Monat: Juni 2012
BAG: Frist schriftliche Geltendmachung der Diskriminierung – § 15 Abs. 4 AGG
Wenn der Arbeitnehmer z.B. wegen einer nicht vorgenommenen Einstellung abgewiesen wurde, dann stellt sich die Frage, ob eine Diskriminierung nach dem AGG (Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz) vorliegt. Wenn dies der Fall ist, dann schreibt § 15 Abs. 4 AGG vor, dass innerhalb von 2 Monaten die Diskriminierung bei der Gegenseite geltend zu machen ist.
§ 15 Abs. 4 AGG regelt:
Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.
Die Regelung ist eindeutig, von daher erscheint es seltsam, wenn sich das BAG nochmals mit dieser Frage auseinandersetzt. Der Grund dafür waren europarechtlichen Bedenken gegen die Frist des § 15 Abs. 4 AGG; diese sind nun vom Tisch und das Bundesarbeitsgericht bestätigt seine bisherige Rechtsprechung und wies die Revision der Arbeitnehmerin ab, die erst nach Ablauf von 2 Monaten nach Kenntnis von der Ablehnung und damit von der Benachteiligung Klage einreichte (und zuvor auch nicht schriftlich den Anspruch gegenüber der Gegenseite geltend machte).
Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 21. Juni 2012 – 8 AZR 188/11 -) führte dazu aus:
Will ein Arbeitnehmer geltend machen, er sei wegen eines durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbotenen Merkmals nachteilig behandelt worden, so muss er für alle Ansprüche auf Schadensersatz die Zweimonatsfrist des § 15 Abs. 4 AGG beachten. Wird eine Bewerbung abgelehnt, so beginnt die Frist in dem Moment, in dem der Bewerber von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.
Wie in den Vorinstanzen blieb die Klage auch vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts ohne Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hatte im Fall der Klägerin bereits den Europäischen Gerichtshof um Entscheidung der Frage gebeten, ob die Frist des § 15 Abs. 4 AGG mit europäischem Recht vereinbar ist. Nach der Entscheidung des Gerichtshofs in Luxemburg hatte das Landesarbeitsgericht nach dessen Vorgaben die Bestimmung für wirksam gehalten. Dies hat der Senat nunmehr in Fortsetzung seiner bisherigen Rechtsprechung bestätigt und klargestellt, dass auch Schadensersatzansprüche auf anderer Rechtsgrundlage binnen der Frist des § 15 Abs. 4 AGG geltend gemacht werden müssen, wenn sie sich auf einen Sachverhalt beziehen, bei dem eine Diskriminierung wegen der durch das AGG verbotenen Merkmale gerügt wird. Nachdem die Klägerin am 19. November 2007 mit der Ablehnung von der Benachteiligung Kenntnis erlangt hatte, wahrte ihre am 29. Januar 2008 beim Arbeitsgericht eingegangene Klage nicht die Zweimonatsfrist des § 15 Abs. 4 AGG.
Bei der obigen Frist handelt es sich nicht um eine Klagefrist, sondern um die Frist zu schriftlichen Geltendmachung. Hierzu siehe auch den Artikel“ Klagefrist auf Entschädigung nach dem AGG – Klagefrist beachten!„.
RA A. Martin
LAG Berlin-Brandenburg: Feststellungsantrag bei Streit über Urlaub zulässig (Klage auf Feststellung des Bestehens einer bestimmten Anzahl von Urlaubstagen)
Arbeitnehmer und Arbeitgeber streiten zuweilen auch über die Gewährung von Urlaub. Dabei ist zu beachten, dass Urlaubsansprüche zum Jahresende verfallen und nur unter bestimmten Umständen ins nächste Kalenderjahr übernommen werden und dann aber zwingend bis zum 31.03. des Folgejahres genommen werden müssen.
der Streit über die Anzahl der Urlaubstage
Wenn nun aber der Arbeitgeber meint, dass Urlaub schon verfallen ist und der Arbeitnehmer anderer Ansicht ist und meint, dass ihm im laufenden Jahr noch eine bestimmten Anzahl an Urlaubstagen zustehen, dann kann der Arbeitnehmer entweder auf die Gewährung einer konkreten Anzahl von Urlaubstagen während eines konkreten Zeitraumes klagen (Leistungsklage) oder auf Feststellung klagen, dass ihm z.B. für das Jahr 2012 noch 30 Tage an Erholungsurlaub zustehen (Feststellungsklage).
