueinstellung keinen Grund für die Befristung muss sich dafür auch nicht rechtfertigen.
Die Befristung muss für eine Wirksamkeit immer schriftlich erfolgen!
sachgrundlose Befristung des Arbeitsvertrags
Arbeitsverträge kann man befristen, was jeder Arbeitnehmer weiß. Gerade bei einer Neueinstellung kommt es oft vor, dass der Arbeitgeber den Vertrag zunächst befristet.
Für den Arbeitgeber ist der Vorteil der, dass er im Endeeffekt später das Arbeitsverhältnis nicht kündigen muss, sondern der Arbeitsvertrag aufgrund des Fristablauf endet.
Sonderkündigungsschutz und Befristung
Dies hat vor allen dann eine große Relevanz, wenn der Arbeitgeber damit rechnet, dass gegebenfalls ein Arbeitnehmer sog. Sonderkündigungsschutz hat bzw. im Laufe des Arbeitsverhältnis erwerben wird, wie z.B. Schwangere oder bei einer Schwerbehinderung. Der Sonderkündigungsschutz greift nur – wie der Name schon sagt – wenn gekündigt wird. Da der befristete Arbeitsvertrag aber aufgrund der Befristung (und nicht einer Kündigung) endet, besteht kein Kündigungsschutz.
Eine ordentliche Kündigungsmöglichkeit muss im befristeten Arbeitsverhältnis explizit vereinbart werden, was auch in fast allen befristeten Verträgen so gemacht wird. Die Kündigungsmöglichkeit besteht dann neben der Befristung.
Befristung ohne Sachgrund
Erfolgt eine erstmalige Befristung, dann braucht der Arbeitgeber für diese Befristung keinen Grund. Dies ist die so genannte sachgrundlose Befristung. Geregelt ist dies in § 14 Abs. 2 des Teilzeit – und Befristungsgesetzes.
Dort heißt es:
(2) 1Die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig; bis zu dieser Gesamtdauer von zwei Jahren ist auch die höchstens dreimalige Verlängerung eines kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrages zulässig. 2Eine Befristung nach Satz 1 ist nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. 3Durch Tarifvertrag kann die Anzahl der Verlängerungen oder die Höchstdauer der Befristung abweichend von Satz 1 festgelegt werden. 4Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren.
Höchstdauer und Verlängerung der Befristung
Die Höchstdauer der Befristung ohne Sachgrund beträgt also 2 Jahre. Der Arbeitgeber muss aber nicht den Arbeitsvertrag von vornherein auf zwei Jahre befristen, sondern im Interesse des Arbeitgebers liegt es oft, dass er zunächst kürzer befristet und die Befristung später verlängert. Die Regelung der obigen Norm (§ 14 Abs. 2) dazu ist die, dass eine solche Verlängerung maximal dreimal möglich ist. Es geht auch hier die Höchst Dauer von zwei Jahren.
Bei neu gegründeten Unternehmen gibt es eine gesetzliche Sonderregelung.
erstmalige Befristung
Laut der obigen gesetzlichen Regelung darf beim Arbeitgeber aber zuvor kein Arbeitsverhältnis bestanden haben. Laut dem Wortlaut scheidet also jede Befristung ohne Sachgrund aus, wenn der Arbeitnehmer schon einmal beim Arbeitgeber beschäftigt war. Die Rechtsprechung nimmt dies aber nicht ganz so genau. Entscheidend ist hier das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 06.06.2018, 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 in NZA 2018, 774). Daran orientieren sich die Arbeitsgerichte.
Danach ist davon auszugehen, dass das lebenslange Vorbeschäftigungsverbot, so wie dies das Gesetz eigentlich vorsieht, insbesondere unzumutbar sein kann, wenn eine Vorbeschäftigung
- sehr lang zurückliegt,
- ganz anders geartet war oder
- von sehr kurzer Dauer gewesen ist.
Das Bundesarbeitsgericht geht bei einer Vorbeschäftigung von 8 Jahren nicht von einer sehr langen Dauer aus, so dass eine erneute Befristung ohne Sachgrund nicht möglich war. Bei einer Vorbeschäftigung vor 22 Jahren geht das BAG von einer langen Dauer aus.
Unwirksame Befristung – Folgen?
Ist eine zeitliche sachgrundlose Befristung des Arbeitsverhältnisses nicht zulässig oder falsch vom Arbeitgeber vereinbart worden (siehe dazu häufige Fehler bei der Befristung), dann ist die Befristung unwirksam. Dies muss der Arbeitnehmer aber vor Gericht feststellen lassen! Dies ist sehr wichtig. Dafür hat er nur 3 Wochen Zeit nach Ablauf der Befristung!
Erhebt der Arbeitnehmer dann nicht innerhalb von drei Wochen nach Ablauf der Befristung Klage (Befristungskontrollklage), gilt die Befristung als von Anfang an wirksam (§ 17 Satz 2 TzBfG i.V.m. § 7 KSchG). Dies gilt im Befristungsrecht anders als im Kündigungsschutzrecht auch bei Nichteinhaltung der Form.
Solche Fehler bei der Befristung oder bei der Verlängerung der sachgrundlosen Befristung kommen in der Praxis häufig vor (siehe hier Überschreitung der Befristung um einen Tag). Insbesondere bei die nachträgliche Befristung (also erst nach Arbeitsaufnahme) ist für den Arbeitgeber problematisch.
Der Arbeitnehmer sollte vor Ablauf der Befristung sich anwaltlich beraten lassen, ob die Befristung wirksam ist.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht Berlin
Klausel über fehlende Vorbeschäftigung im Arbeitsvertrag unwirksam!

„Sie bestätigen, bisher in keinem befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnis … zu uns gestanden zu haben“.
So lautete eine Klausel in einem befristeten Arbeitsvertrag aus dem Jahr 2014. Tatsächlich bestand aber eine kurze Vorbeschäftigung (also eine Beschäftigung vormals beim Arbeitgeber), welche schon 15 Jahre zurück lag.
Irgendwann endete dann die (sachgrundlose) Befristung und die Arbeitnehmerin klagte gegen die (letzte) Befristung des Arbeitsvertrags mittels Entfristungsklage.