Leistungsklage auf Urlaubsgewährung
Die Leistungsklage geht der Feststellungsklage vor, da diese dem Arbeitnehmer schon ganz konkret den Urlaub zuspricht (genau genommen wird die Zustimmung zur Urlaubsgewährung – Willenserklärung – hier mit dem rechtskräftigen Urlaub fingiert) , während die Feststellungsklage dem Arbeitnehmer nur die Sicherheit verschafft, dass er eben noch z.B. 30 Tage an Urlaub im Kalenderjahr 2012 hat; hier kann es dann bei der Urlaubsgewährung wieder zu Streit z.B. über die zeitliche Lage des Urlaubs kommen.
Vorteile der Feststellungsklage
Die Feststellungsklage hat hier aber entscheidende Vorteile und immer mehr Arbeitsgericht halten diese bei der obigen Frage der Urlaubsgewährung für zulässig. Das Verfahren beim Leistungsantrag setzt ja voraus, dass der Arbeitnehmer bereits einen Urlaubsantrag beim Arbeitgeber gestellt hat und damit feststeht, von wann bis wann er den Urlaub nehmen will. Das Verfahren kann sich aber lange hinziehen mit dem Ergebnis, dass der Zeitraum dann schon überschritten ist und der Arbeitnehmer die Anträge fortlaufend anpassen muss, was nicht besonders prozessökonomisch ist. Bei der Feststellungsklage gibt es dieses Problem nicht.
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin – Brandenburg
Das LAG Berlin – Brandenburg (Urteil vom 30.09.20111 – 6 Sa 1629/11) hatte sich mit einem ähnlichen Fall zu beschäftigen und kam zum Ergebnis, dass eine Feststellungsklage auf Feststellung des Bestehens einer bestimmten Anzahl von Urlaubstagen im jeweiligen Kalenderjahr zulässig ist und diesbezüglich ein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Gleichwohl kam das Landesarbeitsgericht aber zum Ablehnen des Anspruches, da dieser nicht begründet war, was aber nichts an der grundsätzlichen Zulässigkeit der Feststellungsklage ändert.
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg führte dazu aus:
Die Klage ist zulässig. Die Klägerin hat gemäß § 256 Abs. 1 ZPO ein rechtliches Interesse an alsbaldiger richterlicher Feststellung des Bestehens eines Anspruchs auf restliche 22 Urlaubstage aus 2010 als Teil ihres Arbeitsverhältnisses zum Beklagten. Auf eine Leistungsklage brauchte sich die Klägerin nicht verweisen zu lassen. Eine Klage auf Gewährung von Urlaub während eines bestimmten Zeitraums wäre auf Abgabe einer Willenserklärung gerichtet, die gemäß § 894 ZPO erst mit Rechtskraft des Urteils als abgegeben gölte, was bei längerer Dauer des Rechtsstreits zu wiederholter Anpassung des Antrags zwänge und deshalb nicht prozessökonomisch wäre (BAG, Urteil vom 12.04.2011 – 9 AZR 80/10 – NZA 2011, 1050 R 12 ff.; anders früher Urteil vom 17.11.1983 – 6 AZR 419/80 – juris)
Anwalt A. Martin
BAG ändert seine Rechtsprechung zur Urlaubsabgeltung – Aufgabe der Surrogatstheorie
Das Bundesarbeitsgericht hat seine Rechtsprechung zur Urlaubsabgeltung geändert und die neue Rechtsprechung an die Entscheidungen des EuGH zur Urlaubsabgeltung (vor allem bei lang anhaltender Krankheit) angepasst.
bisherige Rechtslage – Urlaub – Beschränkung auf das Kalenderjahr
Grundsätzlich ist der Erholungsurlaub an das laufende Kalenderjahr gebunden. Dies ergibt sich aus den §§ 1, 7 III Bundesurlaubsgesetz:
Dort steht:
§ 1 BUrlG
Jeder Arbeitnehmer hat in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub.
und
§ 7 BUrlG
(3) Der Urlaub muß im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muß der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden. Auf Verlangen des Arbeitnehmers ist ein nach § 5 Abs. 1 Buchstabe a entstehender Teilurlaub jedoch auf das nächste Kalenderjahr zu übertragen.