Der Hintergrund ist der, dass eine Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Sachgrund nur dann möglich ist, wenn zuvor nie ein Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bestanden hatte. Hier war dies aber der Fall.
Der Arbeitgeber vertrat die Auffassung, dass dies aber kein Problem sei, denn die Vorbeschäftigung läge ja schon sehr lange zurück und zudem könne sich die Arbeitnehmerin / Klägerin jedenfalls nach Treu und Glauben nicht auf eine etwaige Unwirksamkeit der Befristung berufen, da die Klägerin selbst im Arbeitsvertrag bestätigt habe, dass eine Vorbeschäftigung nicht bestanden hätte.
Sowohl das Arbeitsgericht also auch das Landesarbeitsgericht (Urteil vom 11.03.2020 – 4 Sa 44/19) sahen dies aber anders und gaben der Arbeitnehmerin Recht mit folgender Begründung:
Die Beklagte konnte dennoch das Arbeitsverhältnis nicht mehr wirksam nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG sachgrundlos befristen.
Der sachgrundlosen Befristung steht entgegen, dass die Klägerin bereits zuvor schon einmal in einem befristeten Arbeitsverhältnis zum Beklagten stand, § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG. Die Klägerin war nämlich zumindest im Zeitraum 6. April 1999 bis 31. August 1999 schon einmal bei der Beklagten beschäftigt.
…
Der Klägerin ist es nach Treu und Glauben nicht verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit der Befristung zu berufen.
a) Eine gegen § 242 BGB verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage ist als Rechtsüberschreitung missbräuchlich und unzulässig. Welche Anforderungen sich aus Treu und Glauben ergeben, lässt sich nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls entscheiden (Palandt/Grüneberg BGB 78. Aufl. § 242 Rn. 38). Es ist z.B. mit Treu und Glauben nicht vereinbar, eine unredlich erworbene Rechtsposition oder formale Rechtsposition im Widerspruch zu den zugrundeliegenden vertraglichen Beziehungen auszunutzen (BAG 21. September 2017 – 2 AZR 865/16 -). Auch kann es z.B. eine unzulässige Rechtsausführung darstellen, wenn der Empfänger ein Vertragsangebot des Vertragspartners in Kenntnis dessen Kalkulations- oder Motivirrtums annimmt und sich dann auf den Vertragsinhalt beruft (BGH 11. November 2014 – X ZR 32/14 -; BGH 7. Juli 1998 – XI ZR 17/97 -).
aa) Die Klägerin hat zwar unter Nr. 1.1. Abs. 2 des Arbeitsvertrages schriftlich bestätigt, bisher in keinem befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnis zur Beklagten gestanden zu haben. Auf diese Tatsachenerklärung kann sich die Beklagte aber nicht berufen. Die Vertragsklausel ist nämlich gem. § 309 Nr. 12 Buchst. b BGB unwirksam.
(1) Gem. § 309 Nr. 12 Buchst. b BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, die die Beweislast zum Nachteil des anderen Vertragsteils ändern, indem der Verwender den anderen Vertragsteil bestimmte Tatsachen bestätigen lässt. Der Begriff der „Änderung der Beweislast“ ist dabei weit zu verstehen. Erfasst werden nicht nur alle Abweichungen von den gesetzlichen und von der Rechtsprechung entwickelten Regeln zur Verteilung der objektiven Beweislast sowie subjektiven Beweisführungslast. Für die Anwendung des § 309 Nr. 12 BGB genügt vielmehr schon der Versuch des Verwenders, die Beweisposition des Kunden zu verschlechtern. Deshalb sind auch Klauseln, die lediglich eine Änderung der Darlegungslast vorsehen, am Maßstab des § 309 Nr. 12 BGB zu messen (Schlewing in Clemenz/Kreft/Krause AGB-Arbeitsrecht 2. Aufl. § 309 BGB Rn. 140).
…
Von großer praktischen Bedeutung sind die in § 309 Nr. 12 Buchst. b BGB besonders erwähnten Tatsachenbestätigungen. Dabei sind nach dem Schutzzweck des § 309 Nr. 12 BGB Tatsachenbestätigungen nicht nur in dem praktisch äußerst seltenen Fall unzulässig, dass sie die Beweislast umkehren, sondern bereits dann, wenn sie die Beweislast faktisch zum Nachteil des Kunden verschieben. Nach § 309 Nr. 12 BGB reicht für eine Änderung der Beweislast schon der Versuch des Verwenders aus, die Beweisposition des Kunden zu verschlechtern. Bereits dann, wenn die formularmäßige Klausel zur Folge haben kann, dass der Richter die Anforderungen an den Beweis zum Nachteil des Kunden erhöht – bei dessen Beweislast – oder aber ermäßigt – bei Beweislast des Verwenders -, liegt eine für § 309 Nr. 12 BGB maßgebliche Änderung des Anwendungsbereichs der Beweislast vor (BGH 10. Januar 2019 – III ZR 109/17 -; BGH 28. Januar 1987 – IVa ZR173/85 -; Schlewing in Clemenz/Kreft/Krause AGB-Arbeitsrecht 2. Aufl. § 309 BGB Rn. 143). Hierzu zählen insbesondere Tatsachenbestätigung, die rechtlich relevante Umstände beschreiben, Wissenserklärungen, wenn sie sich zum Nachteil des Kunden auswirken können und Erklärungen über tatsächliche Vorgänge (Schlewing in Clemenz/Kreft/Krause AGB-Arbeitsrecht 2. Aufl. § 309 BGB Rn. 143).
BAG: Ausschlussfrist und Bezugnahme im Arbeitsvertrag auf kirchliche Arbeitsrechtsregelungen

In vielen Arbeitsverträgen findet man sog. Ausschlussklauseln/ Ausschlussfristen (auch Verfallsklauseln) genannt. Danach verfallen Ansprüche, wenn diese nicht innerhalb einer bestimmten Zeitspanne (oft 3 Monate) geltend gemacht werden. Allerdings verfallen Ansprüche auf den Mindestlohn nicht. Solche Klauseln sind nicht selten unwirksam, da diese sorgfältig zu formulieren sind.