Von daher beginnt und endet der Urlaubsanspruch im jeweiligen Kalenderjahr. Diese zeitliche Befristung des Urlaubsanspruches auf das Kalenderjahr hat das Bundesarbeitsgericht mehrfach bestätigt ( BAG, Urteil v. 13.5.1982, 6 AZR 360/80 ). Dies gilt auch weiterhin noch für den reinen Urlaubsanspruch.
Urlaubsabgeltung – bisher ebenso Verfall zum Jahresende
Das BAG hat dies aber bisher auch immer für den Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs angewandt. Begründet hat das Bundesarbeitsgericht dies damit, dass der reine Urlaubsabgeltungsanspruch das Surrogat zum Urlaubsanspruch darstellt und von daher genau wie dieser entsteht und untergeht. Von daher verfiel auch der Urlaubsabgeltungsanspruch, wenn er nicht rechtzeitig im Kalenderjahr geltend gemacht wurde (und auch keine Übertragungsgründe vorlagen).
neue Rechtsprechung des BAG
Diese Rechtsprechung hat das BAG nun geändert und zwar zunächst für den Fall des arbeitsfähigen Arbeitnehmers, dessen Arbeitsverhältnis beendet wurde. Dieser kann ja seinen Urlaub nicht mehr – nach seinem Ausscheiden – nehmen. Bisher verfiel der dann bestehende Urlaubsabgeltungsanspruch ebenfalls zum Jahresende.
Die Surrogatstheorie wurde vom Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 19. Juni 2012 – 9 AZR 652/10 – ) nun aufgegeben. Diese Anpassung der Rechtsprechung war zur Angleichung an die europarechtliche Rechtsprechung (EuGH) auch notwendig. Begründet wurde dies damit, dass nach der Rechtsprechung des EuGH beim dauerhaft erkrankten Arbeitnehmer der Urlaubsabgeltungsanspruch – als Abgeltung für den gesetzlichen Mindesturlaub – nicht zum Jahresende verfällt, da diese nicht richtlinienkonform (Urlaubsrichtlinie) wäre. Das BAG argumentiert nun so, dass es keinen sachlichen Grund für eine Ungleichbehandlung zwischen dem dauerhaft erkrankten Arbeitnehmer und dem Arbeitnehmer, der aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist, gäbe.
Das BAG führt dazu in seiner Pressemitteilung aus:
Der Kläger war beim Beklagten seit dem 4. Januar 2008 als Operating-Manager beschäftigt. Im Kündigungsrechtsstreit der Parteien stellte das Arbeitsgericht mit rechtskräftigem Urteil vom 27. November 2008 fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. Juli 2008 endete. Dem Kläger standen zu diesem Zeitpunkt jedenfalls 16 Tage Urlaub zu. Mit einem Schreiben vom 6. Januar 2009 verlangte er vom Beklagten ohne Erfolg, diesen Urlaub abzugelten. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Die Revision des Klägers hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Der Abgeltungsanspruch des Klägers ist entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht am 31. Dezember 2008 untergegangen. Der gesetzliche Urlaubsabgeltungsanspruch unterfällt als reiner Geldanspruchunabhängig von der Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers nicht dem Fristenregime des Bundesurlaubsgesetzes. Der Kläger musste deshalb die Abgeltung seines Urlaubs nicht im Urlaubsjahr 2008 verlangen. Sachliche Gründe dafür, warum für einen arbeitsfähigen Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses andere Regeln für den Verfall des Urlaubsabgeltungsanspruchs gelten sollen als für einen arbeitsunfähigen Arbeitnehmer, bestehen nicht. Der Senat hält daher auch für den Fall, dass der Arbeitnehmer arbeitsfähig ist, an der Surrogatstheorie nicht fest.
Die Entscheidung ist konsequent, denn ein Grund für die Unterscheidung zwischen erkrankten und ausgeschiedenen Arbeitnehmer (beide können den Urlaub nicht mehr nehmen), ist nicht ersichtlich. Das Bundesurlaubsgesetz steht dem auch nicht entgegen, denn es regelt nur den Untergang des Urlaubsanspruches zum Jahresende und nicht des Abgeltungsanspruches.