Im vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall war ein kirchlicher Arbeitnehmer als Küster und Reinigungskraft (!) beschäftigt. Der Arbeitsvertrag des Arbeitnehmers / Klägers nahm auf die Kirchliche Arbeits- und Vergütungsordnung (KAVO) in Bezug. Diese Verordnung sieht in § 57 eine sechsmonatige einstufige Ausschlussfrist vor. Danach mussten alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von 6 Monaten nach Fälligkeit geltend gemacht werden.
Der Arbeitnehmer hatte – so sein Vortrag vor Gericht – nach sog. Differenzvergütungsansprüche gegen den Arbeitgeber wegen angeblich fehlerhafter Eingruppierung. Diese machte er gegen die Arbeitgeberin/ Beklagten geltend.
Die Beklagte verweigert die Erfüllung dieser Ansprüche unter Berufung auf die Ausschlussfrist in der KAVO.
Der Kläger trug dazu vor, dass die Ausschlussfristenregelung nicht wirksam vereinbart wurde und verlangte hilfsweise Schadensersatz von der Beklagten.
Das Landesarbeitsgericht (Vorinstanz: LAG Düsseldorf, Urteil vom 10. April 2018 – 3 Sa 144/17 -) hatte die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg.
Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 30. Oktober 2019 – 6 AZR 465/18 -) führt dazu in seiner Pressemitteilung Nr. 36/19 vom 30.10.2019 aus:
Die kirchenrechtlich vorgeschriebene arbeitsvertragliche Inbezugnahme einer kirchlichen Arbeitsrechtsregelung erfasst zwar inhaltlich auch eine darin enthaltene Ausschlussfrist, die damit zum Bestandteil des Arbeitsverhältnisses wird. Die Ausschlussfrist ist jedoch eine wesentliche Arbeitsbedingung iSv. § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG. Die bloße Inbezugnahme der Arbeitsrechtsregelung als solche genügt für den danach erforderlichen Nachweis nicht. Auch ein sog. „qualifizierter Nachweis“ nach § 2 Abs. 3 Satz 1 NachwG, wonach sich die Ausschlussfrist nach der kirchlichen Arbeitsrechtsregelung richtet, ist nicht ausreichend, weil der abschließende Katalog dieser Bestimmung Ausschlussfristen nicht erfasst. Weist der kirchliche Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Ausschlussfrist nicht im Volltext nach, kann der Arbeitnehmer ggf. im Wege des Schadensersatzes verlangen, so gestellt zu werden, als ob er die Frist nicht versäumt hätte.
Ein etwaiger Erfüllungsanspruch auf die Differenzvergütung wäre zwar verfallen, da die Inbezugnahme der KAVO auch deren Ausschlussfrist umfasst und diese wirksam den Verfall von Entgeltansprüchen anordnet, die wie vorliegend den gesetzlichen Mindestlohn übersteigen. Dem Kläger könnte jedoch ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung des Nachweisgesetzes zustehen. Bei kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen, welche als „ähnliche Regelungen“ nach dem Willen des Gesetzgebers nur im Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 bis 9 und § 2 Abs. 2 Nr. 2 und 3 sowie gemäß § 3 Satz 2 NachwG bei Änderungen der kirchlichen Regelungen erleichterten Nachweismöglichkeiten unterliegen sollen. Der Nachweis der Ausschlussfrist bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses wird von diesen Erleichterungen nicht erfasst. Mangels hinreichender Feststellungen des Landesarbeitsgerichts konnte der Senat allerdings nicht abschließend entscheiden,ob dem Kläger die begehrte Eingruppierung zusteht und deshalb ein Schadensersatzanspruch in Höhe der eingeklagten Differenzvergütung besteht. Er hat deshalb den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht – Berlin
LAG Hamm: Ein Sugar-Daddy-Arbeitsvertrag (2 x Sex pro Woche) ist wirksam.

Die 35 Jahre alte Klägerin bezog Grundsicherung für Arbeitssuchende und ist Mutter dreier Kinder im Alter von 19, 12 und 7 Jahren.
Eine frühere Mitarbeiterin des Beklagten erzählte diesem im Sommer 2017, sie habe eine Freundin – die Klägerin -, die einen älteren Mann als „Sugar Daddy“ suche, der sie finanziell gegen Geschlechtsverkehr unterstütze.
Der Beklagte war nicht abgeneigt, ließ sich ein Foto der Klägerin per WhatsApp schicken.
Am 10. Juni 2017 trafen die Parteien sich dann in einem Café.
Nach von der Klägerin bestrittenen Behauptung des Beklagten vereinbarten die beiden dann, dass die Klägerin den Beklagten zu Hause zweimal wöchentlich für einvernehmlichem Sex aufsuchen werden und zwar jeweils mittwochs und samstags oder sonntags.
Weiter sollte sie sporadisch zu gemeinsamen Abendessen mit Freunden kommen sowie zwei- bis dreimal jährlich den Beklagten zum Kurzurlaub begleiten.
Die Klägerin behauptet, was später vor Gericht nich überzeugend war, sie habe Geschlechtsverkehr abgelehnt.
Der Beklagte behauptet, es sei noch am Abend des 10. Juni 2017 zu Geschlechtsverkehr gekommen, der nach kurzer Zeit habe abgebrochen werden müssen, weil die Klägerin an einer Armverletzung gelitten habe.
„Zur Absicherung“ schlossen die Parteien dann einen undatierten als „Teilzeitarbeitsvertrag für Arbeiter und Angestellte ohne Tarifbindung“ bezeichneten Vertrag, wonach die Klägerin als teilzeitbeschäftigte Hauswirtschafterin („3 x die Woche“) mit den Aufgaben Putzen, Wäschewaschen, Bügeln, Einkauf, Kochen und für sonstige haushaltsübliche Verrichtungen eingestellt wurde und dafür eine monatlichen Bruttovergütung von 460,00 Euro erhielt.