Anwalt A. Martin
LAG Berlin-Brandenburg: Streitwert für Klage des abgelehnten Bewerbers = Quartalsverdienst
Klagen abgelehnter Bewerber auf Schadenersatz wegen Benachteiligung (vor allem nach dem AGG) haben in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Für den Anwalt, der das Verfahren führt ist wichtig in welcher Höhe das Gericht hier die Streitwert festlegt, aus dem sich dann die Anwaltsgebühren berechnen.
Streitwert nach dem LAG Berlin-Brandenburg – Quartalsverdienst
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (11.06.2011 – 17 Ta -Kost – 6053/12) hat nun entschieden, dass der Streitwert hierfür mit einem Quartalsverdienst festzusetzen ist.
Das LAG führt dazu aus:
Es ist bei Anwendung dieser Grundsätze angemessen, den Klageantrag zu 1) mit dem Vierteljahresverdienst zu bewerten, den der Kläger bei einer erfolgten Einstellung hätte erzielen können. Zwar übersteigt das wirtschaftliche Interesse des Klägers, einen Ausgleich für die entgangene Vergütung zu erhalten, selbst bezogen auf den bei einer Klage auf wiederkehrende Leistungen maßgeblichen Zeitraum von drei Jahren deutlich diesen Betrag. Bei der Bewertung muss jedoch zum Ausdruck kommen, dass der Wert der weitergehenden Klage auf Einstellung nach § 42 Abs. 3 GKG begrenzt gewesen wäre. Einer Klage, mit der der Kläger so gestellt werden will, als sei er eingestellt worden, kann nicht höher als eine Bestandsstreitigkeit als solche bewertet werden. Dies gilt umso mehr, als die vom Kläger erstrebte Rechtsposition zu einem in seinem Bestand noch ungesicherten Arbeitsverhältnis geführt hätte. Um einen Wertungswiderspruch zu vermeiden, ist die Wertgrenze des § 42 Abs. 3 GKG deshalb auch in Fallgestaltungen wie der vorliegenden zu beachten, was zur teilweisen Änderung des angefochtenen Beschlusses unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen führt.
A. Martin
LAG Köln: Arbeitgeber ist an die Angaben Bezug auf die Abgeltung von Urlaub im Kündigungsschreiben gebunden
Arbeitgeber sollten aufpassen, was sie gegenüber dem Arbeitnehmer zum Beispiel im Kündigungsschreiben erklären. Das Landesarbeitsgericht Köln hatte nun über einen Fall zu entscheiden, wonach ein Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer im Kündigungsschreiben die Abgeltung von 43 Tagen an Erholungsurlaub ankündigte. Später stellte sich heraus, dass ein solcher Anspruch gar nicht bestand und der Arbeitnehmer eigentlich weitaus weniger offene Urlaubstage hatte. Das LAG entschied, dass der Arbeitgeber durch diese Erklärung ein Schuldanerkenntnis abgegeben hatte und nun auch die „zu hohen“ Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers abgelten muss.
die Entscheidung des LAG Köln
Das Landesarbeitsgericht Köln (AZ 4.4.2012, 9 Sa 797/11) begründete dies wie folgt:
Zu Recht hat das Arbeitsgericht Köln den Beklagten verurteilt, an den Kläger EUR 9.094,07 brutto nebst Zinsen zur Abgeltung von 43 Urlaubstagen zu gewähren.
1. Die Erklärung in dem Kündigungsschreiben, der Kläger erhalte eine Urlaubsabgeltung von 43 Tagen, stellt ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis dar. Es war damit bezweckt, die Anzahl der abzugeltenden Urlaubstage mit dem Ausspruch der Kündigungabschließend festzulegen und einem Streit bei der späteren Abwicklung zu entziehen (vgl. zum deklaratorischen Schuldanerkenntnis: BAG, Urteil vom 11. Mai 1983 – 7 AZR 500/79 – und Urteil vom 10. März 1987 – 8 AZR 610/84 – ).