Die Parteien führten einen regen Whatsappverkehr, so schickte die Klägerin dem Beklagten zahlreiche erotische Fotos und diverse Nachrichten, wie „Nexte Mal Ich bin hood“ oder „Und onse Samstag … wilt du zu hause blieb? Fahren…? Party machen? Koks-party? Andere Frau wir meinem? …Hast du idea??!“
oder „Yes. Morgen we sex machen dan besser is“ .
Am 29. November 2017 schickte sie erotische Fotos mit der Anmerkung „Baby you see my weed?“ und am 4. Dezember 2017 schrieb sie unter anderem „I make give you sex of dream aber das is toya“.
Der Kläger schrieb z.B. „Baby, du weißt doch, was ich am liebsten mit dir machen möchte“. Die Klägerin antwortete daraufhin: „Sex (Herzchensymbol) ok“.
In der Folgezeit wendete der Beklagte für die Klägerin insgesamt € 20.000,00 auf, u.a. um der Klägerin eine Reise nach Polen, den Bezug einer neuen Wohnung und die Nutzung eines PKWs zu ermöglichen.
Bis Dezember 2016 zahlte der Beklagte auch die Vergütung von monatlich 460,00 Euro. Für Januar und Februar 2018 erfolgten keine Zahlungen. Erhaltene Zahlungen gab der Klägerin nicht gegenüber der Agentur für Arbeit an.
Nach Vortrag der Klägerin teilte sie dem Beklagten am 28. Januar 2018 mit, eine sexuelle Beziehung abzulehnen.
Daraufhin kündigte dieser mit Schreiben vom 29. Januar 2018 das „Hauswirtschaftsarbeitsverhältnis“ zum 28. Februar 2018 und stellte sie ab sofort von der Arbeitsleistung frei.
Die Klägerin erhob daraufhin Klage zum Arbeitsgericht und begehrte u.a. die Zahlung des Lohnes für Januar 2018.
Die Klägerin behauptete keine sexuelle Beziehung zum Kläger gehabt zu haben und machte Ansprüche aus dem Hauswirtschaftsarbeitsvertag geltend.
Der Beklagte trug vor, dass der Vertrag nur zum Schein geschlossen wurde und es um sexuelle Dienstleistungen gehe und ein solcher Vertrag aber sittenwidrig sei und von daher bestünden keine arbeitsvertraglichen Ansprüche.
Die Klägerin gewann sowohl in der ersten als auch in zweiten Instanz.
Das Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 06.06.2019, führt dazu in seiner Pressemitteilung aus:
Der zwischen den Parteien geschlossene undatierte Arbeitsvertrag stellt sich als Scheingeschäft iSd. § 117 Abs. 2 BGB dar.
Danach gilt, dass, wenn durch ein Scheingeschäft ein anderes Rechtsgeschäft verdeckt wird, die für das verdeckte Rechtsgeschäft geltenden Vorschriften Anwendung finden.
Ein Scheingeschäft liegt vor, wenn nur der äußere Schein von Willenserklärungen hervorgerufen wird, die Parteien die Rechtswirkung nicht eintreten lassen wollen. Kein Scheingeschäft ist gegeben, wenn zur Erreichung der gewollten Rechtsfolge eine gültige Willenserklärung für nötig gehalten wird. Gegen ein Scheingeschäft spricht, dass der ernsthaft gewollte Rechtserfolg nur durch gültige Willenserklärungen zu erreichen ist, mag das Geschäft auch der Täuschung Dritter dienen (BAG 18. März 2009 – 5 AZR 355/08 – Rn. 12, juris; Jauernig/Mausel, BGB, 17. Auflage, § 117 BGB Rn. 2, 3).
Die Parteien haben in § 3 des als Arbeitsvertrag bezeichneten Vertrags vereinbart, dass die Klägerin als Hauswirtschafterin hausübliche Verrichtungen habe erbringen sollen. Sie haben jedoch nicht den Willen gehabt, den Rechtserfolg nach § 611a Satz 1 BGB herbeizuführen, nämlich die Verpflichtung der Klägerin, in dem Haushalt des Beklagten zu arbeiten.
Für ihre Behauptung, es sei ein Arbeitsvertrag über hauswirtschaftliche Dienste geschlossen worden, spricht zunächst der schriftliche Arbeitsvertrag. Der für den Abschluss eines Scheingeschäfts darlegungspflichtige Beklagte (BAG 13. Februar 2003 – 8 AZR 59/02 – Rn. 36, juris) hat jedoch schlüssig dargelegt, dass entgegen der Abrede ihre Tätigkeit als Hauswirtschafterin nicht gewollt war, der Vertrag tatsächlich auch nicht so gelebt wurde. Er hat sich vielmehr darauf berufen, dass schon bei ihrem ersten Treffen am 10. Juni 2017 vereinbart wurde, ein sogenanntes „Sugar-Daddy-Verhältnis“ zu begründen, d.h. der Beklagte war bereit, die Klägerin gegen sexuelle Dienstleistungen finanziell zu unterstützen und ihr ein monatliches Entgelt zu zahlen. Sie hat nicht in Abrede gestellt, dass er ihr am 10. Juni 2017 nicht den Abschluss eines Arbeitsvertrags als Hauswirtschafterin, sondern einvernehmlichen Sex zweimal wöchentlich sowie gemeinsame Essen und Kurzurlaube angeboten hat. Sie hat lediglich bestritten, das Angebot angenommen zu haben.
Für die Absicht, eine vertragliche Bindung zur Erbringung sexueller Dienstleistungen einzugehen, spricht, dass das Treffen nach von ihr nicht bestrittenem Vortrag des Beklagten von einer gemeinsamen Bekannten arrangiert wurde, die ihm Fotos sendete, die nicht den üblichen Bewerbungsfotos für ein Arbeitsverhältnis entsprechen. Die Klägerin, die nicht in Abrede gestellt hat, dass die Fotos mit ihrem Willen aufgenommen und dem Beklagten zugänglich gemacht wurden, stellte sich ihre Attraktivität als Frau deutlich betonend dar.
Weiterhin sendete sie ihm nach dem Treffen, insbesondere in den Monaten Juni bis August 2017, regelmäßig Fotos, die sein sexuelles Interesse steigern bzw. erhalten sollten.
Auch aus dem Whatsappverkehr der Parteien ergibt sich, dass Sex ein ständiges Thema war und von dem Beklagten erwartet wurde. Gegen die Behauptung der Klägerin, es habe zwischen den Parteien niemals Geschlechtsverkehr gegeben, auch anlässlich des ersten Treffens am 10. Juni 2017 habe es kein sexuell geprägtes Zusammensein gegeben, spricht der Whatsappverkehr vom 11. Juni 2017, in dem sie auf das Bedauern des Beklagten bezüglich ihrer Schmerzen im Arm schrieb „Nexte mal Ich bin hood“ und auf seine Antwort „Du warst gestern auch gut, ich fand es schön“ erwiderte „Fur 1mal nich slecht“. Am 14. November 2017 versprach sie ihm Sex für den folgenden Tag. Am 29. November 2017 sendete sie ihm erotische Fotos mit der Bemerkung „Bby you see my weed?“ (Unkraut, Seegras, Marihuana). Am 4. Dezember 2017 schrieb sie „I make give you sex of dream aber das is toya“. Auch am 23. Dezember 2017 erklärte sie sich zu Sex an diesem Tag bereit.
Das Bestreiten der Klägerin ist angesichts des substantiierten Vortrags des Beklagten unzureichend.
….
Zusammengefasst stellte sich das Verhältnis der Parteien so dar, dass der Beklagte unter Einsatz erheblicher finanzieller Zuwendungen versucht hat, die Klägerin an sich zu binden und sie zu sexuellen Dienstleistungen zu bewegen, wie er bereits am 10. Juni 2017 äußerte. Sie hat sich seiner finanziellen Zuwendungen, seines Interesses durch Übersendung aufreizender Fotos und Ankündigung von Sex vergewissert, sich jedenfalls nicht in dem von dem Beklagten erwarteten Umfang auf Geschlechtsverkehr eingelassen. Teil der finanziellen Zuwendungen war die als Arbeitslohn ausgewiesene Zahlung von monatlich 460,00 Euro, ohne dass dafür eine hauswirtschaftliche Arbeitsleistung erbracht werden sollte. Die Beziehung war für eine unbestimmte Dauer auf sexuelle Dienstleistungen angelegt. Unwidersprochen hat der Beklagte behauptet, insgesamt ca. 20.000,00 Euro „investiert“ zu haben.
Dabei handelt es sich jedoch nach Vortrag beider Parteien nicht lediglich um eine unverbindliche „Sugar-Daddy-Beziehung“.
Der Abschluss des Arbeitsvertrags kann nur dahin verstanden werden, dass die Klägerin einen vertraglichen Anspruch auf Zahlung von monatlich 460,00 Euro erwerben, dafür als Gegenleistung dem Beklagten zu sexuellen Dienstleistungen zur Verfügung stehen sollte, wobei damit nicht nur Geschlechtsverkehr gemeint war, wie die von der Klägerin an den Beklagten übersandten Fotos zeigen.
Die Klägerin selbst hat in der Berufungsinstanz noch einmal betont, dass sich die Parteien rechtsgeschäftlich auf die Zahlung eines Monatslohnes von 460,00 Euro geeinigt hätten, lediglich der Inhalt der von ihr zu erbringenden Tätigkeit streitig, aber im Ergebnis unerheblich sei.
Das durch den Vertrag über Hauswirtschaftleistungen verdeckte Geschäft einer vertraglichen Verpflichtung der Klägerin zu sexuellen Dienstleistungen gegen finanzielle Zuwendungen des Beklagten, insbesondere gegen Zahlung eines monatlichen Entgelts, ist nicht gemäß § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und damit nicht nichtig.
a. Entgegen seiner Auffassung ergibt sich die Sittenwidrigkeit nicht daraus, dass die Klägerin während der vertraglichen Beziehung der Parteien Leistungen des Jobcenters C bezog und die von ihm erhaltene Vergütung nicht angab.
Die Aufnahme einer wie auch immer gearteten Tätigkeit während des Bezugs der Grundsicherung für Arbeitssuchende ist weder gesetzeswidrig iSd. § 134 BGB noch verstößt die Tätigkeit während des Leistungsbezugs per se gegen die guten Sitten.Das Einkommen der Klägerin mag grundsätzlich gemäß § 11 SGB II anzurechnen gewesen sein, soweit die Zuwendungen des Beklagten nicht die Voraussetzungen des § 11a Abs. 5 SGB II erfüllten. Sie mag auch Informationspflichten verletzt haben. Daraus folgt jedoch nicht die Nichtigkeit der vertraglichen Vereinbarung.
b. Diese ist auch nicht als Prostitutionsvertrag nichtig.
a. Die Parteien haben sich auf die Erbringung sexueller Handlungen durch die Klägerin verständigt.
Dabei kann dahinstehen, ob unter sexuellen Handlungen nur die Vornahme sexualbezogener Handlungen an sich, mit oder von einem Kunden in direktem Kontakt, herkömmlich als Prostitution bezeichnet, zu verstehen ist oder ob jedes menschliche Tun oder Dulden erfasst ist, das darauf gerichtet ist, einen anderen sexuell zu erregen und zu befriedigen, ohne dass sich Anbieterin und Kunde am gleichen Ort befinden (zum Meinungsstand: Staudinger/Fischinger, BGB, 2017, § 1 ProstG Rn. 3 – 6).
Die Klägerin hat dem Beklagten mehrmals Geschlechtsverkehr versprochen, wie die Whatsappnachrichten zeigen. Die vertragliche Vereinbarung war darauf ausgerichtet, dass sie im direkten Kontakt sexuelle Handlungen erbringt. Sie hat ihm nach ihrer eigenen Whatsappnachricht vom 11. Juni 2017 einen für das erste Mal „nich slechten“ Abend verschafft. Sie hat ihn darüber hinaus durch Übersendung aufreizender Fotos sexuell erregen wollen. Wie dargestellt, zeigen weitere Nachrichten ebenfalls die Bereitschaft zu sexuellen Handlungen.
bb. In der Literatur und Rechtsprechung ist streitig, ob Verträge über entgeltlichen Geschlechtsverkehr sittenwidrig sind.