Die Parteien habe es nicht dabei belassen, anhand der Angaben über die Urlaubstage in den monatlichen Lohnabrechnungen diesen Anspruch beim Ausscheiden des Klägers abzuwickeln. Lohnabrechnungen haben nicht den Zweck, die Ansprüche endgültig festzulegen. Bei einem Irrtum kann daher grundsätzlich keine Seite am Inhalt einer Lohnabrechnung festgehalten werden. Ihr kann somit nicht entnommen werden, dass der Arbeitgeber die Zahl der angegebenen Urlaubstage auch dann gewähren will, wenn er diesen Urlaub nach Gesetz, Tarifvertrag oder Arbeitsvertrag nicht schuldet (vgl. BAG, Urteil vom 10. März 1987 – 8 AZR 610/84 – ).
Gerade angesichts dieses Umstandes muss der von dem Beklagten durch Unterschrift bestätigten Erklärung in dem Kündigungsschreiben die weiterreichende Bedeutung zukommen, dass die Anzahl der abzugeltenden Urlaubstage etwaigen Neuberechnungen des Beklagten von vornherein entzogen werden sollte.
2. Der Beklagte hat das deklaratorische Schuldanerkenntnis nicht wirksam angefochten.
Auf eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung des Klägers über die Anzahl der abzugeltenden Urlaubstage, beruft sich der Beklagte nicht. Er führt vielmehr an, die fehlerhafte Angabe der Urlaubstage im Personalabrechnungssystem sei bei Abgabe der Erklärung in dem Kündigungsschreiben übernommen worden.
Es kommt nur ein Motivirrtum in Betracht, nämlich ein Irrtum darüber, es bestehe eine Verpflichtung zur Abgeltung von 43 Urlaubstagen, während der Beklagte nunmehr annimmt, diese habe nicht bestanden. Ein derartiger Irrtum im Beweggrund (Motivirrtum) begründet kein Anfechtungsrecht (vgl. BAG, Urteil vom 11. Mai 1983 – 7 AZR 500/79 – ).
3. Der Kläger ist auch nicht ausnahmsweise nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) daran gehindert, sich auf das Schuldversprechen in dem Kündigungsschreiben zu berufen.
Selbst wenn der Gläubiger positive Kenntnis von einem Berechnungsirrtum des Erklärenden hat, folgt daraus noch nicht eine unzulässige Rechtsausübung. Als mit den Grundsätzen von Treu und Glauben unvereinbar wird man die Annahme einer fehlerhaft berechneten Verpflichtung nur dann ansehen können, wenn die Vertragsdurchführung für den Erklärenden schlechthin unzumutbar ist, etwa weil er dadurch in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten würde (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 1998 – X ZR 17/97 -; KG Berlin, Urteil vom 5. März 2001 – 12 U 2335/00 – ).
Im vorliegenden Fall steht nicht einmal fest, dass der Kläger die Angabe von 43 abzugeltenden Urlaubstagen für unzutreffend hielt. Immerhin war in den Lohnabrechnungen für die Monate Mai 2010 bis Juli 2010 die Zahl der restlichen Urlaubstage mit 50 Tagen angegeben worden, und zwar 20 Tagen Resturlaub aus dem Jahr 2009 und 30 Tagen Urlaub aus dem Jahr 2010. Unter Berücksichtigung von 7 genommenen Urlaubstagen im Juli 2010 verblieben dann 43 Urlaubstage. Selbst wenn die Lohnabrechnung für August 2010 bei Abfassen des – rückdatierten – Kündigungsschreibens bereits vorlag, ergibt sich nichts anderes: In ihr sind die 7 genommenen Urlaubstage auf den Vorjahresurlaubsanspruch angerechnet worden, so dass 13 Resturlaubstage aus 2009 verblieben. Der Urlaubsanspruch für das Jahr 2010 wird unzutreffend mit 20 Urlaubstagen angegeben. Da der Kläger im zweiten Halbjahr 2010 ausgeschieden ist und es an der Vereinbarung einer vom Bundesurlaubsgesetz abweichenden Regelung für den über den gesetzlichen Urlaub hinausgehenden Mehrurlaub fehlt, bleibt es dabei, dass der gesamte Jahresurlaub für das Jahr 2010 abzugelten war (vgl. § 5 BUrlG). Der Beklagte beruft sich offensichtlich erst nachträglich darauf, der Resturlaub aus dem Jahr 2009 sei verfallen. Wieso angesichts dessen der Kläger positive Kenntnis von einem übersetzten Urlaubsanspruch gehabt haben sollte, ist nicht nachvollziehbar.