In dem Prostitutionsgesetz idF. vom 21. Oktober 2016 ist die Frage der Sittenwidrigkeit nicht geregelt. § 1 ProstG regelt lediglich, wann ein Entgeltanspruch besteht. Nach § 3 ProstG sind die Weisungsrechte bei sexuellen Dienstleistungen eingeschränkt.
Ein Gesetzesentwurf, welcher die Abschaffung des Sittenwidrigkeitsverdikts für die Prostitution vorsah, wurde im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich abgelehnt. Allerdings waren mit Ausnahme der CDU/CSU-Fraktion alle im Bundestag vertretenen Fraktionen, die Entwurfverfasser und die Mehrheit im Bundesrat der Auffassung, dass Prostitution nicht mehr sittenwidrig ist (Staudinger/Fischinger aaO. § 1 ProstG Rn. 10 mwN.).
Vor diesem Hintergrund wird die Auffassung vertreten, nach den Wertungen der Rechtsordnung, insbesondere der Grundrechte sei die Prostitution weiterhin sittenwidrig, da sie durch die Kommerzialisierung von Sex das Persönlichkeitsrecht, insbesondere die sexuelle Selbstbestimmung verletze (Jauernig/Mause aaO. § 138 BGB Rn. 7; Palandt/Ellenberger, BGB, 78.Auflage, § 138 BGB Rn. 52; Erman/Schmidt-Ränsch, BGB, 15. Auflage, § 138 BGB Rn. 139; Meyer, NJW 2008, 1926, 1927). Dass das Sittenwidrigkeitsverdikt nicht aufgehoben worden sei, zeige sich auch in § 1 ProstG. Bei grundsätzlicher Nichtigkeit der Vereinbarung bestehe nur ausnahmsweise eine Forderung der Prostituierten auf das vorher vereinbarte Entgelt, nämlich nach erbrachter Leistung oder wenn sich eine Person insbesondere im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses für die Erbringung von sexuellen Handlungen für einen bestimmten Zeitraum bereithalte.
Das Bundessozialgericht hat die Frage, ob § 138 BGB umfassend nicht mehr anwendbar ist, offengelassen (BSG 6. Mai 2009 – B 11 AL 11/08 – R- Rn. 18, juris), hat aber angemerkt, dass sich dem Prostitutionsgesetz nicht entnehmen lasse, dass der Gesetzgeber die entsprechende Beschäftigung habe umfassend legalisieren wollen.
Der 3. Strafsenat des BGH hat erkannt, dass § 1 ProstG eine Ausnahmevorschrift zu § 138 BGB ist und die Wirksamkeit des Anspruchs der Prostituierten auf das vereinbarte Entgelt trotz Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäfts bestimme (BGH 18. Januar 2011 – 3 ScR 467/10 – Rn. 4, juris).
Der 3. Zivilsenat des BGH hat dagegen den Einwand der Sittenwidrigkeit gegenüber Entgeltansprüchen für die Erbringung von Telefonsexdienstleistungen selbst, aber auch für die Vermarktung und Vermittlung dieser Dienstleistungen verneint und ausgeführt, § 1 ProstG regle zwar unmittelbar lediglich die Wirksamkeit von Forderungen auf ein Entgelt, das für die Vornahme von sexuellen Handlungen vereinbart worden sei, jedoch ergäben die dem Gesetz zugrunde liegenden Wertungen und der Wandel der Anschauungen in der Bevölkerung, dass Forderungen auf Entgelt für die Erbringung, Vermarktung und Vermittlung von Telefonsexdienstleistungen nicht mehr an § 138 Abs. 1 BGB scheiterten. Könne für die Ausübung der klassischen Prostitution eine wirksame Entgeltforderung begründet werden, gelte dieses erst recht für den sogenannten Telefonsex (BGH 8. November 2007 – III ZR 102/07 – Rn. 13, juris). Er hat deshalb Verträge über die Vermarktung und Vermittlung von Telefonsexdienstleistungen nicht als nichtig angesehen (BGH 8. November 2007 aaO. Rn. 11).
Der 1. Zivilsenat des BGH hat ebenfalls die Auffassung vertreten, die Vereinbarungen zwischen Prostituierten und Kunden über die Vornahme von sexuellen Handlungen gegen Entgelt unterfielen nicht mehr dem Verdikt der Sittenwidrigkeit, denn der Gesetzgeber habe mit dem Prostitutionsgesetz einem Wandel in weiten Teilen der Bevölkerung Rechnung getragen, die die Prostitution nicht mehr als schlechthin sittenwidrig ansähen (BGH 13. Juli 2006 – I ZR 241/03 – Rn. 24, BGHZ 168, 314).
Auch das Bundesverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, der Gesetzgeber habe sich bei Erlass des Prostitutionsgesetzes von der Erwägung leiten lassen, dass nach überwiegender Auffassung die Prostitution nicht mehr als sittenwidrig sei (BVerwG 6. November 2002 – 6 C 16/02 – Rn. 22, juris).
Die Kammer stimmt der weiterhin von einer Sittenwidrigkeit des Prostitutionsvertrages ausgehenden Auffassung insoweit zu, als Rechtsgeschäfte, die zu sexuellen Handlungen gegenüber anderen verpflichten oder solche sexuellen Handlungen belohnen, mit der in Art. 1 GG geschützten Menschenwürde und dem in Art. 2 GG geschützten Persönlichkeitsrecht unvereinbar sein können, da die Bereitschaft zu sexuellem Verhalten jederzeit widerrufbar, nicht rechtlich verpflichtend sein darf (Erman/Schmidt-Ränsch aaO. § 138 BGB Rn. 140).
Zu bedenken ist jedoch, dass eine Prostituierte, die sich frei und eigenverantwortlich und unter Abwägung der damit verbundenen Vor- und Nachteile für diese Tätigkeit entscheidet, zu erkennen gibt, dass sie darin keine Verletzung der eigenen Würde sieht. Angesichts des dem Grundgesetz zugrunde liegenden Menschenbildes verbietet sich der Schutz der Prostituierten vor ihrem eigenen, frei gebildeten Willen (Staudinger/Fischinger aaO. § 1 ProstG Rn. 13). Etwas anderes gilt jedoch, wenn die Abrede eine rechtlich bindende Verpflichtung enthält, sexuelle Handlungen vorzunehmen. Eine einklagbare Rechtspflicht der Prostituierten zur Leistungserbringung kann nicht durch eine vertragliche Vereinbarung begründet werden, geht man nicht ohnehin davon aus, dass der Vertrag erst mit der Leistungserbringung zustande kommt (Staudinger/Fischinger aaO. § 1 ProstG Rn. 26, 32, 36, 37).
Damit ist dem Schutz der Menschenwürde und des Persönlichkeitsrechtes sowie der sexuellen Selbstbestimmung der Prostituierten ausreichend Rechnung getragen, ohne dass es der Nichtigkeit des gesamten Vertrages bedarf. Ihr gereichte ansonsten die zu ihrem Schutz postulierte Freiheit von einer Rechtspflicht zur Vornahme sexueller Handlungen zu einem Nachteil, weil sie keine vertraglichen Ansprüche mehr hätte (Staudinger/Fischinger aaO. § 1 ProstG Rn. 37).
Anmerkungen:
Die Klägerin gewann hier also das Verfahren. Ob Sie daran aber Spaß gehabt hat, mag bezweifelt werden. Das Gericht stellte hier klar, dass Sex gegen Entgelt vereinbart wurde und die Behauptung der Klägerin; es habe keinen Sex gegeben, nicht nachvollziehbar sei. Auch hat die Klägerin das bisherige Einkommen nicht gegenüber der Agentur für Arbeit angeben, was wahrscheinlich durch dieses Verfahren nun dort bekannt ist.
Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht
BAG: keine sachgrundlose Befristung bei Vorbeschäftigung vor 8 Jahren möglich!
Eine Befristung ohne Grund (Sachgrund) ist bei einer vormaligen Beschäftigung des Arbeitnehmer – so jedenfalls das Gesetz ( § 14 Abs. 2 Satz 2 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes -TzBfG) – nicht möglich. Das Bundesarbeitsgericht sah dies im Jahr 2011 (Urteil vom 6. April 2011 – 7 AZR 716/09) allerdings anders und meinte, dass nur in den letzten 3 Jahren keine Vorbeschäftigung vorgelegen haben dürfte. Damit wollte man vor allem Studenten, die geringfügig beim Arbeitgeber während des Studium beschäftigt wurden, den Weg in das Berufsleben ebnen. Diese Rechtsprechung wurde vom Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 6. Juni 2018 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14) für verfassungswidrig erklärt.
Nun stand wiederum eine Entscheidung zur sachgrundlosen Befristung bei Vorbeschäftigung des BAG an.
Dem lag folgender Fall zu Grunde:
Ein Arbeitnehmer war von März 2004 bis September 2005 als „gewerblicher Mitarbeiter“ bei der Arbeitgeberin tätig. Im Jahr 2013 – also 8 Jahre später – bewarb er sich bei der Beklagten/ Arbeitgeberin erneut und wurde mit Wirkung zum 19. August 2013 erneut eingestellt. Das Arbeitsverhältnis wurde bis zum 28. Februar 2014 ohne Sachgrund befristet.
Der Arbeitnehmer und die Arbeitgeberin verlängerten die Laufzeit des Arbeitsvertrags mehrfach, zuletzt bis zum 18. August 2015.
Gegen die letzte Befristung wehrte sich der Arbeitnehmer/ Kläger mittels Entfristungsklage (Befristungskontrollklage).
Die Klage des Arbeitnehmers hatte in allen drei Instanzen Erfolg.
Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 23. Januar 2019 – 7 AZR 733/16) führt dazu in seiner Pressemitteilung vom 23.01.2019 (
Nr. 3/19) aus:
Die sachgrundlose Befristung eines Arbeitsvertrags ist nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nicht zulässig, wenn zwischen dem Arbeitnehmer und der Arbeitgeberin bereits acht Jahre zuvor ein Arbeitsverhältnis von etwa eineinhalbjähriger Dauer bestanden hat, das eine vergleichbare Arbeitsaufgabe zum Gegenstand hatte.
Nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ist die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Im Jahr 2011 hatte das Bundesarbeitsgericht zwar entschieden, § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG erfasse in verfassungskonformer Auslegung nicht solche Vorbeschäftigungen, die länger als drei Jahre zurückliegen. Diese Rechtsprechung kann jedoch auf Grund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juni 2018 (- 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 -) nicht aufrechterhalten werden. Danach hat das Bundesarbeitsgericht durch die Annahme, eine sachgrundlose Befristung sei nur dann unzulässig, wenn eine Vorbeschäftigung weniger als drei Jahre zurückliege, die Grenzen vertretbarer Auslegung gesetzlicher Vorgaben überschritten, weil der Gesetzgeber eine solche Karenzzeit erkennbar nicht regeln wollte. Allerdings können und müssen die Fachgerichte auch nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts durch verfassungskonforme Auslegung den Anwendungsbereich von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG einschränken, soweit das Verbot der sachgrundlosen Befristung unzumutbar ist, weil eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten nicht besteht und das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich ist, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten. Das Verbot der sachgrundlosen Befristung kann danach insbesondere unzumutbar sein, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lang zurückliegt, ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist. Um einen solchen Fall handelt es sich vorliegend nicht, insbesondere lag das vorangegangene Arbeitsverhältnis acht Jahre und damit nicht sehr lang zurück. Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die Befristung im Vertrauen auf die im Jahr 2011 ergangenen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vereinbart zu haben. Sie musste bei Abschluss der Verträge mit dem Kläger jedenfalls die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die vom Bundesarbeitsgericht vorgenommene verfassungskonforme Auslegung der Norm vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben könnte.