Das LAG stellt hier unter Verweis auf das BAG auch nochmals klar, dass falsche Angaben in Lohnabrechnungen in Bezug auf den Urlaub (dies kommt in der Praxis häufig vor) den Arbeitgeber in der Regel nicht binden. Die Kündigungserklärung war aber weitreichender.
Anwalt A. Martin
Dr. Mario Eylert ist neuer Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht – 4. Senat
Dr. Mario Eylert ist neuer Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht. Er wird den 4. Senat, der hauptsächlich für Tarifvertragsrecht zuständig ist, leiten. Vor kurzem wurde ja bereits berichtet, dass Professor Klaus Bepler sich im Ruhestand befindet. Dieser hatte zuvor als Vorsitzender den 4. Senat des BAG geleitet.
Herr Eylert war zuvor als Richter in Berlin und in Brandenburg tätig.
A. Martin
Prof. Bepler nicht mehr Richter am BAG
Der bislang vorsitzende Richter am Bundesarbeitsgericht, Prof. Klaus Bepler, ist im Ruhestand (siehe hier die Pressemitteilung des BAG).
Prof. Bepler leitete ab 2005 den 4. Senat des BAG und trug maßgeblich zur Weiterentwicklung des Tarifvertragsrechtes in Deutschland bei u.a. mit Entscheidung zur Zulässigkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln und zur Aufgabe der Tarifeinheit.
A. Martin
BSG: Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung bei Elterngeldbemessung nicht berücksichtigt
Das BSG hat am 6.04.2012 (Az B 10 EG 6/11 R) entschieden, dass Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung bei der Ermittlung des für die Elterngelbemessung maßgeblichen Einkommens nicht abzuziehen sind.
Entscheidung des Bundessozialgericht
Nach der obigen Entscheidung des BSG sind solche Beiträge nicht im Sinne von § 2 Abs. 8 S. 1 BEEG keine Pflichtbeträge zur gesetzlichen Sozialversicherung, die aufgrund der Erwerbstätigkeit der Frau geleistet worden sind.
Die Entscheidung ist auf der Seite des Bundessozialgerichts noch nicht abrufbar, aber die Vorankündigung mit der Beschreibung des Verfahrens.
Das BSG beschreibt den Sachverhalt wie folgt:
Die Klägerin ist selbstständige Rechtsanwältin. Auf ihren Antrag gewährte ihr das beklagte Land für den 2. bis 12. Lebensmonat ihres am 21.1.2009 geborenen Kindes vorläufig Elterngeld in Höhe von monatlich 300 Euro. Dabei ging der Beklagte von einem vorgeburtlichen Monatseinkommen der Klägerin in Höhe von 3451,75 Euro und einem durchschnittlichen Einkommen von 2296 Euro monatlich nach der Geburt des Kindes aus. Die Beiträge der Klägerin zur freiwilligen Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung wurden weder für die Zeit vor noch nach der Geburt berücksichtigt. Mit ihrem Begehren, diese Beiträge bei der Ermittlung des für die Elterngeldbemessung maßgeblichen Einkommens abzuziehen, ist die Klägerin bislang erfolglos geblieben. Ihre Revision begründet sie insbesondere wie folgt: Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung würden auch bei freiwilliger Versicherung nach der Höhe des Einkommens berechnet, hätten daher einen konkreten Bezug zur Erwerbstätigkeit. Mithin seien sie ebenso wie Pflichtbeiträge bei der Berechnung des Elterngeldes vom Einkommen abzuziehen. Anderenfalls würden Selbstständige gegenüber abhängig Beschäftigten benachteiligt.
SG Koblenz – S 10 EG 6/09 –
LSG Rheinland-Pfalz – L 5 EG 5/10 –
Im Enddefekt heißt dies, dass freiwillig Krankenversicherte Freiberuflerinnen (wie z.B. Rechtsanwälte) gegenüber Angestellten im Nachteil sind, wenn sie nach der Geburt in Teilzeit weiterarbeiten.
RA A. Martin