Anmerkung: Bei vielen Arbeitgebern ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht zum Vorbeschäftigungsverbot nicht nicht angekommen. Von daher existieren in der Praxis noch eine Vielzahl von sachgrundlos befristeten Arbeitsverträgen (mit Vorbeschäftigung unter 3 Jahren). Diese Befristungen sind unwirksam – es sei denn es liegt ein Sachgrund für die Befristung vor (Dieser muss im Arbeitsvertrag nicht benannt sein!) – und damit sind die Beschäftigungsverhältnisse unbefristet.
Dies sollte man als Arbeitgeber wissen. Da ist fast allen befristeten Arbeitsverträgen die Kündigungsmöglichkeit eingeräumt ist, ist es in diesen Fällen sinnvoller – sofern ein Beendigungswunsch besteht – über eine Kündigung oder einen Aufhebungsvertrag nachzudenken.
Rechtsanwalt Andreas Martin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Kanzlei Marzahn- Hellersdorf (Berlin)
BAG: Ausschlussklausel ohne Ausnahme von Mindestlohnansprüchen unwirksam
Der gesetzliche Mindestlohn ist 1.1.2015 in Kraft getreten. Im Mindestlohngesetz ist geregelt, dass Ansprüche auf den Mindestlohn nicht verfallen können, somit auch nicht durch im Arbeitsverträgen übliche Ausschlussklauseln.
Die Frage war nun, was ist, wenn in einer Ausschlussklausel ab dem Jahr 2015 nicht geregelt ist, dass Ansprüche auf Mindestlohn nicht verfallen können. Diese Frage hat erhebliche praktische Bedeutung, da man in vielen Ausschlussklauseln oft keinen Ausschluss von Mindestlohnansprüchen findet.
Beispiel:
Ausschlussklausel
Alle Ansprüche aus der Arbeitsverhältnis verfallen, wenn diese nicht innerhalb von 3 Monaten ab Fälligkeit schriftlich gegenüber der anderen Partei geltend gemacht werden.
Diese einstufige Klausel wäre – für Arbeitsverträge, die nach dem 31.12.2014 geschlossen wurden – insgesamt unwirksam, da vom Verfall nicht Mindestlohnansprüche ausgenommen worden sind (dies hätte man in der Klausel ausdrücklich klarstellen müssen). Ein weiteres Problem wäre hier, dass mittlerweile auch die Textform für die Geltendmachung der Ansprüche ausreichend wäre.
Dies hat zur Folge, dass nicht nur die Ansprüche auf Mindestlohn nach der unwirksamen Klausel nicht verfallen (denn diese können ja ohnehin nicht verfallen), sondern die Klausel insgesamt unwirksam ist und damit die Ansprüche des Arbeitnehmers nicht verfallen.
Das Problem für den Arbeitgeber ist, dass dieser als Verwender der Klausel aber daran gebunden ist, auch wenn diese unwirksam ist. Damit verfallen trotzdem die Ansprüche des Arbeitgebers, obwohl die Klausel – für den Arbeitnehmer – unwirksam ist.
Ob die obige Rechtsfolge auch für Altverträge (also für Verträge, die vor dem 1.1.2015 abgeschlossen wurden) gilt, hat das BAG nicht entschieden.
Der Fall des Bundesarbeitsgericht
Der Arbeitnehmer war beim Arbeitgeber als Fußbodenleger ab September 2015 beschäftigt. Im Arbeitsvertrag befand sich eine Ausschlussklausel, die regelte, dass alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht worden sind.
Nachdem der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis gekündigt hatte, schlossen die Parteien im Kündigungsrechtsstreit einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 15. August 2016 endete. Der Arbeitgeber erstellte im Oktober die Abrechnung des Arbeitsverhältnis aber ohne Urlaubsabgeltung. Den Anspruch auf Urlaubsabgeltung machte dann der Arbeitnehmer erst im Januar 2017 geltend. Der Arbeitgeber berief sich darauf, dass der Anspruch nach der Ausschlussklausel (3 Monate) verfallen ist.
Wäre die Verfallsklausel hier wirksam, wäre der Anspruch auf Urlaubsabgeltung tatsächlich verfallen. Nur bei Unwirksamkeit dieser Ausschlussklausel könnte der Arbeitnehmer den Anspruch auf Urlaubsabgeltung noch durchsetzen.
Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 18. September 2018 – 9 AZR 162/18) gab dem Arbeitnehmer Recht. Die Verfallsklausel ist unwirksam und der Urlaubsabgeltungsanspruch damit durchsetzbar.
In seiner Pressemitteilung Nr. 43/18 vom 18.09.2018 führt das BAG aus:
Die Revision des Klägers hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg und führte zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Kläger hat nach § 7 Abs. 4 BUrlG Anspruch auf die Abgeltung von 19 Urlaubstagen mit 1.687,20 Euro brutto. Er musste den Anspruch nicht innerhalb der vertraglichen Ausschlussfrist geltend machen. Die Ausschlussklausel verstößt gegen § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Sie ist nicht klar und verständlich, weil sie entgegen § 3 Satz 1 MiLoG den ab dem 1. Januar 2015 zu zahlenden gesetzlichen Mindestlohn nicht ausnimmt.
Die Klausel kann deshalb auch nicht für den Anspruch auf Urlaubsabgeltung aufrechterhalten werden (§ 306 BGB). § 3 Satz 1 MiLoG schränkt weder seinem Wortlaut noch seinem Sinn und Zweck nach die Anwendung der §§ 306, 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ein.
Eine vom Arbeitgeber vorformulierte arbeitsvertragliche Verfallklausel, die ohne jede Einschränkung alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und damit auch den ab dem 1. Januar 2015 von § 1 MiLoG garantierten Mindestlohn erfasst, verstößt gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und ist – jedenfalls dann – insgesamt unwirksam, wenn der Arbeitsvertrag nach dem 31. Dezember 2014 geschlossen wurde.
Anmerkung:
Diese Entscheidung hat erhebliche praktische Relevanz! Für Arbeitgeber heißt dies, dass unbedingt die Ausschlussklauseln in den Arbeitsverträgen angepasst werden müssen und in Neuträgen auf eine sorgfältige Formulierung der Ausschlussklauseln zu achten ist.
Der Arbeitnehmer muss dem aber nicht zustimmen.
Rechtsanwalt Andreas Martin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Marzahn – Hellersdorf